# taz.de -- Umstrittener Lieferdienst: Gorillas verklagt Rider | |
> Nach den jüngsten Massenentlassungen ziehen Fahrer:innen vor Gericht. | |
> Gleichzeitig geht Gorillas gegen Wahlvorstand des Betriebsrats vor. | |
Bild: Streikende Gorillas-Fahrer*innen, hier mit Maske von Chef Kağan Sümer, … | |
BERLIN taz | Der Streit um die Arbeitsbedingungen beim Lieferdienst | |
Gorillas beschäftigt nun die Gerichte. In den kommenden Wochen stehen | |
gleich mehrere Termine an, bei denen Klagen von ehemaligen Ridern | |
(Lieferfahrer:innen) gegen ihre Kündigung verhandelt werden. Zudem steht | |
eine Klage des Unternehmens gegen den Wahlvorstand des Betriebsrats im | |
Raum. | |
Anfang Oktober [1][hatte Gorillas laut Angaben der Gewerkschaft Verdi 350 | |
Rider entlassen.] Als Begründung gab die Pressestelle des Unternehmens | |
gegenüber der taz an, die Kündigungen seien aufgrund der „unangekündigten | |
wilden Streiks“ sowie der Blockade von Notausgängen erfolgt. „Solche | |
unangekündigten, spontanen und nicht gewerkschaftlich getragenen Streiks | |
sind rechtlich nicht zulässig“, ließ die Pressestelle damals mitteilen. | |
Ob diese Einschätzung zutrifft, werden nun die Gerichte klären müssen. | |
Einige Rider zielen lediglich auf die Rücknahme ihrer Kündigung ab. Doch | |
anderen geht es um einen größeren politischen Zusammenhang. Sie sind | |
bereit, bis nach Straßburg an den Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte zu ziehen, um final feststellen zu lassen, ob das deutsche | |
Streikrecht zulässig ist. | |
Duygu Kaya ist Mitglied des Gorillas Workers Collective. Ihr gehe es nicht | |
nur darum, ihren Job zurückzubekommen, sagt sie. Auch Kaya wurde Anfang | |
Oktober wegen ihrer Streikteilnahme entlassen. Sie hat bereits einen neuen | |
Job gefunden, aber: „Überall werde ich dieselbe Prekarität, dieselben | |
schlechten Arbeitsbedingungen antreffen wie bei Gorillas.“ Dagegen müsse | |
man bei Gorillas ebenso ankämpfen wie bei anderen Lieferdiensten wie Wolt | |
oder Getir. Die einzige Waffe, die die Belegschaft habe, sei der Streik. | |
## Durch die Instanzen für den wilden Streik | |
Und der ist in Deutschland bislang zu Ungunsten von Betriebsgruppen wie dem | |
Gorillas Workers Collective geregelt. Streiken gehört zu den Grundrechten | |
der Arbeiternehmer:innen in Deutschland, allerdings nur, wenn der | |
Streik von einer offiziellen Gewerkschaft organisiert ist. Verdi hat sich | |
bisher nicht dazu bereit erklärt, [2][die Streikenden bei Gorillas als Teil | |
der Gewerkschaft anzuerkennen]. | |
„Das aktuelle Gesetz ist ein beschämendes Relikt der Nazizeit“, gibt Kaya | |
zu bedenken. Die Regelung, wonach [3][„wilde Streiks“] nicht zulässig sind, | |
geht auf westdeutsche Urteile aus den 50er Jahren des Arbeitsrichters Hans | |
Carl Nipperdey zurück, der zuvor eng mit dem Nationalsozialismus verbunden | |
war. Um diese Ära hinter sich zu lassen, ist die Riderin bereit, durch die | |
Instanzen zu ziehen. Für die Gerichtskosten soll bald Geld gesammelt | |
werden. | |
Doch anhängig ist auch eine Klage des Unternehmens gegen das Gorillas | |
Workers Collective. Genauer: gegen das Wahlkomitee für den Betriebsrat. Das | |
Management des Konzerns versucht, die Betriebsratswahl per einstweilige | |
Verfügung zu stoppen. Es argumentiert, dass die Rider gar nicht mehr für | |
Gorillas arbeiten, sondern für eine andere, ausgelagerte Firma. | |
Außerdem soll es zu Unstimmigkeiten bei der Ausschreibung gekommen sein. | |
Dazu gehören Formfehler, aber auch überraschende Mängel wie auf die | |
Ausschreibung geklebte Post-Its, die das Lesen des Papiers offenbar | |
verunmöglichten. Laut Aussage von Martin Bechert, dem Anwalt des | |
Wahlvorstands, sind die Mängel jedoch seit dem 29. Oktober behoben. | |
## Vorwurf des Kollektivs: Union-Busting-Methoden | |
Die geforderten Strafen, falls die Wahl trotzdem durchgeführt wird, sind | |
drastisch: 10.000 Euro oder bei Nichtbezahlen 6 Monate Haft. Rider | |
verdienen bei Gorillas 10,50 Euro pro Stunde, die Firma ist mit 3,3 | |
Milliarden Euro dotiert. Die Firmenumstellung ist ein verbreiteter | |
Handgriff, um juristische Zuständigkeiten zu wechseln. Zum 1. Oktober hat | |
die Gorillas Technologies GmbH einen Teil des Betriebs an die neu | |
gegründete Gorillas Operations Germany GmbH & Co. KG. übergeben. | |
Das heißt: Ab dem 1. Oktober sind die Lieferfahrer:innen, ein Teil des | |
Personal in den Lagern sowie zusätzliche Gruppen nicht mehr für die Firma | |
tätig, für die ein Betriebsrat gegründet werden soll. Allerdings hat das | |
Unternehmen laut Aussagen des Gorillas Workers Collective den Wahlvorstand | |
nicht über diese Betriebsspaltung informiert. | |
Das Collective beklagt allgemein eine unkooperative Haltung des | |
Unternehmens und spricht von Union-Busting-Methoden – also der | |
systematischen Bekämpfung von Arbeitnehmer:innen-Vertretungen. Die | |
Pressestelle von Gorillas verwies auf Anfrage zu den aktuellen Verfahren | |
auf einen Blogpost von vergangenem August, der sich nur allgemein mit dem | |
Thema Rider beschäftigt. | |
Das Gorillas Workers Collective kündigt im Vorfeld der Verhandlung zur | |
Betriebsratsgründung am 17. November Aktionen und einen Demonstrationsumzug | |
durch Berlin an. Die Betriebsratswahlen sollen wenige Tage später | |
stattfinden. | |
9 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Fahrradkuriere-in-Berlin/!5801656 | |
[2] /Entlassungen-bei-Gorillas/!5804358 | |
[3] /Arbeitssoziologin-ueber-Gorillas-Streiks/!5780452 | |
## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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