# taz.de -- Linke Presse in Italien: Das Wunder des roten Kampfblatts | |
> Die italienische Tageszeitung „il manifesto“ wurde oft totgesagt. Doch | |
> das kommunistische Projekt ist inzwischen sogar schuldenfrei. | |
Bild: Il Manifesto wird auch weiterhin den Kommunismus glänzen lassen. | |
BERLIN taz | Die Via Angelo Bargoni gehört nicht zu den einladenden Flecken | |
von Trastevere. Wenn Touristen von dem angesagten Ausgehviertel in Rom | |
schwärmen, dann meinen sie nicht diesen Teil am westlichen Ufer des Tiber. | |
An die von Schlaglöchern übersäte Straße grenzt ein achtstöckiger | |
Bürokomplex, der auch schon bessere Tage erlebt hat. | |
Auf dem Balkon in der ersten Etage steht Matteo Bartocci und raucht. Er ist | |
Redakteur einer Zeitung, von der viele glauben, sie hätte längst das | |
Zeitliche gesegnet: il manifesto. „Es ist ja auch ein Wunder, dass es uns | |
noch gibt“, sagt der 38-Jährige, der seit elf Jahren für das kleine | |
unabhängige Blatt arbeitet. | |
Vor zwei Jahren sah alles danach aus, als wäre es vorbei. Nach mehr als | |
vier Jahrzehnten drohte die Einstellung der genossenschaftlich | |
organisierten il manifesto. Die Krise der Zeitungen und die Krise der | |
Linken in Italien – beides zusammen schien zu viel für die „quotidiano | |
comunista“, die kommunistische Tageszeitung, wie sich il manifesto bis | |
heute trotzig in der Kopfzeile nennt. | |
Nachdem die damalige Regierung Mario Montis die staatlichen Subventionen | |
für Kirchen-, Partei- und Genossenschaftszeitungen drastisch gekürzt hatte, | |
gab Chefredakteurin Norma Rangeri im Februar 2012 den Konkurs bekannt. | |
## Es war einmal eine linke Tageszeitung | |
Die chronisch überschuldete Tageszeitung kam unter Zwangsverwaltung. Im Mai | |
schickte der Insolvenzverwalter ein Fax an die Redaktion, in dem er die | |
Einstellung zum Ende des Jahres 2012 ankündigte. Von der FAZ bis zur taz | |
berichteten damals auch etliche deutsche Blätter über die unabwendbar | |
scheinende Schließung. | |
Den Meldungen vom nahenden Untergang des „roten Kampfblatts“ (Der Spiegel) | |
folgten keine Überlebensberichte. In der deutschen Ausgabe des | |
Onlinelexikons Wikipedia steht heute in der Vergangenheitsform: „Zuletzt | |
war il manifesto eine kritische linke Tageszeitung.“ Das Ende einer linken | |
Geschichte? Nein. | |
Gegründet wurde il manifesto 1969 von marxistischen Dissidenten der Partito | |
Comunista Italiano (PCI), der damals größten kommunistischen Partei des | |
Westens. Wegen Linksabweichung war die Gruppe um Rossana Rossanda, | |
Valentino Parlato, Luciana Castellina, Lucio Magri und Luigi Pintor aus der | |
PCI ausgeschlossen worden. | |
Sie hatte mit der Studentenbewegung von 1968 sympathisiert und das | |
Schweigen des PCI zur Niederschlagung des Prager Frühlings in der damaligen | |
Tschechoslowakei kritisiert. Zuerst eine Monatszeitschrift, erschien die | |
erste Tagesausgabe am 28. April 1971. „Wir wollten zeigen, dass man | |
kommunistisch sein konnte, ohne für die Sowjetunion einzutreten und für den | |
real existierenden Sozialismus Partei zu ergreifen“, erzählt Norma Rangeri, | |
die seit 1974 dabei ist. | |
## Regelmäßiger Besuch aus der taz | |
Trotz stets überschaubarer Auflage – in der Hochphase lag sie bei rund | |
60.000 Exemplaren – entwickelte sich il manifesto in den 70er Jahren zu dem | |
wohl wichtigsten Organ der italienischen Linken. Das Blatt erwarb sich | |
einen legendären Ruf über die Landesgrenzen hinaus, wurde zum Vorbild für | |
die französische Libération wie für die deutsche taz, deren Gründer | |
regelmäßig die Redaktion in Rom besuchten, um zu lernen, wie man eine | |
alternative Tageszeitung macht. | |
Zu den Autoren gehörten bedeutende Schriftsteller wie Umberto Eco oder der | |
spätere Literaturnobelpreisträger Dario Fo. Aufgrund des intellektuellen | |
Niveaus wurde il manifesto quer durch die politischen Lager geschätzt. Er | |
habe beim Lesen zwar meist die Ansichten nicht teilen können, bescheinigte | |
der mehrmalige christdemokratische Regierungschef Guilio Andreotti 2006 der | |
Zeitung, „aber ich habe mich nie gelangweilt“. | |
Ohne großen Verlag oder zahlungskräftige Investoren im Rücken und von | |
potenten Anzeigenkunden links liegen gelassen, war die ökonomische | |
Situation allerdings stets prekär. | |
Es war ein permanenter Überlebenskampf des über eine | |
Belegschaftsgenossenschaft selbst verwalteten Projekts, unter dessen Ägide | |
seit 1994 auch die italienischsprachige Ausgabe der renommierte | |
französischen Monatszeitschrift Le Monde diplomatique erschien. Wie bei der | |
taz konnte das Weitererscheinen immer wieder nur durch Rettungskampagnen | |
gesichert werden. | |
## Eine neue Genossenschaft statt der alten | |
Das Problem der chronischen Unterfinanzierung wurde so jedoch nicht gelöst. | |
Bei sinkender Auflage schien die Abwärtsspirale trotz heftigster | |
Personalreduzierung nicht aufhaltbar. Noch 1995 arbeiteten 150 Beschäftigte | |
in Redaktion, Verlag und Technik von il manifesto, fünfzehn Jahre später | |
wares es nicht einmal mehr die Hälfte. Die Altschulden allerdings blieben. | |
Mit der Reduzierung der staatlichen Zuschüsse von jährlich drei auf eine | |
Million Euro schien im Jahr 2012 endgültig das Ende der Fahnenstange | |
erreicht. Selbst die Gründerväter und -mütter, die über all die Jahre ihre | |
schützenden Hände über il manifesto gehalten hatten, glaubten nicht mehr an | |
eine Rettung. | |
In der jetzigen Lage habe das Blatt keine Überlebenschancen, mit dieser | |
Begründung warf einer der Gründerväter, der mittlerweile über 80-jährige | |
Valentino Parlato, im Dezember 2012 das Handtuch. Auch Rossana Rossanda gab | |
das Projekt auf. „Zu Weihnachten 2012 sah es tatsächlich aus, als müssten | |
wir aufgeben“, erinnert sich Matteo Bartocci. | |
Aber die Mehrzahl der Belegschaft um die seit 2010 amtierende | |
Chefredakteurin Norma Rangeri wollte nicht aufgeben, sondern um ihre Jobs | |
und ihr Projekt kämpfen. In quasi letzter Sekunde fand sich kurz vor | |
Jahreswechsel der Ausweg: Da die alte Genossenschaft bankrott war, | |
gründeten die Beschäftigten eine neue, die seit dem 1. Januar 2013 il | |
manifesto herausgibt. | |
## Ratzinger rettet das Blatt | |
„Wir haben mit nichts begonnen“, sagt Bartocci. Denn auch die verbliebene | |
staatliche Unterstützung ging an den Insolvenzverwalter. „Weil wir kein | |
Geld hatten, um unsere Rechnungen zu bezahlen, haben wir Lieferanten, die | |
Druckerei und andere gebeten, uns die Beträge zu stunden.“ | |
Die ließen sich darauf ein. Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen | |
mit dem Insolvenzverwalter. Letztlich konnte er doch noch überzeugt werden, | |
der Belegschaft die Titelrechte zu überlassen, wenn auch nur auf Mietbasis: | |
Monatlich 26.000 Euro muss il manifesto dafür zahlen, weiter il manifesto | |
heißen zu dürfen. Viel Geld, aber das Zeitungskollektiv brachte und bringt | |
es bis heute auf. | |
Hinter dem Schreibtisch von Matteo Bartocci hängt eine Tafel mit | |
Zahlenkolonnen: die in Rom verkauften Exemplare der il manifesto. „Keine | |
guten Zahlen“, räumt Bartocci ein. Hinter mancher der Zahlen in seinem | |
Rücken steht in Klammern ein Begriff. „12/2 2467 (Papa)“ bedeutet, dass am | |
Tag des Rücktritts von Papst Joseph Ratzinger im Februar 2013 fast 2.500 | |
Exemplare in Rom verkauft wurden – an anderen Tagen sind es deutlich unter | |
2.000. | |
Landesweit liegt die Kioskauflage derzeit nach Bartoccis Angaben wochentags | |
durchschnittlich bei 11.000 Exemplaren, am Wochenende sind es etwa 2.000 | |
Zeitungen mehr. Hinzu kommen 1.300 Print- und rund 2.000 Digitalabos. Es | |
reicht irgendwie zum Überleben. | |
## 300 Euro Lohnabzug für den Erhalt der Zeitung | |
„Wir entwickeln gerade eine neue Mobilversion für Smartphones und Tablets“, | |
sagt Bartocci. Wie bei den großen Verlagshäusern auf der ganzen Welt setzen | |
die Macher von il manifesto große Erwartungen in die Digitalisierung. Aber | |
nicht nur, weil sie sich davon neue Geschäftsmodelle für das | |
wirtschaftliche Überleben versprechen. Sondern weil il manifesto, die immer | |
auch ein politisches Projekt war, sich davon neue Impulse für linke Politik | |
erhofft. | |
In der Redaktion arbeiten derzeit 45 Journalisten, hinzu kommen neun | |
Mitarbeiter in der Verwaltung. Sie alle erhalten ein Einheitsgehalt von | |
1.600 Euro monatlich, wovon sie 300 Euro für den Erhalt ihres dienstags bis | |
sonntags erscheinenden Blattes spenden. | |
Doch das sei bald nicht mehr nötig, ist Matteo Bartocci überzeugt. Zusammen | |
mit Chefredakteurin Rangeri und drei weiteren Kollegen gehört er dem | |
Consiglio di Amministrazione an, dem für drei Jahre gewählten Vorstand der | |
neuen Genossenschaft. Inzwischen sei il manifesto schuldenfrei. | |
Noch in diesem Jahr, so Bartoccis Hoffnung, könnten die Titelrechte | |
zurückgekauft werden. „Wir befinden uns in einer Übergangsphase“, sagt | |
Rangeri. Erst wenn sich die Marke il manifesto wieder im Besitz der | |
Belegschaft befindet, sei die Krise endgültig überwunden. „Ich bin | |
zuversichtlich, dass wir es schaffen werden“, sagt die 62-Jährige. „Unsere | |
Zeitung ist Teil der Geschichte der Linken in Italien und soll es bleiben.“ | |
27 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anja Krüger | |
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