| # taz.de -- Vor Gericht wegen 0,33 Gramm: Politisch motivierte Anklage? | |
| > In Hamburg steht ein Gambier wegen eines halben Joints vor Gericht. Die | |
| > Verteidigerin ist überzeugt, dass es nicht allein um den Joint geht. | |
| Bild: Ist in Hamburg Gegenstand eines Prozesses: ein angerauchter Joint | |
| Hamburg taz | Ein angerauchter Joint soll Herrn J. zum Verhängnis werden. | |
| Genauer: 0,33 Gramm „Marihuana-Tabak-Gemisch“, so steht es in der | |
| Anklageschrift. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft ihm wiederholten | |
| Verkauf von Betäubungsmitteln vor. Im April hatte ihn die Polizei gestellt, | |
| als er den fraglichen Joint in einem Park an der St. Pauli Hafenstraße für | |
| zehn Euro verkauft haben soll. Am heutigen Dienstag wird nun sein Prozess | |
| vor dem Amtsgericht Altona fortgesetzt. Das Strafmaß reicht im Extremfall | |
| bis zu vier Jahren Gefängnis. Aber für 0,33 Gramm? Für den Eigenbedarf gilt | |
| üblicherweise eine Bagatellgrenze von sechs Gramm Marihuana. | |
| Herr J. ist 30 Jahre alt und kommt aus Gambia. Seit dreieinhalb Jahren lebt | |
| er in Deutschland, gemeldet ist er in einer Flüchtlingsunterkunft in | |
| Baden-Württemberg. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings davon aus, „dass | |
| er sich dauerhaft ohne Erreichbarkeit im Hamburger Betäubungsmittelmilieu | |
| aufhält“. | |
| J. ist in Deutschland geduldet, arbeiten darf er hier nicht. Es geht in | |
| seinem Fall auch um die Frage, wie der Staat umgehen will mit Menschen, | |
| denen er keine Perspektive bietet: Beim Bereich Hafenstraße, so schreibt | |
| die Staatsanwaltschaft auf Anfrage, handele es sich um einen | |
| „Einsatzschwerpunkt“, weil dort erfahrungsgemäß eine Vielzahl von | |
| Betäubungsmittel-Straftaten begangen werden. Im Prozess geht es also auch | |
| darum, ob die Strafverfolgungsbehörden gezielt mit unterschiedlichem Maß | |
| messen, um das Drogenproblem an der Hafenstraße loszuwerden. | |
| Die Verteidigerin von Herrn J., Fenna Busmann, ist genau davon überzeugt. | |
| So sehr, dass sie jetzt die Staatsanwaltschaft angezeigt hat, zum ersten | |
| Mal in ihrer Karriere. „Im Strafrecht geht es um individuelle Schuld“, sagt | |
| sie. „Es geht nicht darum, bestimmte Stadtteile von Problemen zu befreien.“ | |
| Sie fragt sich, ob der Rechtsstaat Risse hat. Busmann sagt: „Unser | |
| Rechtssystem darf keine Kollateralschäden hinnehmen.“ Die, glaubt sie, | |
| seien unvermeidlich, wenn gezielt an einem Ort gegen einen bestimmten | |
| Personenkreis ermittelt würde. | |
| Busmanns Klage bezieht sich auf ein zweites Verfahren gegen ihren | |
| Mandanten: Im Dezember war Herr J. wieder in Hamburg. Sie selbst hatte ihn | |
| hergebeten, um gemeinsam seine Verteidigung wegen der 0,33 Gramm | |
| vorzubereiten. Und wieder wurde Herr J. kontrolliert, wieder im Bereich der | |
| Hafenstraße. Marihuana fand die Polizei nicht, dafür aber eine Tüte mit 20 | |
| braunen Kügelchen darin. Medizin, sagte Herr J. – Medizin, die er kostenlos | |
| von einer Freundin bekommen habe, er habe Fieber. | |
| Dennoch schlugen die Drogenspürhunde an, dazu verlief ein Schnelltest vor | |
| Ort positiv. Herr J. musste die Nacht auf dem Kommissariat verbringen: | |
| dringender Tatverdacht des Handels mit Heroin. Doch J. blieb bei seiner | |
| Darstellung: Die Kügelchen seien Medizin. Tags darauf erging der | |
| Haftbefehl, J. musste in Untersuchungshaft. Aber er blieb dabei: Die | |
| Kügelchen? Medizin. Er nannte sogar einen Namen, „Gurkung“; man lege eine | |
| Kugel in den Mund, reibe sie an den Zähnen, drei Stunden später fühle man | |
| sich befreit. | |
| Nach fast drei Wochen in U-Haft meldete sich das LKA-Labor. Eine | |
| chemisch-toxikologische Untersuchung gab Herrn J. Recht: Die Kügelchen | |
| enthielten keine illegalen Betäubungsmittel. | |
| Doch nachdem der zuständigen Staatsanwältin die entlastenden | |
| Laborergebnisse vorlagen, stellte die eilig einen Antrag auf Änderung des | |
| Haftbefehls. Nicht mehr den Handel mit Betäubungsmitteln warf sie J. nun | |
| vor, sondern „Imitathandel“. Also den Verkauf von Stoffen, „die nicht | |
| Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden“. So definiert es | |
| das Betäubungsmittelgesetz. Die Haftrichterin lehnte den Änderungsantrag | |
| ab, da die Polizei keinen Verkauf beobachtet habe und der Beschuldigte die | |
| Kügelchen eben gerade nicht als Drogen ausgegeben habe. Herr J. kam frei. | |
| Fenna Busmann macht der Vorgang trotzdem wütend: „Da wurde krampfhaft | |
| versucht einen Haftbefehl aufrecht zu erhalten“, sagt sie. „Nur weil das in | |
| die eigene Erzählung passt.“ Mit ihrer Strafanzeige will sie prüfen lassen, | |
| ob sich die Staatsanwältin der Verfolgung Unschuldiger oder der | |
| Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat. | |
| Auch im Prozess wegen des 0,33-Gramm-Joints möchte Busmann heute auf den | |
| Fall mit den braunen Kügelchen verweisen. „Wir bewegen uns ohnehin schon an | |
| der alleruntersten Grenze der Strafbarkeit“, sagt sie, „und mein Mandant | |
| saß 20 Tage unschuldig in Untersuchungshaft.“ Sie hofft auf Milde für ihren | |
| Mandanten. Herr J. ist bisher nicht vorbestraft. Allerdings sei er | |
| wiederholt mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen, | |
| teilte die Staatsanwaltschaft mit. | |
| 28 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Thilo Adam | |
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