# taz.de -- Autor Hakan Savaș Mican über Berlin: „Eine ängstliche Generati… | |
> Mit „Berlin Kleistpark“ schließt Hakan Savaș Mican eine Trilogie über … | |
> Leben in Berlin ab. Ein Gespräch über Identität, Klasse und Aufstieg. | |
Bild: Hakan Savaș Mican, als es noch ein bisschen wärmer war | |
Der Autor und Theaterregisseur Hakan Savaș Mican hat eine Trilogie über das | |
Leben in Berlin geschrieben. Nach „Berlin Oranienplatz“, am Gorki Theater | |
aufgeführt und im Stream zu sehen, und [1][„Berlin Karl-Marx-Platz“ in der | |
Neuköllner Oper] kam am 11. Dezember am Gorki „Berlin Kleistpark“ heraus. | |
Hakan Savaș Mican inszeniert seine Stücke selbst. | |
taz: Hakan Savaș Mican, am 11. Dezember kam am Gorki Theater „Berlin | |
Kleistpark“ heraus, Teil einer Trilogie. Alle drei Stücke haben einen | |
Berliner Platz im Titel. Was mögen Sie an diesen Plätzen? | |
Hakan Savaș Mican: Ich habe zu ihnen sehr persönliche Bezüge. Ich wohne | |
seit zwölf, dreizehn Jahren am Oranienplatz. Am Kleistpark wohnten meine | |
Eltern, als sie aus der Türkei nach Berlin kamen. Dort habe ich in den | |
ersten zehn Jahren, in denen ich in Deutschland war, viel Zeit verbracht. | |
Und am Karl-Marx-Platz in Neukölln wohnten während des Studiums Freunde von | |
mir. | |
Wir sitzen jetzt am Oranienplatz. Das Fenster Ihres Büros geht genau auf | |
den Platz. Muss man sich das so vorstellen, dass Sie beim Schreiben einfach | |
herausgeschaut und notiert haben, was sich da zutrug? | |
Meine Geschichten hatte ich vorher im Kopf, aus Interviews, aus eigenen | |
Erlebnissen. Sie sind zwar inspiriert von wahren Begebenheiten, wurden von | |
mir aber auch stark fiktional bearbeitet. Dass sich die Geschichte des | |
Fälschers aus [2][„Oranienplatz“] hier abspielt, ist meine Wahl. Ich kannte | |
tatsächlich jemanden, der ins Gefängnis gegangen ist wegen Fälschungen. | |
Aber der ist aus Spandau. Am Tag bevor er für fünf Jahre ins Gefängnis | |
muss, besucht er in meinem Stück die Stationen seines Lebens und tritt in | |
eine Auseinandersetzung ein mit dem, was er sein wollte. Ich habe mir dann | |
Orte ausgesucht, die zu der Geschichte passen. Das ist auch bei | |
„Kleistpark“ so. Hier bringe ich einiges aus meiner eigenen Vergangenheit | |
hinein, es ist das autobiografisch durchlässigste Stück der drei. Es taucht | |
darin eine Videoarbeit auf, die ich früher gemacht habe. Und auf der | |
dokumentarischen Ebene kommt meine eigene Mutter vor. | |
Auffällig ist, dass sich die Hauptfiguren dieser Trilogie in einer Art | |
Transitraum befinden. Sie bewegen sich von etwas weg, heraus aus ihrem | |
Milieu, weg von der Heimat. Vor allem aber sind sie vom Willen zum sozialen | |
Aufstieg geprägt. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt? | |
Diese emotionale Welt, in der sie sich bewegen, und die Fragen, die sie | |
beschäftigen, all das hat sehr viel mit mir und meiner Familie zu tun. Ich | |
bin ein Arbeiterkind, aufgewachsen in der Türkei. Ich war dort in einer | |
Privatschule, für die meine Eltern, die in Deutschland arbeiteten und die | |
mir die beste Bildung ermöglichen wollten, sehr viel Geld aufgebracht | |
haben. Ich war dort zusammen mit den Kindern von Richtern und Professoren. | |
Die hatten dann zum Beispiel ein Klavier zu Hause, an dem die Tochter, die | |
zwölf oder dreizehn Jahre alt war, erst einmal ein kleines Stück | |
vorgespielt hat, am besten etwas Westliches. Da hat man gesehen, welche | |
Möglichkeiten manche hatten und andere nicht. | |
Als ich nach Deutschland kam mit neunzehn Jahren, kam noch diese Fremdheit | |
in der neuen Umgebung hinzu. Deshalb spielt die Frage der Klasse in den | |
Stücken eine große Rolle. Es geht um die türkische Arbeitsmigration und | |
deren Einfluss auf die familiäre Situation und die familiären Strukturen. | |
Wie bricht man daraus aus? Das ist die Grundfrage bei „Kleistpark“. Adem | |
ist Akademiker. Er ist eigentlich schon fast woanders angekommen. Aber es | |
gibt weiterhin etwas aus der Vergangenheit, das noch geklärt werden muss. | |
Das bringt dann die Mutter herein. | |
Dieser Konflikt zwischen den Generationen taucht immer wieder auf und | |
zeigt, wie Migration auch die nachfolgenden Generationen prägt. Wie groß | |
sind die Distanzen zwischen den Generationen? | |
Sie unterscheiden sich sehr in ihren Zielen und Ansprüchen. In meiner | |
Generation beobachte ich eine Art verlängerte Pubertät. Wir sind 40 oder | |
50, wir sind viel in Projekten unterwegs und haben es gelernt, uns viele | |
Optionen offenzuhalten. Das führt aber auch dazu, dass man sich noch nicht | |
entschieden hat, noch nichts richtig gemacht hat. Da fehlt es auch an | |
Vertrauen. Denn wenn man loslegt, ist auch die Gefahr zu scheitern da. | |
Ich glaube, wir sind eine unglaublich ängstliche Generation, die das | |
Scheitern vermeiden will und deshalb den Schritt nicht macht. Eine | |
gemeinsame Wohnung zu beziehen wie bei dem Paar in „Kleistpark“ ist ja | |
bereits so ein erster Schritt, und in diesem Moment kommt die Vergangenheit | |
wieder herein mit der Mutter, die nach vielen Jahren den Sohn besucht. Sie | |
gehört der ersten Generation der türkischen Arbeitsmigration an. Sie lebt | |
mittlerweile wieder in der Türkei. Weil sie erfahren hat, dass sie bald | |
sterben wird, will sie jetzt alles wiedergutmachen. | |
Was will sie gutmachen? | |
Dass sie ihren Sohn in der Kindheit zurückgelassen hat in der Türkei. Sie | |
bringt jetzt viel Geld. Das wiederum ist der Katalysator dafür, dass alle | |
damit konfrontiert werden, was für eine Zukunft man sich vorstellt. Das ist | |
ein spannungsgeladener Mutter-Sohn-Konflikt. Da kommt man an einen Punkt, | |
an dem man einfach nicht mehr miteinander sprechen oder eine Lösung finden | |
kann. | |
Aber läge die Lösung nicht vielleicht darin, sich in diesem | |
Zwischenbereich, in dem es einiges an Neuem und einiges an Altem gibt, | |
einfach einzurichten? Die Zielmilieus, in die der Einzelne aufsteigen will, | |
sind ja auch nicht mehr so, wie sie früher erschienen sein mochten, sind | |
viel brüchiger, fragiler, fragwürdiger. | |
Das macht es den postmodernen Auf- oder Aussteiger:innen natürlich | |
nicht leichter. Wenn ich die Lösung wüsste, hätte ich diese Stücke wohl | |
nicht geschrieben. Diese innere Reibung habe ich ja in mir selbst, und mich | |
„einrichten“ zwischen Gestern und Heute fällt mir noch immens schwer. | |
Vielleicht ändert sich das ja irgendwann. Aber Stand jetzt heißt | |
„einrichten“ für mich, wie für die Protagonist:innen der Stücke, ein | |
Ankommen im Glück des Stillstands, und das macht eher Angst. | |
Aber vielleicht sind wir ja längst angekommen und tun nur so, als ob nicht. | |
Ich glaube auch, in dem Moment, in dem ein Lösungsansatz, ob einrichten, | |
akzeptieren oder wegrennen sichtbar wird, geht die Langeweile sofort los. | |
Vielleicht ist ja die Unruhe, der Zustand der Latenz, der einzig lebbare. | |
Wie sehr sind diese drei Stücke dem jetzigen Berlin verhaftet? Welchen | |
Bestand könnten sie in 20 oder 50 Jahren haben? | |
Diese Fragen haben mich beim Schreiben tatsächlich beschäftigt. Ich habe | |
immer wieder überprüft, kann das auch für einen jungen Mann in Los Angeles | |
gelten, jemanden mit einem mexikanischen Migrationshintergrund zum | |
Beispiel? Deswegen ist die Frage der Klasse so wichtig. Sie ist universell | |
und wird weiter Relevanz haben. | |
Sie inszenieren Ihre eigenen Stücke selbst. Sehen Sie sich mehr als Autor | |
oder als Regisseur, oder, weil Sie ja Film studiert haben und Videoelemente | |
auch in Ihren Theaterinszenierungen vorkommen, immer noch als Filmemacher? | |
Damals, als ich Film studiert hatte, haben wir uns als Autorenfilmer | |
gesehen, als die angehenden Bergmans und Antonionis. Dann mussten wir aber | |
erleben, wie der Film als Kunstform immer mehr starb. Jetzt sehe ich auch, | |
wie schwer meine Kollegen kämpfen müssen, um ein Drehbuch zu verfilmen, sie | |
müssen da über fünf Jahre warten. Ich bin sehr ungeduldig. Theater | |
ermöglicht es mir, das, was mich innerlich beschäftigt, zu produzieren. Ich | |
inszeniere auch andere Stücke. Vom Herausbringen der eigenen Stücke kann | |
ich nicht allein leben. Am meisten würde ich mir wünschen, ein | |
Autorentheatermacher zu sein. | |
13 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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