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# taz.de -- Laurie Anderson in der Elbphilharmonie: Heitere Avantgardistin
> US-Künstlerin Laurie Anderson bespielt für einige Tage die Hamburger
> Elbphilharmonie. Zum Auftakt gab es tibetische Lieder – ohne viel Exotik.
Bild: Lange vor der E-Zigarette hatte die Künstlerin Laurie Anderson schon ein…
Der Hausherr wirkte milde aufgeregt. Als er mit Laurie Anderson vor die
örtliche Presse trat, erzählte Christoph Lieben-Seutter, Intendant der
Hamburger Elbphilharmonie, vom ersten Mal, dass er die New Yorkerin
auftreten sah: In den frühen 1980ern war das, in Wien, „O Superman“ war
noch nicht lange erschienen und Lieben-Seutter möglicherweise noch in der
Schule. Beim Erinnern nun versprühte er noch etwas mehr von diesem stets so
merklichen Jungenhaften – da tat einer nicht nur begeistert, er schien’s
wirklich zu sein.
Begeisterung aber versprühte auch die Künstlerin: Das war am Freitag
vergangener Woche – und Anderson gerade aus London eingetroffen, wo sie mit
Brian Eno gearbeitet habe. Dieser sei geradezu neidisch gewesen auf das,
was sie nun nach Hamburg führte: „Reflektor“ heißt das Format, bei dem si…
ein Künstler ein paar Tage lang in dem Konzerthaus ausleben darf;
beziehungsweise, in Andersons Fall, erstmals eine Künstlerin. Für „[1][die
Frau mit der elektrischen Geige und dem Vocoder“] nun ist der Konzertsaal
wirklich nur ein möglicher Rahmen.
Die inzwischen 71-Jährige war anfangs Bildhauerin, auch davon erzählte sie
nun und dass sie dort Wesentliches gelernt habe. Sie war Teil jener
hochgradig prekären spezifisch New Yorker Abbruchhauskunstlandschaft, lange
bevor das Geld zurückkehrte nach Manhattan, ironischerweise ja gerade auch
der Kunst folgend.
## Geschichtenerzählerin, gerne auch politisch grundiert
Einen längeren Film hat sie gemacht, vor ein paar Jahren, [2][„Heart of a
Dog“], der nun auch zweimal aufgeführt wird. Sie schreibt, für
verschiedenste Anwendungen, bezeichnet sich überhaupt als
Geschichtenerzählerin, gerne auch politisch grundiert; sie hat aber immer
wieder auch technische Gerätschaften mitentwickelt, die sie brauchte für
ihre Arbeit – die es aber schlicht nicht gab.
Bekannt geworden aber, mit allen Einschränkungen, die das in ihrem Fall
bedeutet, ist Anderson durch ihre Musik: Mit der absurd wenig den
Popsongregeln folgenden Single [3][„O Superman“] hatte sie es 1982 nach
ganz oben in die britischen Popcharts geschafft; sein Einsatz unlängst in
der TV-Serie „Black Mirror“ mag das Stück für noch mal ganz andere
Generationen erschlossen haben.
Soeben erst kam dann auch noch ein Klassik-Grammy ins Haus, für ein nicht
mal ganz frisches Album, das Anderson mit dem Kronos Quartet aufgenommen
hat: „Landfall“ handelte vom Klimawandel und seinen mörderischen Folgen.
Von dem ist längst ja sogar New York City betroffen, und wenn Anderson vor
einem Jahr ein dickes Buch [4][„All the Things That I Lost in the Flood“]
betitelte, dann hatte das einen ganz realen Hintergrund: Als der Hurrikan
„Sandy“ kam, hatte ihr [5][der Atlantik wirklich allerlei eingelagerte
Materialien geraubt].
## Ein Geist zu Gast in der Elbphilharmonie
Verlust, gerade auch der durch den Tod verursachte, das ist ein großes
Thema in Andersons jüngerer Arbeit. Die Versuchung könnte groß sein, das
vor allem zurückzuführen auf den Tod ihres Mannes, den 2013 verstorbenen
Musiker [6][Lou Reed]. Dessen Geist, könnte man sagen, ist mit zu Gast in
der Elbphilharmonie: Zum einen kommen in der Feedback-Installation „Listen
Behind You“ zwei Tage lang ein halbes Dutzend seiner Gitarren zum Einsatz;
dabei könne es etwas lauter werden, teilt das Haus mit, das Ohren schonende
Stöpsel verteilen will.
Und für den letzten Abend von Andersons „Reflektor“-Kuratel, den
Donnerstag, ist das Stück „Here Comes the Ocean“ angekündigt, in dem
zweierlei Ozeanisches zusammenfindet, also die ganz reale Flut und die
metaphorische, der Ocean of Lärm.
Eröffnet hat Anderson ihr Gastspiel am Montag mit einem vergleichsweise
intimen Abend, der „Songs“ im Titel trug, aber weit entfernt war vom
(Kunst-)Lied, für das sich das örtliche Klassikpublikum stets erwärmen
kann: In „Songs from the Bardo“ steckt „Bardo“, im tibetischen Buddhism…
verstanden als das Dazwischen oder auch der Übergang – zwischen dem einen
Leben und einem kommenden. Auch da gab es, neben dem tibetischen Gesang von
Tenzin Choegyal, Drones zu hören: stehendes, beinahe mikrotonales
Klanggeschehen, auf ganz andere Weise erzeugt, als Reed es mit seinen
Feedbacks tat.
## Leicht und heiter
Inhaltlich ist der Abend eine Art Durchdeklinieren von Trauer –
beziehungsweise Nichttrauer: Ja, da ist etwas zu Ende gegangen, aber daran
festzuhalten wäre falsch. Klingt fernöstlich? Anderson ist bekennende
Buddhistin, sagt gerne Dinge wie: Künstlerin sein und Buddhistin, das ist
eigentlich ein und dasselbe. Was bei manch anderem aufs Schlechteste
esoterisch wirken könnte, missionarisch gar: Bei Anderson kommt’s leicht
daher, heiter und mit sich im Reinen.
Und auch wenn Anderson ausdrücklich niemand sein will, der „seine Hits
spielt“: Es gab am Montag Momente, wenn sie ihre markante Sprechstimme in
Richtung Keller modulierte, ein Verfahren, das sie „Audio Drag“ genannt
hat, da konnte man sich erinnert fühlen an damals, an „O Superman“.
26 Feb 2019
## LINKS
[1] /Musikerin-Laurie-Anderson-in-Berlin/!5386281
[2] /Hinreissender-Film-von-Laurie-Anderson/!5287173
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Vkfpi2H8tOE
[4] http://www.laurieanderson.com/all-the-things-i-lost-in-the-flood/
[5] https://www.billboard.com/articles/columns/rock/8098487/laurie-anderson-lan…
[6] /Lou-Reed-ist-tot/!5056234
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Künstlerin
Elbphilharmonie
Hamburg
Neues Album
zeitgenössische Kunst
Elbphilharmonie
Avantgarde
Rave
Folk
Hamburg
Kaukasus
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
elektronische Musik
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