# taz.de -- Martin Selmayr und die EU-Kommission: In Brüssel sprechen sie „e… | |
> Die Deutschen dominieren die EU vielfach. Gerade wurde zudem der Jurist | |
> Selmeyer „putschartig“ befördert. Wann findet endlich die Rebellion | |
> statt? | |
Bild: Wie man es dreht und wendet, es kommt immer „Deutsch“ dabei raus | |
BRÜSSEL taz | Es war ein besonderer Tag im Europaparlament: Nach | |
lautstarken Protesten sollte die EU-Kommission, eine multinationale | |
Behörde, vor Abgeordneten aus 28 EU-Ländern erklären, wieso der umstrittene | |
deutsche Jurist Martin Selmayr über Nacht zum Generalsekretär der Brüsseler | |
Behörde befördert wurde. Da lag Spannung in der Luft. | |
Der Saal war überfüllt, die Dolmetscher standen bereit, Abgeordnete und | |
Assistenten redeten in allen möglichen Sprachen durcheinander. Böse Worte | |
fielen – von „Putsch“, „Coup d’État“, und „Cronyism“, Vetternw… | |
war die Rede. Doch als die Sitzung begann, wurde nur noch Deutsch | |
gesprochen. | |
Es begann mit Inge Gräßle (CDU), der deutschen Vorsitzenden des | |
Haushaltskontrollausschusses. „Die Kommission hat ein Überraschungsmoment | |
genutzt, niemand fühlt sich noch ernst genommen“, kritisierte sie die | |
Ernennung Selmayrs. Dann kam Günther Oettinger (CDU), der deutsche | |
EU-Kommissar. | |
Er verteidigte Selmayrs Nominierung – ebenfalls auf Deutsch. Fast 15 | |
Minuten dauerte sein Plädoyer. Es erinnerte an eine deutsche | |
Gerichtsverhandlung: Der Angeklagte (Selmayr) war deutsch, die Richterin | |
(Gräßle) auch, der Verteidiger (Oettinger) ebenfalls. | |
## Ist der „Fall Selmayr“ eine innerdeutsche Affäre? | |
Erst danach kamen Niederländer, Belgier und Briten dran – mit scharfer | |
Kritik an den „putschartigen Vorgängen“ bei der Nominierung Selmayrs. Das | |
letzte Wort jedoch hatte mit Günther Oettinger wieder ein Deutscher. | |
„Selmayr hat Stärken und Schwächen, seine Stärken sind überragend stärke… | |
schloss er sein Plädoyer. | |
Fast hätte man vergessen können, dass der Streit auf einen Luxemburger | |
zurückging: [1][Es war Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der Selmayr das | |
höchste Amt der EU-Behörde zugeschanzt hatte.] Und irgendwie ging an diesem | |
Tag auch unter, dass die EU 500 Millionen Europäer repräsentiert. Und nicht | |
nur 80 Millionen Deutsche. | |
Ist der „Fall Selmayr“ eine innerdeutsche Affäre? Ist er ein neuer Beweis | |
für die deutsche Dominanz, die der Soziologe Ulrich Beck schon 2012 | |
behauptet hatte? Das „deutsche Europa“, vor dem Thomas Mann noch warnte, | |
sei im Zuge der Eurokrise Wirklichkeit geworden, lautete Becks These | |
damals. „Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen“, hatte CDU-Fraktionschef | |
Volker Kauder 2011, auf dem Höhepunkt der Krise, triumphierend getönt. | |
Sieben Jahre später gibt sich Kanzlerin Angela Merkel, die CDU-Chefin, | |
große Mühe, diesen Eindruck zu verwischen. Die „Causa Selmayr“ sei ein | |
EU-Problem, mit dem Berlin nichts zu tun habe, betont sie beim | |
Gipfeltreffen Ende März in Brüssel. | |
## Immer wieder kommt es zu Interessenkonflikten | |
„Wer glaubt, nur weil Selmayr die deutsche Staatsbürgerschaft hat, macht er | |
immer, was Deutschland will, der irrt“, erklärte Merkel. Außerdem seien | |
Deutsche in Brüssel keineswegs so dominant, wie oft behauptet werde. „In | |
Berlin gibt es viele Diskussionen darüber, dass wir nicht so breit | |
vertreten sind.“ | |
Und die Fakten? Sehen ein wenig anders aus, das fängt schon mit den | |
Generalsekretären der Brüsseler Institutionen an. Neben Selmayr in der | |
EU-Kommission besetzen auch Klaus Welle im Europaparlament und Helga Schmid | |
im Europäischen Auswärtigen Dienst diesen strategisch wichtigen Posten. Sie | |
sind es, die in Brüssel wirklich Einfluss haben. | |
Immer wieder kommt es da zu Interessenkonflikten. So hat Selmayr die | |
deutsche Flüchtlingspolitik abgenickt, obwohl sie gegen die | |
Dublin-Verordnung verstieß. Er hat auch die deutsche Pkw-Maut durchgeboxt, | |
obwohl die EU-Kommission erhebliche Zweifel hatte und zunächst sogar vor | |
dem höchsten EU-Gericht klagen wollte. | |
Besonders krass ist die deutsche Dominanz im Europaparlament. Alle großen | |
Fraktionen werden von Deutschen geführt – Manfred Weber (CSU) für die | |
Konservativen, Udo Bullmann (SPD) für die Sozialisten, Ska Keller als | |
Co-Vorsitzende für die Grünen und Gabi Zimmer für die Linken. Und die | |
wichtigsten Ausschüsse sind ebenfalls in deutscher Hand, wie das Beispiel | |
der CDU-Politikerin Gräßle zeigt. | |
## Als „Antideutscher“ abgestempelt | |
Die Überrepräsentation ist so eklatant, dass es immer wieder zu Protesten | |
und Machtkämpfen kommt. SPD-Mann Bullmann hatte wegen seines deutschen | |
Passes sogar Schwierigkeiten, sich bei den Sozialisten durchzusetzen. Es | |
gebe schon zu viele einflussreiche Deutsche im Parlament, schimpften | |
Hinterbänkler. | |
Nach dem „Fall Selmayr“ müssten die Deutschen endlich bescheidener | |
auftreten, hieß es in Straßburg. Bullmann musste versichern, für die | |
Abgeordneten aller EU-Länder zu sprechen, um sich gegen die Belgierin | |
Kathleen Van Brempt durchzusetzen. Die flämische Sozialistin war mit dem | |
Slogan „Dare to change – den Wandel wagen“ angetreten. | |
Als Kampfansage sei das jedoch nicht gemeint, so hatte sie betont: „Ich | |
stehe gegen niemanden, ich trete nicht an, um gegen den deutschen | |
Kandidaten anzutreten.“ Nach ihrer Niederlage gelobte Van Brempt prompt, | |
gut mit Bullmann zusammenzuarbeiten. „Udo und ich waren ein ziemlich gutes | |
Team im Präsidium und in der Fraktion – und ich denke, dass wir es auch | |
nach der Wahl noch sein werden.“ | |
Das ist typisch, die offene Konfrontation sucht bisher keiner. Wer es | |
dennoch wagt, wird schnell als „Antideutscher“ abgestempelt. Vor allem im | |
„Fall Selmayr“ schienen die Emotionen extrem. An dessen Berufung gebe es | |
nichts auszusetzen, polterte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Die | |
Kritik sei „links und antideutsch“. | |
## „Auf das geografische Gleichgewicht achten“ | |
Antideutsch zu sein – das kann man Emmanuel Macron nun wirklich nicht | |
vorwerfen. Aber auch der liberale französische Staatschef ließ beim | |
EU-Gipfel Ende März durchblicken, dass es Grenzen gibt. Gemeinsam mit | |
Merkel stand Macron auf dem Podium des überfüllten französischen | |
Pressesaals im EU-Ratsgebäude. Da kam die unvermeidliche Frage nach Selmayr | |
und der deutschen Dominanz. | |
„Das Wichtigste ist es, qualifizierte Leute zu finden“, hob Macron an. | |
Selmayr sei hochqualifiziert, er schätze dessen professionelle Arbeit. Bei | |
der Besetzung hoher Ämter müsse man allerdings ebenso an die Demokratie und | |
Transparenz denken. Und dann kam der entscheidende Satz, der sich als | |
Dämpfer für die Deutschen deuten lässt: „Aber wir müssen auch auf das | |
geografische Gleichgewicht achten.“ | |
Das geografische Gleichgewicht – das ist ein Seitenhieb gegen Merkel und | |
das deutsche Übergewicht in der EU. In Brüssel wird es vor allem als | |
Warnung für die Europawahl und die darauf folgende Neubesetzung wichtiger | |
EU-Posten verstanden. Nach der Wahl im Mai 2019 steht nämlich nicht nur die | |
Nachfolge von Kommissionspräsident Juncker an. | |
Auch die Europäische Zentralbank muss sich einen neuen Präsidenten suchen. | |
Amtsinhaber Mario Draghi räumt im Oktober 2019 seinen Chefsessel, | |
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann läuft sich bereits für die Nachfolge | |
warm. Im Prinzip hat der geldpolitische Hardliner Weidmann gute Chancen – | |
denn Frankreich hat schon einmal den EZB-Präsidenten gestellt, nun wäre | |
Deutschland an der Reihe. | |
## Alles wieder in bester – und deutscher – Ordnung | |
Ein Blick auf die europäischen Finanzinstitutionen genügt, um Macrons | |
Andeutung besser zu verstehen. Sie werden fast alle von Deutschen geführt, | |
vom Euro-Rettungsschirm ESM (Klaus Regling) über die Europäische | |
Investitionsbank (Werner Hoyer) bis zum Europäischen Rechnungshof | |
(Klaus-Heiner Lehne). Überall Deutsche, nur in der EZB spricht der Euro | |
noch ein wenig Italienisch. | |
Sollte Merkel 2019 versuchen, noch die Zentralbank zu „germanisieren“, | |
könnte es zum Eklat kommen. Frankreich muss der Neubesetzung zustimmen, | |
Macron könnte Weidmann in letzter Minute verhindern. Doch noch machen | |
Merkel und Macron in Harmonie. Bei einem Treffen im Berliner Kanzleramt | |
beschworen sie den „Zauber“ der deutsch-französischen Zusammenarbeit. | |
Wie es wirklich läuft, zeigte sich derweil in Brüssel. Dort wurde der „Fall | |
Selmayr“ leise beerdigt, ganz in Merkels Sinne. Das Europaparlament sprach | |
eine Rüge an die EU-Kommission aus und forderte mehr Transparenz, das | |
war’s. Die Erklärung war von der deutschen EU-Politikerin Gräßle | |
ausgehandelt worden, wie üblich. | |
Und das letzte Wort hatte der deutsche EU-Kommissar Oettinger. „Wir haben | |
die internen Regeln nach Geist und Buchstaben befolgt und werden die | |
Nominierung des neuen Generalsekretärs nicht rückgängig machen“, teilte er | |
mit. Alles ist also wieder in bester – und deutscher – Ordnung. | |
22 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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