# taz.de -- Rassismus am Theater: Die Kinder Louvertures | |
> Das Düsseldorfer Schauspielhaus steht für seinen Umgang mit | |
> Rassismusvorwürfen in der Kritik. Es ist auch ein Konflikt zwischen | |
> jungen Aktivisten und Theatergranden. | |
Bild: Der Schauspieler Ron Iyamu | |
Als in den vergangenen Monaten auf den Bühnen des Theaters nicht viel los | |
war, wurde mehr als je zuvor darüber geredet, was hinter den Kulissen so | |
passiert. So steht das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Zeit im Zentrum | |
einer hitzigen Debatte über Rassismus und Machtmissbrauch, ausgelöst von | |
einer am 18. März ausgestrahlten TV-Doku des WDR, in der der Schwarze | |
Schauspieler Ron Iyamu von rassistischen Erlebnissen berichtet, die ihm an | |
dem Theater widerfahren sein sollen. | |
Ron Iyamu – 29 Jahre alt, festes Ensemblemitglied am Haus – erhebt schwere | |
Vorwürfe: Man habe ihn stereotyp besetzt, beleidigt und beschimpft und es | |
habe einen rassistischen Übergriff gegeben, der später als Vorfall mit dem | |
Cuttermesser die Runde macht: Ein Schauspielkollege soll ihm nach einer | |
Probe von „Dantons Tod“ ein solches Werkzeug an den Schritt gehalten und | |
gesagt haben: „Wann schneiden wir dem N-Wort eigentlich die Eier ab?“ Doch: | |
„Es gab nie Konsequenzen“, sagte Iyamu – obwohl er die zuständigen Perso… | |
zeitnah informiert habe. | |
Die nächste Sequenz in der TV-Doku zeigt den Intendanten des | |
Schauspielhauses Wilfried Schulz. Man sieht dem 69-Jährigen an, wie | |
unangenehm ihm dieser Auftritt ist. Er lächelt beschämt, sagt: „Mea culpa�… | |
Wahrscheinlich wäre die Sache noch vor ein paar Jahren damit erledigt | |
gewesen. Sie wäre vermutlich gar nicht erst an die Öffentlichkeit gekommen. | |
Was hinter den Kulissen eines Theaters passierte, blieb normalerweise dort. | |
Die Probe galt als geschützter Raum, nichts drang nach außen, es sei denn, | |
der Regisseur äußerte sich selbst dazu. Schauspieler:innen hingegen | |
schwiegen, schon alleine aus Angst davor, nicht mehr besetzt zu werden. | |
Doch spätestens mit MeToo und Black Lives Matter ist der Umgang mit | |
Diskriminierung ein anderer geworden. | |
Zugleich ist auch die Sensibilisierung größer geworden. Viele Dinge, die | |
früher vielleicht stillschweigend hingenommen worden wären, werden heute | |
als grenzüberschreitend erlebt und dementsprechend geahndet. | |
So brechen nach dem Fernsehbeitrag von Iyamu die Schwarze Theatermacherin | |
Natasha A. Kelly und 21 weitere Künstler:innen die Zusammenarbeit mit | |
dem Düsseldorfer Schauspielhaus ab, fordern ihr Honorar und eine eigene | |
selbstorganisierte Bühne für Schwarze Menschen und People of Color. Ihre | |
Petition haben bereits mehr als 25.500 Menschen unterschrieben. | |
Der Dramaturg Bernd Stegemann veröffentlicht einen Beitrag in der FAZ, in | |
dem er sich kritisch zu Identitätspolitik und ihre angebliche Bedrohung für | |
die Kunstfreiheit äußert. Ron Iyamu bezeichnet er darin als „unsicheren | |
jungen Mann“, „der im schauspielerischen Ausdruck blockiert“ sei und sich | |
„in den Selbstschutz der empörten Kränkung begeben“ habe. | |
Drei Tage später veröffentlicht eine Gruppe Theaterschaffender um den | |
Theatermanagement-Professor und Machtmissbrauchs-Forscher Thomas Schmidt | |
einen offenen Brief, in dem sie den Dramaturgen zu einer Entschuldigung | |
auffordert. Diesen Brief unterzeichnen über 1.400 Menschen, darunter | |
namhafte Theatermacher:innen. Einige andere berichten in der Folge in den | |
sozialen Netzwerken von ihren eigenen Rassismuserfahrungen am Theater. | |
## Dantons Tod | |
Iyamus Gang an die Öffentlichkeit hat eine Revolution ausgelöst: Wo junge, | |
diverse, feministische Theaterkünstler:innen auf der einen Seite | |
stehen und etablierte, oftmals weiße Entscheider:innen auf der anderen. | |
Wie kam es so weit? | |
Ron Iyamu erhält 2019 ein Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus. Es | |
läuft gut für ihn, gleich zwei große Regisseure wollen mit ihm arbeiten. | |
Einer von ihnen ist Armin Petras, früher Intendant am Maxim Gorki Theater | |
in Berlin und am Schauspiel Stuttgart, heute freier Regisseur und | |
Stückeschreiber. Er möchte Iyamu in „Dantons Tod“ besetzen, mit dem die | |
neue Spielzeit 2019/20 eröffnet werden soll. | |
„Ich habe mich riesig auf die Probenzeit gefreut, aber dann wurde es sehr | |
skurril für mich“, sagt Iyamu bei einem Videogespräch mit der taz Ende | |
April. Er sieht erschöpft aus. Er komme kaum zur Ruhe. Schon allein | |
deshalb, weil ihn seither ständig neue Erfahrungsberichte über Rassismus, | |
Sexismus, Antisemitismus und Mobbing erreichen würden. Auch sein eigener | |
Konflikt mit dem Haus sei noch nicht vorbei. „Ich ziehe gefühlt seit fünf | |
Wochen an einer Schnur und es kommt immer mehr Scheiße zum Vorschein.“ | |
Auch in seiner Diplomarbeit setzt sich Iyamu mit Rassismuserfahrungen in | |
der deutschen Schauspielszene auseinander. Dass ihn ausgerechnet die | |
Probenzeit mit Armin Petras in eine tiefe Krise stürzte, irritiert. | |
Petras, 57 Jahre alt, ist kein konservativer Regisseur, sondern links, | |
politisch interessiert, gesellschaftskritisch. Im Gespräch mit der taz | |
erzählt er, was ihn an Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ | |
interessiert hat: „Ich wollte etwas über Revolution heute erzählen.“ Bei | |
seinen Recherchen fiel ihm auf, dass zur Zeit der Französischen Revolution | |
auch Schwarze Menschen und Frauen für ihre Rechte gekämpft hatten. Also | |
baute er einen haitianischen Freiheitskämpfer und eine Frauenrechtlerin mit | |
ein. Den müden Revolutionär Danton besetzte er mit einem älteren weißen | |
Mann und seinen Kontrahenten, den viel radikaleren Robespierre, mit einer | |
jungen Frau. | |
„Ich wollte damit einen Link zur heutigen Zeit setzen, weil diejenigen, die | |
sich gerade mehr Platz in der Gesellschaft erobern, auch Frauen sind.“ Ihn | |
habe die Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation, ihr Blick auf das | |
Leben und das Theater gereizt. Deshalb engagierte er | |
Schauspielabsolvent:innen und viele Studierende. | |
Die Proben seien vielversprechend losgegangen, sagt Anna-Sophie Friedmann, | |
Ensemblemitglied am Düsseldorfer Schauspielhaus, die an den Proben | |
teilnahm. Es beeindruckte sie, wie sehr Petras alle bei der | |
Stückentwicklung mit einbezog. „Damals fand ich das cool, weil ich dachte, | |
wir werden als eigenständige Künstler:innen ernst genommen, aber dafür | |
hätten wir auch mit Respekt behandelt werden müssen und das ist nicht | |
passiert.“ | |
Die Produktion sei extrem anstrengend gewesen, sagt Anna-Sophie Friedmann. | |
Armin Petras habe sie angeschrien, fand nicht gut, dass sie eine | |
gefährliche Menschenpyramide abgebrochen hatte und habe sie dann mit einer | |
Rolle besetzt, in der sie kaum noch zu erkennen war. Petras habe in den | |
letzten drei Probenwochen oft gebrüllt, sagt auch Iyamu. Sein | |
Lieblingskommando: „Schneller, lauter, heiterer, ihr Penner!“ | |
In dieser Gemengelage sei es immer wieder zu Rassismus gekommen, sagt | |
Iyamu. So hätten einige seiner weißen Schauspielkolleg:innen | |
darstellen wollen, wie in Paris das Ende der Sklaverei gefeiert wurde. Auf | |
der Bühne ließen sie sich von einem ihrer Mitstreiter zum Tanz anleiten, | |
während ein anderer „I have a Dream“ von Martin Luther King rief. | |
Er habe kurz darüber nachgedacht, ob er die Szene abbrechen oder | |
spielerisch mit ihr umgehen solle. „Ich bin dann auf die Bühne und Armin | |
fängt an, Regieanweisungen zu geben, so nach dem Motto ‚Könnt ihr | |
vielleicht noch afrikanischer tanzen?‘ – und die anderen so: ‚Klar, könn… | |
wir‘.“ Und dann hätten sie alles ausgepackt, was sie an Klischees von | |
afrikanischen Tänzen im Kopf hatten, sagt Iyamu. Petras habe gelacht und | |
sie so angefeuert. | |
Dann habe Petras abgebrochen und gesagt, dass er sich wünsche, diese Szene | |
genau so einzubauen mit Iyamu, wie er am Ende auf die Bühne kommt und sie | |
dann alle mit einem Maschinengewehr erschießt. Seine Kolleg:innen hätten | |
sich daraufhin total verwirrt angeguckt, sagt Iyamu. Die Szene wurde nie | |
eingebaut. | |
In diesem Moment habe er gedacht, dass Petras erkannt habe, wie rassistisch | |
die Szene war, sagt Iyamu. Dass der Regisseur seine | |
Schauspielkolleg:innen aber so auflaufen ließ, indem er sie ermutigte, | |
rassistische Stereotype zu reproduzieren, ist für Iyamu ein manipulativer | |
Akt. | |
Die Improvisation sollte rassistische Vorstellungen kritisieren, antwortet | |
Petras auf eine Nachfrage der taz. Aus heutiger Sicht finde er sie auch | |
problematisch, da er eine „mögliche Traumatisierung oder | |
Re-Traumatisierung“ von Rassismus betroffener Personen nicht bedacht habe. | |
Iyamu sagt, Petras habe bei den Proben immer wieder rassistische Sprüche | |
gemacht wie: „So schwarz bist du ja gar nicht, jetzt wärst du beinahe | |
zwischen den anderen verschwunden.“ Ein anderes Mal soll er zu einem aus | |
der Sommerpause wieder gekommenen Kollegen gesagt haben, jetzt sei er fast | |
so dunkel wie Iyamu. Petras bestreitet das. | |
Bei einer Theaterprobe ist es üblich, dass Schauspieler:innen mit ihrem | |
Rollennamen angesprochen werden. Petras hatte Iyamu gefragt, ob er sich | |
vorstellen könne, den haitianischen Freiheitskämpfer Toussaint Louverture | |
zu spielen. Ron Iyamu zögerte, ob er diesen Mann spielen wollte. Eigentlich | |
war er die Reduzierung auf seine Hautfarbe leid. Andererseits war es eine | |
gute Gelegenheit, die Geschichte eines Schwarzen Menschen auf die Bühne zu | |
bringen, also sagte er zu. | |
Nachdem er Petras erzählt hatte, dass er auch rappt, entstand die Idee, ein | |
Musikvideo zu dem Stück beizusteuern. Auf der Grundlage eines Textes von | |
Heiner Müller, der von einem gescheiterten Sklavenaufstand handelt, schrieb | |
Iyamu einen Text, der Rassismus dort anklagt, wo er ihn erfahren hat: im | |
Theater. | |
Das Musikvideo zeigt, wie eine Gruppe junger Menschen durch einen dunklen | |
Korridor streift, während Ron Iyamu über eine Erneuerung des hierarchischen | |
Stadttheaters rappt: | |
„Wir sind die Kinder Louvertures / Es hallt durch Zuschauerräume / Wenn wir | |
die Wahrheit schrei’n / Wir reißen Deutschlands marode Theater ein / Wir | |
pressen die Wände und Grenzen hinaus / Zersetzen die Ketten der Ängste zu | |
Staub / Zerfetzen die Bretter und Dämme für Raum / Verletzen die mächtigen | |
Männer und Frau’n.“ | |
Petras hätten seine Lyrics gut gefallen, sagt Iyamu. Der Regisseur habe ihn | |
danach sogar mehr respektiert, weil er ja selber schreibe, vermutet er. Das | |
habe ihn aber nicht davon abgehalten, ihn „Sklave“ zu rufen. | |
Das sei ganz klar ein Fehler gewesen, sagt Armin Petras am Telefon. „Ich | |
habe mir den Figurennamen nicht merken können, weil ich kein Französisch | |
kann, und sträflicherweise nicht etwa der ‚entflohene Sklave‘ gesagt. Ich | |
habe mich dafür aber zweimal bei Ron entschuldigt, einmal direkt nach den | |
Vorfällen während der Produktion und dann nochmal nach der Veröffentlichung | |
der Vorwürfe per E-Mail, wo ich auch um ein klärendes Gespräch gebeten | |
habe.“ | |
Iyamu räumt ein, dass es in der Probenzeit ein Gespräch mit dem Regisseur | |
gab, in dem er ihn darum bat, mit den Witzen aufzuhören, woraufhin dieser | |
auch aufgehört habe. Kurz vor der Premiere seien sie auf Bitten von Petras | |
dann noch einmal spazieren gewesen, wo Petras ihm gesagt habe, dass er über | |
die Probenzeit, und was sie da so zu Rassismus besprochen hätten, | |
nachgedacht habe und ein Lernprozess bei ihm eingetreten sei. | |
Dann ist da noch die Szene mit dem Cuttermesser, zu der es bis heute | |
unterschiedliche Ansichten gibt. Der Schauspielkollege, dessen Name der | |
Öffentlichkeit nicht bekannt ist, und der Iyamu nach einem Videodreh mit | |
einem Cuttermesser entgegengetreten sein soll, ist laut Anna-Sophie | |
Friedmann und Ron Iyamu schon vorher mit sexistischen Sprüchen aufgefallen. | |
Ob er in der Situation einfach wütend auf Iyamu war, weil sie zuvor eine | |
Folterszene gespielt hatten, in der Iyamu der Henker und der Kollege sein | |
Opfer gewesen war? „Vermutlich wollte er aus seiner Sicht bloß einen blöden | |
Witz machen“, sagt Iyamu, trotzdem sei die Probe zu diesem Zeitpunkt vorbei | |
gewesen. | |
Darüber, wie es danach weiterging, gehen die Darstellungen ebenfalls | |
auseinander. Iyamu sagt, dass er den Diversitätsbeauftragten und die | |
Dramaturgin darüber informiert und letztere darum gebeten habe, den Vorfall | |
in der Produktion anzusprechen. Der Intendant sagt, dass es zwischen Iyamu | |
und der Dramaturgin offenbar ein Missverständnis gegeben habe. Sie habe | |
verstanden, dass sie den Vorfall weder in die Produktion zurücktragen noch | |
der Leitung gegenüber ansprechen soll. | |
Deshalb habe er auch erst Monate später davon erfahren, sagt Intendant | |
Wilfried Schulz im Gespräch mit der taz. Er habe den Fehler gemacht, danach | |
nicht selbst mit Iyamu darüber gesprochen, sondern den Leiter des Jungen | |
Schauspiels darum gebeten zu haben. | |
Iyamu sagt, dass er die Situation mit dem Cuttermesser auch Petras erzählt | |
hat. Petras hingegen will davon nur als Gerücht von einer Mitarbeiterin des | |
Theaters gehört haben, hält es aber durchaus für möglich, dass so was | |
passiert sein könnte. So oder so fühle er sich schuldig. „Denn das heißt | |
ja, dass bei uns auf der Probe eine Atmosphäre gewesen sein muss, wo | |
zumindest ähnliche Dinge möglich gewesen sind – und das finde ich in | |
Anbetracht des großen Leidensdrucks eines jungen Schwarzen Mannes | |
problematisch.“ | |
Petras kämpft gerade um seine Existenz. Er verstehe nicht, warum | |
ausgerechnet er im Mittelpunkt einer Rassismusdebatte stehe, wo es viel | |
problematischere Regisseure gebe. Trotzdem habe ihn diese Erfahrung zum | |
Nachdenken gebracht. Er spricht von einer verschobenen Selbst- und | |
Fremdwahrnehmung, von seiner Teilnahme an Workshops zu Critical Whiteness, | |
und davon, dass er in seiner aktuellen Produktion am Schauspielhaus | |
Hannover Rassismen, Diskriminierungen und problematische Darstellungsweisen | |
mit seinem Ensemble permanent diskutiere. | |
„Wir setzen uns ja nicht erst seit gestern mit Diversität auseinander“, | |
betont auch Intendant Schulz im Gespräch mit der taz. Schließlich | |
beschäftige sein Haus seit 2019 zwei Mitarbeiter:innen für | |
Diversitätsfragen, mache Programm für People of Color und Menschen mit | |
Migrationsgeschichte und habe einen Safe Space für Schwarze Menschen. | |
Eine externe Beratungsfirma werde sich die Rassismusvorwürfe nochmal genau | |
angucken. Außerdem arbeite sein Haus an einem Kodex, der diskriminierendes | |
Verhalten verhindern solle. Und es sei noch eine Zukunfts-AG im Gespräch: | |
„Ich finde es eine große und gute Herausforderung, über die Zukunft | |
nachzudenken, und ein Teil davon zu sein, sie zu formulieren“, sagt Schulz | |
in der taktierenden Sprache eines erfahrenen Theatermanagers. | |
„Nach Rons Veröffentlichung gab es eine Spaltung im Haus“, sagt eine | |
Mitarbeiterin. „Manche sagen, es braucht neue Theaterstrukturen, andere | |
wollen den Ruf ihres Hauses unbedingt schützen, und wieder andere finden | |
grundsätzlich alles scheiße, was neu ist, und versuchen, das Alte zu | |
erhalten.“ | |
Wer ihnen vorwerfe, dass sie die Entscheidungsträger:innen entmachten | |
wollten, um selber an die Macht zu kommen, liege falsch, sagt Sahar Rezaei, | |
eine junge Theatermacherin. „Wir wollen ihren Platz nicht einnehmen, weil | |
ihr System falsch ist.“ | |
Sahar Rezaei kommt aus Teheran und studiert Regie an der Hochschule für | |
Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. 2020 war sie | |
Gast-Regieassistentin am Düsseldorfer Schauspielhaus in Roger Vontobels | |
Inszenierung von Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Vontobel ist | |
Hausregisseur des Schauspielhauses. | |
Vier Wochen nach Iyamus WDR-Beitrag hatte Sahar Rezaei auf Instagram von | |
der Zusammenarbeit mit Vontobel berichtet – und sie erzählt es nochmal der | |
taz. In dem Kafka-Monolog berichtet ein sprechender Affe davon, wie er nach | |
Europa verschleppt wurde und eine Menschwerdung durchlaufen hat, um in die | |
Gesellschaft hineinzupassen. „Wir haben zu Beginn der Proben über | |
verschiedene Konzepte gesprochen und uns immer wieder gefragt, wer dieser | |
Affe sein könnte“, erinnert Rezaei sich. „Und dann kam irgendwann die Idee | |
auf, dass dieser Affe doch ein Afrikaner sein könne, der nach Europa kommt, | |
und ich dachte, dass dies ein total falsches Bild ist und habe das gleich | |
zu Anfang kritisiert.“ | |
Daraufhin habe Vontobel gesagt: „Ja, aber wir sind ganz furchtbare | |
Menschen, wir machen ganz schlimme Sachen, wir trinken viel – würdest du so | |
wie wir sein wollen?“ Da sei ihr klar geworden, dass sie in dieser | |
Produktion selbst wie der Affe betrachtet werde, sagt Rezaei. Ein Eindruck, | |
der sich für sie durch die ständigen Fragen nach ihrer Herkunft noch | |
verfestigte. | |
Auf Nachfrage der taz bedauert Roger Vontobel, dass Sahar Rezaei die | |
dramaturgischen Betrachtungen zu dem Kafka-Monolog, in dem es seiner | |
Auffassung nach um die gewaltsame Kolonialisierung und Zwangsassimilierung | |
gehe, auf sich bezogen habe. „Das war weder Intention des gemeinsamen | |
Diskurses im Team, noch entspricht diese Wahrnehmung meinen Aussagen und | |
meinen eigenen Ansichten und Betrachtungen.“ | |
Doch immer mehr junge Theaterschaffende haben keine Geduld mehr mit | |
Menschen wie Vontobel, Armin Petras und Wilfried Schulz. Sie haben sich | |
deren Art und Weise, mit internen Konflikten umzugehen, lange genug | |
angesehen und finden ihren Sinneswandel befremdlich. | |
Es sind gut ausgebildete, vernetzte, politisch aktive und manchmal auch | |
sehr aktivistische Menschen. Sie machen gerade ihren Abschluss, sind vor | |
Kurzem in den Beruf eingestiegen oder arbeiten erst wenige Jahre in ihm. | |
Sie kennen ihre Rechte und sie haben keine Lust mehr, in einem | |
Arbeitskontext zu arbeiten, den sie als diskriminierend oder ungerecht | |
empfinden. Sie sind die Theaterdynastien, wo jeder mit jedem befreundet | |
ist, leid. Dabei finden sie Vontobel, Schulz oder Petras gar nicht mal | |
schlimmer als andere. Ja, es gehe sogar noch viel schlimmer, sagen sie. | |
Auf der anderen Seite stehen die etablierten Theatermacher:innen, die sich | |
einer schonungslosen Kritik ausgesetzt sehen. Die schockiert sie auch | |
deshalb so, weil sie sich selbst als progressiv, sozialkritisch und | |
antifaschistisch begreifen. Und weil sie ihr Handwerk zu einer Zeit gelernt | |
haben, als man sich hochdiente, ohne aufzumucken, Theater von Männern | |
gemacht wurde, die sich als allein Verantwortliche begriffen, dafür aber | |
auch über ihr Personal verfügten, als wäre es ihr Eigentum, und Menschen | |
mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen und People of Color höchstens | |
am Rand der Bühne standen, sodass sich die mehrheitlich weißen | |
Theatermacher:innen mit ihren Perspektiven auch nicht wirklich | |
auseinandersetzen mussten. | |
## Diskursverschiebung | |
Inzwischen gibt es jedoch vermehrt Diskurse zu Gendergerechtigkeit, | |
Postkolonialismus und Antirassismus, eine diverser werdende Theaterszene, | |
Studien zum Machtmissbrauch an Theatern, brancheninterne Beratungsangebote | |
wie Themis, Zusammenschlüsse wie das Ensemble Netzwerk und | |
Künstler:innen-Kollektive wie Staub zu Glitzer – und Menschen wie Ron | |
Iyamu, die ihre Erfahrungen öffentlich machen. | |
Eine Kettenreaktion tritt ein: 2018 der Fall Matthias Hartmann am | |
Burgtheater in Wien, 2019 der Fall Volker Metzler am Theater an der Parkaue | |
Berlin, 2020 der Fall Peter Spuhler am Badischen Staatstheater, 2021 der | |
Fall Klaus Dörr an der Berliner Volksbühne, 2021 der Fall Shermin Langhoff | |
am Maxim Gorki Theater in Berlin – außerdem Düsseldorf … | |
Im Moment wirkt Vieles wie ein ungesundes Kräftemessen, bei dem beide | |
Seiten ihre Karrieren aufs Spiel setzen. Eines, das durch den | |
pandemiebedingt lange stillgelegten Theaterbetrieb noch mal befördert | |
worden ist. Denn immerhin hat man es hier ja auch mit Menschen zu tun, die | |
die Aufmerksamkeit lieben. Ob jung oder etabliert – sie alle stehen gerne | |
im Rampenlicht. Dabei wäre eine einander zugewandtere Debatte gerade | |
dringend nötig, damit das Stadttheater trotz geringer | |
Zuschauer:innenzahlen und Corona überhaupt noch eine Zukunft hat. | |
Ron Iyamu ist seit Ende Januar krankgeschrieben. Er fühlt sich vom | |
Schauspielhaus im Stich gelassen. „Was mich viel mehr verletzt hat als die | |
rassistischen Witze von Armin Petras oder die Cuttermesser-Situation war, | |
dass der Intendant Bescheid wusste, aber sich nicht gekümmert hat.“ | |
Den letzten Rest gab ihm ein Telefonat mit dem Leiter des Jungen | |
Schauspiels, der rumgewitzelt haben soll, er hätte Wilfried Schulz | |
beruhigt, dass Ron Iyamu ihm nicht nach dem Leben trachte. Er habe sich | |
damit auf jenes Musikvideo bezogen, sagt Iyamu, das er für „Dantons Tod“ | |
produziert hatte, das aber nie gezeigt worden war. Iyamu wollte es im Zuge | |
von Black Lives Matter 2020 gern veröffentlichen. | |
Doch die künstlerische Leitung des Hauses habe Bedenken geäußert, sagt | |
Iyamu. Sie habe sich Sorgen gemacht, dass die expliziten Lyrics, in denen | |
zur Revolution gegen das verstaubte, weiße Stadttheater aufgerufen wird, zu | |
realer Gewalt gegen das Haus führen könnten. Auch wenn das Video | |
schlussendlich online gestellt wurde, hätte ihn die Diskussion darum | |
schockiert. | |
„Ich mache Kunst für eine Theaterproduktion von Armin Petras, mache die | |
Sprache auf seinen Wunsch hin gewaltvoller – und muss mir am Ende so etwas | |
anhören? Ich wage zu bezweifeln, dass das einem weißen Kollegen auch so | |
passiert wäre.“ | |
Ron Iyamu hat es trotzdem noch mal versucht. Er wechselte im Herbst in die | |
Kinder- und Jugendsparte des Düsseldorfer Schauspielhauses. Doch dann habe | |
er für eine Improvisation zwei Küchenmesser vom Requisitentisch nehmen | |
wollen, um damit auf die Bühne zu gehen, erzählt er. „Und dann musste ich | |
innehalten und hatte diese zwei Messer in der Hand und habe festgestellt, | |
dass ich das nicht mehr kann.“ | |
Auch diese Revolution frisst ihre Kinder. Iyamu wird das Theater verlassen. | |
29 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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