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# taz.de -- „Carmen“ am Berliner Gorki Theater: Vertauschte Rollen, schrill…
> Das Berliner Gorki Theater führt Georges Bizets „Carmen“ als Tragikomöd…
> auf. Zu vielen Verfremdungseffekten kommen verschobene Genderrollen.
Bild: Grelle Kontraste: Lindy Larsson (3. v. l.) als Carmen, Via Jikeli (2.…
„Carmen“ ist eine Projektionsfigur für vieles. Sie ist eine Männerfantasi…
selbstverständlich; doch zugleich kann sie auch als feministisches Vorbild
gelesen werden, als Frau, die liebt, wen sie will und so lange sie will,
und die ihre persönliche Freiheit über alles andere stellt. Eine solche
Frau war, als Prosper Mérimée 1845 seine Novelle [1][„Carmen“
veröffentlichte, die Georges Bizet dreißig Jahre später zur gleichnamigen
Oper verarbeitete], nur außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft denkbar:
als unangepasste „Zigeunerin“. Als solche ist Bizets Carmen sowohl zur
Ikone als auch zum Klischee geworden.
Am Berliner Gorki Theater, wo gern gründlich und lustvoll mit
Zuschreibungen aufgeräumt wird, die gesellschaftliche Randgruppen von außen
erfahren, ist nun eine außergewöhnliche Carmen zu erleben: Die Femme fatale
wird gespielt und gesungen von einem Mann, dem [2][schwedischen
Schauspieler Lindy Larsson].
Carmens unglücklicher Liebhaber Don José wird vom weiblichen
Gorki-Ensemblemitglied Via Jikeli verkörpert, die ungefähr eineinhalb Köpfe
kleiner ist als Larsson. Carmen trägt ein Kleid in Bonbonrosa, José eine
Soldatenuniform in Kanariengelb. Schon optisch ist klar, dass das
eigentlich nicht passt zwischen den beiden.
## Die Musik ist clever eingedampft
Daran, dass Carmen Bariton singt und José Mezzosopran, gewöhnt man sich
aber erstaunlich schnell. Fast alle DarstellerInnen absolvieren ihre
Gesangspartien sehr souverän, auch wenn niemand eine opernhaft geschulte
Stimme mitbringt. Die Musik ist clever eingedampft und angepasst worden;
drei Musiker (Jens Dohle, Steffen Illner, Dejan Jovanović) mit einer
Handvoll Instrumenten bestreiten die ganze Partitur und greifen auch mal
zur Blockflöte, wenn es eine lyrische Stelle besonders ironisch zu
untermalen gilt.
Ironie ist allerdings ein eher seltenes Stilmittel an diesem Abend, meist
kommt gröberes Verfremdungsbesteck zum Einsatz. Alle auftretenden
Charaktere treten optisch hochgradig stilisiert auf; wie Figuren auf einem
Spielbrett (die Ausstattung erinnert vage an „Malefiz“) tragen sie
einfarbig-schrille Kostüme mit überbetonten Details. Eine Arbeiterin der
Zigarettenfabrik ist mit spitzen Brüsten zum Abnehmen versehen, und die
unschuldige junge Micaela (Riah Knight), die in José verliebt ist, muss
ihre überlangen weißen Zöpfe in der Hand tragen, damit sie nicht über den
Boden schleifen.
Das Bühnenbild besteht aus wenigen Elementen in geometrischen Grundformen
und ändert sich allein durch wechselnde Projektionen. Nicht nur der
Bühnenhintergrund wird auf diese Weise variiert, sondern auch
Regieanweisungen werden als freundliche Orientierungshilfe auf die Bühne
projiziert.
## Mit großem komödiantischem Talent
Die programmatische Wendung der meisten Charaktere in ihr körperliches
Gegenteil funktioniert generell ganz gut, aber nicht überall. Kein Problem
gibt es, wenn der Kneipenwirt Lillas Pastia eine Frau ist (sehr komisch:
Catherine Stoyan); aber den Stierkämpfer Escamillo, für den Carmen José
verlässt, von einem obervirilen Super-Macho in einen stimmschwachen
Weichling mit Schmerbauch zu verwandeln, ist eine seltsam unstimmige Idee.
Lindy Larssons Carmen und Via Jikelis José dagegen führen ein ziemlich
glaubhaftes Beziehungsdrama auf – wobei die Melodramatik, auch das
Tragikomische in dieser unglücklich verlaufenden Liebesgeschichte vor allem
von Via Jikeli gestaltet wird, die mit großem komödiantischem Talent
glänzt. Lindy Larsson wiederum legt seine Carmen einigermaßen unkokett,
fast etwas zu routiniert an – vielleicht um stilistisch nicht zu sehr ins
Dragshowhafte zu geraten, oder um ja kein „Zigeunerinnen“-Klischee
vorzuführen?
Dieses Problemklischee thematisiert Larsson in moderierenden
Zwischentexten, für die er – als einzige Figur – wiederholt aus der Rolle
heraustritt und direkt zum Publikum spricht. Larsson selbst ist Rom und ist
auch am Gorki Theater schon mit Produktionen aufgetreten, in denen er sich
intensiv mit seinem kulturellen Hintergrund und gesellschaftlichen
Vorurteilen auseinandersetzt. Natürlich liegt es da nahe, auch im Falle von
„Carmen“ die Roma-Karte offensiv auszuspielen.
Dramaturgisch tut Regisseur Christian Weise seiner Produktion mit den
zwischendurch von Larsson dargebrachten Erklärtexten allerdings keinen
Gefallen. Das „Sage-es-nicht-sondern-zeige-es“-Prinzip wird damit massiv
gebrochen. Was sollen alle offensiven Verfremdungseffekte, wenn dann doch
noch einer an den Bühnenrand tritt und dem Publikum ansagt, was es denken
soll?
Im Übrigen mag Bizets Oper vor Klischees aller Art nur so strotzen, ist
aber im gestalterischen Kern weder antiziganistisch noch antifeministisch.
Schließlich ist Carmen eine der faszinierendsten Opernheroinen aller Zeiten
und darf die üppigsten Arien trällern, während ihre Männer vom Komponisten
mit ein paar musikalischen Brosamen abgespeist werden.
26 Jan 2025
## LINKS
[1] /Oper-Ich-bin-Carmen-am-Theater-Bremen/!5816860
[2] /Musical-ueber-kulturelle-Aneignung/!5810461
## AUTOREN
Katharina Granzin
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