# taz.de -- Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten: Konsum kann uns nicht retten | |
> Der umstrittene Lieferdienst Gorillas könnte bald vom Markt verschwinden. | |
> Eine gute Nachricht im Kampf gegen Ausbeutung ist das jedoch nicht. | |
Bild: Im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen müssen alle Arbeiter*innen zusamm… | |
Seit mittlerweile schon mehr als einem Jahr [1][protestieren in Berlin | |
regelmäßig Angestellte von Liefer-Start-ups] gegen ihre schlechten | |
Arbeitsbedingungen, allen voran die „Rider“ von Gorillas. Getan hat sich | |
seitdem wenig, [2][die Löhne sind immer noch niedrig, die Ausrüstung ist | |
schlecht], und von betrieblicher Mitbestimmung kann keine Rede sein. | |
Dennoch sieht man auf den Straßen immer noch jede Menge meist migrantische | |
Kurier*innen, die in ihren großen Rucksäcken die Last unserer | |
Bequemlichkeit auf dem Rücken tragen. Stellt sich die Frage: Wann hat diese | |
moderne Form der Sklaverei endlich ein Ende? | |
Die gute Nachricht ist: womöglich schneller als gedacht. Expert*innen | |
für Lebensmittel-Onlinehandel sind sich einig, [3][dass der Kampf um die | |
Straße in der Inflationskrise] an Dynamik gewinnen wird. In Zeiten, in | |
denen die Nebenkostenabrechnung zum Schreckgespenst wird und Butter so viel | |
kostet wie eine Packung Pralinen, geht Sparen eben vor Komfort. | |
Dass der einstige Pionier der europäischen Lebensmittel-Lieferbranche | |
Gorillas nun möglicherweise von seinem Konkurrenten Getir übernommen wird, | |
weil er immer mehr Marktanteile verliert, ist dabei erst der Anfang. Ob am | |
Ende nur ein Player übrig bleibt, die Kurierdienste von Supermarktketten | |
geschluckt werden oder das ganze System kollabiert, das bis heute keinen | |
Cent Profit eingefahren hat, wird sich zeigen. | |
Die schlechte Nachricht: Nicht die Kund*innen haben dafür gesorgt, dass | |
rücksichtslose Ausbeuter*innen wie Gorillas vom Markt gedrängt und für | |
ihre schlechten Arbeitsbedingungen abgestraft werden. Schließlich ist Getir | |
dasselbe in Lila, nur ohne Affenlogo. Die viel beschworene Macht der | |
Konsument*innen kommt an ihre natürliche Grenze: das Angebot. | |
Denn einen nachhaltigen Lebensmittel-Kurierdienst, der seine | |
Arbeiter*innen fair bezahlt und ihre gesetzlich verbrieften Rechte | |
respektiert, gibt es in dieser Branche schlichtweg nicht – warum auch | |
sollte ein solches Unternehmen in dieses unprofitable Risikokapital-Segment | |
einsteigen? Schließlich wird der Kampf um Marktanteile und | |
Investor*innen im wahrsten Sinne auf dem Rücken der Angestellten | |
ausgetragen. Denen dürfte es am Ende egal sein, welches Unternehmen sie | |
schlecht bezahlt. | |
Was bleibt also im Kampf gegen ausbeuterische Konzerne? [4][Eine Abstimmung | |
mit den Füßen], indem wieder alle wie früher selbst im Supermarkt einkaufen | |
gehen? Das wäre ein Anfang, allerdings zeigt die Erfahrung, dass sich die | |
Zeit nicht zurückdrehen lässt und es immer Kund*innen geben wird, die | |
entgegen allen moralischen Bedenken trotzdem bei Schurken-Konzernen | |
bestellen, wie das Beispiel Amazon zeigt. Zumal Supermärkte auch nicht | |
immer Leuchttürme guter Arbeit sind, [5][Union Busting gibt es schließlich | |
auch bei Aldi]. | |
## Die Kraft der Solidarität | |
Klar ist, Konsum wird uns nicht retten. Nicht die Macht der | |
Konsument*innen, sondern der Ausgebeuteten kann echte Veränderung bewirken. | |
Statt sich den Regeln des Marktes von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen | |
und nach individuellen Lösungen für strukturelle Probleme zu suchen, müssen | |
wir dem Kapitalismus die Kraft der Solidarität entgegensetzen. Heißt: Der | |
Kampf von Kurier*innen für bessere Arbeitsbedingungen ist nicht allein | |
Sache der Kurier*innen, sondern von allen Lohnarbeiter*innen. | |
Der Neoliberalismus hat es geschafft, die Arbeiter*innen zu vereinzeln, | |
auf eine kalkulier- und vermarktbare Summe an Bedürfnissen zu reduzieren | |
und gegeneinander auszuspielen. Es ist an der Zeit, diese Logik zu | |
durchbrechen, Gemeinsamkeiten zu erkennen, sich gegenseitig zu unterstützen | |
und die Forderungen nach mehr Lohn, weniger Arbeit und mehr soziale | |
Gerechtigkeit, [6][die Millionen Menschen einen], gemeinsam auf die Straße | |
zu tragen. Der Preis, den wir sonst zahlen, ist sehr viel höher als die | |
Liefergebühr für ein überteuertes Stück Butter. | |
30 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Arbeitskampf-bei-Gorillas/!5781546 | |
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[3] /Lebensmittellieferdienst-Gorillas/!5887224 | |
[4] /Arbeitgeber-wie-aus-dem-Urkapitalismus/!5807003 | |
[5] https://handel.verdi.de/unternehmen/a-c/aldi/++co++8efa185a-daed-11e9-b93e-… | |
[6] /Armutsdiskussion-bei-steigender-Inflation/!5853997 | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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