# taz.de -- Stigmatisierende Kontrollen: Polizei räumt Fehler ein | |
> Die Hamburger Polizei gibt vor dem Verwaltungsgericht erstmals die | |
> Rechtswidrigkeit eines Racial-Profiling-Einsatzes zu. Trotzdem will sie | |
> damit weitermachen. | |
Bild: Gegen die polizeiliche Praxis: Mit einem Transparent wenden sich Aktivist… | |
HAMBURG TAZ | Die Hamburger Polizei hat vor dem Verwaltungsgericht | |
eingeräumt, dass die verdachtsunabhängige Kontrolle eines Mannes mit | |
schwarzer Hautfarbe rechtswidrig war. Geklagt hatte der Togolese Jonas | |
John*, der unweit der Hafenstraße auf St. Pauli wohnt. Und obwohl er | |
Anwohner ist, haben Beamte der sogenannten „Task Force Drogen“ ihn am 14. | |
November 2016 und am 9. Januar 2017 kontrolliert. MenschenrechtlerInnen | |
kritisieren das Vorgehen der Hamburger Polizei schon länger für | |
verfassungswidrig. | |
Seit über zwei Jahren kontrolliert die Polizei Menschen mit dunkler | |
Hautfarbe verdachtsunabhängig, mit dem Ziel, die offene Drogenszene in den | |
Stadtteilen St. Pauli und St. Georg einzudämmen. Umstritten ist diese | |
Praxis vor allem deshalb, weil sie Menschen wegen eines bestimmten äußeren | |
Merkmals unterschiedslos unter Generalverdacht stellt. Die damit | |
einhergehende Stigmatisierung wird als Racial Profiling bezeichnet. | |
Im konkreten Fall war der Togolese von zwei PolizistInnen angehalten | |
worden, als er am 9. Januar mit einem Freund auf den Weg nach Hause war. | |
Das Gebiet zwischen Reeperbahn und Hafenstraße ist von der Polizei als | |
„Gefährlicher Ort“ deklariert worden, weil hier gedealt wird. Diese | |
Kontrolle hat die Polizei nun in einem ersten Prozess vor dem | |
Verwaltungsgericht als „rechtswidrig“ anerkannt. Weil keine weiteren | |
Auffälligkeiten vorgelegen hatten, sei diese Kontrolle nicht | |
verhältnismäßig gewesen. Für den Anwalt des Betroffenen und | |
Verfassungsexperte Carsten Gericke ist das ein Novum: „Das ist das erste | |
Urteil in Sachen Racial Profiling in Hamburg“, sagt er. | |
Die vorausgegangene Kontrolle im November verteidigt die Polizei hingegen. | |
Damals war John auf einem Fahrrad unterwegs und an einer Ampel von mehreren | |
Zivilfahndern angehalten worden, weil die Beamten hier Personenkontrollen | |
durchführten. Obwohl John beteuerte, auf dem Weg von der Schule nach Hause | |
zu sein, seinen Rucksack mit Schulbüchern und seine Aufenthaltsbestätigung | |
zeigte und sich sogar eine Nachbarin für ihn einsetzte, brachten sie ihn im | |
Streifenwagen zum Revier. | |
Die Zivilfahnder räumen zwar ein, im Rahmen des Schwerpunkteinsatzes der | |
„Task Force Drogen“ im Einsatz gewesen zu sein. Gleichzeitig betonen sie | |
aber, dass die Kontrolle nicht auf der Grundlage des entsprechenden | |
Polizeigesetzes erfolgt sei. Weil John mit dem Rad auf dem Gehweg gefahren | |
sei, hätten sie vielmehr eine Verkehrsordnungswidrigkeit verfolgt. Den | |
Beamten zufolge sei die Ingewahrsamnahme zwecks aufenthaltsrechtlicher | |
Überprüfung erfolgt, argumentiert die Polizei vor dem Verwaltungsgericht. | |
Der Hamburger Anwalt Carsten Gericke hält das für eine Ausrede: In seinen | |
Augen diene der Verweis auf die Straßenverkehrsordnung vielmehr dazu, eine | |
verfassungsrechtliche Überprüfung des Racial Profilings nach dem | |
Polizeirecht zu verhindern. | |
Eine ähnliche Erfahrung hat auch der Hamburger Anwalt Lino Peters gemacht. | |
Auch sein Mandant sei Opfer einer grundlosen Kontrolle geworden. In diesem | |
Fall hatte ein Polizeischüler den dunkelhäutigen Mann an der Hafenstraße | |
beobachtet, wie er einem hellhäutigen Mann zur Begrüßung die Hand gereicht | |
hatte. Er schloss daraus, dass es sich dabei nur um eine Drogenübergabe | |
gehandelt haben kann und alarmierte seine KollegInnen. | |
Doch bei einer Durchsuchung fanden sie nichts. Für den Anwalt ist klar: | |
„Die Grundlage für den Einsatz wie auch der Grund für die Verdächtigung | |
waren rassistisch“, sagt Peters. Bei weißen Menschen würde so etwas nicht | |
passieren. | |
Bei verdachtsunabhängigen Kontrollen zur Abwehr von Gefahren handelt es | |
sich um einen Eingriff in die Grundrechte, bei denen oft die Grundlage | |
fehle, sagt Johns Anwalt Gericke. „Die Polizei weiß genau, sobald sie mit | |
einer Maßnahme nicht in den strafrechtlichen Bereich kommt, muss sie die | |
Maßnahme polizeirechtlich begründen“, erläutert er. Das könnte schwierig | |
werden. | |
Die Polizei begründete die Kontrollen mit dem Verweis auf das 2001 | |
ausgerufenen Gefahrengebiet. Doch solche Gefahrengebiete wurden bereits im | |
Mai 2015 vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht gleich in mehrfacher | |
Hinsicht für verfassungswidrig erklärt: Sie verstoßen gegen das | |
rechtsstaatliche Bestimmungsgebot und gegen den Grundsatz der | |
Verhältnismäßigkeit. Inzwischen ist das Polizeirecht zwar entsprechend | |
geändert worden, doch aus den „Gefahrengebieten“ sind nun „Gefahrenorte�… | |
geworden. Während als ein solcher Ort bislang eine Straße oder ein Platz | |
gefasst wurden, kann nun auch ein größeres Gebiet zum gefährlicher Ort | |
erklärt werden. „Mit der Neuregelung sind die Defizite, die das | |
Oberverwaltungsgericht angemahnt hatte, keineswegs obsolet“, betont Anwalt | |
Gericke. | |
Auch wenn die rassistischen Kontrollen an der Hafenstraße in den letzten | |
Monaten abgenommen haben, sei die Situation noch immer „besorgniserregend“, | |
sagt ein Aktivist von der Anwohnerinitiative Balduintreppe. „Junge Männer, | |
die hier wohnen und sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, werden | |
kontrolliert, weil sie in dieses Raster passen“, sagt der Anwohner. „Das | |
muss einfach aufhören, dass hat mit Drogenbekämpfung nichts zu tun.“ | |
Die Hamburger Beratungsstelle „empower“ für Betroffene rechter, | |
rassistischer und antisemitischer Gewalt kritisiert, dass schon die | |
Einrichtung von „Gefährlichen Orten“ für rassische Gewalt Tür und Tor | |
öffne. „In Fällen von Racial Profiling erleben die Betroffenen nicht nur | |
die einzelne Situation der rassischen Kontrolle, sondern erfahren durch | |
immer wiederkehrende Kontrollen kumulative Gewalterfahrungen, die schon im | |
Einzelnen zu Erniedrigung, Ohnmacht und Traumatisierung führen können“, | |
sagt eine Sprecherin der gewerkschaftlichen Beratungsstelle. Es sei daher | |
wichtig, eine unabhängige Beschwerdestelle einzurichten. | |
* Name geändert | |
29 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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