| # taz.de -- SPD-Spitzenkandidat über Klimaschutzpolitik: „Weg von den Lifest… | |
| > Thomas Losse-Müller tritt für die SPD in Schleswig-Holstein als | |
| > Spitzenkandidat an. Der ehemalige Grüne verteidigt den Autoverkehr auf | |
| > dem Land. | |
| Bild: Sein Thema ist Windenergie: Thomas Losse-Müller in Berlin | |
| taz: Herr Losse-Müller, Sie waren bis [1][Herbst 2020 bei den Grünen] und | |
| ziehen jetzt als SPD-Spitzenkandidat mit dem Thema Windkraft in den | |
| Wahlkampf. Wieso sind Sie nicht bei den Grünen geblieben? | |
| Thomas Losse-Müller: Das war keine Entscheidung gegen die Grünen, sondern | |
| eine für die SPD. Ich mache jetzt seit 20 Jahren Klimaschutzpolitik. Die | |
| Wahl von Donald Trump und der Brexit haben mich ziemlich schockiert. Ich | |
| habe lange in beiden Ländern gelebt und gesehen, wie eine fortschrittliche | |
| Agenda zusammenfällt, wenn wir es nicht schaffen, die Gesellschaft | |
| zusammenzuhalten. Und ich habe gemerkt, dass die SPD da besser aufgestellt | |
| ist, weil sie noch in allen Teilen der Gesellschaft verankert ist. | |
| Die Grünen sind zu sehr Klientelpartei? | |
| Die Grünen haben eine Wählerschaft, die sehr urban ist und sehr akademisch | |
| geprägt ist. Sie kann die Kompromisse, die wir machen müssen in der | |
| Gesellschaft, gar nicht intern verhandeln, weil eben Industriearbeiter und | |
| Handwerk fehlen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der | |
| Klimatransformation einen starken Staat brauchen, der die nötigen | |
| Infrastrukturen baut und bereit ist, die Zielkonflikte zu steuern. Das kann | |
| eigentlich nur die SPD organisieren. | |
| Sie kritisieren, dass [2][der Ausbau der Windkraft in Schleswig-Holstein] | |
| in den letzten fünf Jahren der Schwarz-Grün-Gelben Regierung stockte. Lag | |
| das auch an den Grünen, die ja mit in der Regierung sind? | |
| Das lag ganz klar an der CDU. Ministerpräsident Daniel Günther ist 2017 mit | |
| dem Ziel im Wahlkampf angetreten, dass er die Windausbaupläne stoppt. Das | |
| hat er auch getan. | |
| Aber als Koalitionspartner sind die Grünen mitverantwortlich, oder? | |
| Deswegen haben sie ja jetzt die Option, sich neu zu orientieren. | |
| In Schleswig-Holstein gibt es derzeit 2.981 Windräder. Seit fünf Jahren ist | |
| keins dazu gekommen. Wieviele sollen es in fünf Jahren sein, falls Sie | |
| Ministerpräsident werden? | |
| Wir müssen die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien mehr als verdoppeln. | |
| Dafür brauchen wir deutlich über zwei Prozent der Landesfläche für | |
| Windenergie. Ein großer Teil wird aber auch über Solar kommen, denn die | |
| Sonne scheint bei uns ja auch. | |
| Heißt das, dass überall, wo noch Platz ist, ein Windrad aufgestellt wird, | |
| auch über die Köpfe der Menschen hinweg? Im Osterpaket Energiewende hat der | |
| Grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck schon angekündigt, dass | |
| Genehmigungsverfahren gestrafft werden sollen. | |
| Es bedeutet, dass alle erneuerbaren Energien und Infrastrukturen prioritär | |
| behandelt werden, damit wir sie schneller umsetzen können. Und ja, dass die | |
| Beteiligungsprozesse effizienter werden müssen. | |
| Sinkt dann nicht die Akzeptanz bei den Menschen? | |
| Man muss diese Prozesse transparent machen. Es wäre ein riesengroßer | |
| Fehler, das nicht zu tun. Aber Akzeptanz kommt ja vor allen Dingen auch, | |
| wenn die Menschen etwas von den Windparks haben. Wir müssen dafür Sorge | |
| tragen, dass alle den dann sehr günstigen Strom für ihr Auto oder Wärme im | |
| Haus nutzen können. | |
| Jede Gemeinde bekommt ihren eigenen Windpark? | |
| Das ist die entscheidende Frage der Energiewende: Setzen wir auf dezentrale | |
| Lösungen, durch die eine Gemeinde, eine Genossenschaft oder ein | |
| Bürgerenergieverband die Energiewende selbst organisieren können. Oder | |
| setzen wir auf zentrale Lösungen von großen Netzbetreibern. Ich bin der | |
| absoluten Überzeugung, dass wir den meisten Erfolg haben werden, wenn wir | |
| das dezentral machen. | |
| Ist das nicht sehr kleinteilig und bremst den Ausbau? | |
| Im Gegenteil, das ist ein massiver Erfolgsfaktor in punkto Akzeptanz. Aber | |
| der Ausbau der erneuerbaren Energien ist nur der eine Teil. Land und | |
| Kommunen müssen jetzt den nächsten Schritt gehen und die Infrastruktur | |
| ausbauen, die uns ein klimaneutrales Leben ermöglicht. Das sind vor allem | |
| flächendeckende Ladeinfrastruktur und neue Wärmenetze, die erneuerbare | |
| Wärme in möglichst viele Haushalte bringen. Mit Dämmung allein werden wir | |
| die Wärmewende nicht schaffen. | |
| Wie bitte? Die energetische Sanierung ist einer der Schwerpunkte der | |
| Ampel-Regierung im Bund. Die Vorschriften sollen verschärft werden. Sie | |
| sagen, die ganze Dämmung bringe nichts? | |
| Die Potentiale, mit Dämmung klimaneutral zu werden, sind bald erschöpft. | |
| Das sagen die allermeisten Expertinnen und Experten. Bei der | |
| Wärmeversorgung werden wir nur klimaneutral, wenn wir die Energiequellen | |
| erneuerbar machen. Es ist viel teurer, jedes Haus zu dämmen und dann eine | |
| kleine Wärmepumpe einzubauen, als Rohre durch die Straßen zu verlegen, die | |
| Wärme aus einer effizienteren erneuerbaren Wärmequelle in die Häuser | |
| bringen. Also ein klassisches Wärmenetz, wie man es in großen Städten oft | |
| hat, was uns aber in den meisten Orten fehlt. Das gilt es jetzt neu | |
| aufzubauen. In Dänemark werden schon 60 Prozent aller Häuser durch | |
| Wärmenetze versorgt. | |
| Das dauert doch ewig, ein Wärmenetz zu bauen. Haben wir so viel Zeit? | |
| Ein solches Wärmenetz kann man in drei bis vier Jahren planen und bauen. | |
| Woher soll das Geld kommen? Vom Bund? Denn Schleswig-Holstein hat ja eine | |
| sehr strikte Schuldenbremse. | |
| Die 200 Milliarden Euro, die die Bundesregierung aufgerufen hat, sind schon | |
| mal ein guter Anfang. Der Thinktank Agora Energiewende hat errechnet, dass | |
| wir bundesweit bis zu 460 Milliarden Euro unter anderem in solche | |
| Infrastrukturen investieren müssen. Wir wollen in Schleswig-Holstein | |
| deshalb eine Infrastrukturgesellschaft gründen, die eigene Kredite | |
| aufnehmen kann. | |
| Und damit umgehen Sie dann elegant die Schuldenbremse im Haushalt. | |
| Das ist kein Umgehen der Schuldenbremse! Da werde ich pieksig. Ein | |
| Stadtwerk ist nicht Teil der Schuldenbremse, weil es Kapital hat und ein | |
| Geschäftsmodell, das trägt. Es ist total legitim, dass es Kredite aufnimmt. | |
| Und das ist das Modell, was wir für diese Infrastrukturgesellschaft | |
| vorschlagen. Zu denken, dass wir Klimaschutz allein über den laufenden | |
| Landeshaushalt finanzieren können, ist absurd. Wir können nicht aus dem | |
| Haushalt bezahlbares Wohnen, gebührenfreie Kitaplätze und auch noch | |
| Klimaschutz bezahlen. Dann machen wir auf jeden Fall nicht genug | |
| Klimaschutz und verlieren zusätzlich den sozialen Zusammenhalt. | |
| Werden sich soziale Verteilungskämpfe verschärfen? Die Preise steigen schon | |
| jetzt. | |
| Als SPD werden wir immer dafür sorgen, dass das Leben für alle Menschen | |
| bezahlbar bleibt. Auf der anderen Seite müssen wir auch das Thema gute | |
| Löhne in den Blick nehmen. 12 Euro Mindestlohn sind gerade angesichts | |
| steigender Preise enorm wichtig. | |
| Sind Sie auch dafür, Hartz IV, wenn es dann Bürgergeld heißt, kräftig | |
| aufzustocken? | |
| Das muss natürlich mit Blick auf die Preisentwicklung angepasst werden. Aus | |
| diesem Grund erhalten Menschen in Grundsicherung kurzfristig einen Zuschuss | |
| von 100 Euro. | |
| Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine ist Energiepolitik nun auch | |
| Sicherheitspolitik. Die SPD hat sich stets für Nord Stream 2 eingesetzt und | |
| damit für billiges Gas aus Russland. Hat sich das jetzt erst als Fehler | |
| herausgestellt oder war es von Anfang an falsch? | |
| Ja, es war falsch, dass wir uns nicht früher aus der Abhängigkeit gelöst | |
| haben. Wir wollten als SPD in Schleswig-Holstein ja auch immer schon das | |
| Flüssigas-Terminal in Brunsbüttel aus genau dieser geopolitischen Logik. | |
| Sind Sie für ein sofortiges Embargo auf russisches Erdgas, wie es die | |
| Ukraine fordert? | |
| Nein. Der Schaden wäre immens und die Hoffnung, dass ein Gas-Embargo den | |
| Krieg in der Ukraine beendet, ist falsch. Das wird gerade so diskutiert, | |
| als ob ein Stopp der Gaslieferungen der Silberpfeil ist, der das Problem | |
| löst. Unsere Fähigkeit, die Ukraine zu unterstützen, hängt davon ab, dass | |
| wir auch die Unterstützung der Bevölkerung haben, das zu tun. | |
| Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber für ein sofortiges Embargo. | |
| In dem Moment, wo bei uns die chemische Industrie runterfährt und die | |
| Industriearbeitsplätze verloren gehen, in dem Moment, wo das Gas so teuer | |
| wird, dass ich meine Wohnung nicht mehr heizen kann, wird diese Zustimmung | |
| verschwinden. Dann verlieren wir unsere Fähigkeit, ein starker Partner zu | |
| sein. | |
| Ist das nicht eine Schutzbehauptung, damit wir nicht Sanktionen verhängen | |
| müssen, die uns selbst weh tun? | |
| Nein. Ich halte das für eine absolut verantwortliche Abwägung. | |
| Warum verhalten wir uns trotzdem so wie vor dem Krieg? Habeck ruft zum | |
| Energiesparen auf, aber es gibt nicht mal ein Tempolimit. | |
| Ich finde auch, dass wir alles, was sinnvoll ist, tun müssen, um uns | |
| unabhängig zu machen von russischem Gas und Öl. | |
| Ist ein Tempolimit sinnvoll? | |
| Ich halte es für sinnvoll, aber es ist nicht der entscheidende Hebel, um | |
| unabhängig von fossilen Energien zu werden. Entscheidend ist die Frage, ob | |
| wir jetzt wirklich bereit sind, die nötige Infrastruktur auszubauen. Wir | |
| müssen weg von den Lifestyle-Fragen hin zu den Infrastrukturen. | |
| Was meinen Sie mit Lifestyle-Fragen? | |
| Die Frage, ob ich den Lichtschalter ausmache, ist wichtig für die Höhe | |
| meiner Energierechnung, aber nicht so wichtig im Hinblick darauf, ob wir | |
| klimaneutral werden. | |
| Die SPD in Schleswig-Holstein ist für den Ausbau der A20. Ist das der Weg | |
| zur Klimaneutralität? | |
| Absolut. Wir wollen, dass Schleswig-Holstein der Produktionsort für grünen | |
| Wasserstoff wird. Wir haben mit dem Industriegebiet Brunsbüttel und der | |
| Raffinerie in Heide jetzt schon industrielle Kerne, die sehr gut dafür | |
| geeignet sind. Das können Standorte für grüne Industrien werden. Wenn dort | |
| Industriearbeitsplätze entstehen, können bis zu 10.000 Menschen in die | |
| Region ziehen. Dann haben wir eine ganz andere Verkehrssituation. | |
| Und die Leute können nicht mit der Bahn fahren. Wieso setzen Sie nicht | |
| stärker auf den ÖPNV? | |
| Wir brauchen beides. Wir wollen den Autoverkehr reduzieren, aber das wird | |
| vor allem in den Ballungszentren passieren. Viele Menschen in | |
| Schleswig-Holstein wohnen auf dem Dorf. Wir könnten dort zwar alles | |
| theoretisch auf Busse umstellen, das wäre aber sehr ineffizient. Ich wohne | |
| ja selber auf dem Dorf. Von dort fahren die Leute in alle | |
| Himmelsrichtungen. Wenn es für jede Fahrt eine Buslinie gäbe, würde das | |
| viel unnützen Verkehr produzieren und wäre sehr teuer. | |
| Und wie sind Sie unterwegs? | |
| Wir fahren seit fünf Jahren mit einem E-Auto. Meine Schwiegermutter hat | |
| auch eines und dann haben wir noch einen alten Kastenwagen, der die kurze | |
| Strecke zum Pferdestall fährt. | |
| Also drei Autos für einen Haushalt. | |
| Da muss man realistisch sein. Meine Frau und ich sind beide berufstätig. | |
| Meine Schwiegermutter ist fit und will mobil sein. Mir ist wichtig, dass | |
| die SPD alle Themen aus der Lebenswirklichkeit der Menschen denkt. Wir | |
| werden auch im Jahre 2050 noch mit dem Auto fahren. Das muss dann eben | |
| elektromobil aus erneuerbarem Strom fahren. | |
| 26 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wahlumfrage-in-Schleswig-Holstein/!5846630 | |
| [2] /Wahlkampf-in-Schleswig-Holstein/!5838270 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Berufspolitiker | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Windkraft | |
| GNS | |
| Thomas Losse-Müller | |
| Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 | |
| SPD Berlin | |
| Öffentlicher Nahverkehr | |
| Naturschutz | |
| Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 | |
| Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 | |
| Erneuerbare Energien | |
| Wohnraummangel | |
| Sozialer Wohnungsbau | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022 | |
| Kiel | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wegen eines Hotelneubaus: 200-jährige Eiche soll weichen | |
| Am ehemaligen Omnibusbahnhof im schleswig-holsteinischen Heide sollte eine | |
| alte Eiche für ein Hotel gefällt werden. Bürger haben die Pläne gestoppt. | |
| Absturz in Schleswig-Holstein: SPD weggepustet | |
| Die SPD erlebt eine herbe Niederlage in Schleswig-Holstein. Ihr Kandidat | |
| Losse-Müller verwechselte Regierungserfahrung mit Verankerung im Land. | |
| Wahl in Schleswig-Holstein: Wer ist denn dieser Losse-Müller? | |
| Der geringe Bekanntheitsgrad ist eines der größten Probleme von Thomas | |
| Losse-Müller, SPD-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein. | |
| Grüne Energie in Schleswig-Holstein: Glauben an den Wind | |
| Zwei Küsten, viel Wind, hervorragende Bedingungen: Schleswig-Holstein war | |
| Vorreiter der Energiewende. Dann stockte sie. Doch es gibt neue Ideen. | |
| Wohnraum in Schleswig-Holstein: Verdrängung aus den Küstenorten | |
| Die Zunahme von Ferienwohnungen sorgt auf dem Wohnungsmarkt in | |
| Schleswig-Holstein für Probleme. Das gilt vor allem in Ortschaften an den | |
| Küsten. | |
| Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Bauen, bauen, bauen | |
| Beim Thema Wohnraum sind Schleswig-Holsteins Parteien in einem einig: Es | |
| muss mehr gebaut werden. Sie sind aber unterschiedlich regulierungsfreudig. | |
| Windkraftausbau in Bayern: Bayern will 10H lockern | |
| In Bayern gibt es eine der restriktivsten Abstandsregelungen für Windräder. | |
| Die CSU will sie nun lockern. | |
| Wahlumfrage in Schleswig-Holstein: Grüner Drops schon gelutscht? | |
| Vor der Kieler Landtagswahl am 8. Mai schmieren die Grünen in den Umfragen | |
| ab. Dabei sind dort ur-grüne Themen besonders wichtig. | |
| Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Wohin geht’s nach Jamaika? | |
| Themen der Weltpolitik bestimmen den Wahlkampf in Schleswig-Holstein. 80 | |
| Prozent der Wahlberechtigten sind mit der Ampel-Koalition zufrieden. | |
| Grüne und FDP nähern sich an: Der Pakt der Kleinen | |
| Grüne und FDP wollen gemeinsam die nächste Regierung prägen. Wie das gehen | |
| kann, zeigt ein Blick nach Schleswig-Holstein. |