# taz.de -- Bremer Konferenz zu Union Busting: Zermürbung als Strategie | |
> Anlässlich eines krassen Falls aus der Region hat in Bremen eine | |
> Konferenz zu Union Busting stattgefunden. Die Sabotage von Betriebsräten | |
> hat System. | |
Bild: Gemeinsam gegen Union Busting: Soliaktion vor einem Prozess gegen Betrieb… | |
BREMEN taz | Ein bisschen Genugtuung hat Nicole Meyer bekommen: im März hat | |
sie einen Prozess gewonnen. Wieder einmal – die Pflegekraft und | |
Betriebsratsvorsitzende gewinnt eigentlich jedes Mal. Meistens sind es | |
[1][allerdings nur kurze Siege.] Die nächste Instanz, die nächste Klage, | |
der nächste Angriff warten schon. Dieses Mal war es etwas anders: Meyer war | |
nicht Angeklagte, sondern Klägerin. Sie hat ihren Arbeitgeber wegen | |
Mobbings verklagt, 15.000 Euro Schmerzensgeld wurden ihr zugesprochen. | |
Ihr Arbeitgeber, das ist die Residenz-Gruppe, die zum skandalbelasteten | |
französischen Konzern Orpea gehört – einer der größten Anbieter von | |
Pflegedienstleistungen weltweit. Seit Ende 2020 versucht der Konzern mit | |
allen Mitteln, die Betriebsratsvorsitzende loszuwerden. Der spektakuläre | |
Fall war in Bremen Anlass für eine gemeinsame Tagung von Arbeitnehmerkammer | |
und Gewerkschaft zum Thema „Union Busting“ – zum systematischen Zerstören | |
von Betriebsräten und Gewerkschaften. | |
Union Busting, da ist man sich einig bei der Konferenz, findet nicht nur | |
auf der juristischen, sondern vor allem auch auf der psychischen Ebene | |
statt. Es ist eine Zermürbungs- und Abschreckungsstrategie. Meyers Fall ist | |
exemplarisch, weil er so viele Punkte erfüllt, die die Wissenschaft unter | |
Union Busting versteht. | |
Die Aufzählung von Arbeitsrechtsanwalt Michael Nacken ist erhellend: Die | |
Residenz-Gruppe verklagt [2][Meyer in einem ersten Verfahren,] weil die | |
Vorsitzende zu einer Betriebsratssitzung – ganz protokollgerecht – keine | |
Nachrückerin eingeladen hatte. Der Arbeitgeber konstruierte daraus, dass | |
der Beschluss des Betriebsrats fehlerhaft, die Teilnehmerliste gefälscht | |
sei. Urkundenfälschung und Prozessbetrug sei das. | |
## Kontrollen, Schikanen, persönliche Angriffe | |
Die Residenz-Gruppe beginnt, die Betriebsratsvorsitzende zu kontrollieren. | |
Alle ihre Login-Daten beschafft sich der Arbeitgeber. Wann immer sie nicht | |
telefoniert, nicht im Internet ist, unterstellt man ihr Arbeitszeitbetrug. | |
Weil das Gericht nicht überzeugt ist, kommt noch im Prozess die nächste | |
Drohung: Man werde Meyer demnächst [3][durch eine Detektei lückenlos | |
überwachen] lassen. Die Residenz-Gruppe versucht, den Rücktritt von Meyer | |
und ihrer Stellvertreterin aus dem Betriebsrat zu erzwingen – oder das | |
ganze Gremium aufzulösen. | |
Meyer bekommt Hausverbot und ein Verbot, mit den anderen | |
Betriebsratsmitgliedern zu kommunizieren. Einen Monat lang behält der | |
Arbeitgeber 80 Prozent ihres Gehalts ein. Das Gericht kippt die | |
Entscheidung – aber weitere Kürzungen werden auch heute noch regelmäßig | |
angedroht. | |
Von einem Tag auf den anderen zwingt die Residenz-Gruppe Meyer aus dem | |
Familienurlaub zurück. Ihr Urlaub sei nicht genehmigt gewesen, behauptet | |
der Arbeitgeber fälschlich, man müsse ihr wohl wieder einmal kündigen. | |
Es wird behauptet, Meyer habe ein „Terror-Regime“ im Betriebsrat errichtet. | |
Und wenn sie angebe, dass sie sich mit ihrem Anwalt treffe, gehe sie | |
wahrscheinlich shoppen oder liege auf dem Sofa. Es gibt noch mehr Vorwürfe | |
auf persönlicher Ebene: Die Residenz-Gruppe unterstellt Meyer vor Gericht, | |
dass ihre Kinder mutmaßlich von unterschiedlichen Kindsvätern stammten. | |
## Es geht nicht um einen Sieg | |
„Das sind Beleidigungen und Unterstellungen, die nichts, aber auch gar | |
nichts mit seriöser juristischer Gedankenführung zu tun haben“, so | |
Arbeitsrechtsanwalt Michael Nacken. Die Liste von Angriffen, die er | |
vorstellt, ist noch ein ganzes Stück länger. Im Publikum wird gestöhnt. | |
Soweit die Angriffe juristischer Natur waren, hat die Residenz-Gruppe vor | |
allen Gerichten verloren. Aber es ging auch nicht um einen Sieg. „Es spielt | |
für den Arbeitgeber keine Rolle, dass er verliert“, so Bremens | |
Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) in einem Grußwort zu Beginn der | |
Tagung gegen Union Busting. „Beim strategischen Kalkül des Arbeitgebers | |
geht es nur darum, den Betriebsrat zu zermürben.“ | |
Der Berliner Anwalt, der die Residenz-Gruppe vertritt, hat sich auf solche | |
Schikanen spezialisiert. Der [4][einzige ist er damit nicht]: Von | |
Hardliner-Arbeitgeberanwälten gibt es schon Literatur zur „Kündigung von | |
Unkündbaren“, die nicht nur juristische Schritte empfiehlt, sondern auch | |
eine entsprechende „Betriebspraxis“. | |
Besserung könnte in Sicht sein: Die Ampel-Koalition hat in Aussicht | |
gestellt, dass die Behinderung von Betriebsratsarbeit zum Offizialdelikt | |
werden soll. Betroffene müssen dann also keinen Antrag mehr stellen, | |
sondern die Staatsanwaltschaft muss von sich aus tätig werden. | |
Der Plan findet große Zustimmung in der Konferenz. Das Problem liegt | |
allerdings in der praktischen Umsetzung, glaubt Nacken: „Die | |
Staatsanwaltschaften sind nicht darauf vorbereitet.“ Schon jetzt gebe es | |
die Möglichkeit, nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz gegen die Behinderung | |
von Betriebsratsarbeit zu klagen, Nacken versucht das gerade für Meyer und | |
ihre Kollegin in Verden. Aber: „Am Amtsgericht Verden kennt sich niemand | |
damit aus“, erzählt der Anwalt. | |
## Union Busting ist eher die Regel als die Ausnahme | |
Der Fall Meyer kann in seiner Monstrosität Aufmerksamkeit erzeugen. Die | |
Gefahr dabei: Er kann den Blick auf weniger krasse Fälle verstellen. Union | |
Busting ist keine Ausnahme. In einer [5][Befragung der | |
Hans-Böckler-Stiftung] hat sich herausgestellt, dass in 60 Prozent der | |
Betriebe die Betriebsratsarbeit behindert wird. Die Masse der betrieblichen | |
Behinderung findet viel lautloser statt, gibt ein Arbeitsrechtler aus dem | |
Zuhörerraum zu bedenken. | |
Die Fälle, die bei Anja Feist von der Arbeitnehmerkammer Bremen in der | |
Beratung landen, bestätigen das: Neben Betriebsräten, die nach jahrelangen | |
Klagen entnervt aufgegeben haben, weiß sie auch von jenen zu berichten, die | |
einfach nicht beteiligt, nicht informiert und vor der Belegschaft schlecht | |
gemacht würden. „Viele Betriebsräte empfinden das noch nicht als Union | |
Busting. Aber es ist sehr effektiv, um Mitbestimmung zu verhindern“, so | |
Anja Feist. | |
7 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Union-Busting-bei-Pflegekonzern-Orpea/!5837411 | |
[2] /Betriebsrat-Kuendigung-vor-Gericht/!5747307 | |
[3] /Prozess-um-Betriebsrats-Kuendigungen/!5762929 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kuendigung-von-betriebsraeten-der-ra… | |
[5] https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-007883 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
## TAGS | |
Union Busting | |
Gewerkschaft | |
Betriebsrat | |
Arbeitsschutz | |
Bremen | |
Tesla | |
Arbeitsgericht | |
Lieferdienste | |
Betriebsrat | |
Vattenfall | |
Arbeitsgericht | |
Fast Fashion | |
Bremen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unionbusting bei Tesla: Unheilbare Gewerkschaftsphobie | |
Der Konzern droht Mitarbeiter:innen mit Kündigung, weil sie IG-Metall | |
Aufkleber im Werk angebracht haben. Das offenbart eine irrationale Angst. | |
Kampf gegen Union Busting in Bremen: Sich zu wehren, lohnt sich doch | |
15.000 Euro Schmerzensgeld muss die Residenz-Gruppe an ihre | |
Betriebsratsvorsitzende zahlen: Seit Jahren schikaniert sie sie mit | |
Kündigungsversuchen. | |
Arbeitskampf bei Hellofresh: Frische Zutaten für Union Busting | |
Arbeiter*innen des Lieferdienstes Hellofresh wollen einen Betriebsrat | |
gründen. Das Management will lieber „modernere Formen der Repräsentation“. | |
Betriebsratswahlen bei Spie angefochten: Mitbestimmung kommt von oben | |
Die Firma Spie zieht gegen ihre neu gewählten Betriebsräte vor Gericht. Die | |
IG Metall wirft ihr Union Busting vor und kritisiert die Gewerkschaft CGM. | |
Prozess um gekürzte Betriebsratsgehälter: Einmal Chefetage und zurück | |
Vattenfall will vier Betriebsräten ihre vergleichsweise hohen Gehälter | |
kürzen. Der Betriebsratsvorsitzende klagt dagegen, ist aber | |
gesprächsbereit. | |
Union-Busting bei Pflegekonzern Orpea: Immer mehr Prozesse | |
Zwei Bremer Betriebsrätinnen wehren sich erfolgreich gegen ihre Kündigung. | |
Der Pflegekonzern Orpea kämpft aber mit allen Mitteln weiter gegen sie. | |
Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden: Union-Busting bei Primark | |
Der hannoversche Modehändler versucht, den Betriebsratsvorsitzenden | |
loszuwerden – weil der im Homeoffice seinen privaten Laptop nutzte. | |
Betriebsratskündigung im Pflegeheim: „Die wollen ein Zeichen setzen“ | |
Der Pflegeheimbetreiber Residenz-Gruppe kündigt seinen Bremer | |
Betriebsratsvorsitzenden. Der Fall kann einem größeren Muster zugeordnet | |
werden. |