# taz.de -- Reform des EU-Asylsystems: Drittstaaten-Deals und Abschreckung | |
> Gegen Migration setzt die EU auf Lager an den Außengrenzen und | |
> Kooperationen mit Transitländern. Manchen geht das nicht weit genug. | |
Bild: Syrische Migranten, die vor dem Krieg nach Europa fliehen, kommen auf der… | |
BRÜSSEL/BERLIN taz | Gegen die Stimmen von Linken, Grünen, einigen | |
Sozialdemokraten und der extremen Rechten hat das EU-Parlament am Mittwoch | |
für die Reform des EU-Asylsystems Geas gestimmt. 2026 soll es in Kraft | |
treten, mittelfristig sollen an den EU-Außengrenzen dafür | |
Internierungslager mit bis zu 120.000 Plätzen entstehen. In diesen soll der | |
Schutzanspruch vieler Ankommender in Schnellverfahren geklärt werden. Die | |
Abschiebungen in Drittstaaten soll das Geas stark erleichtern. | |
Die Verhandlungsführer des Europaparlaments warnen mit Blick auf diese | |
Drittstaaten bereits vor Missbrauch. Ein Dorn im Auge sind den führenden | |
EU-Parlamentariern vor allem die Abkommen, die die EU-Kommission und | |
Italien am Parlament vorbei ausgehandelt haben. Kommissionschefin | |
[1][Ursula von der Leyen (CDU)] hatte erst Deals mit [2][Tunesien], im März | |
dann auch mit Ägypten und Mauretanien ausgehandelt, die auch eine enge | |
Zusammenarbeit bei der Abwehr „irregulärer“ Migration vorsehen. | |
Von der Leyen arbeitete dabei eng mit der italienischen Regierungschefin | |
Giorgia Meloni zusammen, die die post-faschistische Partei [3][Fratelli | |
d’Italia] führt und die Migration radikal einschränken will. Meloni | |
wiederum hat im nationalen Alleingang ein Abkommen mit Albanien | |
abgeschlossen, wo künftig ein Teil der Asylverfahren durchgeführt werden | |
soll. Brüssel hat den umstrittenen Deal für rechtmäßig erklärt. | |
„Diese Abkommen beunruhigen uns, sie gehen nicht konform mit dem Pakt“, | |
kritisierte der konservative spanische EU-Abgeordnete Jorge Buxadé. Die | |
geplanten Abschiebungen von nicht asylberechtigten Migranten aus den neuen | |
Grenzlagern dürften nur in sichere Drittländer erfolgen und müssten genau | |
kontrolliert werden. Doch das sei bei den neuen Drittstaaten-Deals nicht | |
der Fall. | |
## Flüchtlingsdeal mit der Türkei gilt als Muster für Abkommen | |
So gebe es keine Garantien dafür, dass Asylbewerber in Albanien bleiben und | |
nicht über den Balkan in die EU weiterziehen. Ägypten und Tunesien seien | |
nicht sicher; zudem werden sie von Autokraten geführt. Ähnlich hatte das | |
Europaparlament bereits den Flüchtlingsdeal mit der Türkei kritisiert, der | |
bereits 2016 geschlossen worden war – und nun als Muster für die neuen | |
Abkommen gilt. | |
Auch die EU-Bürgerbeauftragte, Emily O’Reilly, hat große Bedenken. Die | |
neuen Abkommen mit Tunesien und Ägypten enthielten keine Klauseln zu | |
Menschenrechtsverletzungen und möglichen EU-Sanktionen – etwa einer | |
Aussetzung der Zusammenarbeit. Doch die EU-Kommission stellt sich taub. Sie | |
hat weitere, milliardenschwere Deals mit Drittstaaten angekündigt, um die | |
„irreguläre“ Migration zu stoppen. | |
Auch die Staats- und Regierungschefs der EU wollen den eingeschlagenen Weg | |
weitergehen. Bei einem Sondergipfel in der kommenden Woche wollen sie die | |
ausgesetzte Zusammenarbeit mit der Türkei wiederbeleben. Die Kooperation in | |
der Asyl- und Migrationspolitik steht dabei ganz weit oben; die Türkei soll | |
als restriktiver „Türsteher“ für Europa dienen. | |
Die Union indes denkt schon weiter. Sie will im Mai ihr neues | |
Grundsatzprogramm verabschieden – und was darin vorgesehen ist, lässt das | |
Geas auf ganzer Linie hinter sich: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, | |
soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren | |
durchlaufen“, heißt es im Programmentwurf. Bei Anerkennung werde „der | |
sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren“. | |
## Das UK-Ruanda-Modell für Deutschland | |
Es ist das [4][Ruanda-Modell Großbritanniens], weshalb der | |
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im März in das ostafrikanische | |
Land reiste. Der Migrationsminister dort habe „hohe Bereitschaft“ gezeigt, | |
entsprechende Verträge mit Deutschland zu treffen. Rechtliche Probleme | |
sieht Dobrindt nicht, wenn die Asylverfahren nach europäischen Standards | |
und unter Aufsicht der EU durchgeführt würden. | |
In Großbritannien hatten Gerichte die Abschiebung Asylsuchender nach Ruanda | |
mehrfach untersagt. In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik | |
vom März ist von „rechtlichen, praktischen und politischen Einwänden“ die | |
Rede, die in der Debatte um ein deutsches Ruanda-Modell „ausgeblendet“ | |
würden. | |
11 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
Eric Bonse | |
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