# taz.de -- Massenentlassungen bei Gorillas: Klage wird mitgeliefert | |
> Nach den Massenentlassungen beim Lieferdienst Gorillas wollen ehemalige | |
> Mitarbeiter*innen vor Gericht ziehen. Sie erheben schwere Vorwürfe. | |
Bild: Nicht nur die Rider von Gorillas klagen über schlechte Arbeitsbedingungen | |
BERLIN taz | Auf den Straßen Berlins sind sie allgegenwärtig: | |
Kurierfahrer*innen, die per Fahrrad oder Motorroller Lebensmittel an die | |
Haustür liefern. Mittlerweile ist ein [1][erbitterter | |
Verdrängungswettbewerb zwischen Anbietern wie Gorillas, Getir, Flink, Volt | |
oder Dropp entstanden], den am Ende wohl nicht alle überleben werden. | |
Schwarze Zahlen schreiben die Unternehmen derzeit nicht; der Fokus liegt | |
vor allem auf Wachstum. Nachdem Investor*innen auf den Kapitalmärkten | |
lange Zeit Millionen in die Onlinelieferdienste pumpten, scheint sich | |
mittlerweile der Wind zu drehen. | |
Um Kosten zu sparen, hat das erst vor zwei Jahren in Berlin gegründete | |
Start-up Gorillas daher Ende Mai 300 Mitarbeiter*innen und damit die | |
Hälfte seiner Beschäftigten in der Zentrale entlassen. Gorillas, [2][das | |
immer wieder wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in der Kritik | |
steht], gab bekannt, sein Geschäft künftig auf die fünf Kernmärkte | |
Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und die USA zu | |
konzentrieren. Bisher hat Gorillas nach eigenen Angaben 230 sogenannte | |
Warehouses in 60 Städten. „Wir haben unseren Fokus von Hyperwachstum auf | |
einen klaren Weg zur Profitabilität verlagert“, schreibt eine | |
Unternehmenssprecherin auf taz-Anfrage zur Begründung. | |
Betroffen von der aktuellen Kündigungswelle sind vor allem | |
Verwaltungsangestellte, davon viele in Berlin, wo laut Gorillas Stellen in | |
allen Bereichen des Unternehmens abgebaut werden. Das musste auch Emily | |
Miller erfahren, die aus Angst vor negativen Konsequenzen ihren richtigen | |
Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Es gab morgens ein Meeting, bei dem | |
die Mitarbeiter*innen über die Kündigungen informiert wurden“, | |
berichtet die junge Frau der taz. „Keiner wusste irgendwas, alle waren | |
verängstigt.“ | |
Eine Woche später ist Miller freigestellt, ihr Vertrag wurde zu Ende Juni | |
gekündigt. „Aus dringenden betrieblichen Gründen“, wie es in dem | |
Abwicklungsvertrag heißt, den die taz einsehen konnte. Ein Jahr hatte | |
Miller bei Gorillas gearbeitet, zunächst als Freelancerin, dann fest | |
angestellt als Projektleiterin. 938 Euro bietet ihr Gorillas als Abfindung | |
– zu wenig findet sie: „Das ist nicht mal die Hälfte meines Gehalts.“ Zu… | |
sie als Gegenleistung nicht über betriebsinterne Angelegenheiten sprechen | |
darf. | |
## Ehemalige Gorillas-Manager packen aus | |
Doch Miller will nicht schweigen, weder über die Unternehmenskultur, die | |
sie als mackerhaft und dilettantisch beschreibt, noch über die in ihren | |
Augen toxische Arbeitsatmosphäre. Viele ihrer Kolleg*innen hätten das | |
nicht ertragen können, weshalb Führungskräfte das Unternehmen oftmals nach | |
nur wenigen Monaten wieder verlassen hätten. Auch Miller ist froh, dort weg | |
zu sein. „Ich will mit dieser Firma nichts mehr zu tun haben“, sagt sie. | |
Gefallen lassen will sie sich ihre plötzliche Entlassung trotzdem nicht, | |
weshalb sie, wie viele andere auch, Kündigungsschutzklage gegen Gorillas | |
einreichen will. | |
Martin Bechert ist Rechtsanwalt und vertritt derzeit rund 20 | |
Gorillas-Angestellte, die gegen ihre Entlassung klagen wollen. „Ich gehe | |
davon aus, dass die Kündigungen nicht rechtens sind“, sagt Bechert der taz. | |
Denn die Hürden für betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland sind hoch: | |
Es braucht dringende Gründe – allein die Senkung der Lohnkosten reicht | |
nicht aus – und ein unternehmerisches Konzept, das darlegt, warum die | |
Arbeitsplätze nicht mehr benötigt werden. | |
Außerdem muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchführen, bei der | |
Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter oder Unterhaltspflichten der | |
Angestellten berücksichtigt werden. Und nicht zuletzt müssen Unternehmen | |
Massenentlassungen bei der Agentur für Arbeit anzeigen und den Betriebsrat | |
vorab darüber informieren. Tun sie dies nicht, sind die Kündigungen | |
unwirksam. | |
Bechert geht davon aus, dass Gorillas all dies nicht getan hat. „Ich habe | |
den Eindruck, dass das mit den Entlassungen eher ad hoc passiert ist“, so | |
der Anwalt. Gorillas habe bei den Kündigungen statt auf soziale Faktoren | |
eher auf die Performance der Arbeiter*innen geachtet. „Sie haben die | |
Leute entlassen, auf die sie keinen Bock mehr haben“, glaubt er. Bechert | |
rechnet sich daher vor Gericht gute Chancen aus. Seine einzige Sorge ist | |
die Zeitfrage. „Gerichtsverfahren dauern eine ganze Weile. Ich befürchte, | |
dass Gorillas gar nicht so lange überlebt.“ | |
Ein weiteres Problem ist, dass viele gar nicht auf ihren alten Arbeitsplatz | |
zurück wollen. So geht es auch Dirk Hartmann, der seinen echten Namen | |
ebenfalls nicht veröffentlicht sehen will. Hartmann hat als Warehouse | |
Manager für Gorillas gearbeitet, bis ihm zum 1. Juni gekündigt wurde. | |
Gründe seien ihm nicht genannt worden. Hartmann glaubt jedoch zu wissen, | |
warum er gehen musste: Weil er sich für bessere Arbeitsbedingungen für | |
seine Rider und Picker, wie die meist migrantischen Fahrer*innen | |
beziehungsweise die Einpacker*innen genannt werden, eingesetzt habe. | |
„Ich habe das getan, was ich für richtig halte. Und in dem Moment, wo du | |
den Mund aufmachst, bist du draußen“, sagt er der taz. | |
Als Hartmann Anfang des Jahres bei Gorillas anfing, sei er noch guter Dinge | |
gewesen. Das währte jedoch nicht lange. „Ich dachte, Gorillas will seine | |
Probleme lösen. Es gibt aber kein Interesse daran, die Probleme zu lösen. | |
Sie wollen sie unter den Tisch kehren“, sagt er über seinen ehemaligen | |
Arbeitgeber. | |
## Gorillas will Berichterstattung verhindern | |
Als die taz Gorillas mit verschiedenen Vorwürfen ihrer ehemaligen | |
Mitarbeiter*innen konfrontiert, erreicht sie eine Woche später ein | |
anwaltliches Schreiben, mit dem unsere Berichterstattung unterbunden werden | |
soll. Gorillas lege großen Wert auf Feedback ihrer Mitarbeiter*innen, | |
Mitbestimmung sei ebenso wenig ein Kündigungsgrund wie krankheitsbedingte | |
Ausfälle, heißt es darin. Sollten Vorgesetzte ihre Teams dazu anhalten, | |
trotz Krankschreibung zu arbeiten, würde Gorillas umgehend | |
arbeitsrechtliche Konsequenzen für die Vorgesetzten einleiten. Lediglich | |
Fehler bei der Gehaltsabrechnung räumt das Start-up ein: „In 1 bis 4 | |
Prozent der Abrechnungen kann es aktuell zu Fehlermeldungen kommen, die im | |
Zweifelsfall zeitnah korrigiert werden.“ | |
Ex-Manager Dirk Hartmann wird nach seinen Erfahrungen nicht mehr bei | |
Lebensmittellieferdiensten bestellen: „Die Kunden müssen sich darüber klar | |
werden, dass ihre Lieferung mit einem hohen Preis kommt: einer modernen Art | |
der Sklaverei.“ Er findet: Es sei doch gar nicht so schwer, seine | |
Lebensmittel selbst einzukaufen und damit dieser Form der Ausbeutung ein | |
Ende zu setzen. | |
9 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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