| # taz.de -- Getir und Gorillas verlassen Deutschland: Koof doch einfach selber … | |
| > Die Lieferdienste Getir und Gorillas stehen vor dem Aus. Ein Abgesang auf | |
| > ein sinnloses Geschäftsmodell auf dem Rücken migrantischer Arbeitskräfte. | |
| Bild: Die Rider von Gorillas & Co waren von Anfang an die Verlierer dieses Syst… | |
| Kaum hatte das EU-Parlament für bessere Rechte für Beschäftigte bei | |
| Lieferdiensten gestimmt, kam prompt die Nachricht vom Aus für Getir und | |
| Gorillas in Europa: Anderthalb Jahre nach der [1][milliardenschweren | |
| Übernahme] des wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in die Kritik | |
| geratenen Bringdienstes Gorillas, zieht sich Getir aus Deutschland zurück, | |
| steht möglicherweise sogar komplett vor dem Aus, vermeldete Business | |
| Insider am Mittwochnachmittag. Getir wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu | |
| äußern. | |
| Betroffen wären am Ende vor allem die etwa 1.400 Beschäftigten in | |
| Deutschland, die sich größtenteils in Berlin im Dienste der Dekadenz der | |
| Wohlstandsgesellschaft für einen Hungerlohn abstrampeln. | |
| Es ist das erwartbare Ende eines Geschäftsmodells, das nicht nur niemals | |
| erfolgreich sein konnte, sondern auch gar nicht sein musste. Eines | |
| Geschäftes, das rein auf Spekulation beruht und im wahrsten Sinne des | |
| Wortes auf dem Rücken der Arbeiter*innen Millionengewinne für | |
| Investor*innen generierte. | |
| Dass die Bringdienste, die für einen (zu) geringen Aufpreis | |
| Supermarkt-Lebensmittel zu ihren meist jungen Kund*innen in urbanen | |
| Zentren nach Hause liefern, eigentlich keine*r braucht, interessierte | |
| dabei wenig. Es ging nie um eine sinnvolle Versorgung von alten oder | |
| körperlich eingeschränkten Menschen – das war weder die Zielgruppe, noch | |
| waren die Lieferdienste in abgelegenen Gegenden mit schlechter | |
| Versorgungsstruktur verfügbar. | |
| Trotzdem entwickelte sich die Berliner Firma Gorillas, die dieses Modell | |
| vor vier Jahren begründete, schnell zum Vorzeige-Jungunternehmen. Nie zuvor | |
| war ein deutsches Start-Up so schnell so wertvoll. | |
| ## Prekäre Arbeitsbedingungen und Union Busting | |
| In Bezug auf [2][Arbeiter*innenrechte und Union Busting] entwickelte | |
| sich das derart gehypte Start-Up schnell zum leuchtenden Negativ-Beispiel. | |
| Mangelhafte Ausstattung mit wetterfester Arbeitskleidung und | |
| verkehrstauglichen Fahrrädern, zu schwere Rucksäcke, ausbleibende | |
| Zahlungen, prekärer Lohn, Vertragsbrüche – die Vorwürfe der Rider nahmen | |
| kein Ende. | |
| Doch jeglicher Versuch, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wurde | |
| [3][gnadenlos vor Gericht gezerrt.] Meist ohne Erfolg, doch es entstand der | |
| Eindruck einkalkulierter Rechtsbrüche. Nach dem Motto: Es ist profitabler | |
| im Nachhinein zu zahlen, als von vornherein für gute Arbeitsbedingungen zu | |
| sorgen. Zumal die meist migrantischen Kurierfahrer*innen sich entweder | |
| nicht trauten, gegen die Verstöße vorzugehen, weil ihr Visum von ihrem | |
| Arbeitsverhältnis abhängig war, oder sich mit deutschen | |
| [4][Arbeitnehmer*innenrechten nicht auskannten]. | |
| Ein Geschäftsmodell, das schnell Schule machte: Getir, Flink, Volt, | |
| Gorillas, Dropp und viele andere lieferten sich in der Stadt eine | |
| gnadenlose Schlacht um Marktanteile. Und das, obwohl in keinem Moment | |
| Profit generiert wurde. Im Gegenteil: Laut Recherchen von Panorama und | |
| Süddeutscher Zeitung machte Gorillas bei einer Durchschnittsbestellung von | |
| 27,20 Euro unterm Strich ein Minus von 5,30 Euro. | |
| Denn das Versprechen, für eine Pauschale von 1,80 Euro in wenigen Minuten | |
| zur Haustür zu liefern, ist [5][laut Ökonomen] überhaupt nicht | |
| gewinnbringend umzusetzen. Da es sich im Gegensatz zu Lieferando nicht um | |
| reine Vermittlerdienste handelt und Kosten für Lager und Waren anfallen, | |
| müssten die Liefergebühren eher bei fünf bis sechs Euro liegen, um | |
| profitabel zu sein – und das sind die Kund*innen nicht bereit zu | |
| bezahlen. | |
| ## Den letzten beißen die Hunde | |
| Die Investoren schien das nicht zu interessieren. Auch nicht, als die | |
| Nachfrage nach dem Lockdown wieder abebbte und steigende Kosten das | |
| Geschäft noch unprofitabler machten. Warum auch, es war eine | |
| Spekulationsblase mit System: In Zeiten niedriger Zinsen waren die | |
| Lieferdienste als Risikoinvestment interessant. Die Anteile an den Firmen | |
| wurden von einem Investor zum nächsten weitergereicht. Die Preise | |
| orientieren sich dabei an Wachstumsraten, nicht an reellen Einnahmen. | |
| Je mehr Kund*innen, desto wertvoller das Unternehmen. Ob am Ende Gewinn | |
| gemacht wurde, war letztlich egal. Dabei wurde mit jeder zusätzlichen | |
| Bestellung auch mehr Geld verbrannt. Zwischenzeitlich lagen die Verluste | |
| bei über 50 Millionen Euro im Monat. | |
| Doch wie heißt es so schön: Den letzten beißen die Hunde. Und dieser letzte | |
| ist Getir, das sich nach der Übernahme seines Konkurrenten Gorillas auf dem | |
| Berliner Markt durchsetzte. Dass trotzdem weiterhin sowohl Getir- als auch | |
| Gorillas-Rider auf den Straßen zu sehen waren, war am Ende wohl Teil des | |
| Problems. | |
| Der Großaktionär des zeitweise mit zwölf Milliarden Dollar bewerteten | |
| Unternehmens, ein Staatsfonds aus Abu Dhabi, soll laut Business Insider die | |
| Geduld mit dem Management verloren haben, weil dieses bislang kein | |
| tragfähiges Geschäftsmodell auf die Beine gestellt habe. Dazu gehört auch, | |
| dass Getir und Gorillas nicht zu einer Marke verschmolzen wurden, um Kosten | |
| zu sparen. | |
| ## Den einzigen Mehrwert schufen die Arbeiter*innen | |
| Der Aktionär dürfte den Verlust verkraften können. Bei den Hunderten Ridern | |
| aus Berlin sieht das anders aus: Nachdem Getir im Sommer 2023 bereits rund | |
| 2.500 Stellen gestrichen hatte, stehen jetzt auch die verbliebenen | |
| Fahrer*innen vor dem Nichts. | |
| Die Bundesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit, Cansel | |
| Kiziltepe, die in Berlin auch Senatorin für Arbeit und Soziales ist, | |
| verlangte am Donnerstag die Vorlage eines Sozialplans. „Ich fordere die | |
| Geschäftsführungen auf, unverzüglich Verhandlungen mit den Betriebsräten | |
| aufzunehmen. Getir und Gorillas sind dies den überwiegend migrantischen | |
| Beschäftigen schuldig“, so Kiziltepe zur taz. | |
| Schließlich waren es die Rider, die in den vergangenen vier Jahren die | |
| Fahne hoch gehalten haben: Allen Widrigkeiten zum Trotz organisierten sie | |
| sich auch ohne die Unterstützung von Gewerkschaften gegen ihre Ausbeutung. | |
| Und entfachten mit dem [6][ersten wilden Streik in Deutschland] seit | |
| Jahrzehnten eine Diskussion um politische Streiks und das in Deutschland | |
| herrschende Streikrecht aus der NS-Zeit. Im Gegensatz zu den Bringdiensten | |
| schufen sie so einen wirklichen Mehrwert für diese Gesellschaft. | |
| 25 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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