| # taz.de -- Musical über kulturelle Aneignung: Glaub an mich | |
| > Das Musical „Slippery Slope“ im Berliner Maxim Gorki zeigt: Theater macht | |
| > Spaß. Auch wenn unsicher bleibt, wie viel Ernst in der Sache steckt. | |
| Bild: Die Handlung holpert, doch die Auftritte sind hinreißend: „Slippery Sl… | |
| Berlin taz | Wer noch keine Leiche im Keller hat, bekommt sicher eine | |
| hineingelegt. Das erfahren in „Slippery Slope“, einem exzellent gesungenen | |
| und gespielten Musical am Maxim Gorki Theater so ziemlich alle: die | |
| radikalfeministische Journalistin Stanka, ihre Chefin Klara, geschätzt für | |
| ihre kühle Entscheidungsfreudigkeit, deren Mann Gustav, Pop-Interpret von | |
| nomadischer, schamanistischer, Roma- und Klezmer-Musik, und dessen | |
| musikalische Partnerin Sky, die ihn binnen Monaten in Puncto Followers und | |
| Karriere überholt hat. | |
| Das Stück ist eine großteils in Songs geschriebene Satire auf nach | |
| Enthüllung gierende Medien, alternde Popstars und junge | |
| Tik-Tok-Aufsteigerinnen, Pornokünstlerinnen und Krisenberater. Sie alle | |
| glitzern und strahlen in dieser Inszenierung von [1][Yael Ronen], was nicht | |
| nur an den Kostümen von Amit Epstein liegt, sondern auch an ihren Stimmen | |
| und den verführerischen Melodien, die Shlomi Shaban und Yanif Friedel für | |
| sie komponiert haben. | |
| Zuerst gehört die Bühne Gustav (Lindy Larsson), nicht gerade sympathisch, | |
| wie er sich ans Publikum ranzuwanzen versucht mit einer Erzählung von | |
| seiner großen Liebe zu Sky, von ihm auf einem englischen Pferdemarkt | |
| entdeckt, gefördert und ausgebildet. Das ist seine Version der Geschichte. | |
| Oder, wie ihm bald Musikerinnen seiner Tournee vorwerfen, deren Kultur und | |
| Können (sie kommt aus einer Familie von Travellern) er sich angeeignet und | |
| ausgebeutet hat, um die eigene Einfallslosigkeit und den Verfall zu | |
| vertuschen. | |
| Sky (Riah May Knight), die in Kostümen aus Kunstblumen oder Kuscheltieren | |
| auftritt, versucht diese Deutung der Geschichte von sich abzustreifen, | |
| begreift sich selbst als souverän, wenn nicht Gustav überlegen. Dass sie | |
| dem albernen Gustav keine kulturelle Aneignung und rassistische Auslegung | |
| ankreiden will, sondern sich gar noch im exotistischen Stereotyp wohlfühlt, | |
| löst einen Shitstorm aus. | |
| Hier tritt dann Stanka (Vidina Popov) auf den Plan, die das Schweigen von | |
| Klara (Anastasia Gubareva), was die Beziehung zwischen Gustav und Sky | |
| angeht, verdächtig findet. So nimmt die Suche nach Dreck am Stecken ihren | |
| Lauf, die in der Welt dieses Musicals als karrierefördernd dargestellt | |
| wird. | |
| ## Pathos und Inbrunst | |
| Die Handlung und ihre manchmal auch holprigen Volten sind das eine. Die | |
| etwas überkonstruierte Handlung kommentiert ein Klima, in dem Debatten um | |
| Machtmissbrauch in der Kultur notwendig werden und für Aufregung sorgen – | |
| [2][auch am Gorki-Theater] –, als doch von sehr unterschiedlichen | |
| Interessen hochgekocht. | |
| Einerseits macht sich die Inszenierung, auch gerade durch den Witz der | |
| Songtexte, die das Pathos und die Inbrunst, mit der sie gesungen werden, | |
| konterkarieren, über jede der Figuren lustig. Schließt damit aber | |
| andererseits nicht aus, das jede/r von ihnen zum Opfer eines Shitstorms | |
| werden kann. | |
| Es geht dabei auch um Eitelkeiten und den Hunger nach Aufmerksamkeit, ganz | |
| gewiss. Im Finale betteln in einem gemeinsamen Auftritt alle „Believe in | |
| me“, sie drängen sich dabei von den schrägen Brettern, die hier die Bühne | |
| bilden. Also doch nur ein Konkurrenzkampf? Oder ein Nebeneinander von | |
| Blasen mit alternativen Wahrheiten? Das ist als Bilanz der Geschichte etwas | |
| dünn und unbefriedigend. | |
| ## Einsamkeit im Ehebett | |
| Die einzelnen Auftritte sind hingegen so hinreißend, dass man sich gerne | |
| daran halten möchte. Zum Beispiel wenn Klara, die eben noch erklären | |
| musste, dass ihre Loyalität zu Gustav nicht auf Liebe, sondern auf | |
| Strategie beruht, ihren „Queen size bed blues“ anstimmt, über die | |
| Einsamkeit im Ehebett und verlorene Illusionen: „the king he feels | |
| abandoned/ the queen just doesn't know/ what happened to the prince she | |
| loved/ ten mattresses ago“. | |
| Die Songzeilen sind nicht immer kongruent zum Verhalten der Charaktere im | |
| Spiel, die Musik gesteht ihnen eine Emotionalität, etwas Uneindeutiges und | |
| Zweifelndes zu, das sie sich in ihren Auftritten in der Realität nicht | |
| leisten können. Das wiederum macht die Inszenierung stark. | |
| Das Musical „Slippery Slope“ läuft im Maxim Gorki Theater wieder am 9. und | |
| 10. November und im Dezember. | |
| 8 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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