| # taz.de -- Sicherheitsexpertin über 75 Jahre Nato: „Das Militär gilt als M… | |
| > Die Nato ist das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Geschichte, sagt | |
| > die Sicherheitsexpertin Minna Ålander. Und: Eine Nato-Generalsekretärin | |
| > sei längst überfällig. | |
| Bild: Die Nato-Staaten treffen sich bis Donnerstag in Washington. Sie feiern 75… | |
| taz: 75 Jahre Nato – ein Grund zu feiern? | |
| Minna Ålander: Jein, würde ich sagen. Also einerseits ja, weil das Jubiläum | |
| den Wert der Nato als das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der | |
| Geschichte bestätigt. Andererseits nein, weil klar ist, dass die Nato | |
| etliche Herausforderungen meistern muss. | |
| Würden Sie ein Militärbündnis, das auf Abschreckung setzt, wirklich als | |
| erfolgreich bezeichnen? | |
| Die Nato hat seit ihrer Gründung zumindest für Westeuropa Frieden | |
| garantiert. Denn zur Idee des Bündnisses gehört, dass die Nato-Länder nicht | |
| gegeneinander Krieg führen. Je mehr Länder beitreten, desto besser, weil | |
| dann wahrscheinlich ist, dass zumindest die Mitglieder gegeneinander keinen | |
| Krieg beginnen und das Bündnis es schafft, die Mitgliedstaaten vor Krieg zu | |
| schützen. | |
| Im globalen Superwahljahr 2024 steht die Nato unter Druck. | |
| Die Nato ist ein Bündnis von demokratischen Staaten. Deshalb sind | |
| Wahlergebnisse wichtig. Bleiben alle Bündnismitglieder wirklich beim | |
| gemeinsamen Ziel? Wie stehen sie zu ihren Verpflichtungen, wenn auch in | |
| Europa eher rechts gewählt wird? Wie steht es um die kollektive Sicherheit? | |
| Oder denkt man eher nur an die eigene nationale Sicherheit? | |
| Die größte Frage dreht sich aber um die Glaubwürdigkeit nuklearer | |
| Abschreckung, die durch die USA garantiert wird. [1][Mit Donald Trump als | |
| möglichem nächsten US-Präsidenten] steht diese Glaubwürdigkeit in Zweifel. | |
| Auch Frankreich könnte zum Problem werden, wenn es einen sehr | |
| nationalistischen Kurs einschlägt, obwohl die französischen Atomwaffen | |
| ohnehin nicht der Nato zur Verfügung stehen. Die gesamte transatlantische | |
| Solidarität steht potenziell unter Druck. | |
| Die [2][russische Invasion in der Ukraine], Krieg im Nahen Osten, | |
| Spannungen im Indopazifik. Verändert sich die Rolle der Nato angesichts der | |
| multiplen Krisen? | |
| Die Nato steht nicht allein im Fokus, aber sie ist ein wichtiger | |
| Bestandteil für globale Sicherheitspartnerschaften. Es geht vor allem um | |
| die erweiterte Abschreckung der USA, die sie ihren Partnern durch Bündnisse | |
| und Partnerschaften gegenüber China, Nordkorea, Iran bietet. | |
| Bei der Einhegung all der genannten Konflikte und Spannungen geht es um das | |
| globale System von Sicherheitsgarantien, die die USA nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg geschaffen hat. Die Nato ist ein Teil davon und das größte und am | |
| stärksten institutionalisierte Bündnis. Aber dazu gehören auch bilaterale | |
| Vereinbarungen zum Beispiel mit indopazifischen Partnern wie Japan, | |
| Südkorea oder Australien. | |
| Zäh, kostspielig und verfahren ist vor allem der Krieg zwischen Russland | |
| und der Ukraine. Nun hat der noch amtierende Nato-Generalsekretär Jens | |
| Stoltenberg es nicht geschafft, die Nato-Mitglieder von langfristigen | |
| Hilfen zu überzeugen. Hat er versagt? | |
| Die Nato funktioniert ausschließlich mit Konsens. Es war abzusehen, dass | |
| Staaten wie Ungarn oder auch die Türkei in der Ukraine-Unterstützung nicht | |
| mitgehen. Intern im Bündnis ist es eine der wichtigsten Aufgaben des | |
| Generalsekretärs, die verschiedenen Haltungen zu managen und einen Konsens | |
| zu finden. Je mehr Mitglieder die Organisation hat, desto heterogener wird | |
| sie – und damit wird es schwieriger, eine gemeinsame Haltung zu finden. | |
| Und jetzt? | |
| Umso wichtiger ist, dass es bilaterale Vereinbarungen mit der Ukraine gibt. | |
| Einige sehr wichtige Nato-Staaten, darunter die USA, Deutschland, | |
| Frankreich oder Großbritannien, haben sich auf mehrjährige Verpflichtungen | |
| eingelassen. | |
| Keine Einigkeit in der Nato ist ein willkommener Störfaktor für den | |
| russischen Präsidenten Putin. | |
| Vor dem Nato-Gipfel in Washington wollte man den Druck auf Putin erhöhen. | |
| Aber mit Ungarn ist das nicht zu machen. | |
| Stoltenberg konnte vor Kurzem Rekordwerte bei den Verteidigungsausgaben der | |
| Mitglieder melden. Also schaut doch jeder Staat verstärkt nach sich selbst? | |
| Die Nato hat selbst kaum Streitkräfte oder entsprechende Strukturen, | |
| sondern ist auf die Mitglieder angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass sie | |
| in ihre eigenen Streitkräfte investieren und dann die notwendigen Truppen | |
| zur Verfügung stellen können. Kein Land wird seine Streitkräfte komplett | |
| aufgeben, weil Verteidigungsfähigkeit eine der empfindlichsten Aufgaben | |
| eines Staates ist. Hinzu kommt, dass die beiden Neumitglieder Schweden und | |
| Finnland die Werte nach oben treiben. | |
| Angesichts der Krisen: Müsste die Nato ihren Auftrag nicht verändern und | |
| auch auf diplomatischer Ebene mehr Einsatz zeigen – etwa in der Ukraine? | |
| Dafür gibt es andere Organisationen, die besser geeignet sind, zum Beispiel | |
| die UN, EU oder auch OSZE. Die Nato ist ja ein Verteidigungsbündnis, dessen | |
| Aufgabe die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder ist. Mit Blick auf die | |
| Ukraine könnte die Nato nicht in Verhandlungen als Vermittlerin agieren, | |
| weil Russland die Nato als Konfliktpartei darzustellen versucht und | |
| generell die Nato ablehnt. Gleichzeitig ist die Nato aber auch eine | |
| politische Organisation und nimmt nur Mitglieder auf, die einer | |
| demokratischen Staatsform folgen und Rechtsstaatlichkeit einhalten. | |
| In der aktuellen Weltlage gibt es immer mehr Eskalationsrisiken. Wenn man | |
| über Eskalationsmanagement als eine Art Leiter denkt, haben | |
| unterschiedliche Organisationen verschiedene Rollen und Profile. Die EU | |
| kann zum Beispiel eine wichtige Rolle im Eskalationsmanagement spielen, | |
| weil sie eben kein Militärbündnis ist. Da gehört das militärische als | |
| mögliche Stufe auf einer Eskalationsleiter dazu, so funktioniert | |
| Abschreckung. Eine gut funktionierende Arbeitsteilung zwischen | |
| verschiedenen internationalen Organisationen ist hier nützlich. | |
| Braucht es dennoch neue Allianzen? | |
| Die Nato hat eine ganz klare geografische Einschränkung als | |
| nordatlantisches Bündnis. Aber der Westen hat das Interesse, neue | |
| Partnerschaften einzugehen, zum Beispiel im Globalen Süden. Das ist auch | |
| deshalb wichtig, um dem russischen Narrativ entgegenzuwirken, dass der | |
| Westen den Krieg mit der Ukraine losgetreten hätte, was nicht stimmt. | |
| Zukünftig steht an der Spitze der Nato der ehemalige niederländische | |
| Staatschef [3][Mark Rutte]. Eine gute Entscheidung? | |
| Ob gut oder schlecht, kann ich derzeit noch nicht sagen. Aber auf diese | |
| Personalie konnten sich die Staaten im Konsens einigen. Es ist in der Nato | |
| oft nicht einfach, Dinge einstimmig durchzukriegen. Es erfordert vom | |
| Generalsekretär viel Geduld und ganz viel diplomatisches Geschick. | |
| Auch die baltischen Staaten oder andere Länder im Osten hätten gern den | |
| Posten besetzt. Warum gingen sie leer aus? | |
| Rutte übernimmt von Jens Stoltenberg, der ein starkes Profil hatte. Andere | |
| Kandidaten waren offenbar nicht wettbewerbs- und konsensfähig. Und Rutte | |
| hat viel Erfahrung als langjähriger Premierminister, wodurch er die EU- und | |
| Nato-Ebene sehr genau kennt. Aber der russische Angriff hat den | |
| Westeuropäern gezeigt, dass die baltischen und mittel- und osteuropäischen | |
| Staaten recht hatten mit ihren Warnungen vor Russland. Ihre Position ist | |
| nun eindeutig gestärkt. | |
| Wann wird es Zeit für eine Frau als Nato-Generalsekretärin? | |
| Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum das noch nicht passiert ist. Offenbar | |
| ist es immer noch so, dass das Militärische eher als männliches Politikfeld | |
| gesehen wird. Es ist eine Frage der Zeit. Gute Kandidatinnen gäbe es ja, | |
| aber vielleicht ist die Zeit noch nicht reif. Wenn man etwa an prominente | |
| weibliche Politikerinnen in Europa denkt, sind sowohl Kaja Kallas als auch | |
| Annalena Baerbock ja noch jung und es kann für sie nützlich sein, noch mehr | |
| internationale Erfahrung auf anderen Posten zu sammeln. [4][Kaja Kallas ist | |
| als EU-Außenbeauftragte] genau richtig. | |
| 9 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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