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# taz.de -- Nato-Chef Mark Rutte: Ölmännchen mit Teflonqualität
> Mark Rutte wird Nato-Chef und hinterlässt in den Niederlanden einen
> Scherbenhaufen. Seinen Ruf hat er sich bei über 100 EU-Gipfeln
> erarbeitet.
Bild: Mark Rutte auf dem Weg nach Brüssel: Radelnd verlässt er seinen alten A…
Amsterdam taz | Fröhlich winkend trat Mark Rutte auf dem Fahrrad vor seinem
bisherigen Amtssitz, der nun nicht mehr seiner ist, in die Pedale. In der
Tür stand sein [1][Nachfolger als niederländischer Premier, Dick Schoof,]
ebenfalls winkend. Natürlich hatte Rutte wieder dieses gewinnende Grinsen
im Gesicht. Doch er hinterlässt einen Scherbenhaufen.
Natürlich erschienen zu seinem Abschied nach 14 Jahren an der Spitze der
niederländischen Regierung auch Kommentare, die besagten, man würde ihn
durchaus vermissen. Das hat schlicht damit zu tun, dass in Den Haag nun die
rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) des Anti-Islam-Agitators
[2][Geert Wilders] das Zepter schwingt. Doch an ihrem Erfolg trägt Rutte
eine gehörige Mitschuld, und zu dem Unmut, der sie jetzt an die Macht
brachte, trug er entscheidend bei.
Zum Ende seiner Amtszeit vertrauten Rutte laut Umfragen nur noch rund 20
Prozent der Bevölkerung. Früher schienen die Skandale an Rutte einfach
abzuprallen, was ihm den Spitznamen „Teflon-Mark“ einbrachte. Doch in den
letzten Jahren wurde er zur Personifizierung grassierender
Politikverdrossenheit. Sein Grinsen überstand freilich auch dies.
[3][Die nächste Bestimmung auf seiner Karriereroute ist nun, wie schon
länger erwartet, Brüssel.] Nato-Generalsekretär, dieser Posten liegt nicht
unbedingt auf der Hand, wenn man die erheblichen Kürzungen im
Verteidigungsetat der Niederlande zu Beginn der Rutte-Ära betrachtet. Oder
die Nato-Vorgabe von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die
erst an Ruttes Ende ein konkretes Haushaltsziel und pünktlich zu seinem
Abtreten erstmals erreicht wurde. Auch machte sich Rutte vor seiner Zeit
als Premier keinen Namen auf außen- oder verteidigungspolitischem Terrain.
## Rutte nahm an 111 EU-Gipfeln teil
Was den 57-Jährigen in der turbulenten aktuellen Situation für die Nato
interessant macht, sind seine Erfahrung auf internationalem Parkett sowie
die Reputation, die er sich im Lauf von unter anderem 111 EU-Gipfeln
erarbeitet hat. Rutte gilt als Brückenbauer und Vermittler. Als
„wesentlicher Bestandteil des Europäischen Rats und der
EU-Entscheidungsfindung seit 2010“ rühmte ihn der ebenfalls scheidende
Ratspräsident Charles Michel unlängst nach seinem letzten Gipfel.
Auf Niederländsch nennt man die Rolle, die Rutte in den letzten Jahren in
Brüssel spielte, „oliemannetje´“ Ein „Ölmännchen“ hat in seinem
Werkzeugkoffer Schmiermittel für Beziehungen, die ansonsten rostig werden
und eintrocknen, ist pragmatisch, kompromissorientiert und zugänglich.
Ruttes unkomplizierte Jovialität kennen Regierungschefs ebenso wie
Journalist*innen oder Menschen, die er auf der Straße oder bei
Arbeitsbesuchen trifft. In all den Jahren als Premier unterrichtete er
wöchentlich eine Stunde Gemeinschaftskunde an einer weiterführenden Schule
in Den Haag.
Rutte in Den Haag und Rutte in Brüssel, der Bruchpilot und der
Brückenbauer, das scheinen auf den ersten Blick zwei verschiedene Welten zu
sein. Selbst die Wochenzeitung EW, die seiner liberal-rechten Volkspartij
voor Vrijheid en Democratie (VVD) in der Regel zugeneigt ist, nannte seine
Art des Auftretens zum Abschied „ambivalent“ und schrieb: „Die wahre Art
von Rutte ist selbst nach seiner langjährigen Amtszeit als Rekord-Premier
nicht deutlich.“ Ist er am Ende eine Art von Prophet, der im eigenen Land
nichts gilt?
Unbeliebt machten Rutte in den Niederlanden vor allem zwei Skandale:
erstens die „Kindergeld-Affäre“, bei der Tausende Bezieher*innen von
Leistungen zu Unrecht des Missbrauchs beschuldigt und mit horrenden
Rückzahlungsforderungen in existenzielle Probleme getrieben wurden, und
zweitens die fortgesetzte Erdgasförderung in der Provinz Groningen.
Obwohl sie zu zahlreichen Erdbeben führte, setzten sich Rutte-Kabinette
über die Ängste der lokalen Bevölkerung hinweg und erhöhten gar die
Fördermenge, bevor das Gasfeld schließlich geschlossen wurde.
## Tiraden auch gegen Brüssel
Hinzu kommt Ruttes „kreatives Verhältnis“ zur Wahrheit. Mehrfach behauptete
er, an die fragliche Situation „keine aktive Erinnerung“ mehr zu haben.
Ambivalent war Rutte, der in einem reformiert-protestantischen Haushalt als
jüngstes von sieben Geschwistern aufwuchs und vor seiner politischen
Karriere als Manager beim Nahrungsmittel- und Kosmetik-Konzern Unilever
tätig war, auch gegenüber dem Rechtspopulismus in seinem Land.
Einerseits ließ er sich 2010 zunächst von Geert Wilders’ Freiheitspartei
(PVV) tolerieren, als er mit einer Minderheitsregierung erstmals
Ministerpräsident wurde – und er Wilders erstmals salonfähig machte.
Andererseits hielt der Pakt keine zwei Jahre, und Rutte galt Wilders
seither vielfach als Lieblingsfeind und Vertreter des Establishments. Nicht
selten versuchte Rutte auch, Wilders mit markigen populistischen Ausfällen
das Wasser abzugraben und sich als Mann des Volkes in Stellung zu bringen.
Mit diesen unbeholfenen Versuchen erinnerte er zuweilen ein wenig an die
junge Angela Merkel, die wie Rutte anfangs gerne unterschätzt wurde und
sich die Hausmacht in der eigenen Partei erst erarbeiten musste.
Rutte richtete seine Tiraden gelegentlich auch gegen „Brüssel“ und die
politische Integration Europas. In der Eurokrise war er ein knallharter
Verfechter von Austerität gegenüber Griechenland, forderte strikte
Haushaltsdisziplin von südeuropäischen Mitgliedsstaaten und sperrte sich
lange gegen den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens.
Noch während der Covid-Krise gehörte Rutte zu den „Sparsamen vier“, und
verwehrte sich gemeinsam mit Österreich, Dänemark und Schweden dagegen, zum
Wiederaufbau der EU-Volkswirtschaften Schulden aufzunehmen.
## Beste Freunde: Rutte und Selenskyj
In Südeuropa wurde er deshalb oft als bockiger, geiziger Neinsager gesehen.
Dabei hatte er dieses Image längst abgelegt. 2014, nach dem Abschuss des
Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine, lernte er den Wert
europäischer und internationaler Zusammenarbeit schätzen.
Als niederländischem Regierungschef fehlte ihm schlicht das Druckmittel,
um gegenüber Moskau die Aufklärung zu fordern. [4][Viele
Beobachter*innen sehen „MH17“ daher als Wendepunkt in Ruttes Auftreten
auf internationalem Parkett.] Während seiner live im Fernsehen
ausgestrahlten Abschiedsrede nannte er den Abschuss das „einschneidendste
und emotionalste Ereignis“ seiner vier Amtszeiten.
In den Niederlanden, von wo 193 der 289 Opfer stammten, machte dies den
politischen Diskurs zugleich besonders sensibel, was das russische Vorgehen
in der Ukraine betraf. Auch deshalb beschlossen die Niederlande bereits im
Frühjahr 2022 Panzerfahrzeuge an Kyjiw zu liefern. Inzwischen zählen sie zu
den stärksten europäischen Befürwortern, der Ukraine auch
F16-Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen.
Das wiederum stärkte Ruttes Position in Osteuropa, als er sich für seinen
neuen Posten an der Spitze der Nato in Stellung brachte. Kurz vor seinem
Abschied aus Den Haag telefonierte er ein letztes Mal mit Kyjiw. Der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte später bekannt, er habe
„seinem Freund Mark Rutte für alles gedankt, was er, seine Regierung und
das niederländische Volk für die Ukraine getan haben“.
11 Jul 2024
## LINKS
[1] /Neue-Regierung-vereidigt/!6018046
[2] /Geert-Wilders/!t5009389
[3] /Nato-Generalsekretaer-Mark-Rutte/!6016393
[4] /Prozess-um-MH17-Abschuss/!5892143
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Asyl
Kolumne Der rote Faden
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