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# taz.de -- Großbritanniens Ruanda-Deal: Abschieben, aber rechtssicher
> Ein Vertrag zwischen Großbritannien und Ruanda soll die juristischen
> Hürden gegen Deportationen von Asylsuchenden überwinden. Aber der Streit
> bleibt.
Bild: Innenminister James Cleverly in der Gedenkstätte für den Völkermord an…
London/Berlin taz | Großbritannien hat einen neuen Vertrag mit Ruanda
geschlossen, der [1][Ruandas Status als sicheres Drittland für
Asylsuchende] garantieren soll. Mit der Unterzeichnung durch Innenminister
James Cleverly, der dafür am Dienstag eigens nach Kigali reiste, will die
britische Regierung den vom Supreme Court als rechtswidrig verworfenen Plan
wiederbeleben, aus Frankreich eingereiste Bootsflüchtlinge ohne Erlaubnis
nach Ruanda zu fliegen, statt sie Asyl in Großbritannien beantragen zu
lassen.
Der Vertrag beinhaltet neue Garantien Ruandas: Berufungsinstanzen für
Asylverfahren, denen internationale Rechtsexpert:innen beisitzen; eine
unabhängige Stelle, die alle Verfahren und das Wohl der Abgeschobenen
überwachen; ein absolutes permanentes Bleiberecht in Ruanda für
Schutzbedürftige, egal ob ihr Antrag auf Asyl dort erfolgreich ist oder
nicht – für andere wäre nur eine eventuelle Rückführung nach Großbritann…
möglich, keine Rückführung in ihr Heimatland.
Hintergrund ist, dass der konservative Premierminister Rishi Sunak in
London seine Glaubwürdigkeit bei der eigenen Basis an das Versprechen
geknüpft hat, die Einwanderung nach Großbritannien zu senken und
insbesondere den Zustrom von Bootsflüchtlingen zu stoppen.
Die legale Einwanderung liegt auf Rekordniveau, mit einer Nettozuwanderung
von 745.000 Menschen im Jahr 2022, 139.000 mehr als im Vorjahr. Was die
nicht erlaubte Einreise betrifft, überquerten 2022 45.755 Personen mit
Booten den Ärmelkanal, um in England Asyl zu beantragen.
## Stopp per einstweiliger Verfügung
Verschärfte Kontrollen an der französischen Küste und ein Abkommen mit
Albanien sollen dieses Jahr zu einem geschätzten Rückgang der Überquerungen
um ein Drittel führen, aber dennoch bleibt der Druck groß. Selbst die
Labour-Opposition spricht inzwischen laut darüber, wie sie die
Einwanderungszahlen mit der ganzen Macht von Polizei und
Nachrichtendiensten viel effektiver senken wolle als die Konservativen,
deren Ruanda-Modell sie ablehnt.
Aus Sicht der Regierung soll das Vorhaben, Asylsuchende sofort nach Ruanda
zu fliegen, die Bootsreisen unattraktiv machen und somit das
Geschäftsmodell von Schleusern zerstören. Eine erste entsprechende
Vereinbarung trafen die beiden Regierungen im April 2022.
Den ersten britischen Deportationsflug nach Ruanda stoppte aber im Juni
2022 der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in letzter Minute per
einstweiliger Verfügung, was ein Verfahren durch das gesamte britische
Rechtssystem bis hinauf zum Obersten Gericht nach sich zog.
Vor wenigen Wochen [2][bestätigte schließlich der Supreme Court, dass
Ruanda für Asylsuchende kein sicherer Drittstaat sei], da das Land nicht
garantieren könne, dass die Asylsuchenden von dort nicht in ihre
Herkunftsländer zurückgeschickt würden. Auch generell gebe es Mängel beim
Schutz der Menschenrechte und im ruandischen Asylrechtssystem.
## Übernahme sämtlicher Kosten
Diese Mängel schaffe der neue Vertrag aus der Welt, behauptet Innenminister
Cleverly. Neben Ruandas Garantien bezüglich Asylverfahren und Bleiberecht
sei geregelt, dass sogar spätere Straftäter:innen, die ihr Bleiberecht in
Ruanda verspielen, allerhöchstens zurück ins Vereinigte Königreich geflogen
werden, auf Kosten der britischen Regierung. Ruanda hat auch das Recht,
manche Leute gar nicht erst anzunehmen. Wer in Ruanda landet, hat die
Freiheit, das Land zu verlassen.
Die britische Regierung übernimmt sämtliche Kosten in Ruanda für alle
Verfahren, Ausbildungen und Unterbringung für mindestens fünf Jahre, danach
müsste der Vertrag erneuert werden. Bisher hat die britische Regierung
Ruanda 140 Millionen Pfund (160 Mio. Euro) für die Asylkooperation gezahlt.
Weitere Summen stehen nun in Aussicht.
Bemerkenswert: Darüber hinaus verpflichtet sich die britische Regierung, im
Gegenzug Flüchtlinge aus Ruanda aufzunehmen – das Land nimmt regelmäßig
Schutzsuchende aus anderen afrikanischen Ländern auf, die das UNHCR aus
Lagern in Libyen ausfliegt. Rechte Kritiker in Großbritannien höhnen
bereits, am Ende würden mehr Flüchtlinge von Ruanda nach Großbritannien
reisen als umgekehrt.
Ruanda hat wiederholt unter Verweis auf seine Zusammenarbeit mit dem UNHCR
die britische Kritik an seinen Asylverfahren zurückgewiesen und auch
moniert, dass das UNHCR einerseits Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda
bringt, andererseits vor britischen Gerichten Ruanda als untauglich
bezeichnet hat.
## Eilverfahren im Parlament
Ruandas Regierung lobte den neuen Vertrag und sagte, damit würden bisherige
Zusagen „verbindlich erneuert“. Regierungssprecherin Yolande Makolo
erklärte: „Jeder, der unter diesem Abkommen nach Ruanda kommt, wird
willkommen geheißen und erhält die nötige Sicherheit und Unterstützung, um
in unserem Land ein neues Leben aufzubauen“.
Wie der Vertrag nun umgesetzt wird, ist nicht klar. Die britische Regierung
könnte ein Gesetz im Eilverfahren ins Parlament einbringen, das die
Gerichte zwingt, Ruanda jetzt doch als sicheren Drittstaat anzuerkennen,
oder die Anwendung bestimmter Klauseln der Europäischen
Menschenrechtskonvention oder der UN-Flüchtlingskonvention auf den
Ruanda-Deal aussetzt, damit er nicht juristisch gekippt werden kann. Das
könnte noch an diesem Donnerstag geschehen.
Berichten zufolge stößt dieser Plan aber auf massive juristische Bedenken
und politischen Widerstand – zahlreiche konservative Abgeordnete würden
dagegen stimmen, im Oberhaus käme er erst recht nicht durch und auch
mehrere Ministerrücktritte stehen im Raum.
Wahrscheinlicher ist deshalb, dass das Parlament einfach eine Erklärung
verabschiedet, wonach Ruanda als sicherer Drittstaat anzuerkennen sei. Doch
dies wäre für den rechten Parteiflügel nicht hart genug. Die Polarisierung,
die an den Streit um den Brexit erinnert, könnte sogar das vorzeitige Ende
von Rishi Sunak als Premierminister bedeuten, spekulieren manche Analysten.
6 Dec 2023
## LINKS
[1] /Forscherinnen-ueber-Asylantraege-in-Ruanda/!5973427
[2] /Britisches-Urteil-zu-Abschiebungen/!5969764
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Dominic Johnson
## TAGS
Großbritannien
Ruanda
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