| # taz.de -- Wolfgang Schäuble über Zustand der Union: „Demokratie allein hi… | |
| > Wolfgang Schäuble (CDU) warnt vor dem Niedergang der Volksparteien und | |
| > autoritären Tendenzen. Ein Gespräch über Parteien und Populismus. | |
| Bild: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Plenum am 25. März 2021 | |
| taz: Herr Schäuble, [1][die Union liegt nach Umfragen gleichauf mit den | |
| Grünen]. Ist das die Endphase der letzten deutschen Volkspartei? | |
| Wolfgang Schäuble: Keine Sorge. Aber richtig ist, dass sich die klassischen | |
| Volksparteien in allen westlichen Demokratien unter wahnsinnig großem | |
| Veränderungsdruck befinden. Auch wenn die Union in Zahlen besser dasteht | |
| als die Sozialdemokraten, haben auch wir diese Herausforderung bislang | |
| nicht richtig gut gemeistert. Wir müssen deshalb nicht zwangsläufig Neues | |
| erfinden, sondern mit diesen erfahrenen Tankern bessere Antworten auf die | |
| disruptiven Veränderungen dieser Welt entwickeln. Das ist die Aufgabe. | |
| Ist es schlimm, wenn [2][die Volksparteien untergehen?] | |
| Es wäre ein großer Verlust, ja. Volksparteien versuchen, alle Schichten und | |
| Gruppen der Gesellschaft anzusprechen und aufgrund ihrer Werte Lösungen | |
| vorzuschlagen, die für alle grundsätzlich akzeptabel sind. Ohne solche | |
| Parteien kann ich mir das repräsentative System nicht stabil vorstellen. Wo | |
| kommt eine Demokratie denn hin, wenn sie nur noch Stimmungen widerspiegelt? | |
| Gerade in einer Zeit, in der die Veränderungen so groß und so schnell sind | |
| und Stimmungen so volatil, brauchen wir Strukturen, die eine gewisse | |
| Stabilität geben. | |
| Die Individualisierung nimmt zu, Kollektive wie Kirche, Arbeiterklasse, | |
| Gewerkschaften verlieren an Bedeutung – sind da [3][Milieuparteien wie die | |
| Grünen nicht einfach die Zukunft?] | |
| Das mag im Einzelfall zutreffen. Die Entwicklung der Piratenpartei hat aber | |
| auch gezeigt, dass nicht alles Neue funktioniert. Oder schauen wir nach | |
| Frankreich: Präsident Macron hat keine Partei im klassischen Sinn hinter | |
| sich. [4][„La République en Marche“ ist eine Bewegung. Der Unterbau fehlt. | |
| Die Kommunalwahlen sind für Macron nicht gut ausgegangen], für die | |
| Regionalwahlen im Juni sieht es auch nicht viel besser aus. Was bei der | |
| Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr passiert, kann keiner voraussagen. | |
| Manche glauben, dass die Zukunft der Konservativen im Populismus liegt. Ist | |
| das [5][Modell Kurz in Österreich], also „Liste Sebastian Kurz“ statt ÖVP, | |
| die Zukunft der CDU? | |
| Ob das, was Sebastian Kurz in Österreich bislang erfolgreich macht, | |
| nachhaltig ist, bleibt abzuwarten. Ich habe vor ein paar Jahren mal zu Jens | |
| Spahn gesagt: Probieren Sie doch, aus der CDU die Liste Jens Spahn zu | |
| machen. | |
| Wirklich? | |
| Das war natürlich nicht ernst gemeint. | |
| Wäre die Entscheidung für Söder als Kanzlerkandidaten ein Schritt in | |
| Richtung Kurz gewesen? | |
| Mein Argument in der [6][Frage Söder oder Laschet] war doch zunächst ein | |
| anderes und ganz einfaches: Die CSU und Markus Söder nehmen keinen Schaden, | |
| wenn Armin Laschet Kanzlerkandidat wird. Umgekehrt wäre das, so kurz nach | |
| der Wahl des Parteivorsitzenden, anders gewesen. Mit einer beschädigten CDU | |
| lässt sich aber kein Wahlkampf führen. Deshalb ist bei der Entscheidung | |
| zwischen zwei sehr starken Kandidaten Armin Laschet für die Unionsparteien | |
| die richtige Lösung. Ich habe ja gelesen, wir seien im Reichstag zusammen | |
| gewesen… | |
| Sie haben sich dort am späten Sonntagabend – bevor sich der CDU-Vorstand | |
| dann vor drei Wochen in einer Abstimmung für Laschet ausgesprochen und | |
| Söder seine Ambition zurückgezogen hat – zu einem letzten Gespräch | |
| getroffen. Mit den Parteichefs und den Generalsekretären, mit Volker | |
| Bouffier und Alexander Dobrindt. | |
| Wenn es so war, dann erinnere ich mich, dass wir nicht zerstritten | |
| auseinander gegangen sind. Ich habe gleich zu Beginn gesagt, ich bin ein | |
| alter Mann, ich bin nicht Angela Merkel und kann nicht die ganze Nacht | |
| durchhalten. Markus Söder hat sich am Ende für die CSU bedankt und gesagt, | |
| es war ein nützliches Gespräch, das müssten sie jetzt sacken lassen. Wir | |
| wussten alle nicht, was Markus Söder am Montag in seiner Pressekonferenz | |
| sagen würde. Atmosphärisch hat es jedenfalls nicht geschadet. | |
| Warum ist [7][Armin Laschet der richtige Kanzlerkandidat für die Union]? | |
| Armin Laschet kann standhaft Kurs halten. Das hat er in der | |
| Flüchtlingspolitik, bei der Integrationspolitik und auch bei der | |
| Europapolitik gezeigt – oft gegen die vermeintliche Mehrheitsmeinung in der | |
| Union. Laschet hat in der Pandemie die Grenzen zu Belgien und den | |
| Niederlanden nicht zugemacht. Er hat in vielen Dingen Mut bewiesen. Und er | |
| macht das in einer Art, die nicht provoziert und auseinander treibt. Das | |
| ist wichtig in dieser Zeit. | |
| Genau dieses Verständnis von Volkspartei hat Söder despektierlich Kohl 2.0 | |
| genannt. Ist die Volkspartei der Kohl-Ära die Zukunft der Union? | |
| Armin Laschet hat in seinem Kabinett Typen wie Karl-Josef Laumann, den | |
| Innenminister Herbert Reul und Serap Güler, die | |
| Integrationsstaatssekretärin. Das zeigt personell und inhaltlich die | |
| Bandbreite einer echten Volkspartei. Diese Persönlichkeiten muss Laschet | |
| zusammenhalten und dabei trotzdem führen. Man muss starke Menschen um sich | |
| herum akzeptieren können. Diese Balance zwischen Zusammenhalt und Führen | |
| schafft Armin Laschet. Und ich bin mir sicher, dass sich diese hohen | |
| Qualitäten im Wahlkampf vermitteln lassen und durchsetzen. | |
| Laschet und Söder verkörpern verschiedene Politikmodelle. Hier Volkspartei, | |
| dort Populismus. Söder hat die Basis gegen die Gremien in Stellung gebracht | |
| und letztere als Hinterzimmerrunde diffamiert. | |
| Dafür hat er sich entschuldigt. In gewählten Gremien bilden sich die ganze | |
| Bandbreite innerparteilicher Strömungen und die Vielfalt an Meinungen ab. | |
| Und die müssen sichtbar sein. Aber natürlich braucht auch die Demokratie | |
| Führung, insofern war das die Sehnsucht nach einem der sagt, wo es lang | |
| geht. | |
| Weniger Partei, weniger Struktur, dafür oben eine starke, charismatische | |
| Figur. Für dieses Modell stehen Söder, Kurz, Macron. Dieses Modell finden | |
| Sie… | |
| … nicht unproblematisch. | |
| Für die Demokratie? | |
| Ja. Auch wenn ich keinem der von Ihnen Genannten unlautere Motive | |
| unterstelle, im Gegenteil. | |
| Worin liegt die Gefahr? | |
| In der Bewegung, in der ungelösten Frage, was eigentlich danach kommt. Wenn | |
| es nicht mehr funktioniert, werden irgendwann die Rufe nach dem starken | |
| Mann laut – oder, wie in Frankreich, vielleicht nach der starken Frau. Oder | |
| es endet auf den Stufen des Kapitols. | |
| Sie setzen dagegen auf Verfahren und Gremien? | |
| Es ist eine alte Staats- und Politiklehre seit den griechischen Denkern: | |
| Demokratie alleine hilft uns nichts, es braucht die Beschränkung der | |
| Mehrheit. Auch Erdogan ist mit demokratischen Mehrheiten gewählt worden. | |
| Eine freiheitliche Ordnung kann nur mit Institutionen stabil sein. Das | |
| müssen nicht die alten sein, und diese müssen sich verändern können. Ich | |
| suche ja auch nach neuen Wegen, etwa mit der Idee von Bürgerräten, aber | |
| nicht um das Prinzip der Repräsentation zu ersetzen, sondern um die | |
| Verfahren der parlamentarischen Demokratie zu stärken. | |
| [8][Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte sich für Söder | |
| ausgesprochen] und gesagt, Vertrauen und Charaktereigenschaften würden bei | |
| einem Kandidaten keine Rolle spielen, allein die Umfragen seien | |
| entscheidend… | |
| Ich schätze Reiner Haseloff sehr, aber diesen Satz teile ich nicht. | |
| Warum? | |
| Weil man doch nicht im Ernst sagen kann, auf den Charakter kommt es nicht | |
| an. Und wer wollte im Übrigen Herrn Söder Charakter absprechen? | |
| Wenn es, wie in Sachsen-Anhalt, für die CDU eng wird, ist man anfälliger | |
| für populistische Versuchung. Das zeigt auch die [9][Nominierung von | |
| Hans-Georg Maaßen zum Direktkandidaten in Thüringen]. | |
| Reiner Haseloff will zuerst mal eine Wahl gewinnen und das muss er, wenn er | |
| gestalten will. Herr Maaßen ist wiederum Mitglied der CDU und von den | |
| zuständigen Gremien nominiert worden. Auch das ist eben Volkspartei und, | |
| wie Armin Laschet richtig gesagt hat, etwas ganz anderes, als wenn in | |
| Thüringen mit der AfD ein Ministerpräsident gewählt wird. | |
| Herr Maaßen weicht die Grenze zur AfD auf. | |
| Auch für ihn gilt der Beschluss der CDU: Es gibt keine Zusammenarbeit mit | |
| der AfD. Er begründet seine Kandidatur doch gerade damit, dass er die AfD | |
| effizienter bekämpfen könne als andere. Und dabei kann ich ihm nur jeden | |
| Erfolg wünschen. | |
| In [10][Baden-Württemberg hat sich ein Rollenwechsel zwischen CDU und | |
| Grünen] vollzogen… | |
| Was am Ende die Folge einer basisdemokratischen Mitgliederentscheidung aus | |
| dem Jahr 2004 ist, bei der es um die Nachfolge von Erwin Teufel ging. Die | |
| Spaltung der CDU in Baden-Württemberg von damals wirkt immer noch nach. | |
| Die Grünen haben in Baden-Württemberg die Hegemonie in der bürgerlichen | |
| Mitte erobert, die CDU hat sie verloren. Geschieht das jetzt auch auf | |
| Bundesebene? | |
| Die Grünen probieren es. Ich habe Respekt vor Frau Baerbock, sie ist eine | |
| eindrucksvolle Persönlichkeit, und auch vor Herrn Habeck, aber beide sind | |
| nicht Winfried Kretschmann. Ich sehe innere Widersprüche in der | |
| Anhängerschaft der Grünen und die werden sich verstärken. Ich sage es immer | |
| gerne mit Lessings Nathan: Wie viel leichter andächtig schwärmen statt gut | |
| zu handeln. Schwärmen ist aber keine Politik. Wenn ich sehe, wie wenig | |
| konkret Frau Baerbock in vielem bleibt, dann glaube ich, dass sie etwas | |
| ahnt von dieser Last, die im Handeln liegt. Parteien müssen diese Last, | |
| diese Verantwortung tragen. Bewegungen setzen sich darüber leicht hinweg. | |
| 9 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Fuenf-Monate-bis-zur-Bundestagswahl/!5763390 | |
| [2] /Politologe-ueber-die-Krise-der-Demokratie/!5765890 | |
| [3] /Gruene-Kanzlerkandidatin-Baerbock/!5767020 | |
| [4] /En-Marche-in-Frankreichs-Parlament/!5687058 | |
| [5] /Luege-und-Wahrheit-in-der-Politik/!5763151 | |
| [6] /Die-Krise-der-Union/!5763297 | |
| [7] /Laschets-Kampf-um-Kanzlerkandidatur/!5760875 | |
| [8] /Kampf-um-Kanzlerkandidatur-der-Union/!5766681 | |
| [9] /Hans-Georg-Maassen-will-in-den-Bundestag/!5763546 | |
| [10] /Koalitionsvertrag-in-Baden-Wuerttemberg/!5770279 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Stefan Reinecke | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Wolfgang Schäuble | |
| Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
| GNS | |
| CDU/CSU | |
| Volkspartei | |
| Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
| Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
| Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Kolumne Die Woche | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| CDU/CSU | |
| Kolumne Macht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Unteilbar-Aktivistin zu Sachsen-Anhalt: „Zivilgesellschaft ist in Gefahr“ | |
| Das Bündnis Unteilbar mobilisiert zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. | |
| Initiatorin Susanne Wiedemeyer über mögliche Folgen, sollte die AfD | |
| stärkste Kraft werden. | |
| Vor Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: AfD liegt vorn | |
| Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Eine neue Umfrage sieht die AfD | |
| nun knapp vor der CDU. Für eine Kenia-Koalition würde es so nicht mehr | |
| reichen. | |
| AfD vor Landtagswahl Sachsen-Anhalt: Der müde Sturm | |
| Die AfD in Sachsen-Anhalt wirkt verbraucht, punkten will sie mit schrillen | |
| Positionen. Ihr Spitzenmann ist ein Ex-Schrottautohändler. | |
| Nach der Bundestagswahl 2021: Streit um Laschets Rückfahrkarte | |
| Armin Laschet will ein Gerücht stoppen: Er rechne schon mit einer | |
| Niederlage bei der Bundestagswahl und wolle sich eine Rückfahrkarte nach | |
| NRW sichern. | |
| Innere Sicherheit und Altersischerung: NSU 2.0, CDU 08/15 und Rente ab nie | |
| Good News: bei Hessens Polizei lassen sich sensible Daten künftig nicht | |
| mehr so leicht bestellen wie Pommes. Und die Jugend kann die Alten | |
| verklagen. | |
| Nach Karlsruher Urteil zum Klimaschutzgesetz: Union legt Umwelt-Turbo ein | |
| Innerhalb einer Woche vollzieht die CDU/CSU eine Kehrtwende in Sachen | |
| Klimapolitik. Die Konservativen stehen unter Druck. | |
| Wahlkampfstrategie der CDU: Die neue Dagegenpartei | |
| Es gab Zeiten, da galten die Grünen als die Partei, die Projekte | |
| verhindert, anstatt sie voranzutreiben. Heute hat die CDU diese Rolle | |
| übernommen. | |
| Westliches Wertesystem: Schäubles leise Sätze | |
| Der Bundestagspräsident attestiert dem Westen einen | |
| Glaubwürdigkeitsverlust. Man sollte genauer hinhören und darüber reden. |