# taz.de -- Lieferdienst behindert Betriebsrat: Ganz Flink ausgeliefert | |
> Beim Lieferdienst Flink rumort es: Die Fahrer*innen würden gerne einen | |
> Betriebsrat gründen. Doch sie sehen sich Repressionen ausgesetzt. | |
Bild: Flink, flink die Milch zum Kunden bringen – nur bei der Betriebsratsgr�… | |
BERLIN taz | Da waren es nur noch zwei: Im Kampf um die Marktmacht bei | |
Lebensmittel-Lieferdiensten sind in Berlin mittlerweile nur noch Getir und | |
Flink übrig geblieben. Mitte Dezember war bekannt geworden, dass der | |
türkische Lieferdienst Getir das umstrittene Berliner Start-up Gorillas für | |
eine Milliardensumme übernimmt. Den Konkurrenten Flink, an dem der | |
Supermarktkonzern Rewe beteiligt ist, freut das: „Eine Konsolidierung des | |
Marktes ist gut, weil das den Preiskampf reduziert“, sagt | |
Unternehmenssprecher Boris Radke der taz. | |
Gut also für die Rendite, zumindest theoretisch. Denn Marktexpert*innen | |
gehen davon aus, dass [1][Profit in der Branche überhaupt nicht möglich | |
ist]. Zumindest schreibt bislang keiner der Lebensmittel-Lieferdienste | |
schwarze Zahlen. Dafür wird umso mehr Kapital verbrannt. Bei Flink, das | |
Anfang des Monats bereits in Österreich Insolvenz anmelden musste, hofft | |
man dennoch auf satte Gewinne: Das Geschäftsmodell sei grundsätzlich | |
profitabel, aber stehe eben erst am Anfang, sagt Radke. Mittlerweile seien | |
bei dem 2020 in Berlin gegründeten Unternehmen bundesweit 20 Prozent der | |
Standorte profitabel – insgesamt bleibt es also ein Minusgeschäft. | |
Das reicht natürlich nicht, und frisches Risikokapital ist krisenbedingt | |
schwer zu bekommen, also setzen die Unternehmen auf einen harten Sparkurs. | |
Das trifft vor allem die Arbeiter*innen, die die Gewinne einfahren sollen. | |
So wird bei Getir nach der Übernahme ein massiver Stellenabbau erwartet. | |
Auch bei Flink rumort es in der Belegschaft, der Streit über die Gründung | |
eines Betriebsrats beschäftigt seit Monaten die Berliner Gerichte. | |
Raúl, der seinen Nachnamen aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht in | |
der Zeitung lesen will, arbeitet seit anderthalb Jahren für Flink. „Am | |
Anfang waren die Arbeitsbedingungen noch ganz gut, aber in letzter Zeit hat | |
sich alles total verändert“, sagt er der taz. So sei etwa die Qualität der | |
Fahrräder merklich schlechter geworden, wodurch die Zahl der Unfälle | |
steige. Teilweise hätten die E-Bikes kein Licht, die Haftung der Reifen sei | |
so schlecht, dass er bei Nässe schon zweimal einen Unfall hatte. „Ich bin | |
schon ohne Bremsen gefahren – entweder man fährt so oder gar nicht.“ | |
Wer jedoch nicht fährt, wird bestraft. So ist laut Flink-Sprecher Radke bei | |
einer No-Show, also dem Nichterscheinen bei einem Auftrag, eine | |
Strafzahlung fällig, zusätzlich gibt es noch eine Abmahnung. Also fahren | |
die Rider, wie sich die Kurier*innen nennen, trotz mangelhaften | |
Equipments, um ihren Job nicht zu gefährden. Radke räumt gegenüber der taz | |
ein, dass Mängel bei einigen Fabrikaten durchaus vorkommen könnten, diese | |
würden jedoch in der Regel sofort ausgetauscht. „Dafür brauchen wir aber | |
das Feedback der Fahrer.“ | |
Um sich gegen mangelhafte Arbeitsausrüstung, aber auch die in ihren Augen | |
schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren, wollen einige der rund 1.500 | |
Berliner Rider einen Betriebsrat gründen. Auch Raúl setzt sich für die | |
Einsetzung einer Interessenvertretung ein. „Viele der Arbeiter*innen | |
kommen etwa aus Indien und kennen das deutsche Arbeitsrecht nicht“, sagt | |
er. So würden bei Flink immer mehr Menschen eingestellt als benötigt, um | |
eine Reserve zu haben. | |
Dass Rider, die deshalb nicht auf ihre vertraglich vereinbarte | |
Stundenanzahl kommen, trotzdem ein Recht auf den vollen Lohn haben, wissen | |
jedoch nicht alle – was Flink systematisch ausnutze. „Wir wollen einen | |
Betriebsrat gründen, damit die Arbeiter*innen über ihre Rechte | |
aufgeklärt werden und sie von Flink respektiert werden“, sagt Raúl. | |
Für sein Engagement werde er indes massiv unter Druck gesetzt, erzählt der | |
Rider: „Bevor ich mich für den Betriebsrat eingesetzt habe, hatte ich eine | |
höhere Position, das Management hat mich geschätzt. Danach wurde ich | |
degradiert und bin zum Ziel geworden.“ | |
19 Abmahnungen habe er in den vergangenen Wochen erhalten, sein Supervisor | |
werde regelmäßig nach ihm ausgefragt, und seine Kolleg*innen würden sich | |
aus Angst vor negativen Konsequenzen nicht mehr trauen, mit ihm zu reden. | |
„Ich fühle mich sehr isoliert“, sagt Raúl. Nicht alle halten dem Druck | |
stand. Einige haben sich einen neuen Job gesucht oder wurden gekündigt. Von | |
ursprünglich sieben gewählten Mitgliedern des Wahlvorstands sind nur noch | |
drei übrig – das gesetzliche Minimum. | |
Flink-Sprecher Radke bestätigt, dass es in jüngster Zeit „einiges an | |
Abmahnungen und Kündigungen“ gegeben hat. Diese hätten jedoch alle | |
„arbeitsrechtliche Gründe“. | |
„Flink hat ein Demokratieproblem“, sagt [2][Martin Bechert der taz]. Der | |
Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt die Initiator*innen des | |
Betriebsrats und steht wegen seiner kritischen Äußerungen selbst im Fokus | |
vom Flinks-Anwälteteam. Den Mund verbieten lässt er sich durch die | |
Abmahnungen jedoch nicht: „Skrupellos“ nennt er das Vorgehen des | |
Lieferdienstes gegen dessen Mitarbeiter*innen, es herrsche „ein System der | |
Angst“. Das Unternehmen wolle eine Interessenvertretung mit allen Mitteln | |
verhindern, ist sich der erfahrene Anwalt sicher. | |
## Flink: kein „Spitzelsystem“ | |
Flink selbst gibt an, nichts gegen die Gründung eines Betriebsrats zu | |
haben, im Gegenteil. Bis es so weit ist, habe man ein „Ops Committee“ | |
eingerichtet, das „Feedback“ der Angestellten an das Management weitergeben | |
soll. Den Vorwurf Becherts, dass es sich dabei um ein „Spitzelsystem“ | |
handle, weist Radke entschieden von sich. | |
Es gibt jedoch die Aussage eines Mitarbeiters des Ops Committees, die der | |
taz vorliegt. Darin heißt es, es sei seine Aufgabe im Ops Committee, | |
„Mitarbeiter zu suchen, die ihren Mund aufmachen, um diese dem | |
Regionalleiter zu melden, der sie dann schnellstmöglich entfernt“. | |
Konfrontiert mit dieser Aussage sagt der Flink-Sprecher: „Es kann | |
passieren, dass Leute ihre Rolle so interpretieren.“ Vom Unternehmen sei | |
dies allerdings nicht gewünscht. | |
Gegen den gewählten Wahlvorstand, der die Betriebsratswahlen organisieren | |
soll, ging Flink gerichtlich vor, woraufhin sich dieser Mitte November | |
auflöste. „Wir sind einfache Arbeiter*innen, die Mindestlohn bekommen, es | |
ist unmöglich für uns, ein Wettrüsten gegen ein Unternehmen zu gewinnen, | |
das 5 Milliarden Euro wert ist“, hieß es zur Begründung. | |
Raúl und seine beiden Kollegen haben nun beim Arbeitsgericht beantragt, | |
dass es einen Wahlvorstand einsetzt. Sollte es dazu kommen, will Flink | |
gerichtlich dagegen vorgehen. „Sie wollen, dass wir die Geduld verlieren | |
und aufgeben“, sagt Raúl. „Aber wir geben nicht auf. Wir haben das Recht | |
auf unserer Seite.“ | |
27 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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