# taz.de -- Schulstart in der Pandemie: Wahlfach Impfen | |
> In den ersten Bundesländern sind die Sommerferien zu Ende. Um gegen | |
> Corona gerüstet zu sein, wird nun auch an Schulen geimpft. | |
Bild: Einschulung wird in der Pandemie zu einer noch ernsthafteren Sache | |
Den Start in das neue Schuljahr hat sich Manuela Schwesig vermutlich anders | |
vorgestellt. Wegen der Reiserückkehrer:innen hat ihre Landesregierung | |
eine strenge Masken- und Testpflicht für die ersten beiden Schulwochen | |
angeordnet. Seit Montag halten sich die 155.000 Schüler:innen in | |
Mecklenburg-Vorpommern auch daran. | |
Doch ausgerechnet bei einer Einschulungsfeier, an der die | |
Ministerpräsidentin teilgenommen hat, wurden die Maßnahmen missachtet. Auf | |
den Fotos, die Schwesigs Staatskanzlei verbreitet hat, drängen sich | |
Erstklässler:innen in zwei Reihen dicht nebeneinander, Masken tragen | |
sie nicht. Seither muss Schwesigs SPD-Parteigenossin und Bildungsministerin | |
Bettina Martin erklären, wie das passieren konnte. | |
Der laxe Umgang mit der Maskenpflicht bei einer Einschulungsfeier mag eine | |
Petitesse sein – schließlich waren die Anwesenden negativ getestet. Die | |
Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung im Land ärgert der Vorfall | |
dennoch. „Wir müssen die Maßnahmen schließlich vor den Eltern | |
rechtfertigen“, sagt Heike Walter. Auch wenn die Mehrheit die neuerliche | |
Masken- oder Testpflicht mittrage, „das ist teilweise schon heftig, was wir | |
uns anhören müssen“. Von der Einschulungsfeier mit Schwesig gehe deshalb | |
ein vollkommen falsches Signal aus, befürchtet Heike Walter: „Wenn eine | |
Ministerpräsidentin die eigenen Coronaregeln nicht ernst nimmt, wie kann | |
ich dann von anderen verlangen, dass sie sich an Testpflicht oder | |
Quarantäneregeln halten?“ | |
## Bundesländer gehen Schulstart unterschiedlich an | |
Schwesigs missglückter PR-Termin zeigt, wie angespannt das neue Schuljahr | |
anläuft. | |
Auch in Schleswig-Holstein und [1][Hamburg begann diese Woche die Schule | |
wieder,] am Montag folgen Berlin und Brandenburg. Zwar stößt das Ziel der | |
Bildungsminister:innen, Kindern und Jugendlichen dieses Mal einen | |
möglichst normalen Schulalltag zu bieten, auf breite Zustimmung. Wie | |
Präsenzunterricht jedoch auch bei steigenden Infektionszahlen gut | |
funktioniert, ist umstritten. | |
In Thüringen, wo der Unterricht im September startet, irritiert | |
Bildungsminister Helmut Holter von der Linkspartei gerade mit der Idee, an | |
Schulen künftig gar nicht mehr testen zu lassen. | |
Elternverbände in fast allen Landesteilen wiederum ärgern sich, dass nur | |
Bayern oder Hamburg alle Klassenräume mit Luftfiltern ausstatten möchten. | |
Hinzu kommt, dass die Schulträger genervt sind, weil die Wissenschaft bei | |
der Wirksamkeit der Filtergeräte keine einheitliche Meinung vertritt – und | |
sie im Falle einer Anschaffung selbst in die Tasche greifen müssen. | |
Politiker:innen aber reagieren zusehends ungehalten auf das | |
[2][Ausbleiben der Impfempfehlung] der Ständigen Impfkommission (Stiko) für | |
Jugendliche. Anfang der Woche hat der Konflikt seinen vorläufigen Höhepunkt | |
erreicht, als die Länder beschlossen, allen Kindern ab zwölf Jahren auch | |
ohne Stiko-Empfehlung ein Impfangebot zu machen. Und kommende Woche droht | |
eine neuerliche Debatte um bundesweit einheitliche Regeln: Am Dienstag | |
beraten Bund und Länder unter anderem über die Frage, welche Rolle die | |
Inzidenzzahlen künftig spielen sollen. Die Präsidentin der | |
Kultusministerkonferenz (KMK), Britta Ernst, stellte am Donnerstag | |
gegenüber der taz klar, dass die Inzidenzen aus ihrer Sicht eine andere | |
Gewichtung bekommen sollten. | |
Aktuell sehen nur mehr wenige Länder wie Sachsen vor, [3][Schulen ab einem | |
bestimmten Inzidenzwert in den Wechselunterricht zu schicken.] Die meisten | |
Ministerien teilen auf taz-Anfrage mit, den Präsenzunterricht künftig nicht | |
mehr (allein) von den Inzidenzwerten abhängig machen zu wollen. Auch die | |
Impfquote oder die Auslastung der Intensivstationen sollen berücksichtigt | |
werden. | |
Wo sich die Länder indes einig sind: Schulschließungen soll es höchstens | |
noch auf lokaler Ebene geben. | |
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) äußerte sich zum Schulstart am | |
Mittwoch zuversichtlich, dass die Schulen in diesem Schuljahr gar nicht | |
mehr schließen müssten. Die Schulen seien so gut auf die Pandemie | |
vorbereitet wie nie, sagt Rabe im Interview mit der taz. Ausreichende | |
Schnelltests, weitgehend durchgeimpfte Lehrerschaft, zunehmend viele mobile | |
[4][Luftfilter in den Klassenräumen]. All das habe es vor einem Jahr nicht | |
gegeben. Außerdem müssten Schulen nicht mehr geschlossen werden, um Eltern | |
und Großeltern zu schützen. Vor allem aber aus pädagogischen Gründen | |
dürften die Schulen dieses Jahr keinesfalls flächendeckend geschlossen | |
werden. Ähnlich äußerte sich zum Schulstart auch Schleswig-Holsteins | |
Bildungsministerin Karin Prien (CDU). | |
Bereits im Juni hatten sich die Bildungsminister und -ministerinnen | |
festgelegt, dass die Schulen nach den Sommerferien möglichst ohne | |
Einschränkungen öffnen sollen. Mit vollen Klassen, Ganztagsbetreuung, | |
Wahlfächern, Sportfesten und Klassenfahrten. Auch jetzt, da die | |
Deltavariante das Infektionsgeschehen dominiert und Virolog:innen eine | |
vierte Welle kommen sehen, bleiben die Ministerien bei ihrem Kurs: | |
Regelunterricht und bloß keine Schulschließungen. Die | |
Bildungsminister:innen wissen aber auch, dass ihnen die stockende | |
Impfkampagne einen Strich durch die Rechnung zu machen droht. | |
Aktuell sind rund 54 Prozent der Bürger:innen vollständig geimpft – zu | |
wenig für die Herdenimmunität. Deshalb mehren sich zum Schulstart die | |
Appelle der Politiker:innen an alle Erwachsenen, sich solidarisch mit den | |
Jüngsten zu zeigen – und sich impfen zu lassen. | |
Mehrere Länder haben zudem angekündigt, mobile Impfteams an Schulen zu | |
schicken. Besonders eilig damit hat es Mecklenburg-Vorpommern. Bereits in | |
der kommenden Woche sollen die ersten Impfärzt:innen ausrücken, zunächst | |
für Schüler:innen ab 16 Jahren. | |
Dass da was auf ihn zukommt, weiß Martin Plant erst seit wenigen Tagen. | |
Plant ist Schulleiter der Jenaplanschule Rostock und Mitglied der | |
Bildungsgewerkschaft GEW. Vergangene Woche erhielt er die Weisung der | |
unteren Schulaufsichtsbehörde, die Impfbereitschaft der entsprechenden | |
Schüler:innen abzufragen. Drei Schultage hatte Plant dafür Zeit. Das | |
Ergebnis: 13 der 76 Zehnt- bis Zwölftklässler:innen wollen sich impfen | |
lassen. „Dazu kommen die, die sich bereits auf eigene Initiative haben | |
impfen lassen.“ Plant schätzt, dass nach dem Einsatz der mobilen Impfteams | |
über die Hälfte der über 16-Jährigen geimpft sein wird. | |
## 20 Prozezt der Jugendlichen sind einmal geimpft | |
Aktuell ist deutschlandweit mehr als jede:r Fünfte zwischen 12 und 17 | |
Jahren einmal geimpft. Allerdings fallen die regionalen Unterschiede laut | |
Robert-Koch-Institut deutlich aus: In Sachsen und Sachsen-Anhalt haben | |
knapp 12 Prozent der Jugendlichen dieses Alters, in Niedersachsen und | |
Schleswig-Holstein schon fast 30 Prozent eine Impfung. | |
In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Quote bei unter 14 Prozent. Schulleiter | |
Plant begrüßt deshalb, dass die Landesregierung ein Impfangebot an Schulen | |
machen will. Wichtig ist ihm aber: Weder die Politik noch die Schule | |
sollten Schüler und Schülerinnen oder Eltern dazu drängen, sich impfen zu | |
lassen. An seiner Schule sei es ein hohes Gut, Kinder und Jugendliche zu | |
eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen. „Dann aber müssen wir deren | |
Entscheidungen auch respektieren.“ Dass Bildungsministerin Martin bei den | |
12- bis 16-Jährigen noch die Entscheidung der Stiko abwarte, findet er aber | |
richtig. | |
## Geimpft wird auch in Schulen | |
Anders Schleswig-Holstein. Dort soll ab dem 19. August allen interessierten | |
Schüler:innen ab zwölf Jahren ein Impfangebot gemacht werden. 250 | |
Schulen stellen Räume zur Verfügung; die Impfungen organisiert die | |
Kassenärztliche Vereinigung. Auch in anderen Bundesländern wird über solche | |
Angebote nachgedacht. | |
Die Impfungen werfen jedoch neue Fragen auf. Wie etwa behandeln die Schulen | |
doppelt, einfach und nicht Geimpfte im Quarantänefall? Die Impfungen sind | |
zudem nicht unumstritten. Selbst die Stiko verweist auf die geringe | |
Wahrscheinlichkeit für Jugendliche, schwer an Covid-19 zu erkranken. | |
Der Infektiologe Emil Reisinger von der Universität Rostock hält eine hohe | |
Impfquote bei Kindern derzeit für nicht zwingend erforderlich, um Schulen | |
geöffnet zu halten. Seit März 2020 berät Reisinger die Landesregierung von | |
Ministerpräsidentin Schwesig zum Infektionsgeschehen. Seine Studien | |
belegen, dass ein Großteil der Coronafälle an Schulen des Landes | |
Einzelfälle waren, die also von außen eingeschleppt wurden. „Deshalb ist es | |
wichtig, vor allem Erwachsene im Umfeld der Schule durchzuimpfen“, sagt | |
Reisinger der taz. | |
Nach seinen Modellrechnungen könnte die Inzidenz in Deutschland wegen der | |
Deltavariante ähnlich wie in England auf aktuell 260 steigen. „Für den | |
Schulunterricht ist das derzeit aber kein Problem“, sagt Reisinger. Denn | |
anders als im vergangenen Schuljahr landet bei einer Impfquote von 60 | |
Prozent nur mehr ein Bruchteil der ursprünglichen Beatmungsfälle auf der | |
Intensivstation. | |
[5][Und Long Covid?] Tritt bei Kindern nicht so häufig auf, wie zum Teil | |
behauptet wird, sagt Reisinger. Wer ihm zuhört, bekommt das Gefühl, dass | |
eine vierte Welle den Schulbetrieb nicht hemmen wird. | |
Schulleiter Plant ist da nicht so sicher. „Ich wünsche es mir natürlich.“ | |
Aber die Pandemie habe ihn eines Besseren belehrt. Seine Hoffnung, dass die | |
Schulen nur im Notfall schließen, wurde schon einmal enttäuscht. | |
7 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schulsenator-ueber-Schule-in-der-Pandemie/!5786594 | |
[2] /Landesschuelerrat-ueber-Schuelerimpfungen/!5787183 | |
[3] /Rueckkehr-zum-Unterricht/!5702094 | |
[4] /Hamburg-besorgt-Luftfilter-fuer-Schulen/!5781416 | |
[5] /Spaetfolgen-von-Covid-19/!5777303 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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