# taz.de -- Machtmissbrauch am Theater: Kann es sich verändern? | |
> Eine Publikation untersucht die Strukturprobleme an deutschen | |
> Schauspielhäusern. Dabei geht es auch um Solidarität mit Kolleg:innen. | |
Bild: Das Theatertreffen eröffnete ein Livestream; auch die Debatte um Machtst… | |
Wenn es um Macht und Theater geht, dann sehr oft unter dem Vorzeichen | |
„Machtmissbrauch“. Dazu haben in diesem Frühjahr die Geschichten | |
beigetragen wie die über den Interimsintendanten der Berliner Volksbühne, | |
Klaus Dörr, der nach Sexismus-Vorwürfen zurück treten musste, die Aufregung | |
am [1][Schauspielhaus Düsseldorf nach Rassismus-Vorwürfen] und zuletzt die | |
[2][Debatte über den Führungsstil von Shermin Langhoff am Maxim Gorki] | |
Theater in Berlin. | |
Um die Macht am Theater und die Frage nach der Veränderbarkeit seiner | |
Strukturen geht es in einer Publikation, „Theater und Macht. Beobachtungen | |
am Übergang“, die von der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de | |
herausgegeben worden ist. | |
Die Frage nach der Veränderbarkeit beschäftigte auch zwei digitale | |
Gesprächsrunden, die im Rahmen des Berliner Theatertreffens am Wochenende | |
stattfanden. Macht eben nicht nur im Kontext von Missbrauch zu sehen, | |
sondern nach Ideen für eine gute Leitung zu suchen, war hier ebenso wie in | |
der Publikation das Anliegen. | |
Wie krass die Verhältnisse am Theater sein können, spießt in „Theater und | |
Macht“ ein satirischer Text von Leonie Adam auf, der von einer Zeit an | |
einer Schauspielschule in fiktiver Form erzählt. Weil 24 Stunden lang | |
geprobt wird, schlafen die Studierenden, auch wenn es verboten ist, gleich | |
im Bühnenbild. | |
## Das Theater frisst dich mit Haut und Haaren | |
Das Motto, „was uns nicht umbringt, macht uns stärker“, haben sich einige | |
eintätowieren lassen. Zur Anregung des „Denkflusses der renommiertesten | |
Regisseure Deutschlands“ laufen die meisten Schauspieler:innen nur noch | |
in Reizunterwäsche herum. Das Theater frisst dich eben mit Haut und Haaren; | |
wer sich dieser Ideologie nicht unterwerfen wolle, haben hier eben nichts | |
zu suchen, ist der Subtext, den die Bildungseinrichtung so suggeriert. | |
Diese schwarze Skizze ist eine Ausnahme in der Publikation. In den meisten | |
Texten und Interviews geht es um Analyse der Strukturen und Instrumente der | |
Veränderung. Sie werden gesucht, seit die #MeToo-Debatte auch die deutschen | |
Theater erreichte. Der Deutsche Bühnenverein erstellte 2018 einen | |
Verhaltenskodex zur Prävention gegen sexuelle Übergriffe und | |
Machtmissbrauch. | |
Damals war Ulrich Khuon noch Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Als | |
Intendant des Deutschen Theaters in Berlin nahm er an einem Panel des | |
Theatertreffens teil, „Practice what you preach“, zu dem die | |
Intendant:innen oder Leitungsteams der zehn Produktionen, die für das | |
Theatertreffen ausgewählt wurden, eingeladen waren. Der Kodex ist eine | |
Selbstverpflichtung der Theater, eine Referenzgröße, auf die sich jeder | |
beziehen kann. | |
Vor der #MeToo-Debatte, beschreibt Khuon, log man sich in die eigene | |
Tasche, täuschte sich über die eigene Fairness. Auch jetzt reiche es nicht, | |
den Kodex einfach auszuhängen. Sondern das müsse kommunikativ begleitet | |
werden, die Umsetzung in den unterschiedlichsten Arbeitsprozessen geübt | |
werden. Die Ansprüche formuliert zu haben sei erst ein Anfang. Und ein | |
Blick von außen als Kontrolle sei vonnöten. | |
## Die freie Szene teilt die Verantwortung häufiger | |
Das betrifft vor allem die großen Apparate, Theater mit 300 bis 500 | |
Mitarbeitenden. Weil zum Theatertreffen aber auch Produktionen aus der | |
sogenannten freien Szene eingeladen sind, mit ganz anders zugeschnittenen | |
Strukturen, saß auch Anna Donderer, Künstlerische Produktionsleiterin vom | |
Rat & Tat Kulturbüro aus München, auf dem Panel. | |
Es sind, sicher nicht zufällig, oft Frauen, die als freie | |
Produktionsleiterinnen, nicht gut bezahlt, im Theater arbeiten, sich um | |
Organisation, Finanzierung und Spielorte kümmern. Von den Künstlern | |
engagiert, sind sie strukturell oft mehr mit ihnen auf einer Augenhöhe als | |
in den Staatstheatern. Und mit ihnen verantwortlich für das Ergebnis. Das | |
Teilen von Verantwortung ist damit in der freien Szene oft größer. | |
Über Modelle von Mitgestaltung, Machtteilung und Mitbestimmung an Theater | |
ging ein zweites Panel des Theatertreffens, das die Dramaturgin Anna | |
Volkland mit einem Vortrag einleitete, der die Mitbestimmungsmodelle der | |
späten 1960er Jahre befragte und unter anderem ihre Elemente auf | |
Nutzbarkeit heute abklopfte. Die Schaubühne Berlin und das Schauspiel | |
Frankfurt gehörten zu den bekanntesten Bühnen der Veränderung. | |
Schon vor 50 Jahren war die Macht der Intendanten in Verruf geraten, damals | |
vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung. Dazu gehörte die Idee, dass bessere | |
Arbeitsbedingungen auch notwendig für eine Verbesserung des Ausdrucks | |
seien. Beide Projekte blieben aber Inseln in einem anders strukturieren | |
System. | |
## Solidarität mit den freien Kolleg:innen | |
Zum Gespräch darüber eingeladen waren auch zwei Schauspielerinnen, Carolin | |
Haupt und Linda Pöppel, die das EnsembleBündnisBerlin vertraten. Dieses | |
Netzwerk hat sich im Januar 2021 gegründet, aus angestellten Ensembles | |
heraus, um Solidarität mit den vielen nichtangestellten Künstler:innen | |
einzufordern, die nur als Gäste an den Theatern arbeiten, sozial und | |
wirtschaftlich auf wackligen Füßen stehen, und für die die Coronahilfen | |
nicht griffen. | |
Das EnsembleBündnisBerlin verlangt zum Beispiel von der Kulturpolitik eine | |
gesetzliche Verbesserung dieser prekären Arbeitsverhältnisse. Auf dem Panel | |
erzählte Linda Pöppel, wie neu es sich anfühle und wie viel Mut es brauche, | |
eine Sprecherposition für einen Berufsstand einzunehmen, der die | |
Vereinzelung lebt. Sie müssten als Schauspieler:innen lernen, sich | |
sichtbar zu machen und einzubringen. | |
Die Angst, das Gewohnte zu verlassen, ist mit der Coronasituation und dem | |
Stillstand an vielen Theatern eher gewachsen. Der Wunsch, Strukturen zu | |
verändern, könne aber nur umgesetzt werden, wenn viele ihn tragen. | |
Auf die konkreten Erschütterungen an den Theatern in Berlin und Düsseldorf | |
ging in den Gesprächsrunden niemand direkt ein. Die Diskussion über | |
Personen und Skandale, die laut geführt werde, sei nicht der beste Weg, die | |
strukturellen Probleme zu bearbeiten, meinte Khuon. Dennoch waren sich die | |
meisten einig, dass das, was als Fehlverhalten gerade aufploppt, die | |
Notwendigkeit der Prozesse des Umlernens bestätigte. | |
## Suche nach Veränderung | |
Eingeladen zum Gespräch über „How to: Power“ war auch Julia Wissert, die | |
mitten in der Coronazeit Intendantin in Dortmund wurde. Auf der Suche nach | |
Veränderung, nach Auflösung von Machtasymmetrien, gehe es nicht um ein | |
neues Leitungsmodell, Doppelspitze oder Mitbestimmung, betonte sie, sondern | |
darum, die unterschiedlichsten Möglichkeiten zuzulassen und zu schauen, was | |
funktioniert, was ist übertragbar; schon weil jedes Theater eine andere | |
Geschichte habe. | |
Wie die Publikation „Theater und Macht“ erzeugten auch die Gespräche im | |
Rahmen des Theatertreffens ein Bild, dass das Problembewusstsein an vielen | |
Theatern in den letzten Jahren gewachsen ist. Und damit die Suche danach, | |
vom Teil des Problems zum Teil der Lösung zu werden, auf den Weg gebracht | |
wurde, zumindest in kleinen Schritten. | |
17 May 2021 | |
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[1] /Rassismus-Skandal-am-Theater-Duesseldorf/!5767145 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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