# taz.de -- Streitgespräch dreier Wohnpolitiker: „Der Markt ist völlig aus … | |
> Die Mietkrise gehört zu den brennendsten Themen der Zeit. Vor dem | |
> Wohngipfel im Kanzleramt debattieren drei Politiker von SPD, Linken und | |
> Grünen. | |
Bild: So selten, dass es ein Foto wert ist: zu vermietende Wohnungen in Berlin | |
taz: Herr Daldrup, kann man mit der Union Wohnungspolitik machen? | |
[1][Bernhard Daldrup]: Erstens kann man, und zweitens müssen wir. Wir sind | |
in einer gemeinsamen Koalition und haben die zwingende Notwendigkeit, | |
wohnungspolitisch zu handeln. | |
Täuscht der Eindruck, dass die Union mieterfreundliche Ansätze blockiert, | |
wo sie nur kann? | |
Daldrup: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Das Mietrechtspaket … | |
… also die verschärfte Mietpreisbremse mit einer Auskunftspflicht für | |
Vermieter über die Vormiete und einer verringerten Möglichkeit, | |
Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen … | |
… hätte schon längst weiter sein können. Wir arbeiten hart daran, den | |
Mietpreisanstieg zu verhindern. Und wir tun das gegen teils enorme | |
Widerstände – auch von Teilen unseres Koalitionspartners. Aber jetzt ist | |
das Mietrechtspaket im Kabinett beschlossen worden. Es ist ein Schritt in | |
die richtige Richtung. | |
Nun haben Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel für die SPD ein | |
Zwölfpunktepapier vorgelegt, indem vorgeschlagen wird, dass die Mieten | |
künftig nicht mehr über die Inflationsrate hinaus erhöht werden dürfen. | |
Frau Lay, Sie haben geschrieben, das sei Wählertäuschung. Warum? | |
[2][Caren Lay]: Die neue Mietpreisbremse, die die Koalition in den | |
Bundestag eingebracht hat, hat mit dem Zwölfpunktepapier herzlich wenig zu | |
tun. Sie wird den Mietenanstieg und die Verdrängung nicht stoppen. Deswegen | |
finde ich es bemerkenswert, dass die SPD den Mietpreisbremsen-Kompromiss | |
mit der Union erst verteidigt, als würde er viel bringen, und dann mit | |
einem Positionspapier den Eindruck zu erwecken versucht, dass man | |
eigentlich etwas ganz anderes will. Das ist Trickserei. Für die Forderung | |
„Keine Mieterhöhungen über dem Inflationsausgleich“ bin ich 2014, als ich | |
sie eingebracht habe, noch verlacht worden. Insofern freue ich mich, dass | |
die SPD jetzt unsere Position übernommen hat. | |
Daldrup: Ich will ja gar nicht bestreiten, dass die Linke auch gute Ideen | |
hat. | |
Lay: Danke. | |
Daldrup: Aber Trickserei ist es nicht. Es ist in jeder Koalition die | |
Aufgabe einer Partei, sich zu fragen, was können wir in der Koalition | |
umsetzen – und was ist das, was wir wirklich wollen. Aber zu einer guten | |
Wohnungspolitik gehört eben auch eine engagierte Bau- und nachhaltige | |
Bodenpolitik … | |
… die auch im Zwölfpunktepapier gefordert werden. Herr Kühn, unterstützen | |
Sie die Forderung, dass Mieten nicht mehr als die Inflationsrate steigen | |
dürfen? Das ist bisher nicht die Position der Grünen. | |
[3][Chris Kühn]: Die Wohnungsmärkte sind vollkommen aus dem Ruder gelaufen. | |
Unsere Position war bislang, dass die Miete bei Neuvermietungen nur fünf | |
Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Nicht zehn, wie | |
es die Große Koalition beschlossen hat. Die SPD geht jetzt mit einer noch | |
schärferen Position in die Debatte. Wenn sie das gegen die Union in den | |
Bundestag einbrächte, würden wir uns dem nicht verschließen. Ich habe bei | |
der SPD aber bisher vermisst, dass sie für ihre mietenpolitische Position | |
kämpft. Als die Koalition im Sommer das Baukindergeld beschlossen hat, | |
hätte die SPD das mit stärkeren Zugeständnissen der Union bei der | |
Mietpreisbremse verknüpfen müssen. Dafür, dass sie Milliarden in die | |
falsche Richtung geschoben hat, hat sie zu wenig bekommen. | |
Lay: Da schließe ich mich an. Die SPD hat dem Baukindergeld, einer | |
Förderung zum Wohneigentum-Erwerb, zugestimmt – eine sinnlose Subvention. | |
Jetzt soll die Sonder-AfA kommen … | |
... Steuererleichterungen für Bauherren … | |
… die nicht für einen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt sorgen | |
werden. Auch dafür könnte die SPD etwas anderes heraushandeln. | |
Herr Daldrup, verhandelt die SPD zu schlecht? | |
Daldrup: Nein. Erstens stimmt es nicht, dass die neue Mietpreisbremse | |
nichts wert ist. Zweitens vertrete ich schon lange, dass Wohnungen keine | |
gewöhnlichen Waren sind, sondern etwas mit der Daseinsvorsorge zu tun haben | |
– deshalb sind staatliche Interventionen gerechtfertigt. Diese Position | |
durchzukämpfen ist nicht einfach. Drittens: Wir geben allein in dieser | |
Wahlperiode 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus. Das | |
Baukindergeld und die steuerliche Abschreibung kommen dazu. Für mich sind | |
alle drei wichtig. Nehmen wir Münster, mittlerweile eine Stadt mit hoch | |
angespanntem Wohnungsmarkt. Die Orte um Münster können die Situation in der | |
Stadt entspannen – dazu brauchen wir das Baukindergeld und die Sonder-AfA. | |
Kühn: Das Mietrecht ist Kernkompetenz des Bundes. Eine funktionierende | |
Mietpreisbremse vor fünf Jahren hätte den Mietenanstieg in den letzten fünf | |
Jahren deutlich abgebremst. Dafür kann ich die SPD nicht aus der | |
Verantwortung entlassen, auch wenn die Union die Hauptschuldige ist. | |
Lay: Die Grünen haben die SPD in der Mietenfrage links überholt, obwohl sie | |
eine andere ökonomische Wählerklientel vertreten. Das darf einer | |
sozialdemokratischen Partei nicht passieren. Die Grünen und wir haben bei | |
dem Beschluss zur ersten Mietpreisbremse richtig vorhergesagt, dass das | |
Gesetz mit all seinen Ausnahmen und Bedingungen nicht funktionieren kann. | |
Der damalige Justizminister Heiko Maas hat uns vorgeworfen, dass wir nach | |
Haaren in der Suppe suchen. | |
Martin Schulz hat im letzten Wahlkampf überlegt, ob Mieten überhaupt ein | |
großes Thema sind. Hat die SPD die Bedeutung des Themas unterschätzt? | |
Daldrup: Bei all den Schlaubergern, die jetzt so tun, als hätten sie es | |
immer schon gewusst, krame ich gern einmal in den Reden nach. Es ist nicht | |
lange her, als die Devise auch in der veröffentlichten Meinung noch | |
lautete: Deutschland ist fertiggebaut. Das war Common Sense. | |
Konzentriert sich die Koalition momentan vor allem auf Eigentumsförderung | |
im Neubau statt auf Bestandsmieten, weil das mit der Union eher machbar | |
ist? | |
Daldrup: Nein. Wir geben nicht nur Milliarden Euro für den sozialen | |
Wohnungsbau aus, sondern arbeiten auch an einer Grundgesetzänderung, damit | |
die Länder das Geld nicht mehr wie bisher für andere Zwecke verwenden | |
dürfen. | |
Wann kommt die? | |
Daldrup: Die ist schon in der Beratung. Im Übrigen kenne ich viele Leute in | |
der Wohnungswirtschaft, die sagen, wir haben momentan andere Probleme, als | |
dass der Staat zu wenig Geld ausschüttet. Wir haben nicht genug Kapazitäten | |
beim Bau, von fehlendem Bauland bis zu Lieferengpässen bei Material. Um ein | |
Beispiel zu nennen: Solange ich Kommunalpolitik gemacht habe, war mir immer | |
wichtig, dass man verdichtet. Jetzt sagt die etablierte Bevölkerung oft | |
„Not in my backyard: Bauen ist ja schön und gut, aber bitte nicht bei mir.“ | |
Lay: Für mich ist die Frage: Was ist der Schwerpunkt der Wohnungspolitik in | |
dieser Legislatur? Für mich müssen die städtischen Mieterinnen und Mieter | |
in der unteren Einkommensgruppe im Zentrum stehen. Die Gelder für das | |
Baukindergeld und eine Sonder-AfA wären im sozialen Wohnungsbau oder bei | |
der Unterstützung des städtischen und genossenschaftlichen und | |
gemeinnützigen Wohnungsbaus deutlich besser angelegt. Das Baukindergeld | |
sorgt vor allem dafür, dass sich die Mittelschicht auf dem Land | |
steuervergünstigt Häuser baut, die sie sonst auch gebaut hätte. | |
Daldrup: Wenn man das Baukindergeld auch nutzen könnte, um | |
Genossenschaftsanteile zu erwerben, hätte das auch eine Wirkung in den | |
Städten. | |
Kühn: Das war bei der früheren Eigenheimzulage drin, ist es beim | |
Baukindergeld aber nicht. Baukindergeld und Sonder-AfA werden die Situation | |
auf den Wohnungsmärkten eher verschärfen, weil viel Geld Richtung | |
Wohneigentums geschoben wird: Den 5 Milliarden Euro für den sozialen | |
Wohnungsbau stehen 10 Milliarden Euro für das Baukindergeld plus eine | |
Sonderabschreibung gegenüber, von der kommunale Unternehmen und | |
Genossenschaften nicht profitieren. Statt die Umwandlung von Miet- in | |
Eigentumswohnungen zu fördern, brauchen wir eine neue | |
Wohnungsgemeinnützigkeit, um über eine steuerliche Förderung den | |
gemeinnützigen Sektor beim Bauen zu stärken. | |
Lay: Bauen, bauen, bauen ist nicht die richtige Antwort. Die Frage ist | |
doch: für wen? In den Großstädten sind in den letzten Jahren nur 5 bis 10 | |
Prozent für Durchschnittsverdiener gebaut worden. Deswegen muss die Politik | |
aus meiner Sicht den Anteil an öffentlichen, genossenschaftlichen und | |
gemeinnützigen Wohnungen erhöhen. Auch die Linke fordert eine neue | |
Wohnungsgemeinnützigkeit, um ein Segment auf dem Wohnungsmarkt zu haben, | |
das nicht profitorientiert ist. | |
Daldrup: Wohnungsgemeinnützigkeit ist eine vernünftige Forderung. Aber es | |
gibt nicht das eine Wundermittel, sondern es kommt auf eine Mischung an. | |
Wir setzen auf ein ganzes Maßnahmenbündel für bezahlbaren Wohnraum. | |
Kommt sie künftig auch ins SPD-Programm? | |
Daldrup: Da bin ich optimistisch. | |
Lay: Die Wohnungswirtschaft fürchtet die neue Wohnungsgemeinnützigkeit wie | |
der Teufel das Weihwasser. Sie glauben nicht, wie viele Einladungen ich aus | |
der Wohnungswirtschaft bekommen habe, die nur die Absicht hatten, uns von | |
dieser Idee abzubringen. | |
Daldrup: Das hat nicht geklappt? | |
Lay: Das war für mich ein Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die | |
Gemeinnützigkeit könnte das Geld, das in den sozialen Wohnungsbau fließt, | |
dauerhaft binden. Derzeit haben wir im sozialen Wohnungsbau Bindungsfristen | |
von 15, 20 oder 30 Jahren – danach sind die Wohnungen wieder auf dem | |
normalen Markt. | |
Kühn: Seit 2002 hat sich der Bestand im sozialen Wohnungsbau halbiert. Wenn | |
wir die soziale Wohnraumförderung so belassen, wie sie heute ist, liegen | |
wir Ende dieses Jahrzehnts bei knapp einer Million sozial gebundener | |
Wohnungen. Das ist eine der Hauptursachen dafür, dass Menschen mit geringem | |
Einkommen keine Wohnung in den Innenstädten finden. Wenn der Staat es ernst | |
meint, muss er über eine dauerhafte Bindung nachdenken. | |
20 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bernhard-daldrup.de/ | |
[2] https://www.caren-lay.de/ | |
[3] http://chriskuehn.de/ | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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