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# taz.de -- Lebensmittellieferdienst Gorillas: Kein Profit und unbeliebt
> Gorillas geht erneut gegen Betriebsratswahlen vor – könnte aber bald von
> Getir übernommen werden. Dabei ist die Branche eine reine
> Spekulationsblase.
Bild: Widerständige Beschäftigte: Lärmdemo am Gorillas-Hauptquartier vor ein…
Berlin taz | Beim Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas gibt es mal wieder
Ärger um betriebliche Mitbestimmung. Das Berliner Start-up versucht erneut,
Betriebsratswahlen zu verhindern. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als
[1][gegen den Widerstand von Gorillas eine
Mitarbeiter*innenvertretung gewählt] wurde, hat das Unternehmen
damit vor Gericht bislang Erfolg.
In insgesamt vier „Warehouses“ in Schöneberg, Friedenau, Moabit und Treptow
hatte der vom berlinweiten Betriebsrat eingesetzte Wahlvorstand zu Wahlen
aufgerufen. Die wurden nötig, weil der Betriebsrat nach Weggängen zu wenige
Mitglieder hat. Weil das Unternehmen – [2][mutmaßlich, um die Gründung des
Betriebsrats zu verhindern] – 2021 ein Franchise-Modell für seine
Lagerhäuser eingeführt hat, sollte nun jedes der rund 20 Lager einen
eigenen Betriebsrat bekommen.
Auf Antrag von Gorillas hat das Landesarbeitsgericht zwei der geplanten
Wahlen jedoch in letzter Minute gestoppt. Die Begründung: Der Wahlvorstand
sei falsch besetzt, zu den Wahlen in den Warehouses könnten nur deren
Angestellte aufrufen. Wohl um einer erneuten Niederlage vor Gericht am
Mittwoch zuvorzukommen, sagte der Wahlvorstand daraufhin auch die beiden
anderen Wahlen ab. Nach taz-Informationen wurden bereits fünf neue
Wahlvorstände bestellt und mit der Durchführung einer neuen Wahl
beauftragt.
Gorillas betont gegenüber der taz, den Prozess der Betriebsratsbildung zu
jedem Zeitpunkt [3][„vollumfänglich unterstützt“ zu haben]. Im Sinne einer
„rechtlich einwandfreien Vertretung“ der Interessen der
Mitarbeiter*innen habe man sich jedoch gezwungen gesehen, gegen die
geplanten, „illegalen Wahlbestrebungen vorzugehen“.
Für Verdi ist das Vorgehen des wegen schlechter Arbeitsbedingungen
umstrittenen Unternehmens ein neuer Versuch des Union Busting. „Ziel ist,
Mitbestimmung zu verhindern oder kleinzuhalten“, so Gewerkschaftssekretärin
Franziska Foullong zur taz.
## Gorillas verliert Marktanteile
Die widerständigen Arbeiter*innen sind nicht das einzige Problem, mit
dem das Gorillas-Management derzeit zu kämpfen hat. Laut Medienberichten
steht der einstige Pionier der europäischen Lieferdienst-Branche, der 2020
in Berlin gegründet wurde, vor der Übernahme [4][durch seinen türkischen
Konkurrenten Getir]. Beide Unternehmen wollten dies auf taz-Anfrage jedoch
nicht kommentieren.
Gorillas hat nach anfänglich rasantem Wachstum in Berlin immer mehr
Marktanteile verloren – wovon vor allem Flink und Getir profitieren. Weil
immer weniger Geld von Investoren fließt und diese schwarze Zahlen sehen
wollten, [5][entließ Gorillas Mitte des Jahres Hunderte
Mitarbeiter*innen] und verlagerte den Fokus von „Hyperwachstum“ auf
„Profitabilität“.
Der Experte für Lebensmittelmarketing Otto Strecker geht davon aus, dass
Profit in der Lebensmittel-Lieferbranche überhaupt nicht möglich ist. „Das
Geschäftsmodell funktioniert nicht, egal ob bei Getir oder bei Gorillas“,
sagt der Vorstand der AFC Consulting Group AG der taz. Das Versprechen, für
eine Lieferpauschale von 1,80 Euro in wenigen Minuten zur Haustür zu
liefern, sei nicht gewinnbringend umzusetzen.
## „Profit in der Branche gar nicht möglich“
Anders als bei Unternehmen wie Uber oder Lieferando handle es sich nicht um
reine Vermittlerdienste, erklärt Strecker. „Die Firmen haben Kosten für
Lager, Kuriere, Waren. Und die sind höher als das, was sie auf dem Markt
dafür bekommen.“ Laut Strecker müssten die Start-ups fünf bis sechs Euro
Liefergebühren verlangen, um profitabel zu sein. „Die Kunden sind nicht
bereit, das zu zahlen“, sagt Strecker, in der derzeitigen Krise schon gar
nicht.
Die Übernahme von Gorillas durch Getir wäre dem Experten zufolge also nicht
die lang erwartete Marktkonsolidierung, bei der sich am Ende nur ein
Anbieter durchsetzt, sondern ein Scheitern des gesamten Modells. Im Prinzip
handle es sich um eine Spekulationsblase: „Die Anteile an den Firmen werden
von einem Investor zum nächsten weitergereicht. Die Preise orientieren sich
dabei an den Wachstumsraten. Auf das Ergebnis, also ob am Ende Gewinn
gemacht wird, guckt keiner.“
Da es sich im Prinzip um eine Abwärtsspirale handle, bringe sich Getir mit
einer Übernahme in eine schwierige Position. „Den Letzten, der investiert,
beißen die Hunde“, glaubt Strecker.
Für die Beschäftigten dürfte es am Ende egal sein, [6][welches Unternehmen
sie schlecht bezahlt]. „Bei [7][Flink] und Getir sind die
Arbeitsbedingungen auch nicht besser als bei Gorillas“, sagt
Arbeitsrechtsanwalt Martin Bechert der taz. Schließlich betrieben alle
Liefer-Start-ups massives Union Busting.
## Sonderstaatsanwaltschaft gegen Union Busting geplant
Um das zu verhindern, soll in Berlin eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft
gegründet werden. Laut Senatsjustizverwaltung gab es in den vergangenen
zehn Jahren 38 Ermittlungsverfahren wegen Ver- oder Behinderung
betrieblicher Mitbestimmung. „Daraus ist keine einzige Anklage
hervorgegangen“, kritisiert der arbeitspolitische Sprecher der Linken,
Damiano Valgolio. Er hofft: Wenn mehr Fälle vor Gericht gebracht werden,
steigt auch die Anzeigenbereitschaft.
„Das bringt gar nichts“, glaubt Rechtsanwalt Bechert. Solange Union Busting
kein Offizialdelikt sei, bei dem die Staatsanwaltschaft von sich aus aktiv
wird, sondern die Anzeigenden die Verstöße nachweisen müssen, ändere sich
nichts. Zumal es bei der Staatsanwaltschaft bereits eine spezialisierte
Abteilung gibt – allerdings bearbeitet sie aufgrund der wenigen Anzeigen
andere Fälle.
Derzeit berät der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses über die
Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft, danach geht es zur Abstimmung
ins Plenum. Auf Bundesebene will die Ampel laut der
SPD-Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe im ersten Halbjahr 2023 eine
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes verabschieden. „Im Zuge dessen
werden wir die Behinderung der betrieblichen Mitbestimmung zum
Offizialdelikt machen“, so Kiziltepe. „Wir als Politik müssen den
Arbeitnehmer*innen in ihren betrieblichen Konflikten mehr
Hilfestellung geben.“
27 Oct 2022
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## AUTOREN
Marie Frank
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