| # taz.de -- NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: Altbau mit Nazivergangenh… | |
| > In der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sollen | |
| > bald Opern aufgeführt werden. Ein Sieg der Kultur oder | |
| > Geschichtsvergessenheit? | |
| Bild: Blick auf die Kongresshalle in Nürnberg am Dutzendteich | |
| Schön hässlich ist es hier. Kira Krüger, Florin Weber und Max Pospiech | |
| stehen auf der kleinen Aussichtsplattform am Rande des Innenhofs der | |
| Nürnberger Kongresshalle. Die jungen Künstler schauen in das [1][Halbrund | |
| dieses Mega-Kolosseums]. Ein Bauwerk, das sie im vergangenen Jahr schwer | |
| beschäftigt hat – und noch immer nicht loslässt. Dort unten sieht man | |
| vereinzelt Bauarbeiter herumlaufen, ein Bagger schüttet einen Erdhaufen | |
| auf, ein Teil der Fassade ist eingerüstet. | |
| Für nicht Ortskundige sollte man es vielleicht sicherheitshalber erklären: | |
| Es handelt sich bei der Kongresshalle nicht um irgendein Messezentrum, wie | |
| der Name einen anzunehmen verleiten könnte. Vielmehr ist die Kongresshalle | |
| nach dem von der NS-Organisation Kraft durch Freude errichteten | |
| [2][Ostseebad Prora auf Rügen] der größte erhaltene Monumentalbau der | |
| Nazis. Wobei: „Erhalten“ trifft es nicht ganz. Denn obwohl die Nazis schon | |
| seit 1933 hier in Nürnberg ihre Reichsparteitage abhielten, wurde nur ein | |
| kleiner Teil des 11 Quadratkilometer großen Geländes bis Kriegsausbruch | |
| tatsächlich fertiggestellt: das Zeppelinfeld mit der Zeppelintribüne etwa. | |
| Auch die Luitpoldarena stand bereits und beherbergte zunächst – quasi | |
| provisorisch – die Parteikongresse. Das Deutsche Stadion oder das Märzfeld, | |
| wo eine Fläche für gigantische Aufmärsche und Schaumanöver entstehen | |
| sollte, blieben dagegen unvollendet. Auch die Kongresshalle wurde nie | |
| fertig gebaut. | |
| Dennoch ist es ist ein monströser, dem Kolosseum in Rom nachempfundener, | |
| hufeisenförmiger Bau, neoklassizistisch bis zum Gehtnichtmehr, 39 Meter | |
| hoch. Fast doppelt so hoch hätte er werden sollen, obendrüber hatten sich | |
| die Baumeister der Nazis ein riesiges, freitragendes Dach vorgestellt. | |
| Hitler wollte hier seinen eigenen Tempel errichten, vor der Kulisse | |
| herrschaftlicher Architektur die Parteikongresse der NSDAP inszenieren. | |
| Doch kurz nach Kriegsausbruch kamen die Bauarbeiten zum Erliegen. | |
| Nach dem Krieg ging die Halle wie der Großteil des Geländes in den Besitz | |
| der Stadt über. Die erste Reaktion in den 50er und 60er Jahren war, die | |
| unliebsamen Erinnerungsstücke zu beseitigen, als könnte man mit den Bauten | |
| auch die Vergangenheit selbst eliminieren. So wurde die Luitpoldarena | |
| abgerissen; die Türme des Märzfeldes und die Pfeilerkolonaden der | |
| Zeppelintribüne wurden ebenfalls gesprengt. | |
| Das Gelände wurde zur Naherholung genutzt, auch das Nürnberger Volksfest, | |
| ein Autorennen und Konzerte fanden hier statt. [3][1978 stand auf dem | |
| Zeppelinfeld Bob Dylan auf der Bühne] – vor 70.000 Leuten und genau | |
| gegenüber der Bühne, auf der sich einst Hitler hatte bejubeln lassen. | |
| [4][Er wisse, wo und warum er diesen Song heute spiele], kündigte er | |
| „Masters Of War“ an. Seit 1997 findet auf dem Gelände auch das | |
| Open-Air-Festival „Rock im Park“ statt. | |
| Und die Kongresshalle? Stand da so rum. | |
| Immer wieder hat sich die Stadt die Frage gestellt: Was tun mit diesem | |
| steinernen Koloss? Eine quälende Frage. Mal überlegte man sich, die Halle | |
| in ein Fußballstadion umzufunktionieren, mal, ein Einkaufszentrum daraus zu | |
| machen. Die Pläne zerschlugen sich allesamt, stammten auch aus einer Zeit, | |
| in der man so etwas wie Erinnerungskultur kein allzu großes Gewicht beimaß. | |
| Was man stattdessen knapp 80 Jahre lang tat, war – nichts. Ein paar der | |
| Räumlichkeiten wurden zu Lagerzwecken vermietet, etwa an den Kanuverein, | |
| der seine Bötchen gleich nebenan auf dem Dutzendteich zu Wasser lassen | |
| konnte. Oder an Schausteller, die ihre Buden dann auf dem Volksfest hinter | |
| der Halle aufbauten. | |
| ## Erlebbarer Größenwahn | |
| Neuen Schwung bekam die Debatte erst, als die Stadt im Jahr 2021 die Idee | |
| gebar, ihrem Opernhaus hier ein zumindest zeitweiliges Obdach zu gewähren. | |
| Vom „Operninterim“ ist seither die Rede. Obwohl die Sache mit dem Interim �… | |
| aber dazu kommen wir noch. Und nicht nur die Oper sollte hier einen Platz | |
| finden. In einem Teil der Halle, so dachte man sich, könnte man auch ein | |
| paar Ateliers, Proberäume und Galerien unterbringen. Ein richtiges | |
| Kulturzentrum eben. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gab die passende | |
| Parole dazu aus: einen Ort der Unkultur mit Kultur besetzen. | |
| Max Pospiech, Kira Krüger und Florin Weber halten wenig von diesem Ansatz. | |
| „Es geht der Stadt doch nur darum, diesen Ort zu heilen, um ihn | |
| verwertbarer zu machen“, sagt Pospiech. Krüger klagt, dass zu wenig auf das | |
| NS-Erbe eingegangen werde, und Weber erinnert an die Sprengung der Türme | |
| auf dem nahen Märzfeld in den 60er Jahren. Das sei dasselbe Prinzip | |
| gewesen: „Historische Nazistätten sollen unsichtbar gemacht werden.“ | |
| Die drei haben im vergangenen Herbst mit fünf Mitstreitern, allesamt | |
| Studentinnen und Studenten der Kunstakademie Nürnberg, im [5][Kunstverein | |
| Nürnberg] eine Ausstellung zum Thema gemacht. Zur Geschichte der | |
| Kongresshalle, aber auch zu der nun geplanten Nutzung. [6][„Zentrale für | |
| kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle“] | |
| nannte sich das Kollektiv kurz und bündig. | |
| Jetzt also stehen sie hier und blicken in das Innere dieses riesigen | |
| Hufeisens. Für sie hat vor allem diese Ödnis eine ganz besondere Bedeutung, | |
| dieses Nichts an der Stelle, an der die Nationalsozialisten sich so | |
| Pompöses ausgemalt hatten, dem Führerkult huldigen wollten. „Das macht | |
| einerseits diesen Größenwahn erlebbar“, sagt Pospiech, „andererseits aber | |
| auch dieses Scheitern. Das ist ja ein Unterschied, ob ich da eine Tafel | |
| lese oder persönlich spüre, was das bedeutet.“ Dieses Erleben würde doch | |
| stark beeinträchtigt, findet der 28-Jährige, wenn da nun ein Opernhaus in | |
| dem Halbrund stünde. Leer ist was anderes. | |
| ## Eine Art Schlussstrich? | |
| In der Tat soll das neue Opernhaus direkt in den Hof der Kongresshalle | |
| gebaut werden, an die nordwestliche Seite. Das steht bereits fest. Wie | |
| allerdings das Gebäude aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Erst am 10. | |
| Juli wird der von einer Kommission ausgewählte Entwurf präsentiert. Eine | |
| Woche später soll ihn der Stadtrat absegnen. Das Gebäude soll jedenfalls, | |
| so die Vorgabe, den eigentlichen Theaterraum sowie eine Probebühne und | |
| einen Orchesterprobensaal beinhalten, die weiteren notwendigen | |
| Räumlichkeiten sollen im bestehenden Rundbau der Kongresshalle selbst | |
| untergebracht werden. | |
| Dort sollen auch die Ateliers und Proberäume Platz finden, von | |
| „Ermöglichungsräumen“ sprechen sie im Rathaus gern. Für sie sollen 4 der… | |
| Segmente des Rundbaus hergerichtet werden – eine Fläche von insgesamt 7.000 | |
| Quadratmetern. „Ein einzigartiger und innovativer Kulturort“ solle es | |
| werden, der „mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete | |
| Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert“, heißt es in der Rathaus-PR. | |
| Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte allzu sehr in die | |
| Zukunft gerichtet ist, so fürchten nun Kritiker, könnte der so wichtige | |
| Blick in die Vergangenheit getrübt werden. „Das ist, glaube ich, eher eine | |
| Art Schlussstrich, der hier gezogen werden soll“, meint auch Pospiech. „Die | |
| Stadt versteht das jetzt als freie, neutrale Fläche, und die soll genutzt | |
| werden.“ Viel länger und breiter hätte man seiner Meinung nach über das | |
| Bauprojekt diskutieren müssen. „Jetzt wird es einfach gemacht – noch dazu | |
| unter einem Zeitdruck, der hausgemacht ist.“ | |
| Mit dem hausgemachten Zeitdruck spielt Pospiech darauf an, dass die Stadt | |
| sich anfangs durchaus Zeit gelassen hat. Denn dass das bisherige Opernhaus | |
| in einem sehr maroden Zustand ist und dringend einer Sanierung unterzogen | |
| werden muss, ist seit vielen Jahren bekannt. Doch lange tat sich nichts. | |
| Erst als vor drei Jahren die Überlegung aufkam, der Oper im Hof der | |
| Kongresshalle eine neue Heimstatt zu bieten, ging plötzlich alles ganz | |
| schnell. Noch im Dezember 2021 entschied der Stadtrat einmütig, dass die | |
| Oper während der Sanierung und Erweiterung des Stammhauses dorthin ziehen | |
| solle. | |
| Ihrer Ausstellung haben die Studenten den Titel „Always complain, always | |
| explain“ gegeben – in Anspielung auf die PR-Maxime des britischen | |
| Königshauses („Never complain, never explain“). „Wir haben das umgedreht… | |
| erzählt Florin Weber, „als eine Art von Aufforderung, aber auch als eine | |
| Art Kritik.“ Denn einen Mangel an Erklärungen, an Transparenz halten die | |
| jungen Leute auch ihrer Stadt vor. Einen Impuls habe man mit der | |
| Ausstellung geben wollen und den Menschen etwas Informationen an die Hand. | |
| Denn die hat bislang nicht jeder. So sollen sich Stadträte nach der | |
| entscheidenden Sitzung beschwert haben, dass ihnen ein kritischer Bericht | |
| einer Oberkonservatorin des Landesamts für Denkmalpflege vorenthalten | |
| worden sei. Hätten sie diesen gekannt, hätten sie womöglich anders | |
| abgestimmt. Auch dass sich Angestellte der Stadt, etwa Mitarbeiter des | |
| Dokumentationszentrum zu der Sache öffentlich nicht äußern dürfen, monieren | |
| die Künstlerinnen und Künstler, sprechen von einem „Maulkorb“. | |
| In der Ausstellung konnten Besucherinnen und Besucher auch Fragebogen | |
| ausfüllen, Fragen beantworten wie: „Wann haben Sie von dem Bauvorhaben | |
| erfahren?“ Oder – überhaupt nicht suggestiv: „An welcher Stelle wären, | |
| Ihrer Meinung nach, die 211 Mio. in der freien Kunst- und Kulturszene | |
| besser investiert?“ Die Fragebogen sollen nun in eine Zeitkapsel gesteckt | |
| und auf dem Gelände der Kongresshalle als „Grundstein vor dem Grundstein“ | |
| vergraben werden. | |
| Es ist freilich nicht nur eine Handvoll Studierender, die an dem Projekt | |
| Anstoß nimmt. So glaubt der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis, bis vor | |
| kurzem Direktor des Kunstvereins Nürnberg, dass die Stadt Nürnberg mit | |
| ihrer Entscheidung in Sachen Erinnerungskultur einen großen Schritt | |
| rückwärts geht. Kultur statt Unkultur? Die Kunstgeschichtsforschung habe in | |
| den vergangenen 20 Jahren sehr viel erreicht und gezeigt, dass man sich mit | |
| dem Thema NS-Kunst auch anders beschäftigen könne als mit | |
| Schwarz-Weiß-Malerei. „Und jetzt wird das wieder aus der Mottenkiste | |
| gezogen. Ich fürchte, dass die Komplexität da flöten gehen könnte.“ | |
| ## Wiedergutwerdung eines Nazibaus? | |
| Es ist die Befürchtung, dass die Kunst von dem, was ihr da abverlangt wird, | |
| überfordert sein könnte, die einige der Kritiker umtreibt. Er habe zwar | |
| grundsätzlich schon den Eindruck, dass das Thema Nationalsozialismus in | |
| Nürnberg sehr ernst genommen werde, aber wie nun quasi eine | |
| „Wiedergutwerdung“ eines Nazibaus mit Mitteln der Kunst erreicht werden | |
| solle, überzeuge ihn nicht. „Jetzt kommt da die Kultur wie das Kaninchen | |
| aus dem Hut und soll diese Leerstelle, von der ich gar nicht glaube, dass | |
| es sie gibt, füllen. Wie man da so generalstabsmäßig auf die Kunst setzen | |
| kann, ist mir etwas rätselhaft.“ | |
| Auch der Verein Geschichte Für Alle, der historische Führungen durch | |
| Nürnberg veranstaltet, hatte die Pläne von Anfang an kritisiert. Als dann | |
| die Entscheidung für das Operninterim im Innenhof gefallen war, nahm man | |
| dies „mit Bedauern zur Kenntnis“. Der Lernort ehemaliges | |
| Reichsparteitagsgelände werde dadurch dauerhaft und unwiderruflich | |
| verändert. „Als Bildungsträger, der jährlich Hunderttausenden Gästen aus | |
| aller Welt einen vertieften Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus | |
| bei Führungen über das Gelände ermöglicht, wissen wir dabei gerade um den | |
| hohen Stellenwert des (leeren) Innenhofs der Kongresshalle.“ Wenn schon | |
| Operninterim an diesem heiklen Ort, dann, so argumentierte der Verein, wäre | |
| eine Variante, die von außen an den Rundbau angedockt hätte, vorzuziehen | |
| gewesen. | |
| Daraufhin, so berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ), seien die Vertreter | |
| des Vereins als „Ewiggestrige der Erinnerungskultur“ diffamiert worden, man | |
| habe ihnen sogar Eigennutz unterstellt, da sie angeblich nur um die | |
| Attraktivität ihrer Führungen fürchteten. Auf Nachfrage sagt man im Verein | |
| inzwischen nur noch, dass man zu dem Thema nichts mehr sage. | |
| ## Wunsch nach einer kulturellen Nutzung | |
| Einer, der die Kongresshalle ebenfalls besonders gut kennt, ist | |
| Hans-Christian Täubrich. Er war Gründungsdirektor des | |
| [7][Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände] und bis 2014 dessen | |
| Chef, hat sogar ein 180 Seiten starkes Buch über die Kongresshalle | |
| herausgegeben. Er könne sich nicht vorstellen, ließ er die SZ im Interview | |
| wissen, dass Nachfahren von NS-Opfern es goutieren würden, wenn da | |
| plötzlich Menschen in Abendgarderobe in den Innenhof der Kongresshalle | |
| kämen, um Hitlers geliebtem Wagner zu lauschen. | |
| Auch Täubrich verweist auf die Einzigartigkeit des Nazibaus. Es sei eben | |
| nicht irgendeine NS-Kaserne, wie es sie in jeder größeren Kleinstadt gebe. | |
| Hier seien beim Reichsparteitag im September 1935, demselben | |
| Reichsparteitag, bei dem der Grundstein für die Halle gelegt worden sei, | |
| auch die Rassengesetze der Nazis verkündet worden. | |
| Das alles kann man natürlich auch ganz anders sehen. Und das tut Julia | |
| Lehner. Sie ist Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und für die Kultur | |
| zuständig. Manchen gilt die CSU-Politikerin gar als die Erfinderin des | |
| Operninterims in der Kongresshalle. | |
| Von mangelnder Transparenz will Lehner nichts hören. Das Gegenteil sei | |
| schließlich der Fall. Schon im Zuge der Bewerbung um die Kulturhauptstadt | |
| 2019 habe man in einem sehr offenen und partizipativen Prozess sich auch | |
| dem Thema Erinnerungskultur gewidmet. Und dabei habe sich immer mehr | |
| herauskristallisiert, dass der Wunsch besteht, diese bislang der | |
| Öffentlichkeit überwiegend verschlossenen Räume einer weiteren kulturellen | |
| Nutzung zuzuführen. „Zunächst hat man da an Ateliers, an Proberäume, | |
| einfach Räume, durch die Kunst ermöglicht werden kann, gedacht.“ | |
| ## Bürgermeisterin will kulturelle Gräben überwinden | |
| Gleichzeitig habe man sich aber auch auf der Suche nach einem neuen Ort für | |
| die Oper befunden, da das alte Opernhaus überaus sanierungsbedürftig | |
| gewesen sei und schon damals absehbar war, dass es schon allein aus Gründen | |
| des Brandschutzes bald nicht mehr genutzt werden könne. Die Stadt habe | |
| daher geprüft, ob die Oper in eine alte Fabrikhalle ziehen könnte oder in | |
| einen Zeltbau. Doch es hätten sich keine entsprechenden Gebäude oder | |
| Flächen gefunden. | |
| So kam man auf die Kongresshalle. „Für mich war das dann plötzlich sehr | |
| schlüssig“, sagt Lehner. Das Areal gehöre ohnehin der Stadt, Miete falle | |
| also nicht an; es gebe keine weitere Versiegelung von Flächen, das Ganze | |
| sei also eine nachhaltige Angelegenheit. „Außerdem entspricht es meiner | |
| kulturpolitischen Haltung: den Graben zwischen Hochkultur, Subkultur, | |
| Breitenkultur und vermeintlich elitärer Kultur zu überwinden. Durch die | |
| sogenannte freie Szene in den Ermöglichungsräumen und die Oper kommt hier | |
| räumlich einiges zusammen.“ | |
| Auch dass die Kongresshalle dann in puncto Erinnerungskultur ihre Aufgabe | |
| nicht mehr erfüllen könne, will die Politikerin nicht gelten lassen. „Ich | |
| bin selbst Historikerin, und ich habe mich schon während meines Studiums | |
| mit diesem Gelände und seiner Geschichte auseinandergesetzt.“ Sie habe | |
| Zweifel, dass sich Besuchern der diktatorische, menschenverachtende Ansatz | |
| der Nazis allein durch das Betreten und Betrachten des Innenhofs vermittle. | |
| Nichtsdestotrotz sei ja auch dies weiterhin möglich. „Ich glaube nicht, | |
| dass sich die ästhetische Schönheit dieses Areals jetzt so sehr ändern | |
| wird, dass man sagt: Ach, das haben die Nazis aber furchtbar nett gemacht, | |
| das ist ja richtig heimelig.“ Die Kongresshalle werde ja nicht umgebaut. | |
| Ein in Lehners Augen sehr wichtiger Punkt ist, dass in der Kongresshalle im | |
| Unterschied zum Zeppelinfeld und der Zeppelintribüne nie Geschichte | |
| geschehen sei. Natürlich könne man anhand des unvollendeten Baus „diese | |
| Mission dieser Gigantomanie“ nachvollziehen, aber es habe hier eben nie ein | |
| Parteikongress stattgefunden. | |
| ## Kein Masterplan Erinnerungskultur | |
| In der Tat macht es ja für den Umgang mit einer Örtlichkeit einen | |
| Unterschied, was dort geschah oder eben auch nicht geschah. War es ein | |
| Opferort? Ein Täterort? Oder nur ein Möchtegernort? Eine Frage, für die | |
| Jörg Skriebeleit Experte ist. Er leitet die [8][KZ-Gedenkstätte | |
| Flossenbürg]. Es gebe keinen Masterplan Erinnerungskultur, sagt | |
| Skriebeleit, der festlege, welche Stätten in dieser oder jener Form | |
| konserviert werden müssten. Ein solcher Ansatz sei ahistorisch und | |
| apolitisch. | |
| „Solche monströsen Täterhinterlassenschaften wie die Kongresshalle üben | |
| eine Anziehungskraft aus – nicht wegen der Faszination des Grusels, sondern | |
| wegen der erhofften historischen Nähe.“ Skriebeleit, selbst bekennender | |
| Opernbanause, war Mitglied der Jury, die entschied, wo auf dem | |
| Kongresshallengelände der Opernbau stehen soll. „Ich persönlich habe | |
| zugestimmt, weil ein Interim eine Übergangslösung ist und die immer wieder | |
| notwendige Befragung ermöglicht“, sagt Skriebeleit. „Ich halte es | |
| tatsächlich für notwendig, dieses Areal, auch die Kongresshalle, immer | |
| wieder neu zu dimensionieren, zu befragen, ohne es zu zerstören.“ | |
| Erinnerungsarbeit solle heute viel stärker Laborcharakter haben. Vor dem | |
| Hintergrund des Interims sehe er den Opernbau daher unproblematisch. | |
| Aber was hat es denn nun mit dem Interim tatsächlich auf sich? Nach 10 | |
| Jahren, hieß es anfangs, könne die Oper ja in ihr dann saniertes Stammhaus | |
| zurückkehren, das neue Gebäude in der Kongresshalle wieder entfernt werden. | |
| Davon ist längst keine Rede mehr. Ministerpräsident Markus Söder, zwar | |
| nicht unmittelbar zuständig, aber immerhin Nürnberger, ließ die | |
| Öffentlichkeit wissen, dass das neue Haus natürlich bleiben werde. | |
| Kulturstaatsministerin Claudia Roth will sogar, dass die Oper dauerhaft in | |
| der Kongresshalle bleibt. Fakt jedenfalls ist, dass die Stadt den Bau ohne | |
| Fördermittel des Freistaats nicht wird stemmen können – und die können nur | |
| fließen, wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre steht. So lange wird es also | |
| mindestens werden. Und die Vorstellung fällt schwer, dass sich danach noch | |
| jemand an diesen besonderen Blick in die Leere erinnert und für einen | |
| Abriss plädiert. | |
| Präsenter wird jetzt erst einmal das Wirken der Oper an ihrer neuen Stätte | |
| sein. Die Erwartungen jedenfalls sind hoch. „Kultur hat ja immer die | |
| Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen“, erklärt Bürgermeisterin Lehner, | |
| und KZ-Gedenkstättenleiter Skriebeleit glaubt: „Jeder Mensch, der dort in | |
| eine Oper geht, ob er Wagner hört oder sonst was, wird diese Oper anders | |
| hören, als wenn er auf den grünen Hügel in Bayreuth geht, weil er der | |
| Unmittelbarkeit dieses nazistisch ideologischen Großrelikts gar nicht | |
| ausweichen kann.“ | |
| Noch drastischer formuliert es Staatsintendant Jens-Daniel Herzog. „Wir | |
| werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen | |
| andauernden Anti-Reichsparteitag“, kündigte er in der SZ an. Das werde viel | |
| mit Humor zu tun haben, denn den hätten die Nazis nicht gehabt. Man werde | |
| es dabei aber nicht an Respekt dem Gebäude gegenüber fehlen lassen. „Aber | |
| auch nicht an Respektlosigkeit.“ | |
| Dem Exorzismus Herzogs setzt der frühere Dokumentationszentrumsleiter | |
| Täubrich eine Portion Sarkasmus entgegen. Er wolle sich dem Willen der | |
| Stadtratsmehrheit beugen, sagt er, zuvor jedoch noch einen Vorschlag zur | |
| Güte machen: Opernbesucher sollten künftig von einer großen Tafel, | |
| womöglich aus Flossenbürger Granit, im riesenhaften Ausmaß empfangen | |
| werden, mindestens 7 Meter hoch. „Darauf steht zu lesen: Herzlich | |
| willkommen im Opernhaus Nürnberg! Der Grundstein zu diesem Bau wurde 1935 | |
| gelegt, als anlässlich des NS-Parteitages auch die Rassengesetze verlesen | |
| wurden. Darunter klein der Hinweis: Zur Sektbar geht’s rechts rüber. Und | |
| dann ab in die ‚Zauberflöte‘.“ | |
| 9 Jul 2024 | |
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| [1] /Hitlers-Monumente-in-Nuernberg/!5177683 | |
| [2] /Ruegen-vor-der-Wahl-in-MV/!5331506 | |
| [3] https://yewtu.be/watch?v=_j829GLYM7c | |
| [4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/konzert-wie-bob-dylan-in-nuernberg-gegen… | |
| [5] https://kunstvereinnuernberg.de/ | |
| [6] https://pavillonfuerfotografie.de/always-complain-always-explain | |
| [7] https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum | |
| [8] https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de/ | |
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