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# taz.de -- Umweltbelastung durch Dünger: Verseuchen Bauern das Wasser?
> Der taz-Faktencheck zeigt: Der durchschnittliche Landwirt düngt zu viel
> und belastet das Grundwasser. Das ist eine Gefahr für Gesundheit und
> Umwelt.
Bild: Hier kommt das Nitrat: Landwirt in Niedersachsen bringt Gülle als Dünge…
Berlin taz | Viele Bauern fühlen sich von Umweltschützern, Politikern und
Journalisten zu Unrecht an den Pranger gestellt. Das haben beispielsweise
die [1][Demonstrationen Tausender Landwirte] in mehreren Großstädten am 22.
Oktober gezeigt. Am 26. November sollen wieder Traktoren nach Berlin
rollen.
Die Bewegung bestreitet unter anderem, dass Bauern für die Verseuchung von
Grundwasser durch die potenziell gesundheits- und umweltschädliche
Stickstoffverbindung Nitrat verantwortlich seien. So argumentieren diese
Landwirte gegen die geplante Vorschrift der Bundesregierung, weniger mit
Stickstoff zu düngen. Berlin will damit eine Geldstrafe der EU verhindern,
weil Deutschland dem Europäischen Gerichtshof zufolge seit Jahren die
[2][Nitrat-Richtlinie] verletzt. Zudem will die Deutsche Umwelthilfe wegen
der Überschreitung des Nitrat-Grenzwerts im Grundwasser gegen die
Landesregierungen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen klagen. Hier die
wichtigsten Behauptungen der Agrarseite im Faktencheck:
Wenn der Nitrat-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter im Trinkwasser
überschritten wird, sei das noch lange nicht gesundheitsschädlich.
Falsch. Auch wenn der Grenzwert nur gelegentlich überschritten wird, können
Säuglinge Blausucht bekommen, wie das [3][Bundesumweltministerium]
mitteilt. Denn das Nitrat kann durch Bakterien in Nitrit umgewandelt
werden, das den Sauerstofftransport durch die roten Blutkörperchen stört.
„Dies kann zu Sauerstoffmangel in den Geweben [4][bis hin zur inneren
Erstickung] führen“, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung.
Unser Trinkwasser sei fast immer unter dem Nitrat-Grenzwert. Es sei kein
großes Problem, dass ein paar Grundwasserkörper darüber liegen. Grundwasser
sei ja nicht gleich Trinkwasser.
Bei Trinkwasser wird der Grenzwert laut Umweltbundesamt tatsächlich
flächendeckend eingehalten. Aber nur, weil die Wasserwerke Grundwasser aus
zu stark mit Nitrat belasteten Brunnen mit sauberem Wasser aus anderen
Brunnen verschneiden, belastete Brunnen schließen, tiefer bohren oder das
Nitrat herausfiltern. Fast [5][70 Prozent des Trinkwassers] werden dem
Umweltbundesamt zufolge aus Grund- und Quellwasser gewonnen.
Die Landwirtschaft sei gar nicht der Hauptverursacher der Nitrat-Emissionen
in Deutschland.
Doch, das meiste Nitrat im Grundwasser kommt aus der Landwirtschaft. Das
belegt zum Beispiel das Umweltbundesamt in seinem Forschungsprojekt
„Reaktive Stickstoffflüsse in Deutschland 2010–2014“, dessen Ergebnisse
demnächst offiziell veröffentlicht werden sollen. Demnach kommen 88 Prozent
des Nitrats im Grundwasser von Landwirtschaftsflächen unterhalb der
Wurzelzone, wie das Umweltbundesamt der taz vorab mitteilte.
Außerdem haben Messstellen im Einzugsbereich von Ackerland bedeutend höhere
Nitratkonzentrationen im Grundwasser als Messstellen, deren Einzugsgebiet
vorwiegend durch Wälder geprägt ist: Unter Waldflächen wird der
Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter laut Umweltbundesamt bei 2
Prozent der Messstellen überschritten. An Messstellen, in deren
Einzugsgebiet Grünland oder Siedlungen dominieren, beträgt dieser Anteil
[6][8 beziehungsweise 6 Prozent]. In Regionen, in denen vorwiegend
Ackerflächen oder Sonderkulturen sind, wird der Schwellenwert bei 33
Prozent der Messstellen überschritten.
Undichte Abwasserleitungen belasteten das Grundwasser viel stärker mit
Nitrat als die Landwirtschaft.
Auch das ist falsch, wie eine Studie für Nordrhein-Westfalen, das
bevölkerungsstärkste Bundesland, zeigt. Das Bundesumweltministerium zitiert
das Ergebnis wie folgt: „Kein Grundwasserkörper in NRW ist aufgrund einer
anderen Quelle als der Landwirtschaft in einem schlechten Zustand wegen
Nitrat.“ Zwar gebe es den Forschern zufolge punktuelle Belastungen aus
undichten Kanälen. Aber die Einträge seien örtlich so begrenzt, dass sie
nicht ins Gewicht fallen.
Deutschland habe pro Fläche weniger Grundwasser-Messstellen als andere
EU-Länder. Deshalb seien die Ergebnisse verzerrt.
Tatsächlich ist das Messnetz in Deutschland laut EU-Kommission nicht so
engmaschig wie in den meisten anderen Mitgliedstaaten. Aber den Behörden
zufolge ändert das nichts daran, dass die deutsche Ergebnisse repräsentativ
sind. Das Netz, das für Berichte an die Europäische Umweltagentur (EUA)
benutzt wird, besteht laut Bundesregierung beispielsweise zu 45 Prozent aus
Messstellen unter Ackerland, zu 11 Prozent unter Grünland, 30 Prozent Wald
und 9 Prozent Siedlungsfläche. „[7][Dies spiegelt die Flächenanteile der
einzelnen Landnutzungen in Deutschland wider]“, so die Regierung. Rund 18
Prozent der Messstellen in diesem Netz liegen laut Umweltministerium über
dem Schwellenwert für Nitrat.
Die Bundesregierung wolle nun vorschreiben, dass die Bauern in besonders
belasteten Gebieten [8][20 Prozent weniger düngen], als bislang offiziell
für nötig gehalten wurde. Dann würden die Pflanzen hungern.
Das würde nur dann stimmen, wenn die Landwirte bisher lediglich so viel
gedüngt hätten, wie die Pflanzen aufnehmen. Doch genau das haben sie nicht
getan. Beispiel [9][Niedersachsen, Deutschlands Agrarland Nummer 1:] Dort
düngten die Bauern im vergangenen Wirtschaftsjahr pro Hektar im Schnitt 19
Kilogramm Stickstoff zu viel, wie [10][im Nährstoffbericht] des von der
agrarlobbyfreundlichen CDU geführten Landwirtschaftsministeriums steht.
Zwar soll die Düngeverordnung die Menge so begrenzen, dass kaum Stickstoff
übrig bleibt. Aber sie bietet viele Schĺupflöcher. Zudem halten sich manche
Landwirte nicht an die Regeln, die oft auch nur lasch durchgesetzt werden.
Manche Bauern wollen durch Überdüngung die riesigen Mengen Gülle aus
Massenställen auf den Feldern entsorgen. Zuweilen irren sich Landwirte auch
einfach und düngen zu viel oder zum falschen Zeitpunkt.
Die Pflanzen hungerten auch nicht, wenn sie weniger Dünger erhielten, sagt
Onno Poppinga, emeritierter Agrarprofessor und Mitgründer der
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der taz. „Sie können weiter
keimen, wachsen und zur Samenreife kommen.“ Aber vielleicht wäre die Ernte
nicht so groß, wie die Bauern wollten. Die Düngeverordnung definiere den
Bedarf einer Pflanze so, dass die Landwirte möglichst viel ernten und
verdienen.
Wenn die Bauern in den besonders belasteten Gebieten 20 Prozent weniger als
bisher erlaubt düngen, würde das dem Grundwasser kaum nützen.
Der Kieler Agrarprofessor Henning Kage schreibt, weniger zu düngen
reduziere die Nitratmenge im Grundwasser „in aller Regel [11][kurz- bis
mittelfristig] (1–10 Jahre) nur sehr wenig“. Das bestätigt Hans-Werner
Olfs, Professor für Pflanzenernährung an der Hochschule Osnabrück. Denn das
nitratbelastete Regenwasser brauche lange, bis es durch die verschiedenen
Bodenschichten in die Brunnen sickere. „Danach werden die Nitratwerte im
Grundwasser aber sehr wohl signifikant sinken“, sagte Olfs der taz.
Die Ernten werden stark schrumpfen, wenn die Pflanzen weniger gedüngt
werden dürfen. Viele Höfe müssten schließen.
„Wir schätzen, dass die Erträge der Ackerkulturen im Durchschnitt um 5
Prozent sinken, wenn sie mit 20 Prozent weniger Stickstoff gedüngt werden,
als in der Düngeverordnung aus dem Jahr 2017 erlaubt ist“, sagt der auch
von Umweltschützern anerkannte Wissenschaftler Bernhard Osterburg vom
bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut. Zudem würde es dann
schwieriger, die am Markt geforderten Qualitäten zu erreichen, vor allem
bei Backweizen und einigen Feldgemüsearten. Agrarprofessor Kage schätzt,
dass die Landwirte wegen der Düngerreduktion insgesamt 150 Millionen Euro
weniger pro Jahr einnähmen. Ob diese Gewinnminderung existenzgefährdend
sei, könne „nur einzelbetrieblich beurteilt werden“.
Es sei nicht gerechtfertigt, die maximal erlaubte Düngung auch bei Bauern
zu reduzieren, die zwar in belasteten Gebieten arbeiten, jedoch selbst
nicht zu viel Stickstoff ausgebracht haben.
Das Umweltministerium bestreitet, dass es so kommt: „Betriebe, die
gewässerschonend wirtschaften, sollen davon ausgenommen sein.“ Als
gewässerschonend gelte ein Betrieb, wenn er weniger als 160 Kilogramm
Gesamtstickstoff pro Hektar und davon maximal 80 Kilo synthetischen
Stickstoff-Dünger einsetzt. Der Bauernverband dementiert das auf
taz-Anfrage nicht. Diese Ausnahme sei „selbstverständlich“, sagt
Generalsekretär Bernhard Krüsken.
Nitrat werde im Boden und im Grundwasser auf natürliche Weise abgebaut.
„Alle derzeit bekannten wissenschaftlichen Studien geben keinen Hinweis
darauf, dass durch natürliche Denitrifikation, also durch Nitratabbau in
der ungesättigten Zone und im Grundwasser in Deutschland, im großen Umfang
die Nitratkonzentration vermindert werden kann“, schreibt das
Umweltministerium. In einigen Regionen werde derzeit noch Nitrat abgebaut.
Doch wie lange diese Kapazität noch reiche, sei unbekannt. Deshalb könne
man sich darauf nicht verlassen. Dazu wollte sich der Bauernverband auf
taz-Anfrage nicht äußern.
Dass die Landwirtschaft einen Stickstoff-Überschuss von etwa 100 Kilogramm
pro Jahr und Hektar habe, bedeute nicht, dass die Bauern diese Menge zu
viel düngen.
Das stimmt. Ein Teil des Stickstoffs gelangt nicht durchs Düngen in die
Umwelt, sondern etwa, wenn Gülle unter freiem Himmel gelagert wird. Aber
das ändert nichts an der Verantwortung der Landwirtschaft für diese
Emissionen, die sich auch reduzieren lassen. Und auch nicht daran, dass sie
oft zu viel düngen, wie zum Beispiel der Nährstoffbericht für Niedersachsen
belegt.
19 Nov 2019
## LINKS
[1] /Landwirte-blockieren-Strassen/!5633024
[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A31991L0676
[3] /Bundesumweltministerium/!t5022631
[4] https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_nitrat_und_nitrit_in_leb…
[5] https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/trinkwasser
[6] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikatione…
[7] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/088/1908835.pdf
[8] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2019/032-Duengeverordnung…
[9] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/landwirtschaft/landwirtsc…
[10] https://www.ml.niedersachsen.de/download/143470/Naehrstoffbericht_2017_201…
[11] https://www.topagrar.com/acker/news/kritik-am-taube-interview-11582888.html
## AUTOREN
Jost Maurin
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