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# taz.de -- Entlassungen bei Kurierdienst: Lieferando will Betriebsräte kicken
> Der Lieferdienst ficht die Betriebsratswahl an und will den Großteil des
> Gremiums kündigen. Die Gewerkschaft spricht von Union Busting.
Bild: Lieferando-Fahrer*innen protestieren für bessere Arbeitsbedingungen
Berlin taz | Der Essensbringdienst Lieferando geht massiv gegen den neu
gewählten [1][Betriebsrat] in Berlin vor. Laut taz-Informationen hat das
Unternehmen für 14 der 17 Betriebsratsmitglieder Kündigungsverfahren
eingeleitet. Lieferando wirft ihnen vor, in ihrer Funktion als
Wahlvorstand, der die Betriebsratswahlen organisiert hat, Arbeitszeitbetrug
begangen zu haben.
Das ist einer der wenigen Gründe, aus denen Wahlvorstände oder
Betriebsratsmitglieder, die besonderen Kündigungsschutz genießen, gefeuert
werden können. Außerdem hat Lieferando beim Arbeitsgericht die Anfechtung
der Wahl beantragt.
Anfang August haben in Berlin rund 200 Kurierfahrer*innen [2][einen
Betriebsrat für die rund 1.400 Rider gewählt]. Mit 17 Mitgliedern ist es
der größte Betriebsrat bei Lieferando. Das Unternehmen bestätigte auf
taz-Nachfrage, dass mittlerweile Verfahren gegen einzelne Betriebsräte
eingeleitet wurden: „Mehrere Wahlvorstände stehen im Verdacht, sich
monatelang auf Kosten des Arbeitgebers bereichert zu haben“, sie hätten
„mit vielen tausend Arbeitsstunden ein Vielfaches des üblichen Aufwands für
eine klar definierte Aufgabe eingereicht“, so eine Sprecherin.
Martina Bowens ist eine der Betriebsrät*innen, die gekündigt werden sollen.
Sie hält die Vorwürfe von Lieferando für vorgeschoben, um den Betriebsrat
an seiner Arbeit zu hindern. „Es geht nicht um Arbeitszeitbetrug, sie
wollen uns los werden. Das ist eine klassische Union-Busting-Strategie“,
sagt Bowens, die in Wirklichkeit anders heißt, aus Angst vor negativen
Konsequenzen jedoch nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen
will.
## Einschüchterungsversuche gegen Betriebsrät*innen
Der Begriff Union-Busting bezeichnet die systematische Zerschlagung, Ver-
oder Behinderung von gewerkschaftlicher Arbeit – ein Vorwurf, den sich
Lieferando bereits im Vorfeld der Betriebsratswahlen eingehandelt hatte.
„Lieferando hat immer wieder die Herausgabe von Dokumenten hinausgezögert.
Um uns dann vorzuwerfen, dass wir zu lange gebraucht und zu viele Stunden
gearbeitet hätten“, empört sich Bowens. Nicht der einzige Fall, in dem
ihnen „eine Falle“ gestellt worden sei. „Sie haben uns ein Büro gegeben,…
das nur zwei Personen reinpassen, und das bei einem Wahlvorstand mit 11
Mitgliedern, 17 mit Stellvertreter*innen, plus Anwälte oder
Gewerkschafter*innen“, erzählt die Fahrradkurierin der taz.
Weil sie dort nicht immer erreichbar waren, wittert Lieferando nun Betrug.
„Sie geben uns keinen ausreichend großen Raum und beklagen dann, dass wir
uns nicht darin getroffen hätten. Das ist absurd.“ Angst, nun ihren Job zu
verlieren, hat Bowens dennoch nicht. „Die Vorwürfe sind alle ziemlich dünn
und es ist auch nichts Neues, dass Lieferando versucht, Betriebsräte
einzuschüchtern.“
## Kündigungen als Druckmittel
Neu ist allerdings, dass Lieferando nicht nur gegen einzelne Mitglieder
vorgeht, sondern versucht, nahezu den gesamten Betriebsrat loszuwerden.
„Das hat eine ganz neue Qualität“, sagt Sebastian Riesner von der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die, ebenso wie das Lieferando
Workers Collective, mit einer eigenen Liste angetreten war.
Der Gewerkschafter glaubt, dass die „Jagd auf den Betriebsrat“ mit dessen
Größe zusammenhängt. „Sie vertreten über 1.000 Arbeiter*innen. Das will m…
mit aller Macht verhindern“, sagt Riesner zur taz. „Hier will man
Mitbestimmungsorgane mit vollkommen obskuren Begründungen und konstruierten
Vorwürfen kaputt schlagen.“
Das sieht der Arbeitsrechtsanwalt, der den Betriebsrat bei Lieferando
vertritt, ähnlich. „Das ist alles heiße Luft. Es geht nur darum, die
Betriebsratsmitglieder unter Druck zu setzen“, sagt Martin Bechert der taz.
Lieferando habe dem Wahlvorstand ständig Knüppel zwischen die Beine
geworfen und baue nun mit den Kündigungen psychischen Druck auf die
Beschäftigten auf.
Bechert ist sich sicher, dass das Start-Up mit seiner Union-Busting
Strategie scheitern wird. „Für die außerordentliche Kündigung von
Betriebsräten braucht man gute Gründe. Und die haben sie nicht, sie haben
gar nichts.“
## Rider warten noch immer auf Handys und Fahrräder
Die Kündigungen liegen nun, ebenso wie die Anträge auf Anfechtung der Wahl,
beim Arbeitsgericht. Aus welchen Gründen Lieferando die Wahl anficht, will
das Unternehmen mit Verweis auf den laufenden Prozess nicht sagen. Wann
dieser stattfindet, steht noch nicht fest.
Der Fall sorgt auch in der Politik für Empörung: „Dem Lieferando-Management
und ihren Anwaltskanzleien scheint jedes Mittel recht zu sein, um einen
Betriebsrat in Berlin zu verhindern“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete
Cansel Kiziltepe zur taz. Sie fordert rechtliche Konsequenzen für
Unternehmen, die die betriebliche Mitbestimmung ihrer
Mitarbeiter*innen aushebeln.
Martina Bowens und ihre Betriebsratskolleg*innen wollen so lange mit
ihrer Arbeit weiter machen. Denn zu tun gibt es genug: „In den letzten
Monaten wurden mindestens 600 Mitarbeiter gekündigt, in Zukunft werden wir
da ein Auge drauf haben. Außerdem brauchen wir sicherere Arbeitsbedingungen
und wir warten immer noch darauf, dass Lieferando uns [3][Handys und
Fahrräder] zur Verfügung stellt, wie es das Bundesarbeitsgericht im
November vergangenes Jahr vorgeschrieben hat“, sagt sie.
5 Sep 2022
## LINKS
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[3] /Prekaere-Arbeit-bei-Lieferdiensten/!5862131
## AUTOREN
Marie Frank
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Lieferdienste
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