Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Union-Busting bei Pflegekonzern Orpea: Immer mehr Prozesse
> Zwei Bremer Betriebsrätinnen wehren sich erfolgreich gegen ihre
> Kündigung. Der Pflegekonzern Orpea kämpft aber mit allen Mitteln weiter
> gegen sie.
Bild: Vor dem Landesarbeitsgericht Bremen hatte die Kündigung zweier Betriebsr…
Bremen taz | Der Betriebsrat der Seniorenresidenzgruppe in Bremen hat
gewonnen: Der Vorsitzenden des Betriebsrats und ihrer Stellvertreterin
dürfen nicht gekündigt werden; nach dem Arbeitsgericht hat in zweiter
Instanz am Mittwoch auch das Landesarbeitsgericht den Antrag des
Arbeitgebers auf Kündigung zurückgewiesen.
Überraschend ist der Ausgang nicht, die Klage gegen die Betriebsrätinnen
beruhte rein auf Vermutungen: Urkundenfälschung und Arbeitszeitbetrug
unterstellte die Seniorenresidenzgruppe, die zum französischen
Pflegekonzern Orpea gehört, den beiden Frauen.
Die [1][mit detektivischem Eifer betriebene] Auswertung von Telefon- und
Computerdaten der Betriebsrätinnen nutzten dem Arbeitgeber nichts: Zwar war
die Vorsitzende nicht zu jedem einzelnen Zeitpunkt ihrer Arbeitszeit ins
System eingeloggt oder am Telefonieren, aber „dass Betriebsratsarbeit nur
an einer Betriebsstätte oder am Computer erfüllt werden kann, überzeugt
mich nicht“, sagte Richter Stephen Böggemann und entkräftete so den Vorwurf
des Arbeitszeitbetrugs.
Komplizierter konstruiert war der Vorwurf der Urkundenfälschung. Konkret
geht es um die Protokolle zweier Betriebsratssitzungen. Die Residenzgruppe
argumentiert, dass diese Protokolle entweder in Details falsch seien oder
die Sitzungen nie stattgefunden hätten; so ganz eindeutig entschieden hat
sich der Konzern da nicht.
## Eine Vielzahl von Prozessen gegen den Betriebsrat
Beweise hat man nicht, stattdessen stellte der Anwalt der Residenzgruppe
[2][schon in der ersten Instanz Mutmaßungen] darüber an, wie gut der
Betriebsrat die Urlaubspläne anderer Betriebsteile auswendig wüsste. In der
zweiten Instanz jetzt versuchte er aus einem Bindestrich zwischen den
Worten „Gesamtbetriebsrat“ und „Wirtschaftsausschuss“ in einem
Terminkalender herzuleiten, dass eine Sitzung nie stattgefunden habe.
Richter Böggemann reichte beides nicht.
Vorbei ist mit dem gewonnen Prozess für die Betriebsratsvorsitzende Nicole
Meyer noch nichts. Das Unternehmen führt weitere Kämpfe gegen seinen
Betriebsrat, an allen Fronten. Das Kündigungsverfahren läuft auch noch vor
dem Arbeitsgericht in Weyhe, am Sitz des Arbeitgebers.
Auch gegen ein Hausverbot für Meyer musste vor Gericht vorgegangen werden
und gegen eine plötzliche Streichung ihres Lohns. Das ist nicht alles:
Angefochten wird aktuell auch die Betriebsratswahl für 2022, bei der Meyer
und ihre Stellvertreterin wiedergewählt worden sind. Der Konzern möchte,
dass jedes Altenheim der Gruppe jetzt als eigener Betrieb gilt; die
Betriebsräte dort wären dann kleiner, hätten weniger Möglichkeiten zur
Mitwirkung und vor allem: keine Freistellung ihrer Mitglieder.
Dazu kommen Klagen wegen übler Nachrede gegen Meyer persönlich. Sie glaubt,
dass an ihr ein Exempel statuiert werde, um Betriebsräte vor zu viel
Engagement zu warnen. Ob Meyers Fall tatsächlich in erster Linie
abschreckend wirkt, sei aber dahin gestellt: Die Solidarität mit ihr ist
groß, vor dem Gericht sammeln sich bei den Prozessen Mitglieder von
Gewerkschaften und Aktivist*innen. Im neu gegründeten europäischen
Betriebsrat von Orpea ist Nicole Meyer vergangenes Jahr zur Vorsitzenden
gewählt worden.
Inwiefern Orpea sich mit den Verfahren einen Gefallen tut, ist also
fraglich. Schließlich ist jeder Gerichtsprozess auch Anlass für
Berichterstattung. Und die ist für Orpea momentan ohnehin eher unerwünscht.
Im Januar ist in Frankreich ein Enthüllungsbuch des Journalisten Victor
Castanet zu Missständen bei Orpea erschienen: In „Les Fossoyeurs“ („Die
Totengräber“) [3][schreibt der Autor über Verwahrlosung von
Bewohner*innen] und Kontrolle von Mitarbeitenden; der Orpea-Konzern hat
an der Börse nach der Veröffentlichung einen Wertverlust von 3 Milliarden
Euro erlitten.
24 Feb 2022
## LINKS
[1] /Prozess-um-Betriebsrats-Kuendigungen/!5762929
[2] /Betriebsrat-Kuendigung-vor-Gericht/!5747307
[3] /Altenpflege-Skandal-in-Frankreich/!5829797
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Bremen
Arbeitsrecht
Union Busting
Pflege
Betriebsrat
Bremen
Union Busting
Prozess
Verdi
Bremen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kampf gegen Union Busting in Bremen: Sich zu wehren, lohnt sich doch
15.000 Euro Schmerzensgeld muss die Residenz-Gruppe an ihre
Betriebsratsvorsitzende zahlen: Seit Jahren schikaniert sie sie mit
Kündigungsversuchen.
Bremer Konferenz zu Union Busting: Zermürbung als Strategie
Anlässlich eines krassen Falls aus der Region hat in Bremen eine Konferenz
zu Union Busting stattgefunden. Die Sabotage von Betriebsräten hat System.
Prozess um Betriebsrats-Kündigungen: Detektiv-Einsatz angekündigt
Im Prozess um die angestrebte Kündigung mehrerer Betriebsrätinnen beim
Pflegeheimbetreiber Residenz-Gruppe wird mit immer härteren Bandagen
gekämpft.
Betriebsrat-Kündigung vor Gericht: Ein bizarres Verfahren
Die Residenz-Gruppe will eine Bremer Betriebsratsvorsitzende los werden.
Bei der Güteverhandlung kritisiert die Richterin die Argumentation.
Betriebsratskündigung im Pflegeheim: „Die wollen ein Zeichen setzen“
Der Pflegeheimbetreiber Residenz-Gruppe kündigt seinen Bremer
Betriebsratsvorsitzenden. Der Fall kann einem größeren Muster zugeordnet
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.