| # taz.de -- Forscher zu Koalition in Niederlanden: „Wie in Amerika“ | |
| > Ein Parteiloser soll die künftige Rechtskoalition in den Niederlanden | |
| > anführen. Extremismus-Experte Cas Mudde erklärt, warum das problematisch | |
| > ist. | |
| taz: Herr Mudde, was dachten Sie bei der Vorstellung Dick Schoofs als | |
| künftiger Regierungschef der Niederlande? | |
| Cas Mudde: Es bestätigte etwas, das mir nach drei Jahrzehnten des Forschens | |
| über die extreme Rechte klar ist: Wenn diese größer wird, behandelt man sie | |
| immer vorsichtiger. Menschen aus der etablierten Politik beginnen, mit ihr | |
| zusammenzuarbeiten, wodurch sie normalisiert wird. Das zeigt sich hier | |
| perfekt: Geert Wilders wird nun mit Parteien koalieren, die erst sagten, | |
| sie würden das nicht tun. Es ist hier wie in Amerika, wo manche über Trump | |
| sagen, dass man ihn als Präsident immerhin im Auge behalten könne. In den | |
| Niederlanden kamen auch fast alle zentralen Köpfe der Koalitionsgespräche | |
| aus etablierten Parteien. | |
| Und [1][Schoof, der nun Premierminister werden soll]? | |
| Schoof ist die Personifizierung eines mainstream insider. Er gehört zur | |
| Spitze der Verwaltung des Landes, und viele etablierte Politikerinnen und | |
| Journalisten sagen nun, das sei ein gutes Zeichen. Aber das ist | |
| problematisch. | |
| Warum? | |
| Weil wir, wenn Rechtsaußenpolitik von Rechtsaußenpolitiker*innen | |
| kommt, wachsam sind. Wenn diese aber von Personen kommt, die wir im | |
| Mainstream, als innerhalb der liberalen Demokratie, ansehen, sind wir das | |
| viel weniger. Mit Wilders als Premier würden wir alle gut aufpassen. Das | |
| wird nun weniger der Fall sein. | |
| Sahen Sie vor den Parlamentswahlen im November eigentlich Anzeichen für das | |
| heutige Szenario? | |
| Nein. Auch nicht für den großen Sieg der PVV, den auch die Umfragen nicht | |
| auf dem Schirm hatten. Wohl hatte ich erwartet, dass wir eine sehr rechte | |
| Politik bekommen, denn Parteien wie die VVD, BBB und in gewisser Weise | |
| selbst der NSC liegen schon eine Zeitlang auf der gleichen Linie wie | |
| Wilders, was Immigration, Kriminalität und wokeness betrifft. | |
| Mitentscheidend dafür, dass andere Parteien mit der PVV verhandelten, war | |
| ja auch Wilders’ Imagewandel. Ihn, den Medien auf einmal „Milders“ nannte… | |
| Die Medien in den Niederlanden haben sich nach Pim Fortuyn | |
| [rechtspopulistischer Politiker, der kurz vor der Wahl 2002 erschossen | |
| wurde, d. Red.] dafür entschieden, die äußerste und populistische Rechte | |
| als normal zu behandeln. Das bedeutet etwa, ihnen soft topics zu geben, | |
| etwa über Wilders und seine Katzen. Der Mainstream hat sich stark nach | |
| rechts entwickelt, und damit hat sich auch unsere Vorstellung von dem, was | |
| rechtsextrem ist, verschoben. Wenn Wilders dann irgendwann sagt: „Von mir | |
| aus müssen der Koran nicht verboten und Moscheen nicht geschlossen werden“, | |
| dann erscheint uns das also schon milder. Und der Rest, den er sagt, sagt | |
| heute jeder. Das kann also gar nicht radikal sein, wenn alle das sagen. | |
| Es steckt also nichts hinter dieser vermeintlichen Läuterung? | |
| Wilders hat selbst nie gesagt, dass er milder geworden ist. Er hat auch | |
| nicht inhaltlich Abstand genommen von den betreffenden Standpunkten. Was er | |
| gesagt hat, ist, dass er sie „in den Kühlschrank“ steckt. Das heißt, er | |
| braucht sie nicht in dieser Regierung. Er hat selbst wörtlich gesagt, dass | |
| er sich nicht verändert hat. Nun, wer weiß nun besser, ob Wilders sich | |
| verändert hat, als er selbst? Ich denke, dass es immer schlau ist, | |
| zuzuhören, was Rechtsextreme sagen. | |
| Wie sehen Sie die niederländische Situation im europäischen Vergleich? | |
| Eigentlich sind die Niederlande später dran als andere Länder. Wir haben | |
| dies schon in Österreich erlebt, in Italien schon seit Jahrzehnten. In | |
| einer Mehrheit der EU-Staaten arbeiten vor allem auf der Rechten etablierte | |
| Parteien auf nationalem Niveau oder unterhalb dessen, mit | |
| Rechtsaußen-Parteien zusammen. Wenn man deren Sichtweisen übernimmt, wird | |
| es schwieriger, sie auszuschließen. Der große Test wird nun Flandern sein | |
| [die nördliche Region Belgiens. In Belgien finden zeitgleich mit den EU- | |
| auch nationale Parlamentswahlen statt, wobei der rechtsextreme Vlaams | |
| Belang alle Umfragen anführt, Anm. d. Red.]. Die Strategie, Themen und | |
| Sichtweisen zu übernehmen, aber die Parteien draußen halten zu wollen, ist | |
| jedenfalls zum Scheitern verurteilt. | |
| Stellt sich dieses Problem auch bei [2][den anstehenden Europawahlen?] | |
| Man sieht, dass die EVP, die eigentlich vor Wahlen immer den Ton bestimmt, | |
| drei große Themen hat: die ersten beiden davon, Immigration und der | |
| European Green Deal, stehen auch auf der Agenda der Rechtsaußen-Parteien | |
| oben, und dort hat die EVP auch die Sichtweisen von Rechtsaußen übernommen. | |
| Das dritte Thema, Verteidigung, ist dagegen wirklich eines von ihnen. Aber | |
| sie haben ihren Wahlkampf begonnen, indem sie sagten: „Einwanderung ist ein | |
| Problem. Und während die Rechtsextremen nur rumschreien, schließen wir | |
| Deals mit Tunesien und Ägypten und halten die Migrant*innen draußen.“ | |
| Die Normalisierung von Rechtsaußen-Parteien sieht man auch daran, dass | |
| EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit der EKR-Fraktion [der unter | |
| anderem Italiens postfaschistische Fratelli d’Italia angehört, d. Red.] | |
| zusammenarbeiten will. Es gibt nur in sehr wenigen Ländern noch eine | |
| Brandmauer gegen Rechts. | |
| Ist dieses Modell, rechtsextreme Politik durch externes Personal ausführen | |
| zu lassen, auch ein Vorbild für Europa? | |
| Nein, denn das ist gar nicht mehr nötig. In den meisten Ländern führen | |
| Mainstream-Politiker*innen schon solche Politik aus. Ich denke, dass dies | |
| primär an der speziellen Position von Geert Wilders liegt. Er ist | |
| international eine so bekannte und polarisierende Figur, [3][dass er als | |
| Premier zu diesem Zeitpunkt unmöglich war]. Nicht einmal so sehr für die | |
| Niederlande selbst, sondern für deren Rolle in der EU. Das Problem war | |
| nicht die Politik, sondern diese eine Person. Wenn diese Regierung | |
| überlebt, und die Chance halte ich für minimal, dann wird Wilders, wenn die | |
| PVV bei der nächsten Wahl wieder stärkste Partei wird, einfach der nächste | |
| Premier. | |
| Dann wäre das, was wir nun erleben, eher ein Zwischenschritt? | |
| Ja. Wenn Wilders jetzt zeigt, dass er verlässlich ist und tut, was von ihm | |
| erwartet wird, ist er wahrscheinlich in der Lage, beim nächsten Mal Premier | |
| zu werden. Und dann geht der Kühlschrank auf. | |
| 29 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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