# taz.de -- Prekäre Arbeit bei Lieferdiensten: Rider sitzen auf dem Trockenen | |
> Zu einer Poolparty der Lieferando-Angestellten sind die Fahrer*innen | |
> des Unternehmens nicht eingeladen. Sie gründen stattdessen einen | |
> Betriebsrat. | |
Bild: Vor dem Club Haubentaucher: Drinnen Pool-Party, draußen Protest für bes… | |
BERLIN taz | Die Poolparty brachte das Fass endgültig zum Überlaufen: Im | |
Haubentaucher auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain veranstaltete der | |
[1][Essenslieferdienst Lieferando am Freitag eine exklusive Party] für | |
Mitarbeiter*innen aus Deutschland und Österreich – um den Teamgeist zu | |
stärken, wie es hieß. Doch gehörten längst nicht alle Beschäftigten zu dem | |
Team, das gestärkt werden soll: Die prekärsten Mitarbeiter des | |
Unternehmens, die Rider, die das Essen ausliefern, waren nicht eingeladen. | |
Das wollten sich die kämpferischen Lieferando-Arbeiter*innen, die sich in | |
einem Workers-Collective zusammengeschlossen haben, nicht gefallen lassen: | |
„Die feiern schamlos eine All-Inclusive-Party, während wir nicht mal unsere | |
Miete bezahlen können. Wir kommen trotzdem“, ließen sie das Management | |
wissen. Vor dem Eingang bauten sie ihren eigenen kleinen Pool inklusive | |
aufblasbarem Wasserspielzeug auf. Während die [2][Fahrradkurier*innen | |
von ihren schlechten Arbeitsbedingungen berichten], laufen die | |
Büroangestellten meist wortlos an ihnen vorbei und verschwinden rasch in | |
dem exklusiven Club. | |
Schon vor Monaten stand Lieferando in der Kritik, weil es zu Weihnachten | |
die Mitarbeiter*innen seines Headquarters zu einem Ski-Trip in die | |
Schweiz einlud – für 15 Millionen Euro. „Wir haben stattdessen das hier | |
bekommen“, sagt ein Rider und zeigt eine Packung Nudeln mit dem Logo des | |
Konzerns. | |
„Zum wiederholten Mal zeigt die Chefetage von Lieferando, dass die | |
Bedürfnisse der Rider für sie an letzter Stelle stehen. Während das | |
Headquarter-Personal sich zum Skifahren oder am Pool trifft, warten die | |
Fahrerinnen und Fahrer auf verkehrssichere Räder und versprochene | |
Arbeitshandys“, kritisiert die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kızıltepe. | |
„Es ist eine Schande, wie die Lieferdienst-Branche mit den Menschen umgeht, | |
die ihre riesigen Umsätze täglich mit harter körperlicher Arbeit | |
erwirtschaften.“ | |
## Stammtisch und Freigetränk | |
Lieferando selbst verweist auf taz-Anfrage darauf, dass es auch für die | |
Fahrer*innen Teamevents gebe, von monatlichen Stammtischen, Grill- und | |
Bowlingabenden ist die Rede. Allein in diesem Jahr seien bundesweit knapp | |
200 Events für Fahrer*innen geplant. Die Rider in Berlin haben davon | |
allerdings noch nie gehört. Seit anderthalb Monaten gebe es zwar einen | |
Stammtisch, allerdings nur für 20 Leute. Bei einem Freigetränk könne man | |
dort Karten ausfüllen, was einem an dem Job besonders gut gefällt, erzählt | |
eine junge Frau. | |
Dabei wäre die Liste, was sich an den Arbeitsbedingungen verbessern müsste, | |
wesentlich länger. Deshalb sind die Berliner Lieferando-Arbeiter*innen | |
gerade dabei, [3][einen Betriebsrat zu gründen], Anfang August soll er | |
gewählt werden. Michael, der seinen vollen Namen nicht veröffentlichen | |
möchte, ist eins der 11 Mitglieder des Wahlvorstands, der die Wahl | |
vorbereitet. Ihm fallen gleich mehrere Sachen ein, die dringend geändert | |
werden müssten: „Es fängt mit einem vernünftigen Gehalt an. Lieferando | |
verspricht 18 Euro die Stunde, aber das ist utopisch. Wenn ein Rider auf 15 | |
Euro die Stunde kommt, ist das schon gut“, erklärt er. | |
Michael arbeitet seit 2016 als Kurierfahrer, zunächst für Foodora, nach | |
dessen Übernahme dann für Lieferando. „Der Job könnte Spaß machen, wenn es | |
die vielen Probleme nicht geben würde“, sagt der passionierte | |
Fahrradfahrer. Seit dem Börsengang des Mutterkonzerns Just Eat Takeaway sei | |
es immer schlimmer geworden. „Die glauben, man hat kein Recht auf | |
pünktlichen Feierabend, und man ist für jeden Monat froh, in dem der Lohn | |
einigermaßen stimmt.“ | |
Immer wieder berichten Rider, dass ihnen zu wenig Lohn überwiesen werde. | |
Erst nach ständigem Nachfragen erhalte man das Gehalt, das einem zustehe. | |
2021 habe die Hälfte seiner Gehaltsabrechnungen nicht gestimmt, sagt | |
Michael. „Abrechnungsfehler sind die absolute Ausnahme“, heißt es von | |
Lieferando auf taz-Nachfrage. | |
Fehlerhafte Lohnauszahlungen sind jedoch nicht das einzige Problem: „Wir | |
haben ein neues Schichtsystem. Dienstags werden die Pläne freigeschaltet, | |
wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Viele haben Probleme, auf ihre vertraglich | |
vereinbarten Stunden zu kommen“, so der Rider. | |
## Auf eigene Kosten | |
Auch die Kostenübernahme für eigene Fahrräder sei ein Witz. Nach eigenen | |
Angaben zahlt Lieferando derzeit 14 Cent pro Kilometer. „Damit kommst du | |
nicht weit, wenn du dein Fahrrad regelmäßig wartest.“ Geht das Rad kaputt, | |
zahle das Unternehmen überhaupt nichts, berichten die Rider. Michael und | |
seine Kolleg*innen wollen das ändern, auch wenn ihnen das Unternehmen | |
dabei immer wieder Steine in den Weg lege. | |
Bei der Gründung des Betriebsrates werden die Lieferando-Arbeiter*innen von | |
der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unterstützt, die ebenso | |
mit einer eigenen Liste antritt. „Wir sehen keine unmittelbare | |
Beeinflussung durch die Arbeitgeberseite“, sagt NGG-Geschäftsführer | |
Sebastian Riesner. Es gebe jedoch Bemühungen des Unternehmens, eine Liste | |
mit Führungskräften für die Betriebsratswahl zu initiieren. Bis zur Wahl | |
könne noch einiges passieren. „Die Arbeitgeberseite wartet nur darauf, dass | |
wir Fehler machen.“ | |
Wie es danach weitergehe, werde sich zeigen. In anderen Städten gibt es | |
bereits Betriebsräte bei Lieferando, von einer ordentlichen Zusammenarbeit | |
sei man aber noch weit entfernt. „Da wird nicht auf Augenhöhe verhandelt“, | |
so Riesner. | |
3 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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