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# taz.de -- Kampf gegen Union Busting in Bremen: Sich zu wehren, lohnt sich doch
> 15.000 Euro Schmerzensgeld muss die Residenz-Gruppe an ihre
> Betriebsratsvorsitzende zahlen: Seit Jahren schikaniert sie sie mit
> Kündigungsversuchen.
Bild: Den eigenen Betriebsrat mit unnützen Prozessen überziehen, auch das kan…
Bremen taz | 15.000 Euro bekommt die Bremerin Nicole Meyer nach ihrer
Schadensersatzklage wegen Mobbings von ihrem Arbeitgeber. Seit zwei Jahren
versucht die Seniorenresidenz-Gruppe, Meyer mit allen Mitteln loszuwerden:
Gegen die Betriebsratsvorsitzende hat man Kündigungen ausgesprochen, man
hat ihr Hausverbot erteilt, ihr mehrfach das Gehalt gekürzt, gedroht, sie
in ihrer Arbeit durch eine Detektei „lückenlos zu überwachen“.
Auch mit Privatklagen aufgrund von übler Nachrede hatte man sie überzogen.
Und schließlich gab es [1][Angriffe auf persönlicher Ebene], Beleidigungen
und Unterstellungen, die bis in ihren Familienbereich ragen.
Die zuständigen Gerichte in Bremen und Nienburg haben bisher in den
verschiedenen Verfahren immer wieder für Meyer entschieden: Die
[2][genannten Kündigungsgründe sind nichtig,] die Gehaltskürzungen
unrechtmäßig. Anfang des Jahres ist Meyer selbst in den Angriff
übergegangen und hat Klage wegen Mobbings gegen ihren Arbeitgeber erhoben.
Schon in der ersten Instanz im Februar hatte sie Recht bekommen, mit dem
Urteil der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Bremen ist die
Entscheidung nun rechtskräftig.
Die Arbeitgeberseite hatte vor allem ein Gegenargument: Alles, was Meyer
als Mobbing beklage, seien nur gerechtfertigte Maßnahmen des Arbeitgebers
angesichts des Fehlverhaltens von Meyer. Bei der Begründung dieses
Fehlverhaltens allerdings wird es dünn: Gehalt wurde ihr gekürzt mit dem
Vorwurf, sie habe Arbeitszeitbetrug begangen – das Gericht aber hat in
anderen Verfahren festgestellt, dass Meyer bei den beanstandeten Terminen
gearbeitet hat.
## Lappalie führte zu Kündigungsversuch
Und zur Begründung der Kündigung gegen die Betriebsratsvorsitzende wird ein
[3][alter Fall von 2020 wieder aufgewärmt.] Damals habe Meyer einen
„Prozessbetrug“ begangen: Konkret geht es in dem gesamten Vorwurf darum,
dass ein anderes Betriebsratsmitglied im Protokoll als „unentschuldigt
fehlend“ eingetragen wurde, obwohl sie nur Urlaub hatte. Frau Meyer, so der
Arbeitgeber, hätte das wissen müssen – sie hätte also betrogen und das
Protokoll wissentlich falsch geführt.
Unabhängig davon, ob ein solcher Protokollfehler eine Kündigung
rechtfertigt, hat das Gericht längst festgestellt, dass von einer bewussten
Täuschung gar nicht die Rede sein könne – dass Meyer vom Urlaub gewusst
habe, sei reine Spekulation. Zweimal bereits hat das Gericht so entschieden
„Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass das Beschlussverfahren fehlerhaft
gewesen wäre“, sagte am Mittwoch Stephen Böggemann, Richter am
Landesarbeitsgericht.
Franz-Michael Koch, der Anwalt der Residenzgruppe, versuchte im Verfahren
am Mittwochvormittag dennoch immer wieder, den alten Vorwurf aufzuwärmen.
Richter Böggemann wirkte zunehmend genervt. „Der Fall ist rechtskräftig
entschieden“, erklärte er ein ums andere Mal. Und: „Wir haben unsere
Zweifel, dass diese Kündigungsandrohungen weiter eine vernünftige,
abwägende Reaktion des Arbeitgebers sind.“
Und der Richter äußerte sich noch deutlicher in Richtung Arbeitgeber:
„Alles, was Sie machen, zielt aber auf die Existenzangst der Klägerin“, so
Böggemann zum angeklagten Geschäftsführer Sebastian Hollatz und dessen
Anwalt.
## Prozesse als Strategie gegen Betriebsräte
Eine Frage stand im Raum, und Richter Böggemann stellte sie: Wie soll es
weitergehen? „Unser Verfahren hier steht ja Pars pro Toto für ihren
gesamten Streit“, so Böggemann. Tatsächlich laufen bis heute weitere
Verfahren zwischen den beiden Parteien – einige von ihnen gegen Meyer
persönlich, andere fechten etwa die letzten Betriebsratswahlen an.
Betriebsräte und ihre Mitglieder mit Prozessen zu überziehen, ist eine
beliebte Strategie des „Union Busting“, also des systematischen Zerstörens
von Gewerkschaften und Betriebsräten durch Arbeitgeber. Die
Hans-Böckler-Stiftung hat das Phänomen [4][2020 in einer Studie
analysiert.] Angepeilt wird mit den Prozessen demnach nicht nur ein
juristischer Erfolg vor Gericht, sondern auch ein Angriff auf die Psyche
der Mitglieder des Betriebsrats selbst: Die Vielzahl an Prozessen zermürbt
und schreckt ab.
Böggemann versuchte in der Verhandlung zwischendurch trotzdem, den Konflikt
auf eine persönliche Ebene herunterzubrechen. „Sie können nicht
miteinander, das ist klar“, sagte er. Der Richter stellte seine Sympathie
für ein Güteverfahren heraus – und fragte moralisch: „Geht es Ihnen, Frau
Meyer, nur um das Geld, oder darum, dass man wieder zusammenarbeiten kann?“
Nicole Meyer musste die Frage nicht mehr beantworten: Hollatz als
Geschäftsführer machte selbst klar, dass er sich nicht auf ein
Güteverfahren einlassen wird. „Ich lehne eine Mediation ab“, so Hollatz.
„Ich bin immer freundlich, immer professionell geblieben. Deshalb braucht
es keine Mediation“, begründete er.
## Betriebsratsvorsitzende darf über Zustände sprechen
Im Folgenden versuchte der Geschäftsführer noch, die Mobbingklage zumindest
von seiner Person wegzuführen: Er habe nur als Vertreter seines
Unternehmens gehandelt, so die Argumentation. Kündigungen, Gehaltskürzungen
und auch die Schriftsätze ans Gericht mitsamt persönlichen Beleidigungen
tragen allerdings seine Unterschrift. Er sei jeweils rechtlich beraten
worden, verteidigte sich Hollatz. Eine Argumentation, die Richter Böggemann
nicht gelten lässt. „Sie sind ein erwachsener Mann. Sie wissen doch, was es
bedeutet, wenn Sie etwas unterschreiben.“
Mit den 15.000 Euro Schmerzensgeld für Meyer wird gleichzeitig ein
Gegenantrag des Arbeitgebers abgelehnt: Der hatte etwas über 50.000 Euro
von Meyer eingefordert, unter anderem wegen „Rufmords“. Für die Zukunft
hatte man zudem einige Unterlassungsanträge eingereicht: Frau Meyer, so
einer davon, dürfe nicht mehr öffentlich behaupten, sie würde zermürbt –
ansonsten müsse sie jeweils 10.000 Euro zahlen. Der Antrag ist abgelehnt:
Die Betriebsratsvorsitzende darf offen darüber sprechen, wie ihr
Arbeitgeber mit ihr umgegangen ist.
Bei der Schädigung seines Rufs braucht das Unternehmen ohnehin wenig
Unterstützung. Die Residenz Gruppe gehört zum französischen Orpea-Konzern;
durch das Buch „Les fossoyeurs“ (Die Totengräber) des
Enthüllungsjournalisten Victor Castanet über Orpea wurden [5][katastrophale
Zustände in der Pflege der Orpeaheime offenbar] – der Skandal hat den
Börsenwert von Orpea innerhalb kürzester Zeit um 3,3 Milliarden Euro (auf
danach noch 2,5 Milliarden) abstürzen lassen. Bis heute hat sich die Aktie
nicht erholt und erzielt nur noch etwa ein Sechstel des ursprünglichen
Preises.
20 Oct 2022
## LINKS
[1] /Bremer-Konferenz-zu-Union-Busting/!5843351
[2] /Betriebsratskuendigung-im-Pflegeheim/!5746922
[3] /Betriebsrat-Kuendigung-vor-Gericht/!5747307
[4] https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-007883
[5] /Altenpflege-Skandal-in-Frankreich/!5829797
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Bremen
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Arbeitsrecht
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