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# taz.de -- Filmfestspiele in Venedig – Lidokino Teil 1: Erweitertes Kopfkino…
> Drei Arten Virtualität und Menschen, die schrumpfen, um den Ökocrash
> abzuwehren? Die Festspiele in Venedig haben begonnen.
Bild: Star des Eröffnungsfilms „Downsizing“: der Schauspieler Matt Damon
Auftakt in der Festung des Virtuellen. Einen Tag vor der Eröffnung gibt es
schon mal die neu hinzugewachsene Sektion zu besuchen: Wer das „VR Cinema“,
dem die 74. Filmfestspiele von Venedig ein Programm mit eigenem Wettbewerb
einräumen, anschauen will, muss vom Lido ein paar Meter zur kleinen Insel
Lazzaretto Vecchio übersetzen. Von außen gibt sich die Anlage mit ihren
fensterlosen Backsteinmauern wehrhaft verschlossen. Doch die Virtual
Reality ist schließlich keine Sache, die sich auf großflächigen Leinwänden
abspielt, sondern eine isolierte Angelegenheit: Man bekommt ein Sichtgerät
– mit eingebautem Smartphone als Bildschirm – und Kopfhörer aufgesetzt.
Drei Arten von Virtualität bietet die Sektion: Kino im eigentlichen Sinn,
mithin Filme als erweitertes Kopfkino, die man im Drehsessel schaut, und
zweierlei Installationen. Bei dem schlichteren Typus sitzt man wie im Kino
auf einem Stuhl, bei den walk-ins wird man direkter ins Geschehen
involviert.
Sehr schön haben das Laurie Anderson und Hsin-Chien Huang in „La camera
insabbiata“ gemacht, einer interaktiven Arbeit, bei der man verschiedene
„Räume“ aussuchen kann, durch die man sich mit Controllern bewegt, einen
„Sound Room“ etwa, in dem die Controller zu Mikrofonen werden, mit denen
die eigene Stimme zum Bestandteil von Klangskulpturen wird. Ebenfalls
reizvoll: „Separate Silences“ des Dänen David Wedel, in der man die
subjektive Perspektive eines Komapatienten einnimmt.
Wedel hebt dabei die Realität in der virtuellen Realität hervor: Wenn sich
die Krankenschwester im Film auf das Bett setzt, spürt man plötzlich einen
Körper, der einem die Hand hält; bei Szenen mit Kindheitserinnerungen unter
einem Leuchtturm weht plötzlich ein Wind – hier wurde eindeutig manuell
nachgeholfen. Doch neben dem komischen Aspekt wird so die durch die leicht
pixeligen Bilder noch recht eingeschränkte Immersionserfahrung zumindest
nachvollziehbar.
Der mit Abstand längste Beitrag der Sektion ist mit 56 Minuten „The
Deserted“ des Regisseurs Tsai Ming-liang aus Taiwan. Weniger Spielfilm als
Folge von tableaux vivants, lässt er seine weitgehend regungslosen
Darsteller ein verlassenes Haus erkunden, in dem die Natur langsam die
Oberhand gewinnt. Besonders schön: eine Szene mit Regen, bei der das von
außen eindringende Wasser um die eigenen Füße nach und nach anzusteigen
scheint.
Im „echten“ Kino des Wettbewerbs kam dann mit dem Eröffnungsfilm
„Downsizing“ von Alexander Payne eine hübsche Idee zum Einsatz: Menschen
schrumpfen, um der ökologischen Katastrophe vorzubeugen. Die praktischen
Konsequenzen spielt Payne in der ersten Hälfte sehr schön durch, mit Matt
Damon als überzeugend trotteligem Jungzwerg, der in seiner neuen
Miniatursiedlung sein blaues Nano-Wunder erlebt. Zur zweiten Halbzeit
überwiegt dann das Sendungsbewusstsein. Trotzdem in Ordnung, alles in
allem.
Interessant auch „Nico, 1988“, der Eröffnungsbeitrag der Reihe „Orizzont…
Die italienische Regisseurin Susanna Nicchiarelli erzählt die letzten
beiden Jahren im Leben der eigenwilligen Pop-Ikone Nico als Versuch einer
Künstlerin, in Würde zu altern. Trine Dyrholm vereint in der Titelrolle
Kaputtheit, Exzentrik und apathisch vorgetragene Leidenschaftlichkeit, die
in Nicos Person verbunden waren, präzise in Mimik und Körpersprache.
Vielleicht ein bisschen perfektionistisch, wie dazu die patinierte
Achtzigerjahre-Optik rekonstruiert ist. Dafür stimmig.
30 Aug 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Kino
Künstlerin
Venedig
Ai Weiwei
Exorzismus
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