| # taz.de -- Arbeitskampf bei Hellofresh: Frische Zutaten für Union Busting | |
| > Arbeiter*innen des Lieferdienstes Hellofresh wollen einen Betriebsrat | |
| > gründen. Das Management will lieber „modernere Formen der | |
| > Repräsentation“. | |
| Bild: Die Arbeiter*innenrechte sind bei Liederdiensten leider nicht so fresh | |
| Berlin taz | Start-Ups versprechen flache Hierarchien, von Mitbestimmung | |
| ihrer Angestellten halten sie jedoch meist nicht sehr viel. So auch bei | |
| Hellofresh, einem der größten Unternehmen in Berlin, deren | |
| Mitarbeiter*innen einen Betriebsrat gründen wollen. Hellofresh ist das | |
| einzige DAX-Unternehmen, in dem auf keiner Ebene des Konzerns | |
| Arbeiter*innen durch einen Betriebsrat repräsentiert werden. | |
| Das wollten einige der Angestellten, die mit dem Kurs des Managements | |
| unzufrieden sind, ändern. „Die Gehaltstransparenz ist gleich Null, die | |
| Einstellungspolitik nicht nachvollziehbar und die Diversität könnte auch | |
| besser sein“, sagt Hellofresh-Mitarbeiter*in Alex Fischer der taz. Fischer | |
| heißt eigentlich anders; um negative Konsequenzen zu vermeiden, wurde der | |
| Name geändert. So gebe es kaum Frauen in Führungspositionen und während die | |
| Basis mehrheitlich aus Migrant*innen bestehe, spiegele sich das in den | |
| höheren Etagen nicht wider. | |
| Gute Gründe also, um einen Betriebsrat zu gründen und damit die Interessen | |
| der mehr als 1.000 Berliner Beschäftigten gegenüber ihren Vorgesetzten zu | |
| vertreten, dachten sich die Hellofresh-Arbeiter*innen. „Wir hätten gerne | |
| eine Stimme“, sagt Fischer. Anfang Juni hängten sie daher einen Zettel auf, | |
| in dem sie zu Wahlen für einen Wahlvorstand für den Betriebsrat aufriefen. | |
| Gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi informierten sie die | |
| Arbeiter*innen über rechtliche Fragen. | |
| Doch dann schaltete sich das Management ein. Die Hellofresh-Mitbegründer | |
| und Vorstände Thomas Griesel und Dominik Richter luden zwei Tage vor der | |
| Wahl zu zwei Frage- und Antwortrunden ein, bei denen sie ihre Argumente | |
| gegen einen Betriebsrat vortrugen. Mit dabei auch die Anwaltskanzlei | |
| Greenberg Traurig, die sich laut eigenen Angaben auf „union-free | |
| strategies“, also „gewerkschaftsfreie Strategien“ spezialisiert hat. | |
| ## Keine Mehrheit für den Wahlvorstand | |
| „Es wurden mehrere Falschaussagen gemacht, etwa zu den Befugnissen und dem | |
| Einfluss eines Betriebsrats und dem Sinn und Zweck der | |
| Wahlvorstandswahlen“, sagt Fischer. Es sei ohnehin schwierig, die | |
| Belegschaft zu mobilisieren, da die meisten nur für kurze Zeit bei | |
| Hellofresh arbeiteten und das meist im Homeoffice. Auch würden viele kein | |
| Deutsch sprechen und wüssten nicht, wozu ein Betriebsrat gut ist. „Viele | |
| sind eingeschüchtert und haben Angst, dass sie ihr Arbeitsvisum, verlieren, | |
| wenn sie sich engagieren“, glaubt Fischer. | |
| Bei den Wahlen am 10. Juni erreichten die Kandidat*innen, die sich für den | |
| Wahlvorstand aufstellten, nicht die nötige Mehrheit. Das liegt laut Fischer | |
| auch daran, dass das Hellofresh-Management die Wahl zu einer Abstimmung | |
| über den Betriebsrat an sich gemacht habe. Dabei kann ein Betriebsrat | |
| selbst dann gewählt werden, [1][wenn die Mehrheit der Belegschaft gar | |
| keinen haben möchte]. „Das Management hat eine massive | |
| Desinformationskampagne aufgebaut und erfolgreich viele Kolleg*innen | |
| gegen uns aufgehetzt“, so Fischer. | |
| Das weist das Unternehmen auf taz-Anfrage entschieden zurück. „Wir haben | |
| die Wahl zum Wahlvorstand zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise | |
| behindert“, so ein Sprecher. Vielmehr hätten die Mitarbeitenden auf | |
| demokratische Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie mehrheitlich keinen | |
| Betriebsrat bei Hellofresh in Berlin möchten. | |
| Das Management glaubt, „dass es bessere und modernere Formen der | |
| Repräsentation gibt, um die selben Ziele zu erreichen wie über einen | |
| Betriebsrat“, wie es in einem Schreiben der Vorstände Griesel und Richter | |
| an die Mitarbeiter*innen heißt, das der taz vorliegt. Man wolle nun | |
| gemeinsam mit den Betriebsrats-Initiator*innen, „eine alternative Form | |
| einer stärkeren Arbeitnehmervertretung finden“, und zwar ohne die aus Sicht | |
| des Managements „administrative und formalistische Bürde eines | |
| traditionellen Betriebsrates“. | |
| Das Treffen dazu fand am Donnerstag statt. Ziel des Managements war es, die | |
| Rechte eines „Fresh Council“ zu vereinbaren, der statt eines Betriebsrates | |
| installiert werden soll. Die Betriebsrats-Initiator*innen halten davon | |
| nichts. „Wir sind da strikt dagegen“, sagt Fischer. | |
| ## Fall könnte vor dem Arbeitsgericht landen | |
| Ähnlich äußert sich die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe. „Es | |
| gibt kein Äquivalent zum Betriebsrat“, stellt sie gegenüber der taz klar. | |
| „Ein Betriebsrat ist unverzichtbar für Demokratie und Minderheitenschutz im | |
| Unternehmen.“ Davon würden letztlich das Management und die Beschäftigten | |
| profitieren. Die SPD-Politikerin hofft daher, dass die Unternehmensführung | |
| bei Hellofresh die Gründung eines Betriebsrats doch noch kooperativ | |
| begleitet. | |
| „Wir haben jetzt drei Möglichkeiten: Aufgeben, vors Arbeitsgericht ziehen, | |
| um eine Bestellung eines Wahlvorstands zu beantragen oder es noch einmal | |
| versuchen“, sagt Alex Fischer. Aufgeben ist für die kämpferischen | |
| Arbeiter*innen keine Option, und um noch einmal eine Wahl zu | |
| organisieren, fehle vielen die Kraft. „Wir müssten uns noch einmal dem | |
| psychischen Terror und den Hetzkampagnen aussetzen“, befürchtet Fischer. | |
| Schon jetzt hätten einige wegen des enormen Drucks gekündigt oder stünden | |
| vor dem Burn-0ut. | |
| Für Verdi ist das Vorgehen von Hellofresh klassisches [2][Union Busting, | |
| also die systematische Bekämpfung von Arbeiter*innenvertretungen]. | |
| „Die Verhinderung der Wahl eines Wahlvorstandes zeigt, dass Hellofresh eine | |
| demokratische Mitbestimmung seiner Beschäftigten unbedingt verhindern | |
| will“, sagt Conny Weißbach, bei Verdi Berlin-Brandenburg zuständig für den | |
| Bereich Handel. Sie rät den Arbeiter*innen, vor das Arbeitsgericht zu | |
| ziehen und sagt ihnen dafür die volle Unterstützung der Gewerkschaft zu. | |
| 1 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.dgb.de/betriebsratswahl/++co++72019754-4dbb-11e6-96fa-525400e5a… | |
| [2] /Bremer-Konferenz-zu-Union-Busting/!5843351 | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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