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# taz.de -- Debatte Deutsche Dominanz in der EU: Man spricht nicht Deutsch
> Gerne wird eine deutsche Dominanz in der EU beklagt. Doch eine genaue
> Betrachtung des Personals zeigt: Deutschland ist unterrepräsentiert.
Bild: Suchbild: Wer fehlt?
Die fragwürdige Ernennung von Martin Selmayr zum Generalsekretär der
Europäischen Kommission hat die [1][taz und andere deutsche Medien dazu
veranlasst], die Rolle deutscher Staatsangehöriger in Spitzenfunktionen der
EU-Institutionen näher zu untersuchen. Das ist wegen der vielen
Institutionen und Behörden sowie der großen Zahl der Funktionsträger keine
leichte Aufgabe. Wenig überraschend wird zumeist der Schluss gezogen, es
gäbe, jedenfalls neuerdings, eine deutsche Dominanz bei den Diensten der
EU. Welch ein Fehlschluss!
In Wahrheit sind Deutsche auf fast allen Ebenen der EU unterrepräsentiert.
Die Tatsache, dass derzeit die Generalsekretäre des Europäischen Parlaments
und der Kommission sowie eine Reihe von Fraktionschefs im Europäischen
Parlament Deutsche sind, zudem Deutsche an der Spitze des Europäischen
Rettungsschirms und der Investitionsbank stehen, ist in sich wenig
aussagekräftig.
Vielmehr muss man sich die gesamte Zusammensetzung der europäischen
Beamtenschaft und der Spitzenpositionen anschauen. Da ergibt sich ein
anderes Bild: Obwohl Deutschland der bevölkerungsstärkste Mitgliedsstaat
ist, rangiert es bei der Zahl der EU-Beamten nach Belgien (Heimvorteil),
Italien und Frankreich erst an vierter Stelle.
Auch die Behauptung, man spräche zunehmend Deutsch in Brüssel, ist nicht
richtig. Viele deutsche Mittelständler haben leidvoll erfahren, dass man
nicht weit kommt, wenn man die am meisten gesprochene Sprache in der EU bei
EU-Behörden verwendet. Und viele Bewerber um Stellen aus den
osteuropäischen Ländern haben erleben müssen, dass ihnen ihre guten
Deutschkenntnisse von wenig Nutzen waren. Nach außen tritt die EU ohnehin
nur auf Englisch und Französisch auf. Die deutsche Sprache wird also
diskriminiert, ohne dass dies je ernsthafte Proteste ausgelöst hätte.
Schaut man sich die politischen Spitzen der sechs Institutionen an, ergibt
sich folgendes Bild: Ein Pole ist Präsident des Europäischen Rates, eine
Italienerin Außenbeauftragte und damit Vorsitzende im Außenministerrat, dem
höchsten Gremium des Ministerrats. Auch die Präsidenten des EP und der EZB
sind Italiener, während ein Luxemburger die Kommission leitet und ein
Belgier dem Europäischen Gerichtshof vorsitzt. Erst beim politisch
unbedeutenden Rechnungshof steht ein Deutscher an der Spitze. Statt von
einem deutschen müsste man derzeit eher von italienischem Übergewicht
sprechen. Übrigens besetzt ein Däne den wichtigsten Generalsekretärsposten
der EU, den von Europäischem Rat und Ministerrat zugleich.
In der 64-jährigen Geschichte der europäischen Integration hat nur einmal
ein Deutscher, Walter Hallstein, die Kommission geführt (und auch nur die
der EWG; Montanunion und Euratom hatten bis 1967 eigene Präsidenten).
Dagegen haben Luxemburger diese Funktion dreimal ausgeübt und Franzosen
immerhin zweimal (mit Montanunion sogar viermal). Auch beim Gerichtshof war
nur einmal ein Deutscher Präsident.
Bei den Generaldirektoren sind die Deutschen eher schwach vertreten, und
bis in die jüngste Zeit haben sie keinen Generalsekretär einer Institution
gestellt. Bemerkenswert ist dagegen, dass der Franzose Émile Noël dreißig
Jahre (von 1958 bis 1987) Generalsekretär der Kommission (EWG, EG) war,
ohne dass dies Anstoß erregte. Zu Recht, denn er hat das Amt vorbildlich
geführt. Aber es ist klar, dass jemand, der dieses Amt so lange ausübt, am
Ende mehr Einfluss als mancher Kommissionspräsident hat.
Die Zahl der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments liegt
deutlich unter dem Bevölkerungsanteil Deutschlands in der Europäischen
Union, während zahlreiche kleine Staaten überrepräsentiert sind. Das
Bundesverfassungsgericht sieht, wie man im sogenannten Lissabon-Urteil
nachlesen kann, darin ein Demokratiedefizit.
## Handeln gegen Interessen der Heimatländer
Von einem personellen deutschen Übergewicht in den Institutionen und der
Beamtenschaft der EU kann also keine Rede sein. Noch proportional geringer
als die Deutschen sind bislang nur die Briten vertreten. Wobei „vertreten“
das falsche Wort ist. Nur Mitglieder des EP und des Rates dürfen nämlich
Positionen beziehen, die nicht allein vom Gemeinschaftswohl bestimmt sind,
sondern durchaus von nationalen, regionalen oder parteipolitischen
Interessen. Alle anderen Funktionsträger, also politisch ernannte
Mitglieder von Institutionen und sämtliche Beamten, wozu auch die
Generalsekretäre gehören, sind nicht Vertreter ihrer Heimatländer. Sie sind
nach den Verträgen und dem Europäischen Beamtenstatut dazu verpflichtet,
sich allein am Wohl der gesamten EU auszurichten und keinerlei Weisungen
von nationaler Seite zu folgen. Oft müssen sie sogar gegen die erklärten
Interessen ihrer Heimatländer arbeiten.
Als ich im Juristischen Dienst der Kommission tätig war, hatte ich viele
Vertragsverstoßverfahren gegen Deutschland zu führen, ferner zulasten des
Bundeshaushalts Prozesse, in denen die Kommission Kosten wegen laxer
Kontrollen nicht erstattete. Oft ging es um Beträge in zweistelliger
Millionenhöhe.
Wie in den Mitgliedsstaaten spielt die Herkunft der Beamten keine Rolle bei
der Amtsausübung – und die Medien sollten sich deshalb nicht über ihre
Herkunft auslassen, sondern darüber wachen, ob sie qualifiziert für ihr Amt
sind und dies tatsächlich mit der nötigen Unparteilichkeit ausüben. Könnte
die Öffentlichkeit nicht sicher sein, dass im gleichen Amt ein Portugiese,
ein Schwede oder ein Deutscher im gleichen Sinne entschieden, wäre die
Integration schon im Ansatz gescheitert und hätte nie ihren hohen Stand
erreicht.
Sollte es also eine deutsche Dominanz in Brüssel geben, so hat sie andere
Ursachen als die Personalpolitik, nämlich vorrangig den Euro. Doch das ist
eine andere Debatte, die zu führen sich freilich lohnte.
29 Apr 2018
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## AUTOREN
Jörn Sack
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