# taz.de -- Pilotprojekt am „Gefahrenort Drogen“: Auf St. Pauli bleibt Schw… | |
> Ein Gesprächsformat will in Hamburg-St. Pauli Polizei und Nachbarschaft | |
> zusammenbringen. Nun fordern zwei Initiativen, vom Projekt Abstand zu | |
> nehmen. | |
Bild: Auch hier gibt es immer wieder Polizeikontrollen: Park Fiction an der Ham… | |
HAMBURG taz | Ihnen geht es um einen „Bürgerdialog“, doch der ist | |
umstritten: Über den Konflikt um [1][die Einsätze der „Task Force zur | |
Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“ in | |
Hamburg-St.-Pauli] will das „Pilotprojekt St. Pauli: Partnerschaft zwischen | |
Polizei und Quartier“ in diesem Monat Gespräche initiieren. | |
Seitdem die Polizei vor sechs Jahren eine Drogen-Taskforce eingerichtet | |
hat, gibt es im sogenannten „Gefahrenort Drogen“ einen offenen Konflikt | |
zwischen Ordnungsmacht, Anwohner:innen und Aktivist:innen. | |
[2][„Beziehungen zwischen Polizei und lokalen Gemeinschaften sowie zwischen | |
Interessengruppen, die sich kulturell und politisch unterscheiden“, soll | |
das Projekt nun „reparieren“] und aufbauen. Vertrauen und Toleranz sollen | |
gesteigert und „das Niveau der Ablehnung und Vorbehalte gegen die Polizei“ | |
verringert werden, so die Projektskizze der Sozialanthropologin Nadja | |
Maurer. | |
Maurer hat [3][das an der Forschungsstelle für strategische | |
Polizeiforschung (Fospol) an der Hamburger Polizeiakademie angesiedelte | |
Projekt konzipiert]. Hervorgegangen ist es aus einer Studie, die Maurer im | |
vergangenen Jahr durchgeführt hatte. Für die | |
[4][„Multi-Stakeholder-Konfliktanalyse im Stadtraum 'Balduintreppe’]“ hat… | |
sie Feldforschung betrieben und Interviews mit Polizist:innen, | |
Anwohner:innen, Aktivist:innen und einem Drogenhändler geführt. | |
[5][Im Quartier sind die Studie und das Gesprächsformat umstritten]. | |
Bereits im Vorfeld hatten Aktivist:innen auf einem Plakat gefordert, | |
„sich weder an diesen polizeilich organisierten Workshops zu beteiligen | |
noch Räumlichkeiten dafür zur Verfügung zu stellen“. | |
## Tragbare Verhältnisse seien nicht zu erreichen | |
Auch die [6][Gemeinwesenarbeit St. Pauli (GWA)], die am Hein-Köllisch-Platz | |
mitten im Gefahrenort das Stadtteilzentrum Kölibri betreibt, hatte | |
ausgeschlossen, sich in dieser Form am Dialog zu beteiligen. Mittlerweile | |
haben sich weitere Initiativen aus dem Viertel öffentlich gegen das Projekt | |
geäußert und seine Einstellung gefordert. | |
Bereits vor zwei Wochen hat sich die antirassistische Initiative zum | |
Gedenken an Achidi John in einem offenen Brief an Maurer gewandt und sie | |
aufgefordert, von dem Projekt Abstand zu nehmen. Achidi John war am 8. | |
Dezember 2001 gestorben, [7][nachdem ihm mit einer Sonde das Brechmittel | |
Ipecacuanha verabreicht worden war], weil vermutet worden war, dass er | |
Drogen verschluckt hatte. | |
„Ihre Workshops für Anwohner*innen und Polizist*innen führen hier | |
nicht nur nicht weiter“, schreibt die Initiative. „Indem Sie offensichtlich | |
die grundsätzliche Kritik von Teilen der Anwohner*innenschaft als | |
rechtsstaatlich problematisch denunzieren, stellen Sie vermeintlich | |
'rechtschaffene’ vermeintlich 'staatsfeindlichen’ Anwohner*innen | |
gegenüber.“ Es liege „auf der Hand“, dass keine tragbaren Verhältnisse | |
damit zu erreichen seien. | |
Indem Maurer „die Auffassung der Hamburger Innenpolitik bzw. der Polizei“, | |
dass „fast ausschließlich junge Männer westafrikanischer Herkunft“ dort | |
Drogen verkauften, „1 zu 1“ übernehme, ignoriere sie „drei Jahrzehnte | |
Erfahrungen mit der Stigmatisierung Schwarzer Menschen durch die Polizei im | |
Zusammenhang mit dem Straßenhandel mit Drogen“ sowie „die schmerzlichen | |
Erfahrungen der von dieser Stigmatisierung Betroffenen“, kritisiert die | |
Initiative. | |
Schwarze Anwohner*innen machten die Erfahrung, „dass sie von der | |
Polizei verdächtigt und verfolgt werden“. Den dahintersteckenden | |
institutionellen Rassismus zu ignorieren und die Probleme des Viertels | |
lösen zu wollen, ohne über ihn sprechen zu wollen, legitimiere diesen | |
Rassismus und verstetige ihn weiter, kritisiert die Initiative. | |
## Institutioneller Rassismus werde ignoriert | |
Am vergangenen Donnerstag [8][hat sich nun auch das Park Fiction Komitee in | |
einem offenen Brief an Maurer gegen das Pilotprojekt gewandt] und „die | |
Politik, die Nachbar*innenschaft und die Wissenschaftscommunity“ | |
aufgefordert, „jede Kooperation mit Ihnen zu beenden und stattdessen | |
demokratische und selbstbestimmte Formate der Meinungsbildung zu | |
unterstützen“. | |
Hintergrund sei, dass auch Park Fiction für das Format „gecastet“ worden | |
sei mit der Bitte „um Teilnahme bzw. Erläuterung von Gründen (…), falls | |
nicht“. Um Maurers „Entpolitisierung der Diskussion entgegenzuarbeiten, | |
haben wir uns entschieden, unsere Antwort als offenen Brief zu | |
formulieren“. | |
## Bestenfalls weniger doofes Verhalten | |
Vier Kritikpunkte nennt das Komitee: Der Bürgerdialog versuche zum einen, | |
die falschen Akteure zusammenzubringen: „Mit der Polizei lässt sich keine | |
legale Absprache treffen, die diese Situation ändern könnte, denn sie ist | |
ausführendes Organ.“ | |
Die Einrichtung der polizeilichen Task Force und eines „Gefahrenorts“ | |
suspendiere zudem Grundrechte in ganz St.-Pauli Süd, habe keines der | |
Probleme gemildert. „Bestenfalls“ könne Ergebnis sein, „dass sich einige | |
Beamte etwas weniger doof verhalten“. | |
Brisant ist der dritte Vorwurf, dass mit dem Versuch, die Polizei als | |
„Player in der demokratischen Problemlösung“ zu installieren, das Prinzip | |
der Gewaltenteilung umgangen werden solle „und die demokratische | |
Meinungsbildung unter polizeiliche Aufsicht gestellt“ werde. | |
Schon die Art, wie Maurer ihre Anfrage stelle, produziere „einen | |
Bekenntnisdruck, der für eine demokratische Gesellschaft unwürdig ist“, so | |
der vierte Vorwurf. Verschärfend komme hinzu, „dass Sie, Dr. Maurer, | |
Institutionen und Einzelpersonen offen unter Druck setzen, sich an Ihrem | |
Verfahren zu beteiligen“. | |
Darüber hinaus würden „Informationen darüber von Ihnen an Politik und | |
Verwaltung durchgesteckt“. Damit sei „auch der letzte Rest Ihrer | |
wissenschaftlichen Unabhängigkeit dahin“: „aus dem Dialog haben Sie ein | |
Verhör gemacht – ohne richterlichen Beschluss“. | |
Maurer und die Forschungsstelle für strategische Polizeiarbeit wollten sich | |
auf taz-Anfrage zu den Vorwürfen nicht zu äußern. Die Verfasser beider | |
Briefe hätten „reichlich Gelegenheit“ gehabt, „im Vorfeld sämtliche Fra… | |
beantwortet zu bekommen“. Gesprächsangebote habe es mehrfach gegeben, | |
schreibt Maurer. „Sie waren überdies eingeladen, an dem Bürgerdialog | |
teilzunehmen.“ | |
25 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Polizei-Praesenz-auf-St-Pauli/!5284533 | |
[2] https://www.nadja-maurer.de/portfolio | |
[3] https://akademie-der-polizei.hamburg.de/fospol/15690532/termine/ | |
[4] https://criminologia.de/blog/wp-content/uploads/2021/12/Report_Balduintrepp… | |
[5] /Polizeistrategie-in-Hamburg/!5835206 | |
[6] https://gwa-stpauli.de/ | |
[7] /Brechmitteleinsatz-in-Hamburg/!5143440 | |
[8] https://park-fiction.net/newsletter-11-police-academy/ | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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