| # taz.de -- Rassismus am Theater: Die Kinder Louvertures | |
| > Das Düsseldorfer Schauspielhaus steht für seinen Umgang mit | |
| > Rassismusvorwürfen in der Kritik. Es ist auch ein Konflikt zwischen | |
| > jungen Aktivisten und Theatergranden. | |
| Bild: Der Schauspieler Ron Iyamu | |
| Als in den vergangenen Monaten auf den Bühnen des Theaters nicht viel los | |
| war, wurde mehr als je zuvor darüber geredet, was hinter den Kulissen so | |
| passiert. So steht das Düsseldorfer Schauspielhaus zur Zeit im Zentrum | |
| einer hitzigen Debatte über Rassismus und Machtmissbrauch, ausgelöst von | |
| einer am 18. März ausgestrahlten TV-Doku des WDR, in der der Schwarze | |
| Schauspieler Ron Iyamu von rassistischen Erlebnissen berichtet, die ihm an | |
| dem Theater widerfahren sein sollen. | |
| Ron Iyamu – 29 Jahre alt, festes Ensemblemitglied am Haus – erhebt schwere | |
| Vorwürfe: Man habe ihn stereotyp besetzt, beleidigt und beschimpft und es | |
| habe einen rassistischen Übergriff gegeben, der später als Vorfall mit dem | |
| Cuttermesser die Runde macht: Ein Schauspielkollege soll ihm nach einer | |
| Probe von „Dantons Tod“ ein solches Werkzeug an den Schritt gehalten und | |
| gesagt haben: „Wann schneiden wir dem N-Wort eigentlich die Eier ab?“ Doch: | |
| „Es gab nie Konsequenzen“, sagte Iyamu – obwohl er die zuständigen Perso… | |
| zeitnah informiert habe. | |
| Die nächste Sequenz in der TV-Doku zeigt den Intendanten des | |
| Schauspielhauses Wilfried Schulz. Man sieht dem 69-Jährigen an, wie | |
| unangenehm ihm dieser Auftritt ist. Er lächelt beschämt, sagt: „Mea culpa�… | |
| Wahrscheinlich wäre die Sache noch vor ein paar Jahren damit erledigt | |
| gewesen. Sie wäre vermutlich gar nicht erst an die Öffentlichkeit gekommen. | |
| Was hinter den Kulissen eines Theaters passierte, blieb normalerweise dort. | |
| Die Probe galt als geschützter Raum, nichts drang nach außen, es sei denn, | |
| der Regisseur äußerte sich selbst dazu. Schauspieler:innen hingegen | |
| schwiegen, schon alleine aus Angst davor, nicht mehr besetzt zu werden. | |
| Doch spätestens mit MeToo und Black Lives Matter ist der Umgang mit | |
| Diskriminierung ein anderer geworden. | |
| Zugleich ist auch die Sensibilisierung größer geworden. Viele Dinge, die | |
| früher vielleicht stillschweigend hingenommen worden wären, werden heute | |
| als grenzüberschreitend erlebt und dementsprechend geahndet. | |
| So brechen nach dem Fernsehbeitrag von Iyamu die Schwarze Theatermacherin | |
| Natasha A. Kelly und 21 weitere Künstler:innen die Zusammenarbeit mit | |
| dem Düsseldorfer Schauspielhaus ab, fordern ihr Honorar und eine eigene | |
| selbstorganisierte Bühne für Schwarze Menschen und People of Color. Ihre | |
| Petition haben bereits mehr als 25.500 Menschen unterschrieben. | |
| Der Dramaturg Bernd Stegemann veröffentlicht einen Beitrag in der FAZ, in | |
| dem er sich kritisch zu Identitätspolitik und ihre angebliche Bedrohung für | |
| die Kunstfreiheit äußert. Ron Iyamu bezeichnet er darin als „unsicheren | |
| jungen Mann“, „der im schauspielerischen Ausdruck blockiert“ sei und sich | |
| „in den Selbstschutz der empörten Kränkung begeben“ habe. | |
| Drei Tage später veröffentlicht eine Gruppe Theaterschaffender um den | |
| Theatermanagement-Professor und Machtmissbrauchs-Forscher Thomas Schmidt | |
| einen offenen Brief, in dem sie den Dramaturgen zu einer Entschuldigung | |
| auffordert. Diesen Brief unterzeichnen über 1.400 Menschen, darunter | |
| namhafte Theatermacher:innen. Einige andere berichten in der Folge in den | |
| sozialen Netzwerken von ihren eigenen Rassismuserfahrungen am Theater. | |
| ## Dantons Tod | |
| Iyamus Gang an die Öffentlichkeit hat eine Revolution ausgelöst: Wo junge, | |
| diverse, feministische Theaterkünstler:innen auf der einen Seite | |
| stehen und etablierte, oftmals weiße Entscheider:innen auf der anderen. | |
| Wie kam es so weit? | |
| Ron Iyamu erhält 2019 ein Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus. Es | |
| läuft gut für ihn, gleich zwei große Regisseure wollen mit ihm arbeiten. | |
| Einer von ihnen ist Armin Petras, früher Intendant am Maxim Gorki Theater | |
| in Berlin und am Schauspiel Stuttgart, heute freier Regisseur und | |
| Stückeschreiber. Er möchte Iyamu in „Dantons Tod“ besetzen, mit dem die | |
| neue Spielzeit 2019/20 eröffnet werden soll. | |
| „Ich habe mich riesig auf die Probenzeit gefreut, aber dann wurde es sehr | |
| skurril für mich“, sagt Iyamu bei einem Videogespräch mit der taz Ende | |
| April. Er sieht erschöpft aus. Er komme kaum zur Ruhe. Schon allein | |
| deshalb, weil ihn seither ständig neue Erfahrungsberichte über Rassismus, | |
| Sexismus, Antisemitismus und Mobbing erreichen würden. Auch sein eigener | |
| Konflikt mit dem Haus sei noch nicht vorbei. „Ich ziehe gefühlt seit fünf | |
| Wochen an einer Schnur und es kommt immer mehr Scheiße zum Vorschein.“ | |
| Auch in seiner Diplomarbeit setzt sich Iyamu mit Rassismuserfahrungen in | |
| der deutschen Schauspielszene auseinander. Dass ihn ausgerechnet die | |
| Probenzeit mit Armin Petras in eine tiefe Krise stürzte, irritiert. | |
| Petras, 57 Jahre alt, ist kein konservativer Regisseur, sondern links, | |
| politisch interessiert, gesellschaftskritisch. Im Gespräch mit der taz | |
| erzählt er, was ihn an Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ | |
| interessiert hat: „Ich wollte etwas über Revolution heute erzählen.“ Bei | |
| seinen Recherchen fiel ihm auf, dass zur Zeit der Französischen Revolution | |
| auch Schwarze Menschen und Frauen für ihre Rechte gekämpft hatten. Also | |
| baute er einen haitianischen Freiheitskämpfer und eine Frauenrechtlerin mit | |
| ein. Den müden Revolutionär Danton besetzte er mit einem älteren weißen | |
| Mann und seinen Kontrahenten, den viel radikaleren Robespierre, mit einer | |
| jungen Frau. | |
| „Ich wollte damit einen Link zur heutigen Zeit setzen, weil diejenigen, die | |
| sich gerade mehr Platz in der Gesellschaft erobern, auch Frauen sind.“ Ihn | |
| habe die Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation, ihr Blick auf das | |
| Leben und das Theater gereizt. Deshalb engagierte er | |
| Schauspielabsolvent:innen und viele Studierende. | |
| Die Proben seien vielversprechend losgegangen, sagt Anna-Sophie Friedmann, | |
| Ensemblemitglied am Düsseldorfer Schauspielhaus, die an den Proben | |
| teilnahm. Es beeindruckte sie, wie sehr Petras alle bei der | |
| Stückentwicklung mit einbezog. „Damals fand ich das cool, weil ich dachte, | |
| wir werden als eigenständige Künstler:innen ernst genommen, aber dafür | |
| hätten wir auch mit Respekt behandelt werden müssen und das ist nicht | |
| passiert.“ | |
| Die Produktion sei extrem anstrengend gewesen, sagt Anna-Sophie Friedmann. | |
| Armin Petras habe sie angeschrien, fand nicht gut, dass sie eine | |
| gefährliche Menschenpyramide abgebrochen hatte und habe sie dann mit einer | |
| Rolle besetzt, in der sie kaum noch zu erkennen war. Petras habe in den | |
| letzten drei Probenwochen oft gebrüllt, sagt auch Iyamu. Sein | |
| Lieblingskommando: „Schneller, lauter, heiterer, ihr Penner!“ | |
| In dieser Gemengelage sei es immer wieder zu Rassismus gekommen, sagt | |
| Iyamu. So hätten einige seiner weißen Schauspielkolleg:innen | |
| darstellen wollen, wie in Paris das Ende der Sklaverei gefeiert wurde. Auf | |
| der Bühne ließen sie sich von einem ihrer Mitstreiter zum Tanz anleiten, | |
| während ein anderer „I have a Dream“ von Martin Luther King rief. | |
| Er habe kurz darüber nachgedacht, ob er die Szene abbrechen oder | |
| spielerisch mit ihr umgehen solle. „Ich bin dann auf die Bühne und Armin | |
| fängt an, Regieanweisungen zu geben, so nach dem Motto ‚Könnt ihr | |
| vielleicht noch afrikanischer tanzen?‘ – und die anderen so: ‚Klar, könn… | |
| wir‘.“ Und dann hätten sie alles ausgepackt, was sie an Klischees von | |
| afrikanischen Tänzen im Kopf hatten, sagt Iyamu. Petras habe gelacht und | |
| sie so angefeuert. | |
| Dann habe Petras abgebrochen und gesagt, dass er sich wünsche, diese Szene | |
| genau so einzubauen mit Iyamu, wie er am Ende auf die Bühne kommt und sie | |
| dann alle mit einem Maschinengewehr erschießt. Seine Kolleg:innen hätten | |
| sich daraufhin total verwirrt angeguckt, sagt Iyamu. Die Szene wurde nie | |
| eingebaut. | |
| In diesem Moment habe er gedacht, dass Petras erkannt habe, wie rassistisch | |
| die Szene war, sagt Iyamu. Dass der Regisseur seine | |
| Schauspielkolleg:innen aber so auflaufen ließ, indem er sie ermutigte, | |
| rassistische Stereotype zu reproduzieren, ist für Iyamu ein manipulativer | |
| Akt. | |
| Die Improvisation sollte rassistische Vorstellungen kritisieren, antwortet | |
| Petras auf eine Nachfrage der taz. Aus heutiger Sicht finde er sie auch | |
| problematisch, da er eine „mögliche Traumatisierung oder | |
| Re-Traumatisierung“ von Rassismus betroffener Personen nicht bedacht habe. | |
| Iyamu sagt, Petras habe bei den Proben immer wieder rassistische Sprüche | |
| gemacht wie: „So schwarz bist du ja gar nicht, jetzt wärst du beinahe | |
| zwischen den anderen verschwunden.“ Ein anderes Mal soll er zu einem aus | |
| der Sommerpause wieder gekommenen Kollegen gesagt haben, jetzt sei er fast | |
| so dunkel wie Iyamu. Petras bestreitet das. | |
| Bei einer Theaterprobe ist es üblich, dass Schauspieler:innen mit ihrem | |
| Rollennamen angesprochen werden. Petras hatte Iyamu gefragt, ob er sich | |
| vorstellen könne, den haitianischen Freiheitskämpfer Toussaint Louverture | |
| zu spielen. Ron Iyamu zögerte, ob er diesen Mann spielen wollte. Eigentlich | |
| war er die Reduzierung auf seine Hautfarbe leid. Andererseits war es eine | |
| gute Gelegenheit, die Geschichte eines Schwarzen Menschen auf die Bühne zu | |
| bringen, also sagte er zu. | |
| Nachdem er Petras erzählt hatte, dass er auch rappt, entstand die Idee, ein | |
| Musikvideo zu dem Stück beizusteuern. Auf der Grundlage eines Textes von | |
| Heiner Müller, der von einem gescheiterten Sklavenaufstand handelt, schrieb | |
| Iyamu einen Text, der Rassismus dort anklagt, wo er ihn erfahren hat: im | |
| Theater. | |
| Das Musikvideo zeigt, wie eine Gruppe junger Menschen durch einen dunklen | |
| Korridor streift, während Ron Iyamu über eine Erneuerung des hierarchischen | |
| Stadttheaters rappt: | |
| „Wir sind die Kinder Louvertures / Es hallt durch Zuschauerräume / Wenn wir | |
| die Wahrheit schrei’n / Wir reißen Deutschlands marode Theater ein / Wir | |
| pressen die Wände und Grenzen hinaus / Zersetzen die Ketten der Ängste zu | |
| Staub / Zerfetzen die Bretter und Dämme für Raum / Verletzen die mächtigen | |
| Männer und Frau’n.“ | |
| Petras hätten seine Lyrics gut gefallen, sagt Iyamu. Der Regisseur habe ihn | |
| danach sogar mehr respektiert, weil er ja selber schreibe, vermutet er. Das | |
| habe ihn aber nicht davon abgehalten, ihn „Sklave“ zu rufen. | |
| Das sei ganz klar ein Fehler gewesen, sagt Armin Petras am Telefon. „Ich | |
| habe mir den Figurennamen nicht merken können, weil ich kein Französisch | |
| kann, und sträflicherweise nicht etwa der ‚entflohene Sklave‘ gesagt. Ich | |
| habe mich dafür aber zweimal bei Ron entschuldigt, einmal direkt nach den | |
| Vorfällen während der Produktion und dann nochmal nach der Veröffentlichung | |
| der Vorwürfe per E-Mail, wo ich auch um ein klärendes Gespräch gebeten | |
| habe.“ | |
| Iyamu räumt ein, dass es in der Probenzeit ein Gespräch mit dem Regisseur | |
| gab, in dem er ihn darum bat, mit den Witzen aufzuhören, woraufhin dieser | |
| auch aufgehört habe. Kurz vor der Premiere seien sie auf Bitten von Petras | |
| dann noch einmal spazieren gewesen, wo Petras ihm gesagt habe, dass er über | |
| die Probenzeit, und was sie da so zu Rassismus besprochen hätten, | |
| nachgedacht habe und ein Lernprozess bei ihm eingetreten sei. | |
| Dann ist da noch die Szene mit dem Cuttermesser, zu der es bis heute | |
| unterschiedliche Ansichten gibt. Der Schauspielkollege, dessen Name der | |
| Öffentlichkeit nicht bekannt ist, und der Iyamu nach einem Videodreh mit | |
| einem Cuttermesser entgegengetreten sein soll, ist laut Anna-Sophie | |
| Friedmann und Ron Iyamu schon vorher mit sexistischen Sprüchen aufgefallen. | |
| Ob er in der Situation einfach wütend auf Iyamu war, weil sie zuvor eine | |
| Folterszene gespielt hatten, in der Iyamu der Henker und der Kollege sein | |
| Opfer gewesen war? „Vermutlich wollte er aus seiner Sicht bloß einen blöden | |
| Witz machen“, sagt Iyamu, trotzdem sei die Probe zu diesem Zeitpunkt vorbei | |
| gewesen. | |
| Darüber, wie es danach weiterging, gehen die Darstellungen ebenfalls | |
| auseinander. Iyamu sagt, dass er den Diversitätsbeauftragten und die | |
| Dramaturgin darüber informiert und letztere darum gebeten habe, den Vorfall | |
| in der Produktion anzusprechen. Der Intendant sagt, dass es zwischen Iyamu | |
| und der Dramaturgin offenbar ein Missverständnis gegeben habe. Sie habe | |
| verstanden, dass sie den Vorfall weder in die Produktion zurücktragen noch | |
| der Leitung gegenüber ansprechen soll. | |
| Deshalb habe er auch erst Monate später davon erfahren, sagt Intendant | |
| Wilfried Schulz im Gespräch mit der taz. Er habe den Fehler gemacht, danach | |
| nicht selbst mit Iyamu darüber gesprochen, sondern den Leiter des Jungen | |
| Schauspiels darum gebeten zu haben. | |
| Iyamu sagt, dass er die Situation mit dem Cuttermesser auch Petras erzählt | |
| hat. Petras hingegen will davon nur als Gerücht von einer Mitarbeiterin des | |
| Theaters gehört haben, hält es aber durchaus für möglich, dass so was | |
| passiert sein könnte. So oder so fühle er sich schuldig. „Denn das heißt | |
| ja, dass bei uns auf der Probe eine Atmosphäre gewesen sein muss, wo | |
| zumindest ähnliche Dinge möglich gewesen sind – und das finde ich in | |
| Anbetracht des großen Leidensdrucks eines jungen Schwarzen Mannes | |
| problematisch.“ | |
| Petras kämpft gerade um seine Existenz. Er verstehe nicht, warum | |
| ausgerechnet er im Mittelpunkt einer Rassismusdebatte stehe, wo es viel | |
| problematischere Regisseure gebe. Trotzdem habe ihn diese Erfahrung zum | |
| Nachdenken gebracht. Er spricht von einer verschobenen Selbst- und | |
| Fremdwahrnehmung, von seiner Teilnahme an Workshops zu Critical Whiteness, | |
| und davon, dass er in seiner aktuellen Produktion am Schauspielhaus | |
| Hannover Rassismen, Diskriminierungen und problematische Darstellungsweisen | |
| mit seinem Ensemble permanent diskutiere. | |
| „Wir setzen uns ja nicht erst seit gestern mit Diversität auseinander“, | |
| betont auch Intendant Schulz im Gespräch mit der taz. Schließlich | |
| beschäftige sein Haus seit 2019 zwei Mitarbeiter:innen für | |
| Diversitätsfragen, mache Programm für People of Color und Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte und habe einen Safe Space für Schwarze Menschen. | |
| Eine externe Beratungsfirma werde sich die Rassismusvorwürfe nochmal genau | |
| angucken. Außerdem arbeite sein Haus an einem Kodex, der diskriminierendes | |
| Verhalten verhindern solle. Und es sei noch eine Zukunfts-AG im Gespräch: | |
| „Ich finde es eine große und gute Herausforderung, über die Zukunft | |
| nachzudenken, und ein Teil davon zu sein, sie zu formulieren“, sagt Schulz | |
| in der taktierenden Sprache eines erfahrenen Theatermanagers. | |
| „Nach Rons Veröffentlichung gab es eine Spaltung im Haus“, sagt eine | |
| Mitarbeiterin. „Manche sagen, es braucht neue Theaterstrukturen, andere | |
| wollen den Ruf ihres Hauses unbedingt schützen, und wieder andere finden | |
| grundsätzlich alles scheiße, was neu ist, und versuchen, das Alte zu | |
| erhalten.“ | |
| Wer ihnen vorwerfe, dass sie die Entscheidungsträger:innen entmachten | |
| wollten, um selber an die Macht zu kommen, liege falsch, sagt Sahar Rezaei, | |
| eine junge Theatermacherin. „Wir wollen ihren Platz nicht einnehmen, weil | |
| ihr System falsch ist.“ | |
| Sahar Rezaei kommt aus Teheran und studiert Regie an der Hochschule für | |
| Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. 2020 war sie | |
| Gast-Regieassistentin am Düsseldorfer Schauspielhaus in Roger Vontobels | |
| Inszenierung von Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Vontobel ist | |
| Hausregisseur des Schauspielhauses. | |
| Vier Wochen nach Iyamus WDR-Beitrag hatte Sahar Rezaei auf Instagram von | |
| der Zusammenarbeit mit Vontobel berichtet – und sie erzählt es nochmal der | |
| taz. In dem Kafka-Monolog berichtet ein sprechender Affe davon, wie er nach | |
| Europa verschleppt wurde und eine Menschwerdung durchlaufen hat, um in die | |
| Gesellschaft hineinzupassen. „Wir haben zu Beginn der Proben über | |
| verschiedene Konzepte gesprochen und uns immer wieder gefragt, wer dieser | |
| Affe sein könnte“, erinnert Rezaei sich. „Und dann kam irgendwann die Idee | |
| auf, dass dieser Affe doch ein Afrikaner sein könne, der nach Europa kommt, | |
| und ich dachte, dass dies ein total falsches Bild ist und habe das gleich | |
| zu Anfang kritisiert.“ | |
| Daraufhin habe Vontobel gesagt: „Ja, aber wir sind ganz furchtbare | |
| Menschen, wir machen ganz schlimme Sachen, wir trinken viel – würdest du so | |
| wie wir sein wollen?“ Da sei ihr klar geworden, dass sie in dieser | |
| Produktion selbst wie der Affe betrachtet werde, sagt Rezaei. Ein Eindruck, | |
| der sich für sie durch die ständigen Fragen nach ihrer Herkunft noch | |
| verfestigte. | |
| Auf Nachfrage der taz bedauert Roger Vontobel, dass Sahar Rezaei die | |
| dramaturgischen Betrachtungen zu dem Kafka-Monolog, in dem es seiner | |
| Auffassung nach um die gewaltsame Kolonialisierung und Zwangsassimilierung | |
| gehe, auf sich bezogen habe. „Das war weder Intention des gemeinsamen | |
| Diskurses im Team, noch entspricht diese Wahrnehmung meinen Aussagen und | |
| meinen eigenen Ansichten und Betrachtungen.“ | |
| Doch immer mehr junge Theaterschaffende haben keine Geduld mehr mit | |
| Menschen wie Vontobel, Armin Petras und Wilfried Schulz. Sie haben sich | |
| deren Art und Weise, mit internen Konflikten umzugehen, lange genug | |
| angesehen und finden ihren Sinneswandel befremdlich. | |
| Es sind gut ausgebildete, vernetzte, politisch aktive und manchmal auch | |
| sehr aktivistische Menschen. Sie machen gerade ihren Abschluss, sind vor | |
| Kurzem in den Beruf eingestiegen oder arbeiten erst wenige Jahre in ihm. | |
| Sie kennen ihre Rechte und sie haben keine Lust mehr, in einem | |
| Arbeitskontext zu arbeiten, den sie als diskriminierend oder ungerecht | |
| empfinden. Sie sind die Theaterdynastien, wo jeder mit jedem befreundet | |
| ist, leid. Dabei finden sie Vontobel, Schulz oder Petras gar nicht mal | |
| schlimmer als andere. Ja, es gehe sogar noch viel schlimmer, sagen sie. | |
| Auf der anderen Seite stehen die etablierten Theatermacher:innen, die sich | |
| einer schonungslosen Kritik ausgesetzt sehen. Die schockiert sie auch | |
| deshalb so, weil sie sich selbst als progressiv, sozialkritisch und | |
| antifaschistisch begreifen. Und weil sie ihr Handwerk zu einer Zeit gelernt | |
| haben, als man sich hochdiente, ohne aufzumucken, Theater von Männern | |
| gemacht wurde, die sich als allein Verantwortliche begriffen, dafür aber | |
| auch über ihr Personal verfügten, als wäre es ihr Eigentum, und Menschen | |
| mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen und People of Color höchstens | |
| am Rand der Bühne standen, sodass sich die mehrheitlich weißen | |
| Theatermacher:innen mit ihren Perspektiven auch nicht wirklich | |
| auseinandersetzen mussten. | |
| ## Diskursverschiebung | |
| Inzwischen gibt es jedoch vermehrt Diskurse zu Gendergerechtigkeit, | |
| Postkolonialismus und Antirassismus, eine diverser werdende Theaterszene, | |
| Studien zum Machtmissbrauch an Theatern, brancheninterne Beratungsangebote | |
| wie Themis, Zusammenschlüsse wie das Ensemble Netzwerk und | |
| Künstler:innen-Kollektive wie Staub zu Glitzer – und Menschen wie Ron | |
| Iyamu, die ihre Erfahrungen öffentlich machen. | |
| Eine Kettenreaktion tritt ein: 2018 der Fall Matthias Hartmann am | |
| Burgtheater in Wien, 2019 der Fall Volker Metzler am Theater an der Parkaue | |
| Berlin, 2020 der Fall Peter Spuhler am Badischen Staatstheater, 2021 der | |
| Fall Klaus Dörr an der Berliner Volksbühne, 2021 der Fall Shermin Langhoff | |
| am Maxim Gorki Theater in Berlin – außerdem Düsseldorf … | |
| Im Moment wirkt Vieles wie ein ungesundes Kräftemessen, bei dem beide | |
| Seiten ihre Karrieren aufs Spiel setzen. Eines, das durch den | |
| pandemiebedingt lange stillgelegten Theaterbetrieb noch mal befördert | |
| worden ist. Denn immerhin hat man es hier ja auch mit Menschen zu tun, die | |
| die Aufmerksamkeit lieben. Ob jung oder etabliert – sie alle stehen gerne | |
| im Rampenlicht. Dabei wäre eine einander zugewandtere Debatte gerade | |
| dringend nötig, damit das Stadttheater trotz geringer | |
| Zuschauer:innenzahlen und Corona überhaupt noch eine Zukunft hat. | |
| Ron Iyamu ist seit Ende Januar krankgeschrieben. Er fühlt sich vom | |
| Schauspielhaus im Stich gelassen. „Was mich viel mehr verletzt hat als die | |
| rassistischen Witze von Armin Petras oder die Cuttermesser-Situation war, | |
| dass der Intendant Bescheid wusste, aber sich nicht gekümmert hat.“ | |
| Den letzten Rest gab ihm ein Telefonat mit dem Leiter des Jungen | |
| Schauspiels, der rumgewitzelt haben soll, er hätte Wilfried Schulz | |
| beruhigt, dass Ron Iyamu ihm nicht nach dem Leben trachte. Er habe sich | |
| damit auf jenes Musikvideo bezogen, sagt Iyamu, das er für „Dantons Tod“ | |
| produziert hatte, das aber nie gezeigt worden war. Iyamu wollte es im Zuge | |
| von Black Lives Matter 2020 gern veröffentlichen. | |
| Doch die künstlerische Leitung des Hauses habe Bedenken geäußert, sagt | |
| Iyamu. Sie habe sich Sorgen gemacht, dass die expliziten Lyrics, in denen | |
| zur Revolution gegen das verstaubte, weiße Stadttheater aufgerufen wird, zu | |
| realer Gewalt gegen das Haus führen könnten. Auch wenn das Video | |
| schlussendlich online gestellt wurde, hätte ihn die Diskussion darum | |
| schockiert. | |
| „Ich mache Kunst für eine Theaterproduktion von Armin Petras, mache die | |
| Sprache auf seinen Wunsch hin gewaltvoller – und muss mir am Ende so etwas | |
| anhören? Ich wage zu bezweifeln, dass das einem weißen Kollegen auch so | |
| passiert wäre.“ | |
| Ron Iyamu hat es trotzdem noch mal versucht. Er wechselte im Herbst in die | |
| Kinder- und Jugendsparte des Düsseldorfer Schauspielhauses. Doch dann habe | |
| er für eine Improvisation zwei Küchenmesser vom Requisitentisch nehmen | |
| wollen, um damit auf die Bühne zu gehen, erzählt er. „Und dann musste ich | |
| innehalten und hatte diese zwei Messer in der Hand und habe festgestellt, | |
| dass ich das nicht mehr kann.“ | |
| Auch diese Revolution frisst ihre Kinder. Iyamu wird das Theater verlassen. | |
| 29 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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