# taz.de -- Yael Ronens neue Inszenierung in Berlin: Eigentlich zum Heulen | |
> „Third Generation – Next Generation“ knüpft im Gorki-Theater an den | |
> 2008er-Erfolg „Third Generation“ an – in einer anderen BRD. | |
Bild: Kann man einer verlorenen Hoffnung auf politische Lösungen mit Witz beik… | |
In Israel, erzählt die Schauspielerin Orit Nahmias in einem rasanten | |
Monolog unter der Überschrift „Don’t compare!“, ist es verboten, jemanden | |
einen Nazi zu nennen, es sei denn, man kann es beweisen. Trotzdem hat | |
„Nazi“ als Schimpfwort große Konjunktur in der Politik. Der | |
Premierminister, fährt Orit fort, nennt die iranischen Mullahs so. Der | |
linke Flügel in Israel vergleiche die Armee mit Nazis, der rechte Flügel | |
der Siedler tue dies ebenfalls, wenn er von der Armee aus illegalen | |
Siedlungen im Gazastreifen vertrieben wird. Und sich selbst vergleichen sie | |
mit den Juden im Holocaust. Das tun auch die Palästinenser und bezeichnen | |
die Israelis insgesamt als Nazis. | |
Aber diese ganze Vergleicherei analysiert Orit Nahmias dann als einen | |
rhetorischen Trick, den Holocaust als allmächtigen Referenzpunkt zu nutzen. | |
Eine Marke, die deine Argumente stärker machen soll. Und dass sie von | |
Rhetorik und der Erzeugung von Aufmerksamkeit viel versteht, unterstreicht | |
die Schauspielerin durch den Witz, mit dem sie das alles vorträgt. | |
„Don’t compare!“ ist Teil des Stücks „Third Generation – Next Genera… | |
von der Regisseurin Yael Ronen und einem Ensemble aus deutschen, | |
israelischen und palästinensischen SchauspielerInnen. 2008 war „Third | |
Generation“ für die Berliner Schaubühne entstanden. Der Erfolg der | |
Inszenierung beruhte nicht zuletzt auf dem gelungenen Versuch der | |
Entkrampfung im Umgang mit deutscher Schuld, mit Klischees und | |
Zuschreibungen. Jetzt hat Ronen, die inzwischen fest in Berlin lebt und vor | |
allem am Maxim Gorki Theater arbeitet, für dieses Haus eine teils neue | |
Fassung erarbeitet. Dafür hat sie viele Gründe. | |
„In Deutschland sind Antisemitismus und Rassismus viel salonfähiger als vor | |
zehn Jahren und eine faschistische Partei sitzt im Bundestag“, zitiert sie | |
der Programmzettel. „Man hat den Eindruck, das Selbstverständnis von „Nie | |
wieder“ ist gebrochen. Der palästinensisch-israelische Konflikt ist im | |
Grunde am selben Punkt, er hat noch immer dasselbe Level an Gewalt, er | |
steckt nur noch mehr in einer Sackgasse. Im Moment gibt es keine | |
Perspektive auf Veränderung, Zukunft oder Debatten über eine mögliche | |
Lösung.“ Eine verlorene Hoffnung auf Dialog und Lernfähigkeit und eine | |
tiefe Verzweiflung über das Erstarken von Nationalismen haben Yael Ronen | |
also zur Neufassung getrieben. | |
## Aufs falsche Pferd gesetzt? | |
Gegen Ende des Stücks kommt es zum Auftritt von Dimitrij Schaad als Dieter | |
Schmidt. Schaad, der in Kasachstan aufgewachsen ist, ist ein Star des | |
Gorki-Theaters, beliebt bei den Zuschauern. Er nutzt das als Kapital, | |
knüpft an seine Biografie an, um sie diesmal als Fake zu markieren. | |
Eigentlich sei er Dieter Schmidt, zu Dimitrij Schaad nur geworden, um an | |
diesem auf Minderheiten und Migrationsgeschichten setzenden Theater | |
Karriere machen zu können. Wie er jetzt an diesem Stück aber sehe, habe er | |
aufs falsche Pferd gesetzt. Jetzt sei es aber mal gut mit dem Reden von | |
Holocaust und Nahostkonflikt. „Überemotionale Sackgassenbewohner“ nennt er | |
sie alle, deren Probleme durch die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit nur | |
geschürt würden. Es ist perfide, wie der Schauspieler Schaad seinen | |
Sympathie-Bonus nutzt, um auf eine rechte Schiene zu führen. Aber es bleibt | |
auch leicht durchschaubares parodistisches Kabarett. | |
Kann man einer verlorenen Hoffnung auf politische Lösungen mit Witz | |
beikommen? Ronen ist eine Kämpferin, die es immer wieder versucht, | |
vielleicht auch versuchen muss, um selbst den Kopf oben zu behalten. Als | |
auf der Bühne der Streit zwischen palästinensischen und israelischen | |
Performern eskaliert, tritt als Lichtgestalt Oscar auf, „euer | |
amerikanischer Mediator“, gespielt vom amerikanischen Schauspieler Oscar | |
Olivo. Man solle es mal als Chance sehen, im postfaktischen Zeitalter zu | |
leben, sagt er und schiebt die Fakten zur Seite. Von Trump lernen heiße ans | |
Business denken. Wie wäre es, Israel und Palästina nicht horizontal | |
nebeneinander, sondern vertikal übereinander zu denken, in einer Struktur | |
mit rotierenden Etagen, sodass alle mal oben, mal unten sind? Begegnung in | |
der Einkaufszone dazwischen. Am Ende zählt er die möglichen Sponsoren auf. | |
Solche Einschübe sorgen dafür, dass man sich meistens amüsiert an diesem | |
Abend, trotz der kargen Bühnenpräsentation vor dem eisernen Vorhang, trotz | |
der niederprasselnden Textmassen (englisch, deutsch, hebräisch, arabisch). | |
Und trotz der eigentlich bitterernsten Szenen. Man müsste doch jetzt | |
weinen, eine Schauspielerin spricht es aus, gerade hier in Deutschland – | |
und hadert mit der Regisseurin, die uns die Flucht in das Lachen lässt. | |
10 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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