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# taz.de -- Rassismus am Theater: Die Kinder Louvertures
> Das Düsseldorfer Schauspielhaus steht für seinen Umgang mit
> Rassismusvorwürfen in der Kritik. Es ist auch ein Konflikt zwischen
> jungen Aktivisten und Theatergranden.
Bild: Der Schauspieler Ron Iyamu
Als in den vergangenen Monaten auf den Bühnen des Theaters nicht viel los
war, wurde mehr als je zuvor darüber geredet, was hinter den Kulissen so
passiert. So steht das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Zeit im Zentrum
einer hitzigen Debatte über Rassismus und Machtmissbrauch, ausgelöst von
einer am 18. März ausgestrahlten TV-Doku des WDR, in der der Schwarze
Schauspieler Ron Iyamu von rassistischen Erlebnissen berichtet, die ihm an
dem Theater widerfahren sein sollen.
Ron Iyamu – 29 Jahre alt, festes Ensemblemitglied am Haus – erhebt schwere
Vorwürfe: Man habe ihn stereotyp besetzt, beleidigt und beschimpft und es
habe einen rassistischen Übergriff gegeben, der später als Vorfall mit dem
Cuttermesser die Runde macht: Ein Schauspielkollege soll ihm nach einer
Probe von „Dantons Tod“ ein solches Werkzeug an den Schritt gehalten und
gesagt haben: „Wann schneiden wir dem N-Wort eigentlich die Eier ab?“ Doch:
„Es gab nie Konsequenzen“, sagte Iyamu – obwohl er die zuständigen Perso…
zeitnah informiert habe.
Die nächste Sequenz in der TV-Doku zeigt den Intendanten des
Schauspielhauses Wilfried Schulz. Man sieht dem 69-Jährigen an, wie
unangenehm ihm dieser Auftritt ist. Er lächelt beschämt, sagt: „Mea culpa�…
Wahrscheinlich wäre die Sache noch vor ein paar Jahren damit erledigt
gewesen. Sie wäre vermutlich gar nicht erst an die Öffentlichkeit gekommen.
Was hinter den Kulissen eines Theaters passierte, blieb normalerweise dort.
Die Probe galt als geschützter Raum, nichts drang nach außen, es sei denn,
der Regisseur äußerte sich selbst dazu. Schauspieler:innen hingegen
schwiegen, schon alleine aus Angst davor, nicht mehr besetzt zu werden.
Doch spätestens mit MeToo und Black Lives Matter ist der Umgang mit
Diskriminierung ein anderer geworden.
Zugleich ist auch die Sensibilisierung größer geworden. Viele Dinge, die
früher vielleicht stillschweigend hingenommen worden wären, werden heute
als grenzüberschreitend erlebt und dementsprechend geahndet.
So brechen nach dem Fernsehbeitrag von Iyamu die Schwarze Theatermacherin
Natasha A. Kelly und 21 weitere Künstler:innen die Zusammenarbeit mit
dem Düsseldorfer Schauspielhaus ab, fordern ihr Honorar und eine eigene
selbstorganisierte Bühne für Schwarze Menschen und People of Color. Ihre
Petition haben bereits mehr als 25.500 Menschen unterschrieben.
Der Dramaturg Bernd Stegemann veröffentlicht einen Beitrag in der FAZ, in
dem er sich kritisch zu Identitätspolitik und ihre angebliche Bedrohung für
die Kunstfreiheit äußert. Ron Iyamu bezeichnet er darin als „unsicheren
jungen Mann“, „der im schauspielerischen Ausdruck blockiert“ sei und sich
„in den Selbstschutz der empörten Kränkung begeben“ habe.
Drei Tage später veröffentlicht eine Gruppe Theaterschaffender um den
Theatermanagement-Professor und Machtmissbrauchs-Forscher Thomas Schmidt
einen offenen Brief, in dem sie den Dramaturgen zu einer Entschuldigung
auffordert. Diesen Brief unterzeichnen über 1.400 Menschen, darunter
namhafte Theatermacher:innen. Einige andere berichten in der Folge in den
sozialen Netzwerken von ihren eigenen Rassismuserfahrungen am Theater.
## Dantons Tod
Iyamus Gang an die Öffentlichkeit hat eine Revolution ausgelöst: Wo junge,
diverse, feministische Theaterkünstler:innen auf der einen Seite
stehen und etablierte, oftmals weiße Entscheider:innen auf der anderen.
Wie kam es so weit?
Ron Iyamu erhält 2019 ein Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus. Es
läuft gut für ihn, gleich zwei große Regisseure wollen mit ihm arbeiten.
Einer von ihnen ist Armin Petras, früher Intendant am Maxim Gorki Theater
in Berlin und am Schauspiel Stuttgart, heute freier Regisseur und
Stückeschreiber. Er möchte Iyamu in „Dantons Tod“ besetzen, mit dem die
neue Spielzeit 2019/20 eröffnet werden soll.
„Ich habe mich riesig auf die Probenzeit gefreut, aber dann wurde es sehr
skurril für mich“, sagt Iyamu bei einem Videogespräch mit der taz Ende
April. Er sieht erschöpft aus. Er komme kaum zur Ruhe. Schon allein
deshalb, weil ihn seither ständig neue Erfahrungsberichte über Rassismus,
Sexismus, Antisemitismus und Mobbing erreichen würden. Auch sein eigener
Konflikt mit dem Haus sei noch nicht vorbei. „Ich ziehe gefühlt seit fünf
Wochen an einer Schnur und es kommt immer mehr Scheiße zum Vorschein.“
Auch in seiner Diplomarbeit setzt sich Iyamu mit Rassismuserfahrungen in
der deutschen Schauspielszene auseinander. Dass ihn ausgerechnet die
Probenzeit mit Armin Petras in eine tiefe Krise stürzte, irritiert.
Petras, 57 Jahre alt, ist kein konservativer Regisseur, sondern links,
politisch interessiert, gesellschaftskritisch. Im Gespräch mit der taz
erzählt er, was ihn an Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“
interessiert hat: „Ich wollte etwas über Revolution heute erzählen.“ Bei
seinen Recherchen fiel ihm auf, dass zur Zeit der Französischen Revolution
auch Schwarze Menschen und Frauen für ihre Rechte gekämpft hatten. Also
baute er einen haitianischen Freiheitskämpfer und eine Frauenrechtlerin mit
ein. Den müden Revolutionär Danton besetzte er mit einem älteren weißen
Mann und seinen Kontrahenten, den viel radikaleren Robespierre, mit einer
jungen Frau.
„Ich wollte damit einen Link zur heutigen Zeit setzen, weil diejenigen, die
sich gerade mehr Platz in der Gesellschaft erobern, auch Frauen sind.“ Ihn
habe die Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation, ihr Blick auf das
Leben und das Theater gereizt. Deshalb engagierte er
Schauspielabsolvent:innen und viele Studierende.
Die Proben seien vielversprechend losgegangen, sagt Anna-Sophie Friedmann,
Ensemblemitglied am Düsseldorfer Schauspielhaus, die an den Proben
teilnahm. Es beeindruckte sie, wie sehr Petras alle bei der
Stückentwicklung mit einbezog. „Damals fand ich das cool, weil ich dachte,
wir werden als eigenständige Künstler:innen ernst genommen, aber dafür
hätten wir auch mit Respekt behandelt werden müssen und das ist nicht
passiert.“
Die Produktion sei extrem anstrengend gewesen, sagt Anna-Sophie Friedmann.
Armin Petras habe sie angeschrien, fand nicht gut, dass sie eine
gefährliche Menschenpyramide abgebrochen hatte und habe sie dann mit einer
Rolle besetzt, in der sie kaum noch zu erkennen war. Petras habe in den
letzten drei Probenwochen oft gebrüllt, sagt auch Iyamu. Sein
Lieblingskommando: „Schneller, lauter, heiterer, ihr Penner!“
In dieser Gemengelage sei es immer wieder zu Rassismus gekommen, sagt
Iyamu. So hätten einige seiner weißen Schauspielkolleg:innen
darstellen wollen, wie in Paris das Ende der Sklaverei gefeiert wurde. Auf
der Bühne ließen sie sich von einem ihrer Mitstreiter zum Tanz anleiten,
während ein anderer „I have a Dream“ von Martin Luther King rief.
Er habe kurz darüber nachgedacht, ob er die Szene abbrechen oder
spielerisch mit ihr umgehen solle. „Ich bin dann auf die Bühne und Armin
fängt an, Regieanweisungen zu geben, so nach dem Motto ‚Könnt ihr
vielleicht noch afrikanischer tanzen?‘ – und die anderen so: ‚Klar, könn…
wir‘.“ Und dann hätten sie alles ausgepackt, was sie an Klischees von
afrikanischen Tänzen im Kopf hatten, sagt Iyamu. Petras habe gelacht und
sie so angefeuert.
Dann habe Petras abgebrochen und gesagt, dass er sich wünsche, diese Szene
genau so einzubauen mit Iyamu, wie er am Ende auf die Bühne kommt und sie
dann alle mit einem Maschinengewehr erschießt. Seine Kolleg:innen hätten
sich daraufhin total verwirrt angeguckt, sagt Iyamu. Die Szene wurde nie
eingebaut.
In diesem Moment habe er gedacht, dass Petras erkannt habe, wie rassistisch
die Szene war, sagt Iyamu. Dass der Regisseur seine
Schauspielkolleg:innen aber so auflaufen ließ, indem er sie ermutigte,
rassistische Stereotype zu reproduzieren, ist für Iyamu ein manipulativer
Akt.
Die Improvisation sollte rassistische Vorstellungen kritisieren, antwortet
Petras auf eine Nachfrage der taz. Aus heutiger Sicht finde er sie auch
problematisch, da er eine „mögliche Traumatisierung oder
Re-Traumatisierung“ von Rassismus betroffener Personen nicht bedacht habe.
Iyamu sagt, Petras habe bei den Proben immer wieder rassistische Sprüche
gemacht wie: „So schwarz bist du ja gar nicht, jetzt wärst du beinahe
zwischen den anderen verschwunden.“ Ein anderes Mal soll er zu einem aus
der Sommerpause wieder gekommenen Kollegen gesagt haben, jetzt sei er fast
so dunkel wie Iyamu. Petras bestreitet das.
Bei einer Theaterprobe ist es üblich, dass Schauspieler:innen mit ihrem
Rollennamen angesprochen werden. Petras hatte Iyamu gefragt, ob er sich
vorstellen könne, den haitianischen Freiheitskämpfer Toussaint Louverture
zu spielen. Ron Iyamu zögerte, ob er diesen Mann spielen wollte. Eigentlich
war er die Reduzierung auf seine Hautfarbe leid. Andererseits war es eine
gute Gelegenheit, die Geschichte eines Schwarzen Menschen auf die Bühne zu
bringen, also sagte er zu.
Nachdem er Petras erzählt hatte, dass er auch rappt, entstand die Idee, ein
Musikvideo zu dem Stück beizusteuern. Auf der Grundlage eines Textes von
Heiner Müller, der von einem gescheiterten Sklavenaufstand handelt, schrieb
Iyamu einen Text, der Rassismus dort anklagt, wo er ihn erfahren hat: im
Theater.
Das Musikvideo zeigt, wie eine Gruppe junger Menschen durch einen dunklen
Korridor streift, während Ron Iyamu über eine Erneuerung des hierarchischen
Stadttheaters rappt:
„Wir sind die Kinder Louvertures / Es hallt durch Zuschauerräume / Wenn wir
die Wahrheit schrei’n / Wir reißen Deutschlands marode Theater ein / Wir
pressen die Wände und Grenzen hinaus / Zersetzen die Ketten der Ängste zu
Staub / Zerfetzen die Bretter und Dämme für Raum / Verletzen die mächtigen
Männer und Frau’n.“
Petras hätten seine Lyrics gut gefallen, sagt Iyamu. Der Regisseur habe ihn
danach sogar mehr respektiert, weil er ja selber schreibe, vermutet er. Das
habe ihn aber nicht davon abgehalten, ihn „Sklave“ zu rufen.
Das sei ganz klar ein Fehler gewesen, sagt Armin Petras am Telefon. „Ich
habe mir den Figurennamen nicht merken können, weil ich kein Französisch
kann, und sträflicherweise nicht etwa der ‚entflohene Sklave‘ gesagt. Ich
habe mich dafür aber zweimal bei Ron entschuldigt, einmal direkt nach den
Vorfällen während der Produktion und dann nochmal nach der Veröffentlichung
der Vorwürfe per E-Mail, wo ich auch um ein klärendes Gespräch gebeten
habe.“
Iyamu räumt ein, dass es in der Probenzeit ein Gespräch mit dem Regisseur
gab, in dem er ihn darum bat, mit den Witzen aufzuhören, woraufhin dieser
auch aufgehört habe. Kurz vor der Premiere seien sie auf Bitten von Petras
dann noch einmal spazieren gewesen, wo Petras ihm gesagt habe, dass er über
die Probenzeit, und was sie da so zu Rassismus besprochen hätten,
nachgedacht habe und ein Lernprozess bei ihm eingetreten sei.
Dann ist da noch die Szene mit dem Cuttermesser, zu der es bis heute
unterschiedliche Ansichten gibt. Der Schauspielkollege, dessen Name der
Öffentlichkeit nicht bekannt ist, und der Iyamu nach einem Videodreh mit
einem Cuttermesser entgegengetreten sein soll, ist laut Anna-Sophie
Friedmann und Ron Iyamu schon vorher mit sexistischen Sprüchen aufgefallen.
Ob er in der Situation einfach wütend auf Iyamu war, weil sie zuvor eine
Folterszene gespielt hatten, in der Iyamu der Henker und der Kollege sein
Opfer gewesen war? „Vermutlich wollte er aus seiner Sicht bloß einen blöden
Witz machen“, sagt Iyamu, trotzdem sei die Probe zu diesem Zeitpunkt vorbei
gewesen.
Darüber, wie es danach weiterging, gehen die Darstellungen ebenfalls
auseinander. Iyamu sagt, dass er den Diversitätsbeauftragten und die
Dramaturgin darüber informiert und letztere darum gebeten habe, den Vorfall
in der Produktion anzusprechen. Der Intendant sagt, dass es zwischen Iyamu
und der Dramaturgin offenbar ein Missverständnis gegeben habe. Sie habe
verstanden, dass sie den Vorfall weder in die Produktion zurücktragen noch
der Leitung gegenüber ansprechen soll.
Deshalb habe er auch erst Monate später davon erfahren, sagt Intendant
Wilfried Schulz im Gespräch mit der taz. Er habe den Fehler gemacht, danach
nicht selbst mit Iyamu darüber gesprochen, sondern den Leiter des Jungen
Schauspiels darum gebeten zu haben.
Iyamu sagt, dass er die Situation mit dem Cuttermesser auch Petras erzählt
hat. Petras hingegen will davon nur als Gerücht von einer Mitarbeiterin des
Theaters gehört haben, hält es aber durchaus für möglich, dass so was
passiert sein könnte. So oder so fühle er sich schuldig. „Denn das heißt
ja, dass bei uns auf der Probe eine Atmosphäre gewesen sein muss, wo
zumindest ähnliche Dinge möglich gewesen sind – und das finde ich in
Anbetracht des großen Leidensdrucks eines jungen Schwarzen Mannes
problematisch.“
Petras kämpft gerade um seine Existenz. Er verstehe nicht, warum
ausgerechnet er im Mittelpunkt einer Rassismusdebatte stehe, wo es viel
problematischere Regisseure gebe. Trotzdem habe ihn diese Erfahrung zum
Nachdenken gebracht. Er spricht von einer verschobenen Selbst- und
Fremdwahrnehmung, von seiner Teilnahme an Workshops zu Critical Whiteness,
und davon, dass er in seiner aktuellen Produktion am Schauspielhaus
Hannover Rassismen, Diskriminierungen und problematische Darstellungsweisen
mit seinem Ensemble permanent diskutiere.
„Wir setzen uns ja nicht erst seit gestern mit Diversität auseinander“,
betont auch Intendant Schulz im Gespräch mit der taz. Schließlich
beschäftige sein Haus seit 2019 zwei Mitarbeiter:innen für
Diversitätsfragen, mache Programm für People of Color und Menschen mit
Migrationsgeschichte und habe einen Safe Space für Schwarze Menschen.
Eine externe Beratungsfirma werde sich die Rassismusvorwürfe nochmal genau
angucken. Außerdem arbeite sein Haus an einem Kodex, der diskriminierendes
Verhalten verhindern solle. Und es sei noch eine Zukunfts-AG im Gespräch:
„Ich finde es eine große und gute Herausforderung, über die Zukunft
nachzudenken, und ein Teil davon zu sein, sie zu formulieren“, sagt Schulz
in der taktierenden Sprache eines erfahrenen Theatermanagers.
„Nach Rons Veröffentlichung gab es eine Spaltung im Haus“, sagt eine
Mitarbeiterin. „Manche sagen, es braucht neue Theaterstrukturen, andere
wollen den Ruf ihres Hauses unbedingt schützen, und wieder andere finden
grundsätzlich alles scheiße, was neu ist, und versuchen, das Alte zu
erhalten.“
Wer ihnen vorwerfe, dass sie die Entscheidungsträger:innen entmachten
wollten, um selber an die Macht zu kommen, liege falsch, sagt Sahar Rezaei,
eine junge Theatermacherin. „Wir wollen ihren Platz nicht einnehmen, weil
ihr System falsch ist.“
Sahar Rezaei kommt aus Teheran und studiert Regie an der Hochschule für
Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. 2020 war sie
Gast-Regieassistentin am Düsseldorfer Schauspielhaus in Roger Vontobels
Inszenierung von Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Vontobel ist
Hausregisseur des Schauspielhauses.
Vier Wochen nach Iyamus WDR-Beitrag hatte Sahar Rezaei auf Instagram von
der Zusammenarbeit mit Vontobel berichtet – und sie erzählt es nochmal der
taz. In dem Kafka-Monolog berichtet ein sprechender Affe davon, wie er nach
Europa verschleppt wurde und eine Menschwerdung durchlaufen hat, um in die
Gesellschaft hineinzupassen. „Wir haben zu Beginn der Proben über
verschiedene Konzepte gesprochen und uns immer wieder gefragt, wer dieser
Affe sein könnte“, erinnert Rezaei sich. „Und dann kam irgendwann die Idee
auf, dass dieser Affe doch ein Afrikaner sein könne, der nach Europa kommt,
und ich dachte, dass dies ein total falsches Bild ist und habe das gleich
zu Anfang kritisiert.“
Daraufhin habe Vontobel gesagt: „Ja, aber wir sind ganz furchtbare
Menschen, wir machen ganz schlimme Sachen, wir trinken viel – würdest du so
wie wir sein wollen?“ Da sei ihr klar geworden, dass sie in dieser
Produktion selbst wie der Affe betrachtet werde, sagt Rezaei. Ein Eindruck,
der sich für sie durch die ständigen Fragen nach ihrer Herkunft noch
verfestigte.
Auf Nachfrage der taz bedauert Roger Vontobel, dass Sahar Rezaei die
dramaturgischen Betrachtungen zu dem Kafka-Monolog, in dem es seiner
Auffassung nach um die gewaltsame Kolonialisierung und Zwangsassimilierung
gehe, auf sich bezogen habe. „Das war weder Intention des gemeinsamen
Diskurses im Team, noch entspricht diese Wahrnehmung meinen Aussagen und
meinen eigenen Ansichten und Betrachtungen.“
Doch immer mehr junge Theaterschaffende haben keine Geduld mehr mit
Menschen wie Vontobel, Armin Petras und Wilfried Schulz. Sie haben sich
deren Art und Weise, mit internen Konflikten umzugehen, lange genug
angesehen und finden ihren Sinneswandel befremdlich.
Es sind gut ausgebildete, vernetzte, politisch aktive und manchmal auch
sehr aktivistische Menschen. Sie machen gerade ihren Abschluss, sind vor
Kurzem in den Beruf eingestiegen oder arbeiten erst wenige Jahre in ihm.
Sie kennen ihre Rechte und sie haben keine Lust mehr, in einem
Arbeitskontext zu arbeiten, den sie als diskriminierend oder ungerecht
empfinden. Sie sind die Theaterdynastien, wo jeder mit jedem befreundet
ist, leid. Dabei finden sie Vontobel, Schulz oder Petras gar nicht mal
schlimmer als andere. Ja, es gehe sogar noch viel schlimmer, sagen sie.
Auf der anderen Seite stehen die etablierten Theatermacher:innen, die sich
einer schonungslosen Kritik ausgesetzt sehen. Die schockiert sie auch
deshalb so, weil sie sich selbst als progressiv, sozialkritisch und
antifaschistisch begreifen. Und weil sie ihr Handwerk zu einer Zeit gelernt
haben, als man sich hochdiente, ohne aufzumucken, Theater von Männern
gemacht wurde, die sich als allein Verantwortliche begriffen, dafür aber
auch über ihr Personal verfügten, als wäre es ihr Eigentum, und Menschen
mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen und People of Color höchstens
am Rand der Bühne standen, sodass sich die mehrheitlich weißen
Theatermacher:innen mit ihren Perspektiven auch nicht wirklich
auseinandersetzen mussten.
## Diskursverschiebung
Inzwischen gibt es jedoch vermehrt Diskurse zu Gendergerechtigkeit,
Postkolonialismus und Antirassismus, eine diverser werdende Theaterszene,
Studien zum Machtmissbrauch an Theatern, brancheninterne Beratungsangebote
wie Themis, Zusammenschlüsse wie das Ensemble Netzwerk und
Künstler:innen-Kollektive wie Staub zu Glitzer – und Menschen wie Ron
Iyamu, die ihre Erfahrungen öffentlich machen.
Eine Kettenreaktion tritt ein: 2018 der Fall Matthias Hartmann am
Burgtheater in Wien, 2019 der Fall Volker Metzler am Theater an der Parkaue
Berlin, 2020 der Fall Peter Spuhler am Badischen Staatstheater, 2021 der
Fall Klaus Dörr an der Berliner Volksbühne, 2021 der Fall Shermin Langhoff
am Maxim Gorki Theater in Berlin – außerdem Düsseldorf …
Im Moment wirkt Vieles wie ein ungesundes Kräftemessen, bei dem beide
Seiten ihre Karrieren aufs Spiel setzen. Eines, das durch den
pandemiebedingt lange stillgelegten Theaterbetrieb noch mal befördert
worden ist. Denn immerhin hat man es hier ja auch mit Menschen zu tun, die
die Aufmerksamkeit lieben. Ob jung oder etabliert – sie alle stehen gerne
im Rampenlicht. Dabei wäre eine einander zugewandtere Debatte gerade
dringend nötig, damit das Stadttheater trotz geringer
Zuschauer:innenzahlen und Corona überhaupt noch eine Zukunft hat.
Ron Iyamu ist seit Ende Januar krankgeschrieben. Er fühlt sich vom
Schauspielhaus im Stich gelassen. „Was mich viel mehr verletzt hat als die
rassistischen Witze von Armin Petras oder die Cuttermesser-Situation war,
dass der Intendant Bescheid wusste, aber sich nicht gekümmert hat.“
Den letzten Rest gab ihm ein Telefonat mit dem Leiter des Jungen
Schauspiels, der rumgewitzelt haben soll, er hätte Wilfried Schulz
beruhigt, dass Ron Iyamu ihm nicht nach dem Leben trachte. Er habe sich
damit auf jenes Musikvideo bezogen, sagt Iyamu, das er für „Dantons Tod“
produziert hatte, das aber nie gezeigt worden war. Iyamu wollte es im Zuge
von Black Lives Matter 2020 gern veröffentlichen.
Doch die künstlerische Leitung des Hauses habe Bedenken geäußert, sagt
Iyamu. Sie habe sich Sorgen gemacht, dass die expliziten Lyrics, in denen
zur Revolution gegen das verstaubte, weiße Stadttheater aufgerufen wird, zu
realer Gewalt gegen das Haus führen könnten. Auch wenn das Video
schlussendlich online gestellt wurde, hätte ihn die Diskussion darum
schockiert.
„Ich mache Kunst für eine Theaterproduktion von Armin Petras, mache die
Sprache auf seinen Wunsch hin gewaltvoller – und muss mir am Ende so etwas
anhören? Ich wage zu bezweifeln, dass das einem weißen Kollegen auch so
passiert wäre.“
Ron Iyamu hat es trotzdem noch mal versucht. Er wechselte im Herbst in die
Kinder- und Jugendsparte des Düsseldorfer Schauspielhauses. Doch dann habe
er für eine Improvisation zwei Küchenmesser vom Requisitentisch nehmen
wollen, um damit auf die Bühne zu gehen, erzählt er. „Und dann musste ich
innehalten und hatte diese zwei Messer in der Hand und habe festgestellt,
dass ich das nicht mehr kann.“
Auch diese Revolution frisst ihre Kinder. Iyamu wird das Theater verlassen.
29 May 2021
## AUTOREN
Anna Fastabend
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Schwerpunkt Rassismus
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