| # taz.de -- Boom von Fahrrad-Lieferdiensten: Auf Kosten anderer | |
| > Fahrrad-Lieferdienste wie Gorillas boomen. Doch was milliardenschwere | |
| > Unternehmen freut, geht zulasten der Arbeitsbedingungen. | |
| Berlin taz | „Hauptsächlich Yuppies“, schätzt Fernando Bolaños seine | |
| Kundschaft ein. Manchmal sei es nur eine einzelne Avocado, die er | |
| anliefert, oder auch mehrere Sixpacks Bier, obwohl sich im Erdgeschoss ein | |
| Spätkauf befindet. Trinkgeld gebe es nur selten, aber das Fahrradfahren | |
| mache ihm Spaß. Der 35-Jährige trägt schwarze lockere Klamotten, auf dem | |
| Kopf die bei Fahrradenthusiasten beliebte Schirmmütze. Obwohl er gerade | |
| eine 8-Stunden-Schicht hinter sich hat, wirkt er kaum erschöpft. Bolaños | |
| ist „Rider“, also Fahrer, für den Online-Supermarkt Gorillas. | |
| Das Treffen findet unweit seiner Arbeitsstelle statt, dem Gorillas | |
| Lagerhaus am Kaiserkorso, nahe dem ehemaligen Flughafengebäude Tempelhof. | |
| Das Lager ist im Erdgeschoss eines etwas höherwertig wirkendem Wohngebäudes | |
| untergebracht. Die Fenster sind mit blickdichter Milchfolie abgeklebt. | |
| Einige Produkte wie Chipstüten und Klopapier sind noch zu erkennen, das | |
| Treiben der „Picker“ genannten Lagerist:innen, die im Minutentakt die per | |
| App getätigten Bestellungen in braune Papiertüten packen, bleibt jedoch | |
| verborgen. „Nur Online Supermarkt“ steht auf einem ausgedruckten A4-Blatt, | |
| was als Warnung für unwissende Passant:innen an den Eingang des Lagers | |
| geklebt worden ist, die vielleicht doch auf die Idee kommen könnten, hier | |
| vor Ort einkaufen zu wollen. | |
| Außer der Freude am Fahrradfahren hat Fernando Bolaños allerdings wenig | |
| Gutes zu berichten. „Die Arbeitsbedingungen hier sind wirklich schlecht“, | |
| erzählt er desillusioniert. Seit über sechs Monaten arbeitet er bei | |
| Gorillas. Während des Lockdowns im Winter verlor Bolaños seine Arbeit als | |
| Koch und fand einen Job in dem erst im vergangenen Jahr gegründeten | |
| Start-up. Seit dem Ablauf seiner Probezeit setzt er sich im Gorillas | |
| Workers Collective, einem selbstorganisierten Zusammenschluss von | |
| Beschäftigten, aktiv [1][für bessere Arbeitsbedingungen] bei dem | |
| Lieferdienst ein. | |
| ## Im Stadtbild längst unübersehbar | |
| Im Stadtbild sind die schwarz gekleideten Fahrer:innen mit dem | |
| weiß-roten Logo längst unübersehbar. Dazu kommt eine aggressive | |
| Werbekampagne: Gefühlt gibt es kaum noch eine S-Bahn-Station, an der kein | |
| Gorillas-Plakat in Sichtweite hängt. Doch auch die Konkurrenz schläft | |
| nicht: Flink (Firmenfarbe pink) ist derzeit der etablierteste Mitbewerber, | |
| dazu kommt das türkische Vorbild Getir (lila-gelb), UberEats (grün) und | |
| seit August auch Foodpanda (leicht helleres Pink). | |
| Es dürfte also bald nicht nur bunter, sondern auch deutlich voller werden | |
| auf Berlins Radwegen. Doch verstopfte Radwege werden wohl nicht die einzige | |
| Auswirkung sein, sollte es den Unternehmen gelingen, sich langfristig zu | |
| etablieren. Vieles spricht dafür, dass die Liefer-Start-ups unsere Städte | |
| nachhaltig prägen werden. Nicht nur das Stadtbild selbst, sondern auch wie | |
| wir in Städten in Zukunft konsumieren und arbeiten werden. | |
| Das ist ein Anspruch, den das Unternehmen Gorillas selbst formuliert: „In | |
| Zukunft werden Konsument:innen Lebensmittel nur noch dann kaufen, wenn | |
| sie diese unmittelbar brauchen“, antwortet ein Sprecher des Unternehmen auf | |
| Anfrage der taz, wie er sich die Zukunft vorstellt, in der Gorillas ein | |
| etabliertes Unternehmen ist. Gorillas-Gründer Kağan Sümer setzte im | |
| Marketing-Podcast OMR sogar noch einen drauf: „Wenn wir zum Mond fliegen | |
| können, sollten wir nicht zum Supermarkt gehen müssen.“ | |
| Übersetzt heißt das: Gorillas will nicht nur den Anteil der Bevölkerung | |
| erreichen, der jetzt schon zu faul oder zu überarbeitet ist, um in normalen | |
| Supermärkten einzukaufen, sondern will auch noch den Rest davon überzeugen, | |
| ihre Supermarkteinkäufe in Zukunft über das Smartphone zu erledigen. | |
| ## Die besser verdienende Mittelschicht | |
| „Die Geschäftsmodelle zielen auf eine Veränderung des Alltagsverhaltens | |
| ab“, erklärt Moritz Altenried, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an | |
| der Humboldt Universität unter anderem zu Lieferplattformen forscht. So | |
| habe Delivery-Hero-Gründer Niklas Östberg in einem FAZ-Interview | |
| prophezeit, das Kochen in wenigen Jahren nur noch ein Hobby sein werde. | |
| Tatsächlich ist die Zielgruppe immer noch die besser verdienende | |
| Mittelschicht, die aber möglichst bald ausgeweitet werden soll. Was den | |
| Start-ups bei ihren Ambitionen in die Hände spielt, ist die Tatsache, dass | |
| es für viele Menschen zunehmend schwerer wird, gleichzeitig ihren Beruf und | |
| alltäglichen Haushaltspflichten unter einen Hut zu bekommen – so | |
| argumentieren die Autoren des Sammelbands „Plattformkapitalismus und die | |
| Krise der sozialen Reproduktion“, der im Mai im [2][Verlag Westfälisches | |
| Dampfboot] erschienen ist und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum | |
| [3][kostenlosen Download] zur Verfügung steht. | |
| Wenn also der eigene Job zu stressig oder die Pflichten für Kindererziehung | |
| oder der Pflege von Angehörigen zu überwältigend sind, dann können | |
| Delivery-Apps ein verführerisches Angebot sein. | |
| Oder um es mit den Worten von Gorillas zu sagen: „Konsument:innen haben in | |
| ihrem dynamischen und flexiblen Lebensalltag weniger Zeit für den | |
| traditionellen Einkauf im Supermarkt, der Weg in den Supermarkt ist | |
| körperlich und gesundheitlich beschwerlich.“ | |
| ## Auf extremes Wachstum ausgelegt | |
| Die Coronapandemie hat der Strategie der Lieferdienste, langfristig das | |
| Konsumentenverhalten zu verändern, enormen Vorschub verschafft. Während des | |
| Lockdowns wurden die Lieferdienste für Restaurants und Kund*innen quasi | |
| alternativlos. Die Onlinesupermärkte wurden zu einer infektionssicheren | |
| Alternative, um Lebensmittel zu kaufen. So verdoppelte Lieferando seinen | |
| Umsatz während der Pandemie. Auch für 2021 rechnet Lieferando laut | |
| Medienberichten mit weiteren Umsatzsteigerungen. Das ist nicht | |
| überraschend, da die Lieferdienste auf extremes Wachstum ausgelegt sind. | |
| Doch Umsatzsteigerungen allein werden nicht ausreichen, um die | |
| Liefer-Start-ups profitabel werden zu lassen. Derzeit schreiben fast alle | |
| Unternehmen rote Zahlen. Tatsächlich ist es selbst Branchenriesen wie | |
| [4][Rewe oder Edeka] trotz jahrelangen Bestehens mit ihren hauseigenen | |
| Lieferdiensten nicht gelungen, auch nur einen Cent Gewinn zu | |
| erwirtschaften. So verabschiedete sich Edeka im Mai endgültig von seiner | |
| Liefersparte Bringmeister und gab diese an einen tschechischen Investor | |
| weiter. | |
| Zwar werben Gorillas und Flink mit der Möglichkeit, auch nur einzelne | |
| Produkte im Notfall ordern zu können, doch um profitabel zu sein, müsste | |
| die durchschnittliche Bestellmenge deutlich steigen. Gorillas-Gründer Kağan | |
| Sümer selbst schätzt in dem OMR-Podcast, dass die durchschnittliche | |
| Bestellmenge auf rund 30 Euro steigen müsse. Derzeit liegt sie laut einem | |
| vom Wirtschaftsmagazin Capital veröffentlichten internen Firmenpapier noch | |
| bei rund 20 Euro. | |
| Auch bei den Restaurant-Lieferdiensten sieht es nicht besser aus. So macht | |
| der Quasimonopolist Lieferando aufgrund der hohen Lohnkosten mit seiner | |
| hauseigenen Lieferflotte weiter Verluste. In einem Interview mit dem | |
| Magazin WirtschaftsWoche im April rechnet Lieferando-Gründer Jörg Gerbig | |
| vor, dass das Unternehmen pro Lieferung durch die festangestellten | |
| Fahrer:innen rund 8 Euro Verlust macht. | |
| ## Eine Wette auf die Zukunft | |
| Warum pumpen also Investor:innen Hunderte Millionen in | |
| Geschäftsmodelle, die, wenn überhaupt, nur schwer profitabel sein können? | |
| „Es ist eine Wette auf die Zukunft“, erklärt der Soziologe Dominik Piétro… | |
| der ebenfalls an der Berliner Humboldt-Universität zur Plattformökonomie | |
| forscht. Das Ziel für die Anbieter:innen ist es, eine derartige | |
| Marktmacht zu erreichen, dass sie die Bedingungen zu ihren Gunsten | |
| bestimmen können. „Am Ende zahlen Rider* und Konsumenten die Zeche und | |
| müssen die hohen Verluste der Investoren ausgleichen – ob sie wollen oder | |
| nicht“, erklärt Piétron. Zudem können die stark subventionierten Preise | |
| dazu führen, dass lokale Versorgungsstrukturen wie Spätis und | |
| Lebensmittelläden wegbrechen. „Langjährig gewachsene | |
| Nahversorgungsstrukturen könnten verdrängt werden“, warnt der | |
| Wissenschaftler. | |
| Plattformen sind häufig „Winner takes it all“-Märkte, erklärt Piétron, | |
| deren Geschäftsmodell nur dann funktioniere, wenn ein Anbieter eine | |
| marktbeherrschende Stellung, wenn nicht sogar ein Monopol erreicht – wie | |
| etwa bei der Fernbus-Plattform Flixbus. Bis dahin liefern sich die Anbieter | |
| einen erbitterten Konkurrenzkampf, indem Verluste auf Kosten des Wachstums | |
| gerne hingenommen werden. „Growth before profit“ – „Wachstum vor Profit… | |
| heißt dieses Prinzip. | |
| Delivery-Hero-Chef Östberg hat im Mai gegenüber der Nachrichtenagentur | |
| Reuters angegeben, dass es 10 bis 15 Jahre dauern könnte, bis sein | |
| Unternehmen die marktbeherrschende Stellung übernommen und Profite abwerfen | |
| würde. Ob das am Ende so funktioniert, steht in den Sternen. Wichtiger ist | |
| ohnehin die Frage, ob die Investor*innen daran glauben. Diese seien | |
| derzeit einfach zu überzeugen, ist Piétron sich sicher. „Die Reichen parken | |
| ihre wachsenden Vermögen auf den Kapitalmärkten“, so der Soziologe. Der | |
| Anlagedruck steigt, auch risikobehaftete Investments werden attraktiv. | |
| ## Konflikte durch Warenlager | |
| Vor dem Warenlager ist das Treiben geschäftiger. Ein paar Rider stehen vor | |
| der Tür und unterhalten sich auf spanisch, sie warten darauf, mit der | |
| nächsten Bestellung losfahren zu können. Immer wieder greift sich einer der | |
| Fahrer:innen eine Tüte, packt sie in den labbrigen, schwarzen Rucksack | |
| und radelt los. Auf dem Bürgersteig vor dem Eingang stehen noch einige | |
| Stapler mit leerem Verpackungsmaterial von der letzten Lieferung. | |
| Schon jetzt sorgen die Warenlager der Lieferstart-Ups für Konflikte in den | |
| Kiezen. Zahlreiche Bezirke, in denen Flink oder Gorillas aktiv sind, | |
| vermelden Beschwerden durch von Fahrrädern und Lieferverkehr verstopfte | |
| Bürgersteige und Straßen – auch der Lärm, den die wartenden Kuriere | |
| verursachen, sorgt für Ärger. „Der öffentliche Raum wird massiv vereinahmt | |
| und zum privaten Warenlager“, kritisiert Katalin Gennburg, Sprecherin der | |
| Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für Stadtentwicklung, die | |
| Unternehmen. | |
| Dazu kommt, dass die „Online-Supermärkte“ zwar bevorzugt in zentralen | |
| Ladenflächen eingemietet sind, für Passant:innen aber keinerlei Mehrwert | |
| bringen – schließlich muss man zu Hause sein, um sie nutzen zu können. In | |
| Anbetracht der Ambitionen und Zahl der auf den Markt drängenden | |
| Lieferdienste ist davon auszugehen, dass bald an jeder Straßenecke solche | |
| „Geistersupermärkte“ entstehen werden. | |
| ## Ein schlankes Geschäftsmodell | |
| „Plattformen wie Gorillas zeichnen sich im Wesentlichen durch ein schlankes | |
| Geschäftsmodell aus und den Versuch, Risiken auszulagern“, erklärt Moritz | |
| Altenried. Deshalb seien sie bei Investor:innen beliebt. | |
| Lieferando bleibt dieser Idee am treuesten, da das Kerngeschäft zum größten | |
| Teil daraus besteht, eine Plattform für Essensbestellungen bereitzustellen | |
| und dafür die Provision zu kassieren. Die Lieferungen übernehmen die | |
| Restaurants in den meisten Fällen selbst. Lohnkosten muss Lieferando nicht | |
| übernehmen, auch die Einhaltung der in kleinen Restaurants häufig | |
| missachteten Mindeststandards muss das Unternehmen nicht verantworten. | |
| Gorillas ist dem Sinne eigentlich kein klassisches Plattformunternehmen | |
| mehr, da es die Warenlager in Eigenregie betreibt und seine | |
| Arbeiter:innen fest anstellt. Aber trotzdem folgt Gorillas in großen | |
| Teilen der Plattformlogik, indem es sich zum Amazon der Onlinesupermärkte | |
| aufschwingen will. Und wie alle Plattformunternehmen würde Gorillas nicht | |
| ohne ein Heer prekär beschäftigter und für das Unternehmen austauschbarer | |
| Arbeiter:innen funktionieren. | |
| „Die Plattformunternehmen bringen eine massive Ausbeutung der | |
| Arbeiter:innen mit sich“, kritisiert Katalin Gennburg, Sprecherin für | |
| Stadtentwicklung der Linksfraktion. | |
| ## Von Berlin profitieren | |
| Dabei profitieren die Lieferdienste vor allem von der Attraktivität | |
| Berlins, durch die immer noch junge Leute in die Stadt ziehen. Diese sind | |
| zwar gut ausgebildet, haben aber aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder | |
| nicht anerkannter Bildungsabschlüsse einen erschwerten Zugang zum | |
| Arbeitsmarkt. Lieferdienste stellen hingegen fast jeden ein, der Fahrrad | |
| fahren kann. „Aus Sicht der Plattformen ist das ein perfektes Match“, | |
| erklärt Altenried, „ohne migrantische Beschäftigte sind solche | |
| Geschäftsmodelle nicht denkbar.“ | |
| „Für viele hier ist das der erste Job im deutschen Arbeitsmarkt“, meint | |
| auch Bolaños, der ursprünglich aus Mexiko kommt und seit sechs Jahren in | |
| Berlin lebt. „Gorillas nutzt das aus, da viele ihre Rechte nicht kennen.“ | |
| So würden viele das 10-Kilogramm-Limit freiwillig nicht einhalten, weil sie | |
| Angst hätten, gefeuert zu werden, oder wüssten nicht, wie sie fehlerhafte | |
| Krankengeld- oder Lohnzahlungen beanstanden sollen. Dazunkommt, dass viele | |
| Migrant:innen für ihr Visum auf den Job angewiesen und deshalb extra | |
| vorsichtig seien, erklärt Bolaños. | |
| Gemäß der Logik, möglichst viele Risiken auszulagern, ist ein schnelles | |
| Kommen und Gehen der Arbeiter:innen wünschenswert. Schließlich sind | |
| Gewerkschaften, Betriebsräte und organisierte Arbeiter:innen der | |
| Albtraum eines jeden Start-Ups. So ist auch die „feste Anstellung“ bei | |
| Gorillas mit Vorsicht zu genießen: Die Arbeitsverträge sind grundsätzlich | |
| auf ein Jahr befristet, innerhalb der sechsmonatigen Probezeit können die | |
| Angestellten ohne Angabe von Gründen gefeuert werden. Viel länger halten es | |
| aufgrund der widrigen Arbeitsbedingungen ohnehin die Wenigsten aus. Zudem | |
| ist ein großer Teil der Rider über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. | |
| Umso erstaunlicher jedoch, dass es Bolaños und das Gorillas Workers | |
| Collective (GWC) trotzdem geschafft haben, sich zu organisieren. „Begonnen | |
| hat es während der Schneestürme im Februar“, erinnert sich Bolaños. Das | |
| Unternehmen hat zunächst von den Fahrer:innen verlangt, trotz des | |
| eisigen Wetters auszuliefern. „Da haben wir beschlossen zu streiken.“ Der | |
| Streik war der Gründungsmoment des GWC, einer selbst organisierten Gruppe | |
| von derzeit rund 30 aktiven Gorillas-Arbeiter:innen. | |
| ## Schon im September ein Betriebsrat | |
| Im März brachte das GWC die Gründung eines Betriebsrats voran. Der erste | |
| Schritt, die Wahl eines Wahlvorstandes, wurde Anfang Juni geschafft – | |
| womöglich könnte es schon im September einen Betriebsrat geben. Ein | |
| Schritt, den Lieferando zum Beispiel in Berlin noch erfolgreich verhindern | |
| konnte. | |
| Als etwas später im Juni dann einem Rider namens Santiago ohne Angaben von | |
| Gründen fristlos gekündigt wurde, kam es noch am selben Tag zu | |
| Arbeitsniederlegungen und Blockaden von mehren Warenlagern. In Folge der | |
| Proteste kündigte das Gorillas-Management eine Reihe von Verbesserungen für | |
| die Arbeiter:innen an, darunter die Einführung des Maximalgewichtes, | |
| ein verbessertes Feedbacksystem sowie das Versprechen, in Zukunft die Löhne | |
| korrekt auszuzahlen. | |
| Für Bolaños sind die Ankündigungen nur Augenwischerei. So berichtet er, | |
| dass das Maximalgewicht in der Praxis nur selten eingehalten werde. Die aus | |
| billigen Material gefertigten Rücksäcke seien kaum dafür geeignet, | |
| regelmäßig die schweren Lieferungen zu transportieren. Wie viele seiner | |
| Kolleg*innen habe er schon seit Längerem Rückenprobleme. | |
| Auch gebe es mittlerweile viele Fälle sexueller Belästigung durch | |
| Vorgesetzte, auf die das Management nicht reagiert. Die Regelmäßigkeit der | |
| Lohnzahlungen haben sich nicht verbessert, manchmal sei es zu wenig, | |
| manchmal zu spät. „Ich glaube, am Ende ist es ihnen einfach egal“, vermutet | |
| Bolaños. | |
| ## Potenzial für zukünftige Arbeitskämpfe | |
| Dabei ist Gorillas bei Weitem kein schwarzes Schaf in der Branche. Hört man | |
| sich bei Arbeiter:innen von Flink, Lieferando und Wolt um, so wird | |
| klar, dass die Arbeitsbedingungen dort kaum besser sind. „Wir werden am | |
| laufenden Band verarscht“, formuliert es Max Müller, der eigentlich anders | |
| heißt, aber aus Angst vor Konsequenzen nicht mit seinem richtigen Namen | |
| auftreten will. | |
| Müller arbeitet seit drei Jahren für Lieferando und ist in der | |
| anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft FAU aktiv. „Ich wäre schon froh, | |
| wenn ich mal das Gehalt kriegen würde, was mir zusteht.“ Ständig gäbe es | |
| Abzüge, zum Beispiel wenn ein Fahrer während der Arbeitszeit nicht online | |
| ist. | |
| Es bleibt also noch viel Potenzial für zukünftige Arbeitskämpfe. „Von sich | |
| aus machen die nichts“, vermutet Müller. So seien die Festanstellungen der | |
| Rider ein Ergebnis einer erfolgreichen Klage gegen Deliveroo, das | |
| Gerichtsurteil stellte fest, dass die damals nach Stücklohn bezahlten | |
| „Selbständigen“ in Wirklichkeit scheinselbständig waren – und von daher | |
| Anspruch auf Sozial- und Krankenversicherung gehabt hätten. | |
| Auch die Proteste der Gorillas zeigen langsam Wirkung. [5][So besuchte | |
| Bundesarbeitsminister Hubertus Heil] (SPD) am 19. Juli die Beschäftigten, | |
| um über ihre Arbeitsbedingungen zu reden. Heil versprach, sich mit dem | |
| Berliner Senat in Verbindung zu setzen, um die Einhaltung geltenden Rechts | |
| zu überprüfen. Tatsächlich wurden nun bei einer Ende Juli stattgefundenen | |
| Kontrolle der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales in 13 Warenlagern | |
| Mängel festgestellt, ein Bußgeldverfahren wurde bereits eingeleitet. | |
| Organisierte Arbeiter:innen wie Bolaños sind also Sand im Getriebe der | |
| risikokapitalfinanzierten Start-up-Maschinerie. Ob gute Arbeitsbedingungen | |
| langfristig im Plattformkapitalismus überhaupt möglich sind, wird sich noch | |
| zeigen müssen. Eine Frage, die sich aber erst später stellt: „Es mangelt | |
| zur Zeit nicht an Geld“, schätzt Piétron die Situation ein. Gorillas will | |
| bei seiner nächsten Investor:innenrunde eine Milliarde Euro | |
| einsammeln. | |
| Dabei sind die Arbeiter:innen nicht die einzigen, die den | |
| Verwertungsträumen der Investor:innen etwas entgegensetzen können. Denn | |
| entgegen der unausweichlichen Rhetorik der Start-Up-CEOs und | |
| Marketinganalysten ist es nicht in Stein gemeißelt, dass sich die | |
| Lieferdienste in Berlin langfristig durchsetzen werden. | |
| „Wir brauchen linke Gegenantworten“, sagt Gennburg. Dies könnten zum | |
| Beispiel kleine Lebensmittelgenossenschaften und lokale Märkte sein. Und | |
| falls geliefert werden müsse, könnten dies selbstorganisierte | |
| Fahrer:innen-Kollektive übernehmen. „Diese Lösungen müssen wir gezielt | |
| öffentlich fördern“, schlägt Gennburg vor. | |
| 13 Aug 2021 | |
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| [2] https://www.dampfboot-verlag.de/ | |
| [3] https://www.rosalux.de/publikation/id/44269/plattformkapitalismus-und-die-k… | |
| [4] /Streik-in-Berlins-Einzelhandel/!5788770 | |
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| Jonas Wahmkow | |
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