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# taz.de -- Semler über das Erbe der K-Gruppen: Was von Mao übrig blieb
> 1998 erschien diese viel beachtete Auseinandersetzung mit dem
> Antiutopismus und Antitotalitarismus nach Ende des chinesischen
> Experiments.
Bild: Mao hat sich auf den langen Marsch gemacht: vom global wirkenden Ideengeb…
Der Schnee gnädigen Vergessens bedeckt heute die Landschaft, auf der sich
in den 70er Jahren die maoistischen „K-Gruppen“ an die Revolutionierung des
Proletariats gemacht hatten. Die Protagonisten der damaligen Bewegung, auch
der Autor der folgenden Bemerkungen, haben nie daran gedacht, die
Geschichte dieses Großversuchs aufzuschreiben. Daran hinderte sie nicht nur
der schlechte Ruf der K-Gruppen. Immerhin sollen es nach fast allgemeiner
Auffassung sie gewesen sein, die mutwillig eine blühende, vielfältige
Bewegung unter die Knute des dogmatischen Konformismus zwangen und die
antiautoritären Impulse der Studentenbewegung nach Kräften abtöteten, so
daß dem lichten Bild der 60er Jahre das verdüsterte der frühen 70er Jahre
gegenübersteht.
Verstärkt wird die Unlust durch die Unmenge überlieferter Druckerzeugnisse
(…). Denn so erfolglos die Organisationsarbeit blieb, so fruchtbar
gestaltete sich die Produktion von Papieren. Schließlich und wichtigstens
verstehen die Funktionäre von einst kaum mehr ihre damaligen Motive und
Handlungen. Der Riß ist zu tief. Um es kurz zu machen: Dem ehemaligen
Führungspersonal ist die Geschichte der K- Gruppen zu peinlich, den
Bewegungssoziologen zu immobil, den Zeitgeschichtlern zu arm und den
Psychologen zu durchsichtig. (…) Trotz der Zerstreuung und Vereinzelung der
meisten K-Gruppen-Aktivisten gibt es politische Motive, die in der
Geschichte der linken Bewegung bis auf den heutigen Tag fortwirken. (…)
Als erstes wäre der schroffe Antiutopismus der Ex-Maoisten zu nennen, ein
direktes Produkt der Ent-Täuschung. Er ist nur verstehbar, wenn in Rechnung
gestellt wird, daß die radikale maoistische Linke das China der
Kulturrevolution als Garten der Utopie mißverstand. (…)
Das Schema der leninistischen Koordinaten – in der Zeit Etappen, im Raum
Bündnisse – war den Maoisten fremd. Sie glaubten an die „Aktualität des
Kommunismus“, wie eine Kampfschrift der Gruppe Il Manifesto Ende der 60er
Jahre betitelt war. Von der chinesischen Utopie wandte man sich ab, als die
Kulturrevolution für beendet erklärt wurde und die Fakten der massiven
politischen Unterdrückung ans Licht kamen. Im Antiutopismus trafen sich die
Ex-Maoisten mit den osteuropäischen Demokraten. Er wurde zur gedanklichen
Basis, auf der die „Realpolitik“ ebenso wuchs wie die Bejahung der
osteuropäischen Transformationsprozesse zu Markt, Privateigentum und
Demokratie. (…)
Eine zweite Erbschaft der K- Gruppen ist ihr linker Antitotalitarismus. Für
die Maoisten war es in der Regel kein Problem gewesen, den systemischen
Charakter der Unterdrückung im Realsozialismus zu erkennen und
anzuprangern, soweit der sowjetische Machtbereich gemeint war. Als ihnen,
zu Ende der 70er Jahre, die Strukturmerkmale jedes realsozialistischen
Herrschaftssystems klar wurden, trat an die Stelle des Gegensatzes
Proletariat gegen Bourgeoisie (…) der Kampf der Demokraten gegen das
totalitäre System. (…) Dieser Linie folgte auch die Unterstützung der
Solidarnosc in Polen zu Beginn der 80er Jahre. Aber dieser linke
Antitotalitarismus lief Gefahr, die sozialen Gegensätze zu verkennen, die
sich unterhalb der Linie Demokratie kontra Realsozialismus abzeichneten.
„Links“ und „rechts“ blieben eben doch taugliche Kategorien, wenngleich…
im Transformationsprozeß der ehemals realsozialistischen Länder neu gedacht
werden mußten.
Zu einer ebenso ungerechtfertigten wie unangenehmen Begleiterscheinung des
linken Antitotalitarismus wurde die Tendenz mancher Ex-Maoisten, moralische
Superioritätsgefühle zu verbreiten und sich, reichlich spät, in die Pose
des Chefanklägers zu werfen.
Zu Recht bestanden viele der ehemaligen Maoisten darauf, über die Untaten
der SED-Potentaten und ihrer Zuträger kein Gras wachsen zu lassen. Sie
vergaßen aber manchmal, daß es nur der Ungunst, besser: der Gunst der
Zeitläufte zu danken gewesen war, wenn der Gesellschaft eine reale Probe
ihrer eigenen Konzepte erspart geblieben ist. (…)
Entgegen dem ersten Blick ist es nicht der Katastrophismus gewesen, die
Gleichsetzung der ökologischen Krise mit der Systemkrise des Kapitalismus,
der maoistisches und ökologisches Denken näherrückte. Wie wir sahen, war
der Annäherungsprozeß vieler Ex-Maoisten verschlungen und kurvenreich.
Beide eint heute, daß sie es besser wissen als alle anderen. Aber das ist
vielleicht eine deutsche Nationaleigenschaft.
4 Mar 2013
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Christian Semler
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