# taz.de -- Nach Karlsruher Urteil zum Klimaschutzgesetz: Union legt Umwelt-Tur… | |
> Innerhalb einer Woche vollzieht die CDU/CSU eine Kehrtwende in Sachen | |
> Klimapolitik. Die Konservativen stehen unter Druck. | |
Bild: Protest 2019 gegen die Tatenlosigkeit der CDU bei der Klimapolitik vor de… | |
Als die Bombe einschlägt, sitzt CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei | |
der „13. Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz“ vor einem Bildschirm, | |
Umweltministerin Svenja Schulze stellt JournalistInnen in Berlin eine | |
Studie über das Umweltbewusstsein der Deutschen vor und die Klimaexperten | |
der Unionsfraktion, Andreas Jung und Anja Weisgerber, reden in Konstanz und | |
Schweinfurt gerade mit ihren Lokalzeitungen. | |
Das Bundesverfassungsgericht, so melden es die Nachrichtenagenturen an | |
diesem Donnerstag, den 29. April, [1][erklärt Teile des Klimaschutzgesetzes | |
(KSG) für verfassungswidrig]. Es beginnt eine Woche, die die deutsche | |
Klimapolitik in eine neue Umlaufbahn befördert. Und in der jahrelange | |
Blockaden in der CDU/CSU plötzlich wegschmelzen wie Gletscher im | |
Hochsommer. | |
Als sie die Nachrichten sehen, wissen die PolitikerInnen: Da öffnet sich | |
völlig unerwartet eine Tür. „Da müssen wir durchgehen“, ist der Gedanke … | |
Umweltministerium. Noch am Donnerstag wird ein Stab zusammengetrommelt, um | |
ein neues KSG zu formulieren. Altmaier begrüßt auf Twitter das Urteil als | |
„epochal für Klimaschutz & Rechte der jungen Menschen“, [2][er will den Ton | |
setzen]. Auch bei Jung und Weisgerber klingen die Telefone: Die | |
Fraktionschefs fordern ein Konzept, die Parteichefs rufen nach Aktion. | |
Armin Laschet fordert „Ambition, Anstrengung, Aufbruch“, Markus Söder sieht | |
die Union als „Schrittmacher“. | |
Das wird sie tatsächlich. Nach einem harten Wochenende stehen am | |
Montagvormittag Armin Laschet und Andreas Jung in der Berliner CDU-Zentrale | |
vor der Presse. Laschet, der noch vor seiner Wahl zum CDU-Chef davor | |
warnte, die deutsche Industrie durch „überzogene Klimaschutzmaßnahmen zu | |
ruinieren“, verkündet weitreichende Ökoziele: Verschärfung des Klimaziels | |
2030 von minus 55 auf 65 Prozent, höhere CO2-Preise, Klimaneutralität | |
„deutlich vor 2050“. Bislang waren solche Ziele für die Union | |
Folterinstrumente aus dem Werkzeugkasten der Grünen. Ein Deutschland, das | |
keine Treibhausgase mehr ausstößt, war eine ferne Vision. | |
## Tenor: Auch die CDU kann Klimapolitik | |
Jetzt wird es ganz konkret. Dafür hat die Union Jung. Der Fraktionsvize vom | |
Bodensee ist einer der ganz wenigen Unionspolitiker, die bei Ökofragen | |
sattelfest sind. Bisher wurde seine Stimme in der Fraktion kaum gehört, | |
aber 2019 – [3][als der Youtuber Rezo die Union wegen ihrer Klimapolitik | |
zur politischen „Zerstörung“ freigab] – schrieb er für die Parteichefin | |
Kramp-Karrenbauer das Konzept für eine „grüne Null“. Tenor: Auch die CDU | |
kann Klimapolitik, mit neuen Technologien, Investitionen und einer | |
Steuerreform. | |
Nun sagt Andreas Jung mit der Rückendeckung des CDU-Präsidiums, man müsse | |
das Klimaziel ohnehin anheben, weil man es in der EU beschlossen habe. „Das | |
ist eine Chance, die wir ambitioniert und beherzt angehen sollten.“ | |
Klimaschutz soll nicht mehr wehtun, sondern Spaß machen und Geld bringen, | |
das ist die Losung. | |
Dann geht es Schlag auf Schlag. Am Dienstag beraten die Fraktionen von SPD | |
und Union, am Mittwoch präsentiert das Umweltministerium dem Kanzleramt | |
[4][einen Gesetzentwurf], in dem das neue Ziel „Klimaneutralität 2045“ | |
steht, am Donnerstag rühmt sich damit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der | |
Weltgemeinschaft beim „Petersberger Klimadialog“. In einer Woche haben CDU | |
und CSU Positionen in der Klimapolitik bezogen, die bislang als verseuchtes | |
Terrain galten. | |
Bis zum 29. April galt noch die Marschrichtung: Abwarten, was im Sommer die | |
EU vorlegt. Plötzlich müssen die ChristdemokratInnen den Umwelt-Turbo | |
einschalten. In dieser Woche stellt sich bei der Konrad-Adenauer-Stiftung | |
ein neuer Klimathinktank vor, unions- und wirtschaftsnah: „Epico | |
KlimaInnovation“ lädt zu einem „Policy Accelerator“ – einem | |
Politikbeschleuniger. | |
## Doch nicht mehr nur Ökogedöns | |
Plötzlich finden die Stimmen Gehör, die sonst vor allem in der | |
Bundestagsfraktion nur als Ökogedöns abgetan wurden. [5][Seit ein paar | |
Wochen gibt es die „KlimaUnion“], wo vor allem junge konservative | |
PolitikerInnen der zweiten und dritten Reihe die Regierung in bester | |
„Fridays for Future“-Manier vor sich hertreiben, etwa indem sie | |
Klimaneutralität schon 2040 fordern. | |
„Ich wehre mich gegen diese Vorstellung, die Union hätte keine | |
Umweltkompetenz“, sagt Anja Weisgerber. „Wir waren nicht blank bei dem | |
Thema: Wir haben den CO2-Preis eingeführt, im Konjunkturprogramm 40 | |
Milliarden für Klimaschutz gesichert und beim EEG nachgebessert.“ Für sie | |
ist der Ökoschwenk der Partei „eine konsequente Fortsetzung unserer | |
Politik“. | |
Andreas Jung sagt: „Für uns als Rechtsstaatspartei ist nach der | |
Entscheidung des Verfassungsgerichts doch klar: Es ist unser Gesetz, das da | |
nachgebessert werden muss – und dann müssen wir das jetzt auch tun, noch | |
vor der Wahl.“ Und gegen die EU-Vorschriften, unter einer CDU-Kanzlerin | |
durchgesetzt und von einer CDU-Kommissarin Ursula von der Leyen | |
vorangetrieben, könne und wolle sich die Partei nicht wehren. | |
Zudem haben die Bremser in Partei und Fraktion an Macht verloren. Die | |
Abgeordneten Georg Nüßlein und Joachim Pfeiffer, lange Kritiker der | |
Energiewende, sind nach Maskendeal- und Nebenjob-Affäre aus dem Rennen. Die | |
umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, Marie-Luise Dött, kann am Tag | |
nach dem Urteil im ARD-Morgenmagazin keinen triftigen Grund nennen, warum | |
das Urteil nicht umzusetzen sei. Friedrich Merz warnt erst vor einem | |
„gesetzgeberischen Schnellschuss“, wird aber von Laschet gekontert: Das sei | |
„kein Schnellschuss, sondern ein lang durchdachtes Konzept“. | |
## Der berüchtigte Wirtschaftsflügel wagt keinen Aufstand | |
In der Fraktion gibt es Nachfragen, ob diese „Riesen-Herausforderung“ nicht | |
die Wirtschaft überlaste. Der berüchtigte Wirtschaftsflügel in der Union, | |
seit Jahrzehnten von Umweltpolitikern, Ministerialbeamten und Kanzleramt | |
gefürchtet, wirkt überrumpelt, wagt keinen Aufstand – vielleicht, weil auch | |
große Teile der Wirtschaft längst Richtung Klimaschutz unterwegs sind. | |
Jung und Weisgerber haben auch strategisches Glück. Zwei Tage, bevor das | |
Verfassungsgericht sein Urteil verkündet, stellen die Thinktanks Agora | |
Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität eine Studie | |
vor, die ihnen als Grundlage dient: „Klimaneutrales Deutschland 2045“. | |
Die Untersuchung rechnet vor, wie der Pfad zu diesem gelingen könnte: mit | |
etwa dreimal so schnellem Ausbau von erneuerbaren Energien, einem Ende | |
neuer Verbrennungsmotoren ab 2032, noch mehr Wasserstoff in der Industrie, | |
doppelt so schneller Sanierung von Gebäuden, 14 Millionen Elektroautos bis | |
2030 und mit deutlich weniger Rindern und Schweinen. Das Szenario spart | |
nicht nur eine Milliarde Tonnen CO2, sondern setzt auf technische Lösungen | |
und sei machbar ohne „weitergehende Verhaltensänderungen in Form von | |
Konsumeinschränkungen“. | |
## Der Sound, um grün zu werden | |
Das ist der Sound, den die Union braucht, um grün zu werden. Wie erreicht | |
man diese Ziele? Dafür braucht es Kompromisse für den schnelleren Ausbau | |
der Erneuerbaren. Die Union plädiert vor allem für einen höheren CO2-Preis | |
im Verkehr und beim Heizen, die SPD sträubt sich, weil sie soziale Härten | |
fürchtet. | |
Ein Vorschlag der Agora Energiewende baut auch hier eine Brücke: Wenn die | |
Regierung den CO2-Preis, wie von der CSU vorgeschlagen, für 2022 auf 45 | |
statt 30 Euro anhebt und den Strompreis senkt, könnte ein | |
durchschnittlicher Haushalt im Jahr etwa 100 Euro Stromkosten sparen. | |
Benzin würde dagegen um 13 Cent, Diesel und Heizöl um 14 Cent pro Liter | |
teurer, zeigt die Rechnung. Ökostrom würde ent-, fossile Brennstoffe | |
belastet. | |
Noch ist unklar, wie das neue Klimaschutzgesetz durch Regierung und | |
Parlament kommt. Noch ist unsicher, ob diese Koalition sich über den Sommer | |
und mitten im Wahlkampf noch zu solchen Maßnahmen zusammenrauft, die das | |
extrem ehrgeizige Ziel „Klimaneutralität 2045“ halbwegs erreichbar machen. | |
Doch was der Union bleibt, ist der Druck. | |
Sie sind Antreiber, aber auch Getriebene. Eine Kehrtwende, die bei der | |
Abschaffung der Wehrpflicht Jahre und beim Atomausstieg Monate dauerte, | |
haben die Konservativen diesmal in einer Woche vollzogen. Ohne diese Flucht | |
nach vorn böten sie den Grünen im Wahlkampf eine offene Flanke – mit einer | |
Klimapolitik, die laut Bundesverfassungsgericht gegen das Grundgesetz | |
verstößt und die Freiheitsrechte der kommenden Generation missachtet. | |
Und der Druck wächst. In den Wahlumfragen des aktuellen ARD- | |
„Deutschlandtrends“ liegt die Union mit 23 Prozent das erste Mal seit zwei | |
Jahren wieder hinter den Grünen. | |
8 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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