# taz.de -- Französische Zeitung „Libération“: Nur noch ein Logo | |
> Es geht ums Überleben. Die Kapitaleigner wollen aus der linken | |
> Tageszeitung „Libération“ ein Geschäft machen. Die Redaktion wehrt sich. | |
Bild: Hatte noch eine andere Vorstellung von der „Libération“: Jean-Paul S… | |
PARIS taz | Im Pariser Redaktionsgebäude von Libération (Libé), ein | |
ehemaliges Parkhaus gleich hinter der Place de la République, herrscht an | |
diesem Morgen ganz normaler Betrieb am Empfang. Nichts deutet darauf hin, | |
dass die französische Tageszeitung nach vierzig Jahren um ihr Überleben | |
kämpft. | |
Nur dies: Auf einem Plakat, das neben dem Aufzug hängt, protestiert die | |
Belegschaft gegen die Absicht, mit einem früheren Redaktionsschluss | |
Druckkosten zu sparen. Finanzprobleme hatte die Libération allerdings schon | |
mehrfach. Heute geht es um mehr. Um das nackte Überleben. | |
Vor zwei Wochen wurden die Pläne der Kapitaleigner für eine totale | |
Reorganisation des Unternehmens bekannt. Von einer gedruckten Tageszeitung | |
war darin keine Rede mehr. Die wütenden Libé-Redakteure jedoch entschlossen | |
sich, das 1973 von Jean-Paul Sartre mitbegründete Blatt zu retten. „Klar | |
haben wir Lust, weiterhin eine Zeitung zu produzieren. Das ist einer der | |
Gründe, warum wir heute nicht streiken, sondern die Debatte in der Zeitung | |
fortsetzen“, sagt die Personalsprecherin Fatima Brahmi. | |
Ihr Kollege Olivier Bertrand bestätigt, dass der gerade bekannt gewordene | |
Rücktritt des bisherigen Direktors Nicolas Demorand einen ersten Sieg | |
darstelle. Schon im November 2013 hatte die Redaktion ihn dazu | |
aufgefordert. „Sein Weggang ändert nichts an den finanziellen | |
Schwierigkeiten, aber er ermöglicht uns, ein Projekt zu entwickeln, bei dem | |
die Zeitung im Zentrum bleibt“, hofft Bertrand. | |
## „Schöne Tageszeitungen haben Seltenheitswert“ | |
Zur selben Zeit verhandeln die Aktionäre mit dem Finanzministerium über | |
eine dringend benötigte Finanzspritze von 4 Millionen Euro. „Welche | |
Bedingungen damit verknüpft sein könnten, ist unklar“, räumt der | |
stellvertretende Chefredakteur Eric Decouty ein. Wie die meisten | |
Libé-KollegInnen betont auch Decouty, dass er „persönlich und | |
intellektuell“ nichts gegen den Exdirektor gehabt habe. Demorand sei aber | |
weder in der Redaktion noch bei den Aktionären in die Diskussion über die | |
Zukunft der Zeitung integriert gewesen. | |
Die Solidarität der LeserInnen ist den Redakteuren sicher. In einem offenen | |
Brief erklären Dutzende Prominente, dass sie weiterhin jeden Morgen ihre | |
Zeitung lesen wollen: „Paris ist voll von exzellenten Restaurants, aber | |
schöne Tageszeitungen haben Seltenheitswert“, schreibt der italienische | |
Schriftsteller Umberto Eco. Er hoffe, damit der „Befreiung“ von Libération | |
behilflich sein zu können. | |
Dass diese freche und ironische Zeitung aus der europäischen | |
Presselandschaft verschwinden könnte, ist realistisch. Denn für die von | |
Immobilienhändler Bruno Ledoux und Bankier Edouard de Rothschild | |
repräsentierten Kapitaleigner ist Libération nicht in erster Linie eine | |
Zeitung. Für sie ist es eine Investition in ein Unternehmen und eine Marke | |
mit kommerziellem Wert. Aus einem internen Papier geht klar hervor, dass es | |
ihnen darum geht, aus Libération ein Riesengeschäft zu machen. | |
An Fantasie mangelt es den Aktionären dabei nicht. In Erinnerung an die | |
intellektuelle Ausstrahlung, die das Literatencafé Le Flore im Pariser | |
Saint-Germain-Quartier nach dem Mai ’68 hatte, träumen die Kapitaleigner | |
von einem „Flore des 21. Jahrhunderts“. Mithilfe des Stardesigners Philippe | |
Starck soll der historische Sitz der Zeitung in ein neuartiges Zentrum | |
umgebaut werden. Dort soll alles Mögliche stattfinden und untergebracht | |
werden: Restaurant, Konferenzzentrum, digitaler Newsroom, Radio- und | |
Fernsehstudio, Treffpunkt für Start-up-Gründer. | |
## Lohnsenkungen um 15 Prozent | |
Das Geschäft der Zeitung soll zukünftig darin bestehen, „Inhalte“ zu | |
schaffen, die nicht nur journalistisch, sondern als Event „verwertet“ | |
werden können. Die Journalisten sollen ihre Aufgabe mit Schriftstellern, | |
Philosophen, Politikern und Designern teilen. Was die Zeitungsmacher davon | |
halten, stand am letzten Wochenende als Manifest auf der Titelseite: „Wir | |
sind eine Zeitung, kein Restaurant, kein soziales Netzwerk, keine | |
Kulturplattform, kein Fernsehstudio, keine Bar, kein Brutkasten für | |
Start-ups …“ | |
Aber nicht nur die illustre Idee, sondern auch die Sparziele der | |
Kapitaleigner sind ein Grund für den Aufruhr der Redaktion: Lohnsenkungen | |
um 15 Prozent, „freiwillige“ Abgänge und Frührente für die Ältesten, ei… | |
frühere Deadline und – als erster Schritt vor der Verbannung – die Räumung | |
der obersten zwei Etagen, die in einen noch zu definierenden Treffpunkt | |
umgewandelt werden sollen. | |
„Natürlich sind wir nicht gegen eine Diversifizierung. In anderen | |
Räumlichkeiten zu arbeiten, die besser geeignet wären als unsere jetzigen | |
Büros, ist vorstellbar. Nur darf dies nicht ein bloßer Vorwand sein“, | |
wendet François Sergent, zweiter stellvertretender Chefredakteur, der seit | |
Beginn der Achtziger Jahre bei Libération ist, ein . Auch er hat nichts | |
gegen ein nettes Café auf der Dachterrasse mit einer beneidenswerten | |
Aussicht. Doch dem Immobilienhändler Ledoux, der derzeit den Ton bei den | |
Aktionären angibt, trauen sie nicht: Er wolle eine „Libération ohne Libé�… | |
ein „schmuckes Logo ohne Journalisten“: „Libéland, Libémarket, Libéwor… | |
protestieren sie mit bitterer Ironie. | |
## Crowdfunding bei den Sympathisanten | |
Der Journalist Robert Maggiori wirft den Kapitaleignern vor, den Einfluss | |
von Libération auf die demokratische Meinungsbildung mit reißerischen | |
Titeln und Einsparungen des Personals Vorschub geleistet zu haben. | |
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten hängen mit einem dramatischen Rückgang | |
der Verkäufe im letzten Jahr zusammen. Erstmals sank die Auflage unter | |
100.000 Exemplare. Die Libération ist stärker als andere französische | |
Tageszeitungen, die alle staatlich subventioniert werden, vom Leserschwund | |
betroffen. Nützen tut es freilich nicht viel, zu fragen, ob Libé nicht von | |
Beginn an oder spätestens nach der ersten Krise auf ein anderes | |
Unternehmensmodell hätte setzen müssen. | |
Aber wäre der Pariser Zeitung der heutige Streit und die Angst um den | |
Fortbestand erspart geblieben, wenn sie sich wie die taz statt für | |
unberechenbare Aktionäre für die solide Grundlage einer Genossenschaft von | |
Lesern als solidarische Miteigentümer entschieden hätte? Decouty und | |
Sergent zucken bedauernd die Achseln. | |
Ein Crowdfunding bei den Sympathisanten, wie es der Vizeredaktionsleiter | |
Patrick Sabatier vorschlägt, hält Eric Decouty für wenig aussichtsreich. | |
Die Entscheidung wird letztlich von den LeserInnen abhängen, die allein | |
ihrer Libé eine Zukunft geben können. Und eben deswegen wird nicht | |
gestreikt, sondern in der Zeitung über die Zukunft gestritten. Und damit | |
der Beweis erbracht, wie wichtig dieser Platz für die Meinungsbildung ist. | |
14 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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