# taz.de -- Forscherinnen über Asylanträge in Ruanda: „Ein Verstoß gegen v… | |
> Zwei Juristinnen erklären, welche Probleme Großbritanniens Regierung | |
> kriegt, wenn sie versucht, den Flüchtlingsdeal mit Ruanda zu retten. | |
Bild: Protest gegen den Ruanda-Flüchtlingsdeal vor den Royal Courts of Justice… | |
taz: Das höchste britische Gericht hat am Mittwoch das Ausfliegen | |
Asylsuchender aus dem Vereinigten Königreich für Asylverfahren in Ruanda | |
gestoppt. Ist das Thema damit erledigt? | |
Svenja Niederfranke: Der Premierminister Rishi Sunak will einen Austritt | |
Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) prüfen | |
lassen, um an dem Modell festhalten zu können. Das Urteil hat allerdings | |
besonders betont, dass das Vorhaben nicht nur gegen die EMRK verstößt, | |
sondern auch gegen andere Verträge, etwa die Anti-Folterkonvention oder den | |
UN-Zivilpakt. | |
Die Regierung kann also in der Sache nichts mehr tun? | |
Niederfranke: „Stop the boats“ war eine von fünf politischen Prioritäten, | |
die Sunak bei seinem Amtsantritt formuliert hat. Wenn die Regierung das | |
Ruanda-Modell weiter verfolgen wollte, könnte sie versuchen, einen anderen | |
Partnerstaat als Ruanda zu suchen, in dem es ein besseres Asylsystem gibt. | |
Das ist aber extrem schwierig. Ruanda war nicht unter den ersten 30 | |
Ländern, die seinerzeit angefragt wurden – UK hatte es unter anderem vorher | |
auch in Albanien versucht. Dass die Regierung in London jetzt erfolgreicher | |
ist und ein anderes Land findet, ist unwahrscheinlich. Die Kritik, etwa der | |
Afrikanischen Union, an solchen Projekten ist sehr groß. | |
Die Richter verwiesen auf weitere internationale Verträge, gegen die das | |
Modell verstoße. Kann Großbritannien einfach alle aufkündigen? | |
Niederfranke: Es ist fraglich, ob das Land aus der EMRK austreten kann. | |
Unter anderem sind sowohl das Karfreitagsabkommen zu Nordirland und die | |
Brexit-Verträge mit dieser Konvention verwoben. | |
Das Vereinigte Königreich müsste außerdem mit diplomatischen Folgen | |
rechnen, wenn es aus der Anti-Folterkonvention, dem UN-Zivilpakt oder der | |
Genfer Flüchtlingskonvention austreten würde. | |
Könnte London versuchen, Ruanda zu einem ‚sicheren Drittstaat‘ im | |
juristischen Sinne zu machen? | |
Niederfranke: Das Gericht hat ja heute geurteilt, dass die Rechtsansprüche | |
Schutzsuchender in Ruanda nicht gesichert sind. Allerdings ist die vom | |
Gericht erstellte Liste dessen, was man in Ruanda verbessern müsste, sehr | |
lang. Wie viel lässt sich davon abarbeiten, damit das Projekt noch vor den | |
Wahlen in UK nächstes Jahr starten und Sunak es sich als Erfolg zurechnen | |
lassen kann? Und: Was davon ist überhaupt im Interesse der Regierung von | |
Ruanda? | |
Was wäre, wenn Großbritannien die Asylverfahren in Ruanda selber | |
durchführt? | |
Niederfranke: Das wäre dann gewissermaßen eine Kopie des neuen Modells von | |
Italien und Albanien. Bisher war ja vorgesehen, dass die ruandischen | |
Behörden die Asylverfahren übernehmen. Täte UK dies selbst, könnte die | |
Regierung argumentieren, dass die Qualität des Asylverfahrens eigenen | |
Standards gerecht wird. Doch wie viel würde das kosten? Und es ist offen, | |
ob der britische Gerichtshof dem am Ende folgen würde. Zweifellos würde das | |
auch wieder dauern. Schließlich könnte Sunak auch versuchen, bei Frankreich | |
oder der EU anzuklopfen und ein Rückführungsabkommen zu vereinbaren. | |
Frankreich hat allerdings immer gesagt, dass so etwas nur auf EU-Ebene | |
denkbar ist. | |
Deutsche Politiker bringen oft das UNHCR als Instanz für externalisierte | |
Asylverfahren ins Spiel. Könnte Großbritannien die UN-Organisation mit den | |
Asylprüfungen in Ruanda beauftragen? | |
Marie Walter-Franke: Das UNHCR wird in dem Urteil zitiert – mit einer | |
detaillierten Kritik des ruandischen Asylsystems. Gleichzeitig ist das | |
UNHCR in Ruanda aktiv. Wenn es dort Asylprüfungen durchführt und die | |
Menschen dann nach UK reisen, wäre das klassisches Resettlement – die | |
Neuansiedlung Schutzbedürftiger. Dass dafür Menschen aber erst aus UK | |
dorthin gebracht werden und dann womöglich wieder zurück – dazu hat sich | |
das UNHCR sehr kritisch geäußert. | |
Das UNHCR bringt ja selber Geflüchtete aus Libyen nach Ruanda. | |
Walter-Franke: Es ist ein großer Unterschied, ob man Menschen aus einer | |
Kriegszone wie Libyen evakuiert oder, wie UK, versucht, mit einer solchen | |
Verschiebung seine Verantwortung aus der Genfer Konvention zu umgehen. Das | |
wird das UNHCR nicht gutheißen. Es wäre auch unklar, was UK dem UNHCR für | |
seine Kooperation in einem solchen Modell anbieten könnte. | |
Auch in Deutschland wird über Asylverfahren in Drittstaaten diskutiert. Was | |
heißt das britische Urteil für die Debatte hierzulande? | |
Niederfranke: Man kann das Urteil nicht auf die Frage nach der Zulässigkeit | |
des Italien-Albanien-Modells übertragen. Der Unterschied ist, dass Italien | |
die Asylverfahren in Albanien selber machen will. In Deutschland prüft ja | |
das Bundesinnenministerium derzeit, ob Asylverfahren in Drittstaaten | |
möglich sind. Die Folge des Londoner Urteils wird nun sein, dass das | |
UK-Ruanda-Modell von der Liste gestrichen wird und man zur Prüfung anderer | |
Modelle übergeht. | |
Es bleibt offen, was mit Menschen geschieht, deren Anträge abgelehnt | |
werden, die aber nicht abgeschoben werden können. Werden die | |
Asyl-Auslagerungen daran scheitern? | |
Walter-Franke: Es gibt ein Vorbild dafür – das australische Modell. Die | |
dortige Regierung hat diese Gruppe aus den Lagern in Nauru und | |
Papua-Neuguinea nach Kambodscha und Laos übersiedeln lassen. Die große | |
Frage ist aber, ob Europa in der Lage wäre, Staaten zu finden, die das | |
machen wollen – und was das kosten würde. | |
Erstmal bräuchte man ja überhaupt ein Land, das ein solches | |
Asylverfahrens-Zentrum bei sich zulässt. An welche Kandidaten wird dabei | |
gedacht? | |
Walter-Franke: Ich habe bisher keinen seriösen Vorschlag gehört. Aber es | |
wird sicherlich an die EU-Beitrittskandidaten im Westbalkan gedacht, später | |
an die Ukraine, möglicherweise an Moldau und Georgien. Auch dafür werden | |
diese Länder als so genannte „Sichere Drittstaaten“ eingestuft. Aber es | |
wäre ein sehr weiter Weg, bis die sich bereit erklären würden, bei einem | |
solchen Modell mitzumachen. | |
Die Regierungen würden hohe Summen verlangen. Wie ist die finanzielle | |
Bilanz solcher Modelle? | |
Niederfranke: Sie sind unglaublich teuer. Es gibt eine Analyse des | |
britischen Innenministeriums zum Ruanda-Modell. Demnach würde sich das | |
finanziell erst dann rechnen, wenn durch die abschreckende Wirkung 37 | |
Prozent weniger irreguläre Migrant:innen kommen würden. Dann käme die | |
Regierung finanziell bei null raus. Aber es ist ja überhaupt nicht | |
nachgewiesen, ob es einen solchen Abschreckungseffekt geben würde. Bisher | |
hat die britische Regierung schon 140 Millionen Pfund nach Ruanda | |
überwiesen, das Geld wird das Land wohl behalten. Sollten später | |
Flüchtlinge kommen, soll es noch eine Pro-Kopf-Zahlung geben. | |
16 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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