# taz.de -- Streit um EU-Personalie: Das Juncker-System wackelt | |
> Der EU-Kommissionschef soll bei der Ernennung seines neuen | |
> Generalsekretärs getrickst haben. Nun kommt es zum Showdown im | |
> Europaparlament. | |
Bild: Wo Juncker (vorne links) ist, ist auch Selmayr (mitte) meist nicht fern | |
Brüsseltaz | Drei Jahre nach seiner Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten muss | |
Jean-Claude Juncker erneut um sein Amt kämpfen. Wie ernst die Lage ist, | |
machte Juncker am vergangenen Donnerstag selbst deutlich: Der 63-jährige | |
Luxemburger drohte überraschend mit seinem Rücktritt, falls das | |
Europaparlament seinen neuen deutschen Generalsekretär Martin Selmayr (47) | |
infrage stellen sollte. | |
Nun könnte genau das passieren – am Dienstag sitzen die Abgeordneten über | |
Selmayr und Juncker zu Gericht. Bei einer Tagung des | |
Haushaltskontroll-Ausschusses in Brüssel wollen die EU-Parlamentarier | |
klären, ob bei der umstrittenen Beförderung Selmayrs alles mit rechten | |
Dingen zugegangen ist. Sie haben einen Katalog mit 139 Fragen vorgelegt, | |
die Kommission hat auf 80 Seiten geantwortet. | |
Doch bei der brisanten Anhörung geht es längst nicht mehr nur um Selmayr. | |
Es geht um das „System Juncker“, das der Kommissionschef und sein deutscher | |
Gehilfe in der Brüsseler Behörde aufgebaut haben. Von Machtmissbrauch ist | |
die Rede – und davon, dass Juncker das Parlament missachte. Dabei war der | |
konservative Politiker 2014 von den EU-Abgeordneten mit großer Mehrheit | |
gewählt worden. | |
Jetzt genießt Juncker nicht einmal mehr das volle Vertrauen seiner | |
Parteifreunde von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Bei | |
einer Sitzung des EVP-Präsidiums in der vergangenen Woche ging nicht nur | |
Parlamentspräsident Antonio Tajani auf Distanz. Auch EVP-Fraktionschef | |
Manfred Weber (CSU) soll sich kritisch geäußert haben – genau wie mehrere | |
CDU-Politiker. | |
## „Wenn er geht, gehe ich auch“ | |
Sie stoßen sich an der Art und Weise, wie Selmayr ins mächtigste Amt der | |
mehr als 30.000 Mitarbeiter starken Brüsseler Behörde befördert wurde. Doch | |
Juncker hält an seiner Entscheidung fest. „Wenn er geht, gehe ich auch“, | |
sagte er bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EVP | |
vergangene Woche in Brüssel. | |
EVP-Vorturner Weber ruderte zurück; Juncker habe das Recht, sich „seinen“ | |
Generalsekretär selbst auszusuchen. Zudem stellte sich die EVP, unterstützt | |
von Sozialdemokraten und Liberalen, gegen einen Antrag der Grünen, Juncker | |
persönlich ins Parlament vorzuladen. | |
Stattdessen muss nun der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger den Kopf | |
hinhalten. Der CDU-Politiker ist neben dem EU-Haushalt auch für die | |
Personalpolitik zuständig. Oettinger hatte Juncker und Selmayr schon in der | |
ersten Anhörung vor zwei Wochen verteidigt. Bei Selmayrs Beförderung seien | |
alle Regeln eingehalten worden, behauptete er. Dabei hatte er in Interviews | |
eingeräumt, selbst erst in letzter Minute eingeweiht worden zu sein. | |
Diesen und andere Widersprüche wollen die Europaabgeordneten nun aufklären. | |
Dabei stoßen sie schon im Vorfeld auf ein Problem: Die EU-Kommission will | |
nicht alle Dokumente herausrücken. So werden die Bewerbungsschreiben | |
Selmayrs und einer weiteren Kandidatin unter Verschluss gehalten – zum | |
Schutz der Privatsphäre, wie es in der Vorlage der Kommission heißt. | |
## Riecht nach abgekartetem Spiel | |
Wenn es dabei bleiben sollte, können die Abgeordneten nicht nachvollziehen, | |
wer sich wann um welches Amt beworben hat – und warum es in letzter Minute | |
noch Rückzieher gab. So soll sich Selmayr nach übereinstimmenden Berichten | |
zunächst nur um das Amt des stellvertretenden Generalsekretärs beworben | |
haben. Erst danach habe Juncker bekannt gegeben, dass der Amtsinhaber | |
Alexander Italianer seinen Hut nimmt – und Selmayr kurzerhand zu dessen | |
Nachfolger ernannt. | |
Das riecht nach abgekartetem Spiel. Denn vor der Presse hat Juncker | |
eingeräumt, dass er schon seit Jahren von der Absicht Italianers wusste, | |
den Posten des Generalsekretärs zu räumen. | |
Dies dürfte auch Selmayr nicht entgangen sein, der als Kabinettschef in | |
alle Geschäfte (und Gedanken) Junckers eingeweiht war. „Ohne Selmayr ist | |
Juncker hilflos“, wird Oettinger im Spiegel zitiert. Dies dürfte ein Grund | |
sein, weshalb er sich an ihn klammert. | |
Allerdings hat der Kommissionschef noch andere mächtige Verbündete, vor | |
allem in der CDU. So stützt er sich auf den CDU-Europaabgeordneten und | |
ehemaligen Bertelsmann-Lobbyisten Elmar Brok, der jede Kritik an Selmayr | |
als „antideutsch“ zurückweist. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht | |
hinter ihm. Beim EU-Gipfel am Freitag lobte sie Selmayrs „effiziente | |
Arbeit“. Demgegenüber forderte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, den | |
Vorwürfen gegen Juncker und Selmayr nachzugehen. Die Affäre dürfe nicht | |
„erstickt“ werden, so Macron, das Europaparlament müsse das letzte Wort | |
haben. | |
Der Titel dieses Artikels wurde am 27. März auf Bitte des Autors geändert. | |
Zuvor lautete die Schlagzeile unzutreffenderweise „Das Ende des | |
Juncker-Systems naht“. | |
27 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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