# taz.de -- Grüne und FDP nähern sich an: Der Pakt der Kleinen | |
> Grüne und FDP wollen gemeinsam die nächste Regierung prägen. Wie das | |
> gehen kann, zeigt ein Blick nach Schleswig-Holstein. | |
Bild: Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner nach den Gespräch… | |
Nach Marx ereignen sich alle großen weltpolitischen Ereignisse zweimal. | |
Erst als Tragödie, dann als Farce. Wenn er damit recht hat, sieht es nicht | |
gut aus für Robert Habecks Plan, sich mit der FDP zu verbünden. Aber | |
vielleicht hatte Marx auch einfach unrecht. Die Romanze zwischen den Grünen | |
und der FDP, die im Moment in Berlin zu beobachten ist, hat jedenfalls gute | |
Chancen, zu etwas Ernstem zu werden, und sie hat ein historisches Vorbild: | |
Kiel 2017. | |
Damals schmiedete Robert Habeck mit Wolfgang Kubicki erfolgreich ein | |
Jamaika-Bündnis, also eine Koalition aus Grünen, FDP und CDU. Jetzt, in | |
Berlin, wird es, so wie es aussieht, eine Ampel aus Grünen, FDP und SPD | |
werden. Doch die Strategie ist dieselbe. Erst reden die Kleinen, um dann | |
die großen Partner vor sich herzutreiben. Und wieder ist Habeck, 51, | |
ehemals sechs Jahre lang Energiewendeminister in Kiel, heutiger Grünen-Chef | |
und neuerdings auch Vizekanzler in spe, die Schlüsselfigur. | |
Am Freitagmittag treten die drei Sondierer vor die Glasfassade eines | |
Bürobaus neben dem Bahnhof Zoologischer Garten in Westberlin. Erst spricht | |
Annalena Baerbock, dann Christian Lindner. Robert Habeck, kurzes Haar | |
(Schluss mit Wuschelrobert!), im schwarzen Hemd, die Ärmel aufgekrempelt, | |
wartet mit vor dem Bauch gefalteten Händen auf seinen Einsatz. Man müsse | |
sehen, dass „beide Parteien für Veränderung stehen, aber nicht | |
notwendigerweise für die gleichen Veränderungen“, sagt er dann. Es sei | |
wichtig, jetzt den richtigen Ansatz zu finden. „Wenn man die Schraube | |
schräg einsetzt, wird sie nie wieder gerade.“ | |
Rückblende. Am Montag sitzt Habeck neben Annalena Baerbock in der Berliner | |
Bundespressekonferenz. Er sitzt da wie sprungbereit, die Schultern | |
hochgezogen, die Arme auf dem Tisch. „Mit dem Wahlabend bricht tatsächlich | |
eine neue Zeitrechnung in Deutschland an“, sagt er. Dringliche Aufgaben | |
stünden an, was voraussetze, dass sich die die kommenden Regierungsparteien | |
„der Größe der Aufgaben klar werden“. Er selbst, heißt das, ist sich der | |
Größe der Aufgaben voll bewusst. | |
Habeck vibriert vor Energie, antwortet ausführlich auf die Fragen der | |
Journalisten. Baerbock fasst sich knapper, sie sieht abgekämpft aus. Kurz | |
nach der Pressekonferenz meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass | |
beide einen internen Deal geschlossen haben. Habeck bekommt in einer neuen | |
Regierung den Posten des Vizekanzlers, nicht sie, die Kanzlerkandidatin, | |
mit der das mäßige 14,8-Prozent-Ergebnis verbunden wird. | |
Damit ist die Rangfolge klar: Robert Habeck ist die neue Nummer eins bei | |
den Grünen. Er ist der Hauptansprechpartner in den Sondierungen und würde | |
als Vizekanzler später die Arbeit der grünen Minister koordinieren. | |
Außerdem ist der Job das optimale Sprungbrett für die Kanzlerkandidatur | |
2025, aber bis dahin fließt noch viel Wasser die Spree hinunter. | |
Habeck jedenfalls war es, der schon vor der Wahl die Idee der Vorabsprache | |
zwischen FDP und Grünen hatte, heißt es bei den Grünen. Den entscheidenden | |
Move überließ man dann Christian Lindner. Jener machte noch am Wahlabend | |
in der Berliner Runde das Angebot, erst mal untereinander zu reden, | |
Baerbock sagte nicht nein, und so war der Weg geebnet. Am Dienstagabend | |
trafen sich Habeck, Baerbock, Lindner und FDP-Generalsekretär Volker | |
Wissing unter acht Augen, am Freitag je zehn FDPler und Grüne in größerer | |
Runde. Erst danach wird es zur Union und SPD gehen. | |
Kann dieser Pakt der Kleinen funktionieren, angesichts riesiger | |
Differenzen, etwa in der Finanz- und Steuerpolitik? | |
Worauf kommt es dabei an? | |
Und was ist Habecks Strategie? | |
Um Antworten näherzukommen, helfen ein Blick zurück und ein Gespräch mit | |
Heiner Garg. Der Minister für Gesundheit und Soziales in Schleswig-Holstein | |
war 2017 in Kiel Verhandlungsführer der FDP. „Wir haben uns damals zuerst | |
mit den Grünen getroffen“, sagt Heiner Garg. Treffpunkt war ein Lokal in | |
Kiel, „es gab Fritz-Kola und auch eine Kleinigkeit zu essen, nichts | |
Pompöses.“ Ein netter, sonniger Nachmittag sei es gewesen, erinnert sich | |
Garg. „Alle waren guter Stimmung.“ | |
Die Ergebnisse des Wahlabends hatten die Kleinen zusammengeführt. Mit 32 | |
Prozent und damit fast 5 Prozentpunkten Abstand zur SPD hatte der | |
Christdemokrat Daniel Günther am 7. Mai 2017 die Landtagswahl gewonnen. | |
Daniel Wer?, fragte sich der Rest der Republik. Der damals 43-Jährige war | |
erst wenige Monate vor dem Wahltag von der CDU aufgestellt worden, nachdem | |
der eigentlich vorgesehene Kandidat das Handtuch geworfen hatte. | |
Nun hatte Günther gesiegt – aber durfte er auch regieren? | |
Dass es nicht immer reicht, stärkste Partei zu sein, war den | |
Christdemokraten in Schleswig-Holstein schmerzlich bewusst. Schließlich war | |
die CDU auch aus den Landtagswahlen 2012 als stärkste Kraft hervorgegangen, | |
wenn auch knapp. Regiert hatte dann aber die SPD mit Torsten Albig an der | |
Spitze in einer Dreierkoalition mit den Grünen und der Partei der dänischen | |
und friesischen Minderheiten (SSW). Für diese „Küstenkoalition“ reichte es | |
2017 nicht mehr: Nicht nur die SPD hatte deutlich verloren, sondern auch | |
die Grünen. | |
Der Landespartei machte ein damals schlechter Bundestrend zu schaffen, | |
außerdem war Robert Habeck auf dem Sprung nach Berlin und daher im | |
Wahlkampf nicht mehr so präsent wie 2012. Damals war er, obwohl nur Nummer | |
zwei der Landesliste, das Gesicht auf den Wahlplakaten und Spitzenkandidat | |
gewesen. 2017 wollte er Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf sein, verlor | |
aber in einer Urabstimmung gegen Cem Özdemir. Erst nach dieser Niederlage | |
fokussierte er sich wieder auf Schleswig-Holstein. | |
Dort blieben – wie heute im Bund – rechnerisch zwei Möglichkeiten: eine | |
Ampel unter SPD-Führung oder Jamaika unter dem CDUler Daniel Günther. So | |
oder so kam es auf Grüne und FPD an. | |
Heiner Garg war auch an den Ende 2017 gescheiterten Jamaika-Gesprächen auf | |
Bundesebene beteiligt, die Christian Lindner mit seinem legendären Satz: | |
„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, beendete. Garg | |
erinnert sich. „In Kiel haben wir es anders gemacht als in Berlin: Statt | |
unter den Augen der Medien auf Balkonen zu stehen, haben wir uns in aller | |
Ruhe zusammengesetzt.“ | |
Verschwiegenheit und Vertrauen, das ist die erste Regel, zu der er rät. So | |
soll es jetzt auch in Berlin laufen. Alle beteuern, dass es dieses Mal | |
keine Durchstechereien geben soll, dass man erst mal unter sich rede. Ob | |
das in den komplizierten Parallelsondierungen, die nun beginnen, | |
durchgehalten werden kann, ist indes offen. | |
Gesprächsfäden und taktische Bündnisse zwischen Grün und Gelb habe es | |
bereits lange vorher gegeben, erzählt Garg, der 1995 als Mitarbeiter der | |
FDP-Fraktion im Kieler Landtag anfing und 2000 erstmals als Abgeordneter | |
einzog: „Das reicht zurück bis 2005.“ Damals scheiterte die Wahl von Heide | |
Simonis (SPD) zur Ministerpräsidentin, weil ihr eine Abgeordnete oder ein | |
Abgeordneter aus dem eigenen Bündnis mit den Grünen und SSW die Stimme | |
verweigerte. Es kam zu einer großen Koalition. | |
„FDP und Grüne landeten damals mit je vier Abgeordneten in der Opposition“, | |
erinnert sich Garg. „Kurz danach traf ich die Grünen-Abgeordnete Anne | |
Lütkes auf dem Flur, fragte, wie es ihr gehe – und sie sagte | |
spontan:,Beschissen.' Ich bot ihr ein Treffen an, um auszuloten, wie wir | |
als Oppositionsfraktionen mit den Großen umgehen sollten.“ Es gab ein | |
erstes Gespräch bei Tapas und Wein, im Laufe der Jahre wuchs „eine | |
Vertrauensbasis, die wir nicht nach außen zelebriert haben“. | |
Ein gutes Verhältnis haben auch Robert Habeck und Wolfgang Kubicki. Dagegen | |
hielt Kubicki nichts von Torsten Albig, der 2017 für die SPD erneut | |
Ministerpräsident werden wollte. Nach der Niederlage hatte die | |
SPD-Landesführung nichts dagegen, Albig zu opfern: Am Personal werde es | |
nicht scheitern, sagte damals die SPD-Landesvize Bettina Hagedorn. „Wenn es | |
zu der Situation kommt, dass eine Ampel realistisch ist, und wir uns mit | |
Grünen und FDP über Inhalte einig sind, dann wird Torsten Albig dazu | |
beitragen, dass das Bündnis gelingt.“ Ein SPD-Mann aus der zweiten Reihe | |
schlug – nur halb im Scherz – vor, Habeck zum Ministerpräsidenten zu | |
machen. | |
Doch selbst solche Opfergänge reichten nicht: Die FDP lehnte die | |
Ampellösung ab und die Grünen-Landesvorsitzende Monika Heinold erklärte, | |
Jamaika sei besser als Neuwahlen. | |
Ganz unerwartet kam das nicht. Bereits 2012 hatte Robert Habeck mit | |
Schwarz-Grün geflirtet. 2017 bekannten sich die Grünen zu einer Fortsetzung | |
der „Küstenkoalition“ als liebstes Bündnis. Doch die Offenheit für andere | |
Lager bot neue Machtoptionen, und Schleswig-Holstein war Blaupause für | |
andere Länder. | |
Bereits vor dem Wahltag, so verriet es Wolfgang Kubicki bei einer | |
Buchvorstellung in Flensburg im August dieses Jahres, loteten er und Habeck | |
aus, was so geht. Habeck sei der einzige Politiker, über den er nie | |
schlecht geredet habe, sagte Kubicki, als er eine Habeck-Biografie der | |
ehemaligen Kieler Oberbürgermeisterin und heutigen Welt-Journalistin | |
Susanne Gaschke vorstellte. | |
„Schön, dass der Kollege das nun endlich eingeräumt hat“, sagt Ralf | |
Stegner. Der SPD-Linke war lange Landesparteichef und Fraktionsvorsitzender | |
im Kieler Landtag, gerade hat er ein Direktmandat für den Bundestag | |
gewonnen. Dass die Grünen 2017 so rasch auf ein Jamaika-Bündnis | |
einschwenkten, war damals ein harter Schlag für die SPD. „Auf der | |
öffentlichen Bühne wurde das Stück aufgeführt, es läge an Personen, dass | |
wir nicht zu einer Ampel kamen“, sagt Stegner. „Aber die Argumente waren | |
vorgeschoben. Ich habe immer gesagt, dass es da andere Absprachen gab.“ | |
Für die Grünen, besonders für Habeck, sei es „reizvoll“ gewesen, eine | |
zweite Machtoption neben Rot-Grün zu testen, glaubt Stegner. | |
Im Bund ist die Gefechtslage eine andere. Olaf Scholz hat die Wahl | |
gewonnen, Armin Laschet wankt. „Ich sehe im Moment nicht, dass man die | |
Union für sondierungsfähig halten könnte, geschweige denn für | |
regierungsfähig“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am | |
Donnerstag. | |
Aber Verschwiegenheit und Vertrauen, die Kieler Regel, soll auch im Bund | |
gelten. Nach einem ersten Gespräch am Dienstagabend posteten Habeck, | |
Baerbock, Lindner und Wissing ein Selfie auf Instagram. Dazu ein Text, der | |
klang, als hätte ihn Habeck nach drei Gläsern Weißwein auf eine Serviette | |
gekritzelt: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir | |
Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. | |
Spannende Zeiten.“ | |
Das Foto, das auf Twitter und Instagram sofort viral ging, wirkte locker, | |
aber es war eine machtpolitische Botschaft: Hier, bei uns, spielt die | |
Musik. Wir bestimmen die Geschicke der Republik. Wir sind die Zukunft. Da | |
ist, einerseits, durchaus etwas dran. Das Wahlergebnis hat wieder einmal | |
gezeigt, dass die alte bundesrepublikanische Ordnung nicht mehr gilt. | |
Hier die großen Volksparteien Union und SPD, da die Kleinparteien, die in | |
einem Zweierbündnis mitregieren dürfen, das ist vorbei. Koch und Kellner, | |
die Hierarchie, die Gerhard Schröder dem verblüfften Joschka Fischer 1998 | |
in einem Interview diktierte, ist Vergangenheit. Stattdessen konkurrieren | |
mehrere „Um die 20 Prozent“-Parteien in Deutschland um die Führung. Dieses | |
Mal hat eben Olaf Scholz gewonnen, nächstes Mal könnte es auch ein Grüner | |
sein. Habeck hat sich mit der Vizekanzlerschaft das ideale Sprungbrett | |
gebastelt. | |
Jedenfalls betont Habeck bei jeder Gelegenheit, dass sich diese neue | |
Ordnung in einer Regierung wiederfinden müsse. Eine Ampel, sagte er am | |
Montag in der Bundespressekonferenz, sei nicht Rot-Grün mit einem gelben | |
Klecks. Sondern ein solches Bündnis hätte „eine komplett eigene Logik“. | |
Heiner Garg formuliert es in Kiel ähnlich, wenn er sich an die | |
Verhandlungen im Jahr 2017 erinnert: „Uns war klar, und das muss für den | |
Bund genauso gelten, dass eine Dreierkombination etwas anders ist als zwei | |
plus eins. Es muss ein Projekt sein, für das alle Beteiligten eine | |
gemeinsame Vorstellung entwickeln.“ | |
Bei den Kieler Gesprächen 2017, die den Sondierungen folgten, kamen die | |
Fachleute der Parteien zusammen. Heiner Garg verhandelte Sozial- und | |
Gesundheitspolitik: „Die Grünen waren teilweise überrascht, dass die FDP | |
gar nicht so ist, wie sie sie sich vorgestellt hatten, weil wir oft in | |
dieselbe Richtung dachten.“ | |
Erleichtert wurden die Verhandlungen, weil sich manche inhaltlichen Fragen | |
gar nicht stellten: „Über Außenpolitik oder die großen Fragen der | |
Steuerpolitik entscheidet eine Landesregierung nun einmal nicht“, sagt | |
Garg. Zudem beeinflusst die regionale Perspektive die Haltung: | |
Schleswig-Holstein ist Vorreiter bei der Windenergie – entsprechend treten | |
alle Landtagsparteien für den Ausbau von Leitungen oder für Steuervorteile | |
bei nachhaltig erzeugtem Strom ein. | |
Dennoch gab es Streitpunkte bei der Energie- und vor allem der | |
Verkehrspolitik. Als die Grünen in einen mühsam gefundenen Kompromiss | |
Änderungen schreiben wollten, „da hat’s gekracht“, sagt Garg. Aber die | |
Verhandlungen scheitern zu lassen, war keine Option: „Das würde niemand | |
verstehen. Uns war klar, dass müssen wir schaffen.“ Wichtig sei, die | |
„Herzensthemen“ der anderen Parteien zu beachten, sagt Garg. | |
Die zweite Kieler Regel für das ungewöhnliche Bündnis aus Grün und Gelb | |
lautet deshalb: Gönnen können. Sich Luft zum Atmen lassen und Erfolge | |
zugestehen. Klappt das auch im Bund? Olaf Scholz lockt mit einem | |
Versprechen. „Echte Zuneigung entsteht, wenn man sich ernsthaft aufeinander | |
einlässt.“ | |
In Berlin reden Grüne gerade so verliebt über die FDP, als habe Lindner | |
ihnen schon ewig den Hof gemacht und sie nicht noch vor ein paar Tagen als | |
verbotsfixierte Ökomoralisten hingestellt. „Äußerungen aus dem Wahlkampf | |
sollte man nicht so hoch hängen“, sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von | |
Notz. Und: Demokraten könnten, nachdem man das Trennende betont hat, das | |
Gemeinsame suchen. | |
In der Tat können Grüne und FDP besser miteinander, als es den Anschein | |
hat. Beide arbeiteten in der Opposition mehrmals konstruktiv zusammen, etwa | |
bei der Wahlrechtsreform, bei der Ablösung von Staatskirchenleistungen oder | |
beim Protest gegen Horst Seehofers Hardcore-Innenpolitik. Auch auf | |
menschlicher Ebene funktioniert es immer wieder zwischen ihnen. Der | |
Innenpolitiker von Notz schätzt seinen FDP-Kollegen Stephan Thomae, Britta | |
Haßelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, ihren | |
FDP-Counterpart Marco Buschmann. | |
Aber gleichzeitig sind die Differenzen im Bund ungleich größer als in Kiel. | |
Hier geht es nicht nur um Muschelfischer, Hecken neben Äckern, die in | |
Schleswig-Holstein „Knicks“ heißen, oder den überschaubaren Landeshaushal… | |
In Berlin stehen die großen Fragen an: Wie die Klimakrise bewältigen? Woher | |
sollen die Milliarden für neue Investitionen kommen? Schuldenbremse lockern | |
oder nicht? | |
Ein großer Brocken, sowohl für ein Ampel- wie auch ein Jamaika-Bündnis, | |
wäre zum Beispiel, wenn Christian Lindner Finanzminister werden will. | |
Diesen Anspruch hat er vor der Wahl offensiv angemeldet. Wenn die FDP in | |
die ungeliebte Ampel wechseln sollte, wäre dieses Amt wahrscheinlich die | |
Einladungskarte – und Olaf Scholz würde sie bereitwillig ausstellen. | |
Anders sieht es bei den Grünen aus. Robert Habeck wollte den Job lange | |
selbst. Zweitens stehen sich die Wünsche bei den Finanzen diametral | |
gegenüber. Die einen wollen die Schuldenbremse lockern, für die anderen ist | |
sie unantastbar. Die einen wollen Steuern für Wohlhabende erhöhen, die | |
anderen würden lieber den Börsenteil der FAZ mit Messer und Gabel | |
verspeisen. Die einen fordern staatliche Investitionen von 50 Milliarden | |
Euro pro Jahr für bessere Bahnverbindungen, Brücken und mehr Klimaschutz, | |
die anderen setzen auf privates Kapital. | |
Dann wäre da Europa: „Ein Finanzminister Lindner wäre natürlich | |
problematisch“, heißt es bei europapolitisch versierten Grünen. Angela | |
Merkel rang sich erst mit der Coronakrise dazu durch, gemeinsame Schulden | |
der EU zu dulden. Ohne den deutschen Schwenk wäre der | |
750-Milliarden-Euro-Fonds zur Bekämpfung der Pandemiefolgen nicht zustande | |
gekommen. Mit Lindners Anti-Schulden-Agenda droht ein Rollback in Europa. | |
Eine weitere Bruchlinie sind die unterschiedlichen Präferenzen. Lindners | |
FDP will Jamaika, weil sie mit der CDU die größeren Schnittmengen hat. Aber | |
viele Grüne tendieren zur Ampel. | |
„Damals, 2017, wollte Habeck aus den alten Lagerwahlkämpfen heraus“, sagt | |
Ralf Stegner. Aber heute in Berlin sei die Gemengelage anders. „Ich nehme | |
eine ganz andere Stimmung wahr.“ Daher würde die Geheimabsprache zwischen | |
Habeck und Kubicki von 2017 die heutigen Gespräche nicht belasten. | |
Aber das Kieler Beispiel zeigt auch: Der Obergrüne Habeck täuschte damals | |
erst die Ampel an, wohl auch, um die eigene Basis zu beruhigen, | |
organisierte dann aber – wie geplant und abgesprochen – Jamaika mit CDU und | |
FDP. Würde sich diese Geschichte im Bund wiederholen, würden viele Grüne | |
sie als Tragödie, mindestens aber als Farce empfinden. | |
Vor dem Bürobau neben dem Bahnhof Zoo verbreiten Lindner, Baerbock und | |
Habeck an diesem Freitagmittag gute Stimmung. Habeck sagt: „Diese Schraube | |
ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden.“ Dann | |
müssen alle drei los, eine neue Koalition organisieren. | |
1 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Ulrich Schulte | |
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