# taz.de -- Offener Brief: Psychiater:innen gegen Merz | |
> Expert:innen wehren sich gegen die Vereinnahmung des Messerangriffs in | |
> Aschaffenburg. Ihre Meinung: Stigmata befeuerten Probleme, statt sie zu | |
> lösen. | |
Bild: Kanzlerkandidat Friedrich Merz am 31. januar im Bundestag | |
Berlin taz | Mehr als 30 Psychiater:innen und | |
Wissenschaftler:innen haben sich [1][in einem offenen Brief an | |
CDU-Chef Friedrich Merz] gewandt. Sie wehren sich „[2][gegen den | |
politischen Missbrauch]“ der Tat von Aschaffenburg. Dort hatte in der | |
vergangenen Woche ein mutmaßlich psychisch kranker ausreisepflichtiger | |
Asylsuchender eine Kitagruppe mit einem Messer angegriffen und ein | |
Kleinkind sowie einen Erwachsenen getötet. | |
Die Union und insbesondere Merz fordern seitdem noch vehementer als zuvor | |
eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik, am Mittwoch stimmten sie | |
im Bundestag für einen entsprechenden Fünf-Punkte-Plan – und nahm dafür in | |
Kauf, dass die Mehrheit nur mit den Stimmen der AfD zustande kam. | |
Keiner der [3][Vorschläge des Oppositionsführers] hätte die Tat in | |
Aschaffenburg jedoch verhindern können, heißt es in dem Brief der | |
Psychiater:innen, [4][der der taz vorliegt]. Im Gegenteil: Der | |
Generalverdacht gegenüber Schutzsuchenden mit psychischer Erkrankung und | |
der dadurch entstandene öffentliche Druck könne „die seelische Situation | |
von Migranten nur verschlimmern“. | |
Mit dem Umgang mit psychisch kranken Straftätern hat sich am Montag auch | |
die Innenminister:innenkonferenz beschäftigt. Das Ergebnis: Nicht | |
etwa mehr Unterstützung für Betroffene, sondern mehr Kompetenzen für | |
Nachrichtendienste und Polizei. | |
## Zugriff auf Gesundheitsdaten | |
Die Innenminister:innen von SPD und Union wollen „die Schaffung | |
ausdrücklicher Rechtsgrundlagen zum biometrischen Abgleich“ von Daten mit | |
Bild- und Audiomaterial etwa aus sozialen Netzwerken, biometrische | |
Gesichtserkennung in Echtzeit und die „frühzeitige Erkennung der | |
Risikopotenziale bei psychisch Erkrankten“. Dazu solle den | |
Sicherheitsbehörden umfangreicher als derzeit [5][Zugriff auf | |
Gesundheitsdaten] psychisch kranker Menschen ermöglicht werden. | |
Mit den Forderungen der Expert:innen aus dem offenen Brief hat das | |
nichts zu tun. Diese mahnen explizit eine bessere psychiatrische und | |
psychotherapeutische Diagnostik an sowie nachhaltige Hilfen „für alle, die | |
psychiatrische Hilfe benötigen“ sowie mehr Akzeptanz für Menschen „in | |
existenzieller seelischer Not“. | |
Die politischen Reaktionen auf den Angriff gehen für sie an den | |
Erfordernissen vorbei. „Politische Schnellschüsse bei gleichzeitiger | |
Mittelkürzung migrationsspezifischer Hilfen lösen das Problem sicher | |
nicht“, heißt es in dem Brief. Sie beschwören Friedrich Merz im Anschreiben | |
per Mail: Dadurch könne „eine toxische Mischung entstehen, die Übergriffe | |
in alle Richtungen eher wahrscheinlicher macht“. | |
Die psychiatrische Hilfe für Geflüchtete in psychischen Notsituationen | |
steht vor zwei Problemen: zu wenige Kapazitäten und zu wenig Geld. Auch | |
[6][die Psychosozialen Zentren], welche die Lücken der Regelversorgung zu | |
schließen versuchen, sind vom Staat nur prekär finanziert. Das | |
Bundesprogramm für die psychosoziale Versorgung Geflüchtete wurde gar | |
gerade um knapp die Hälfte zusammengekürzt. | |
## Warnung vor Stigmatisierung | |
„Wir stehen immer in dem Spannungsfeld zwischen Therapie und | |
Ordnungspolitik“, sagt Arno Deister, Vorsitzender des [7][Aktionsbündnisses | |
Seelische Gesundheit] und Unterzeichner des offenen Briefes. Die Frage der | |
Gewalt durch Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sei für jene, | |
die in der Psychiatrie arbeiten, eine alltägliche. „Was wir brauchen, ist | |
eine höhere Sensibilität insbesondere in den Bereichen, die dafür berufen | |
sind.“ | |
So müssten etwa Sicherheitsbehörden dafür sensibilisiert werden, „wo | |
Menschen gefährdet und im Zweifelsfall auch gefährlich sind“, sagt Deister. | |
Die Frage nach der Weitergabe von Informationen sei bei Risiken essenziell. | |
„Jedoch nicht pauschal wie mit einem Register, sondern indem man | |
differenziert und sensibilisiert auf die Menschen schaut“. | |
Eine der Forderungen der IMK nach einem besseren Zugriff auf | |
„gefährdungsrelevante Erkenntnisse zu psychisch Erkrankten“, hält Deister | |
für zu vage formuliert. „Die psychisch Kranken“ gebe es nicht, sagt der | |
ehemalige ärztliche Direktor des Klinikums in Itzehoe. „Wenn man Menschen | |
mit einer psychischen Erkrankung [8][pauschal in eine Gefährdergruppe] | |
abschiebt, ist das eine hochgradige Stigmatisierung“. Eine Politik, die | |
solche Stigmata gegenüber einer der verletzlichsten Gruppen der | |
Gesellschaft schüre, befeuere die Probleme, anstatt sie zu lösen. | |
31 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Dokumentation-offener-Brief/!6066333 | |
[2] /Merz-Forderungen-nach-Aschaffenburg/!6059638 | |
[3] /Angriff-auf-Kinder-in-Aschaffenburg/!6064468 | |
[4] /Dokumentation-offener-Brief/!6066333 | |
[5] /Morde-von-Aschaffenburg/!6059650 | |
[6] /Traumareferentin-zu-Aschaffenburg/!6064606 | |
[7] https://www.seelischegesundheit.net/ | |
[8] /Nach-dem-Messerangriff-in-Aschaffenburg/!6059741 | |
## AUTOREN | |
Marco Fründt | |
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