| # taz.de -- Protest von Lieferando-Fahrer*innen: Ausgeliefert, angenervt | |
| > In Berlin-Kreuzberg haben am Freitag Lieferando-Fahrer*innen und | |
| > Gewerkschafter für bessere Arbeitsbedingungen protestiert. | |
| Bild: Klare Ansagen gab es beim Lieferando-Protest am Freitag in Berlin | |
| Berlin taz | „Der Plattform ausgeliefert“ und „Lieferando muss liefern“ | |
| steht auf den Schildern von Protestierenden, die sich am Freitag vor dem | |
| Lieferando-Hauptquatier im Stadtteil Kreuzberg versammelt haben. Insgesamt | |
| sind ca. 70 Fahrer*innen und Mitglieder der Gewerkschaft | |
| Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zusammengekommen, um ihre Forderungen | |
| vorzustellen: Einen Stundenlohn von 15 Euro, Zuschläge für Schichten an | |
| Sonn- und Feiertagen, sechs Wochen Urlaubsanspruch, eine volle Bezahlung | |
| der Heimfahrt und Weihnachtsgeld. | |
| Sie kritisieren insbesondere das Bonussystem von Lieferando, mit dem der | |
| Essens-Lieferdienst den [1][Stundenlohn von aktuell 11 Euro] rechtfertigt: | |
| Ab 200 ausgelieferten Bestellungen im Monat erhalten die Fahrer*innen | |
| zwei Euro pro Lieferung, ab 100 Fahrten einen Euro, ab 25 Fahrten 25 Cent. | |
| Für Till Nüsse, Lieferando-Fahrer und NGG-Mitglied, ein gefährlicher | |
| Anreiz: „Der Bonus verleitet zu unsicherem Fahren“, sagt der Kölner am | |
| Seitenrand der Demo, für die er extra angereist ist. „Die Fahrer stehen | |
| unter Druck, damit sind sie auch eine Gefahr für den Straßenverkehr. Bei | |
| Lkw-Fahrern ist Akkordarbeit aus genau diesem Grund verboten.“ | |
| Durch die Ausweitung des Liefernetzes werden zudem die Distanzen immer | |
| größer, berichtet der Betriebsratschef Semih Yalcin. Für die | |
| Fahrer*innen bedeute das: Gleiche Arbeitszeit, gleiche Wegstrecke, | |
| weniger Boni. Hinzu komme, dass Minijobber*innen und Teilzeitkräfte, | |
| die einen Großteil der Belegschaft ausmachen, durch die Zusatzzahlungen | |
| strukturell benachteiligt werden. | |
| Wie groß der Frust in der Lieferando-Belegschaft sein muss, wird an diesem | |
| Freitag in Kreuzberg sehr deutlich. Am Mikrofon steht Leo, seit einem Jahr | |
| Kurier, in seiner orangen Arbeitskleidung: „Wir fordern nicht nur mehr | |
| Geld, wir wollen vor allem echte Wertschätzung“, sagt er. | |
| Als er die Weihnachtsgeschenke anspricht, sorgt er für Gelächter unter | |
| seinen Kolleg*innen: 2020 habe es einen 20 Euro Lieferando-Gutschein | |
| gegeben, im vergangenen Jahr dann eine Packung Nudeln, in Form des | |
| Lieferando-Logos. „Wenn ich ehrlich bin, wäre mir ein anständiges Gehalt zu | |
| Weihnachten deutlich lieber.“ Stattdessen schicke das Management ihnen | |
| Mails mit Tipps, wie sie mehr Trinkgeld bekommen oder ihre Schichten so | |
| legen können, dass sie 47 Stunden pro Woche schaffen, berichten die | |
| Fahrer*innen. | |
| ## Profit auf dem Rücken der Fahrer*innen | |
| Essenslieferungen sind ein wachsender Markt, die Corona-Pandemie hat den | |
| Trend noch einmal verstärkt: Nach Angaben des niederländischen | |
| Mutterkonzerns Just Eat Takeaway steigerte die deutsche Tochter Lieferando | |
| ihren Umsatz im ersten Halbjahr vergangenen Jahres auf 284 Millionen Euro – | |
| ein Plus von 76 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Gewinn erhöhte | |
| sich von 58 auf 94 Millionen Euro. | |
| Für die Mitarbeiter*innen, die den Umsatz buchstäblich eingefahren haben, | |
| ändert sich durch den Erfolg nur wenig: Für unbefristete Verträge, eine | |
| angemessene Arbeitsausstattung und die Einhaltung der Corona-Maßnahmen | |
| mussten die Fahrer*innen jüngst immer wieder rechtlich gegen ihren | |
| Arbeitgeber vorgehen. Gemeinsam mit der NGG haben sie im vergangenen Jahr | |
| erstritten, dass Lieferando ihnen ein Smartphone und zwei Gigabyte | |
| Datenvolumen stellen muss. Zahlreiche Klagen vor dem Arbeitsgericht haben | |
| das Unternehmen außerdem [2][dazu bewegt, alle Verträge zu entfristen.] | |
| ## Personalmangel setzt Unternehmen unter Druck | |
| Unterstützung gibt es auch aus der Politik: „Gerade wenn eine Branche | |
| wächst, ist es ganz entscheidend, das gute Löhne und gute Standards | |
| erkämpft werden und dass das nicht auf dem Rücken der Beschäftigen | |
| passiert“, sagt Katja Kipping (Die Linke), die an diesem Freitag ebenfalls | |
| zur Lieferando-Zentrale gekommen ist. Als Senatorin für Integration, Arbeit | |
| und Soziales sei sie mit beiden Tarifparteien im Gespräch, in die | |
| Verhandlungen wolle sie sich aber nicht einmischen. | |
| Die Gewerkschafter und Lieferando-Fahrer*innen wirken an diesem Freitag | |
| wütend, aber optimistisch. In der Branche herrsche weiterhin | |
| Personalmangel, das stärke ihre Position: „Ob wir in Flink, Gorilla oder | |
| Lieferando-Uniform fahren, ist uns am Ende des Tages egal. Was zählt, sind | |
| die Bedingungen, unter denen wir arbeiten,“ sagt Till Nüsse. Eine Einigung | |
| in den Tarifverhandlungen sei also auch im Interesse von Lieferando. | |
| 28 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berliner-zeitung.de/news/inklusive-dienstrad-und-handy-lieferan… | |
| [2] https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/lieferdienst-lieferando-biete… | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Jürgens | |
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