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# taz.de -- Bauern gegen Umweltschutz-Auflagen: Protest gegen eigene Interessen
> Viele Landwirte stören sich an Vorschriften für Pestizide. Sie sollten
> lieber Agrarsubventionen für mehr Umweltschutz fordern.
Bild: Ziemlich beschissen: Gülle belastet das Grundwasser
Sie sind wütend, Tausende Bauern, die am Dienstag in Berlin demonstrieren
werden. Aufgerufen von der Bewegung „Land schafft Verbindung“ wollen sie
gegen [1][Vorschriften zum Schutz des Wassers oder der Artenvielfalt]
protestieren. Die Landwirte denken, sie würden für ihre Höfe kämpfen. In
Wirklichkeit tun sie genau das Gegenteil. Diese Bauern handeln gegen ihre
eigenen Interessen.
„Land schafft Verbindung“ hat vor allem zwei Anliegen: Sie ist gegen das
„Agrarpaket“ der Bundesregierung. Darin hat das Kabinett angekündigt,
[2][Unkrautvernichtungsmittel und besonders schädliche Insektengifte in den
meisten Naturschutzgebieten zu verbieten] – vor allem um das
Insektensterben einzudämmen. Zudem sollen mehr Agrarsubventionen, die
bisher vor allem für den Besitz von Fläche gezahlt werden, etwa
Umweltprojekte von Landwirten finanzieren.
Außerdem wenden sich die Demo-Initiatoren dagegen, dass manche Landwirte
weniger düngen dürfen, zum Beispiel mit Gülle. Das alles koste die Bauern
Geld und würde vor allem viele kleine Familienbetriebe in den Ruin treiben,
warnen die Landwirte.
Das ist maßlos übertrieben. Bei den Pestizidverboten geht es [3][nur um
wenige Ackergifte und 158.000 Hektar Acker] – also 0,9 Prozent der
landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Dazu kommen 1,1
Millionen Hektar Wiesen (6 Prozent der Agrarfläche), auf denen aber auch
jetzt schon wenig Unkrautvernichter und kaum Insektengifte eingesetzt
werden.
## Gülle als Dünger belastet das Grundwasser
Die pro Fläche berechneten Direktzahlungen werden laut
Bundesagrarministerium nur um 4,50 Euro je Hektar gemindert – bei einer
Gesamthöhe von in der Regel mehreren hundert Euro.
Auch die Einbußen durch die umstrittene neue Düngeregel sind überschaubar.
„Wir schätzen, dass die Erträge der Ackerkulturen im Durchschnitt um 5
Prozent sinken, wenn sie mit 20 Prozent weniger Stickstoff gedüngt werden,
als in der Düngeverordnung aus dem Jahr 2017 erlaubt ist“, sagt
Wissenschaftler Bernhard Osterburg vom bundeseigenen
Thünen-Agrarforschungsinstitut. Sicher, wenn die Bauern etwas weniger
Pestizide spritzen, düngen und Gülle verklappen dürfen, kann das ihren
Gewinn schmälern. Aber an Insekten- und Wasserschutz führt kein Weg vorbei.
Potenziell gesundheitsschädliches Nitrat aus Stickstoffdüngern wie Gülle
belastet Grundwasser, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. In der
Umwelt trägt zu viel Dünger zum Aussterben von Pflanzen- und Tierarten
sowie zum Klimawandel bei. Deutschland droht eine hohe Geldstrafe der EU,
weil die Nitrat-Grenzwerte immer wieder überschritten werden.
Mehrere Studien belegen, dass das meiste Nitrat im Grundwasser aus der
Landwirtschaft kommt: Messstellen im Einzugsbereich von Ackerland weisen
bedeutend höhere Nitratkonzentrationen auf als Messstellen, deren
Einzugsgebiet vorwiegend durch Siedlungen geprägt ist. Auch für das
Insektensterben mehren sich die Hinweise auf eine maßgebliche
Mitverantwortung der Landwirtschaft. Sie bewirtschaftet ja auch ungefähr
die Hälfte der deutschen Landfläche und spritzt Pestizide, die
Nahrungspflanzen für Insekten oder Insekten selbst töten.
## Agrarsubventionen für Umweltschutz
Viele Bauern leugnen diese Fakten und verpassen eine wichtige Chance: Sie
sollten fordern, die jährlich 5 Milliarden Euro EU-Agrarsubventionen dafür
zu erhalten, dass sie weniger düngen und spritzen und die Belastung der
Lebensmittelproduktion für Tiere und Umwelt reduzieren. Bisher zahlt der
Staat den überwiegenden Teil des Geldes weitgehend unabhängig davon, wie
umwelt- oder tierfreundlich die Bauern dort arbeiten.
Diese ungerechten Direktzahlungen der Europäischen Union fördern das
Höfesterben. Denn das Prinzip lautet: Je mehr Land ein Hof hat, desto mehr
Subventionen bekommt er. So können große Betriebe mit Hilfe des Staates
noch leichter kleine Höfe verdrängen.
Wenn die Bauern für mehr Umweltschutz Geld bekämen, könnten sie auch gegen
Konkurrenz aus Ländern mit laxeren Vorschriften bestehen. Von alldem findet
sich in der [4][Pressemitteilung zur Demo] kein Wort. Sie beschränkt sich
darauf, alles abzulehnen, was der Umwelt nutzt und Gewinne senken könnte.
Gleichzeitig verscherzen es sich die Bauern mit potenziellen Verbündeten.
Ständig klagen sie über „Bauernbashing“ durch „Städter“, Umwelt- und
Tierschutzorganisationen oder Medien. Sie würden „unfundierte und
ideologische Entscheidungen“ vorantreiben. Viele Bauern applaudierten, als
Kollegen von ihnen einen Journalisten und eine grüne Kommunalpolitikerin
[5][vor deren Privathäusern bedrängten]. Eine inakzeptable
Grenzüberschreitung.
## Landwirte haben Probleme mit kritischen Fragen
Dabei kommt die Kritik nicht nur aus der Stadt, sondern auch vom Land: zum
Beispiel von Anwohnern von Massenställen oder ehrenamtlichen
Naturschützern. Der Landwirt ist laut Umfragen immer noch [6][einer der
angesehensten Berufe] in Deutschland. Der Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland setzt sich gegen das Höfesterben ein. Deutsche Medien lassen
Bauern ausführlich zu Wort kommen.
Aber Journalisten stellen kritische Fragen. Damit haben die Initiatoren von
„Land schafft Verbindung“ offenbar ein Problem. Wie lässt sich sonst
erklären, dass sie für ein Interview mit der taz „keine Zeit“ haben, aber
sehr wohl für einen stundenlangen Dreh des staatlichen Propagandasenders
[7][Russia Today], der mehrmals durch eklatante Falschmeldungen aufgefallen
ist?
„Land schafft Verbindung“ läuft ins Abseits. Im Bundestag werden ihre
Forderungen in ihrer Gesamtheit nicht einmal mehr von den traditionellen
Bauernparteien CDU/CSU unterstützt, sondern nur noch von der AfD. Diese
Radikalität könnte die Landwirte teuer zu stehen kommen. Es gibt [8][nur
noch 270.000] von ihnen – Tendenz: fallend.
Selbst die Union könnte angesichts der Sachzwänge und der Mehrheiten in
Sachen Umweltschutz bald bereit sein, auf einen Großteil dieser kleinen
Klientel zu verzichten. Die Bauern müssen für eine Umweltreform der
Agrarsubventionen kämpfen – sonst wird sich bald keine Regierungspartei
mehr für sie einsetzen.
25 Nov 2019
## LINKS
[1] /Umweltbelastung-durch-Duenger/!5635932
[2] https://www.bmu.de/publikation/aktionsprogramm-insektenschutz/
[3] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/bmel-wirft-rukwied-mas…
[4] https://landschafftverbindung.de/wp-content/uploads/2019/11/PM_Berlin_19112…
[5] /Bauern-schuechtern-Journalisten-ein/!5642142
[6] https://www.agrarheute.com/land-leben/umfrage-schaetzen-ansehen-landwirts-5…
[7] https://deutsch.rt.com/inland/94125-wir-landwirte-stehen-mit-rucken/
[8] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forst…
## AUTOREN
Jost Maurin
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