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# taz.de -- Elphi-Intendant über das Konzerthaus: „Unglaublich starke Stille…
> Christoph Lieben-Seutter wuchs in Wien selbst zwischen Kammermusik und
> Rocklegenden auf. Jetzt gibt er der Elbphilharmonie ein spezielles
> Profil.
Bild: Leitet das Haus seit 2007: Christoph Lieben-Seutter
taz: Herr Lieben-Seutter, spielen Sie ein Instrument?
Christoph Lieben-Seutter: Ich habe ganz brav Klavier gelernt. Seit dem
Abitur habe ich allerdings keine Fortschritte mehr gemacht. Hier und da
möchte ich meinen klavierspielenden Töchtern noch zeigen, dass ich es auch
noch kann. Aber ich hatte nie den Plan, professioneller Pianist zu werden.
Man hört, dass Sie neben Klassik auch mit Pop aufgewachsen sind?
Ja, meine Eltern waren gut in der Musikszene vernetzt. Da gab es einerseits
regelmäßige Kammermusikabende bei uns zu Hause, anderseits war mein Onkel
der erste große Rock- und Jazz-Veranstalter der Stadt. Er hat Künstler wie
Frank Zappa, Jimi Hendrix und Miles Davis nach Wien gebracht. Ich war
leider erst fünf Jahre alt, als Hendrix im Konzerthaus auftrat, aber meine
gesamte Verwandtschaft war da. Mir wurde erzählt, dass sich die Saaldiener
ob der enormen Lautstärke aus Angst unter den Garderobenpulten verkrochen
hätten.
Und wen haben Sie persönlich gesehen?
Als Teenager verdiente ich mir ein Taschengeld bei Konzerten von Patti
Smith bis Weather Report. Es war für mich normal, mit Künstlern zu
verkehren, die längst Legenden sind. Ella Fitzgerald habe ich noch zwei Mal
erleben dürfen.
Verhalten sich Pop-Musiker anders als Klassiker?
Nein. Aber der Anspruch in der Klassik ist ein anderer. Handwerk gehört
auch im Pop dazu, aber von den großen Klassikstars erwartet man doch noch
mehr Perfektion. Da sind ja immer die Referenzaufnahmen: Ich kenne das
Stück von der Callas, und habe auch noch den Karajan im Regal stehen. Ein
Pop-Musiker muss sich nur an sich selbst messen.
[1][Am 11. Januar 2017 wurde die Elbphilharmonie eröffnet] und Hamburgs
Kultursenator Carsten Brosda (SPD) lobt das „unverwechselbare Profil“, das
Sie dem Haus gegeben haben. Was für ein Profil ist das?
Ich nehme an, er meint, dass wir neben dem erwartbaren Kanon der Klassik
auch Ungewöhnliches bis Abseitiges präsentieren. Zum Beispiel haben die
Hamburger Orchester wie das NDR Elbphilharmonie Orchester Vorbuchungsrechte
und es gibt Top-Orchester aus aller Welt, die man haben muss. Aber dann
gibt es auch die Vorlieben und Entdeckungen von mir und meinem
Planungsteam.
Welche Vorlieben sind das?
Wir haben ein starkes Jazzprogramm, aber auch ausgesuchte Künstler aus Pop,
Elektronik und Weltmusik. In der Klassik haben wir eine Begeisterung für
die Musik des späten 20. Jahrhunderts, für die der Saal auch perfekt
geeignet ist. Ich genieße es sehr, dass diese Musik, die als Randbereich
der Klassik vielerorts als Kassengift gilt, auch ein ganz normales Publikum
begeistern kann. Auch Stockhausen kann swingen!
Wollen Sie Ihr Publikum erziehen?
Das nicht, aber überraschen und begeistern. Niemand soll enttäuscht aus dem
Konzert kommen. Wenn die Architektur den Saal ausverkauft und nicht der
Künstler, muss die Musik erst recht überzeugen. Zum Beispiel bekommen wir
viele Anfragen für Klavier-Solo-Konzerte im Großen Saal, da sind tolle
Künstler dabei. Aber ob die auch die Persönlichkeit haben, 2.000 Leute
mitreißen zu können – das muss man sich anschauen. Deshalb müssen wir viele
Anfragen ablehnen.
Man braucht in der Elbphilharmonie also Entertainer-Qualitäten?
Entertainer wäre zu viel gesagt, aber es braucht Erfahrung und eine gewisse
Ausstrahlung. Charisma! Manchen ist das angeboren. Der Mandolinist Chris
Thile hatte zuletzt mit seiner Band Punch Brothers im Knust gespielt, aber
mir war klar, dass die auch den Großen Saal rocken können.
Bekommen Sie einige prominente KünstlerInnen nur wegen des Gebäudes?
Die meisten Künstler kamen auch vor der Elbphilharmonie gerne nach Hamburg.
Nur war die Nachfrage viel geringer. Jetzt fragen viele Künstler von sich
aus an und schreiben die Elbphilharmonie in ihre Bio, obwohl sie noch gar
nicht bei uns aufgetreten sind.
Ihre Jahresbilanz 2018/19 ist beeindruckend: Die Auslastung im Großen Saal
liegt bei 98,9 Prozent. Dennoch: Der ganz große Run hat nachgelassen.
Aber er reicht immer noch aus, fast jedes Konzert im Großen Saal
auszuverkaufen. Wir sind darauf vorbereitet, wenn die Nachfrage einmal
nicht mehr so hoch sein sollte. [2][Wenn man Elbphilharmonie und
Laeiszhalle gemeinsam betrachtet, gehen in Hamburg heute drei Mal so viel
Leute in Konzerte als vor der Eröffnung.] 2016 hatte die Laeiszhalle
400.000 Besucher, jetzt sind es mehr als 1,2 Millionen pro Jahr in beiden
Häusern. Der Großteil dieser Besucher kommt aus der Metropolregion – und
das ist die eigentliche Freude. Wer früher einmal im Jahr kam, kommt jetzt
vielleicht sechs oder zehn Mal.
Es gab auch Misstöne, so wie beim Avantgarde-Jazzpianisten Vijay Iyer Ende
2018, bei dem Hunderte Zuschauer den Saal verließen. Hatte das nur mit dem
Jazz-unkundigen Publikum zu tun?
Bei über 2.000 Konzerten, die bisher in der Elbphilharmonie stattgefunden
haben, kann es nicht nur Sternstunden geben. [3][Vijay Iyer ist ein toller
Künstler, aber musikalisch sehr anspruchsvoll.] Es war ein Fehler, ihn in
den Großen Saal zu buchen, der folglich auch lange nicht ausverkauft war.
Das hat ein Reisebüro ausgenutzt, ohne Wissen des Veranstalters
Kartenkontingente zusammengekauft und zu einer Hamburg-Reise paketiert. Ein
Abend Musical, ein Abend Jazzkonzert. Immerhin sind die Leute bis nach der
Pause geblieben.
War das ein Einzelfall?
Nur fünf Prozent der Tickets gehen an die Reisebranche, und das meistens an
eine sehr kulturaffine Kundschaft. Generell kommt es bei dem Andrang
natürlich häufig vor, dass Konzertbesucher nicht genau wissen, worauf sie
sich einlassen. Genau das ist aber für Künstler und Publikum eine Chance.
Gelegentlich geht mal was schief, aber – no risk, no fun! Dass dann zwei
oder drei verunglückte Konzerte über Monate die Weltpresse beherrschen, ist
wohl die Kehrseite der Berühmtheit des Hauses.
Ein weiterer Kritikpunkt: Man hört im Großen Saal jeden Huster.
In jedem Konzertsaal hört man jeden Huster. Ab es stimmt schon, dass
Publikumsgeräusche in der Elbphilharmonie besonders auffallend sind. Es ist
immer ein Wechselspiel: Bei guten Konzerten kann die Elbphilharmonie eine
konzentrierte und unglaublich starke Stille erzeugen. Wenn aber auf der
Bühne die Konzentration nachlässt, gibt's sofort Räuspern und Husten.
Nils Frahm und The National haben schon im Großen Saal gespielt. Wer ist
noch denkbar? Ed Sheeran?
Gerne! Aber der verkauft auch in 24 Stunden ein Stadion aus. Ich kämpfe
nicht darum, solche Superstars in die Elbphilharmonie zu holen. Das ist
kein normales Konzertgeschehen: Entweder sind die Karten sehr teuer. Oder
es sind nur Verlosungsgewinner und Journalisten anwesend. Aber viele
Pop-Acts spielen gerne in 2.000er-Sälen. Oft scheitern die Konzerte daran,
dass die Vorlaufzeiten viel kürzer als in der Klassik sind. Wenn die
Tournee geplant wird, sind wir dann schon ausgebucht.
Sie sind ausgebildeter Software-Ingenieur. Es ist eher ungewöhnlich, so
jemanden an der Spitze eines großen Konzerthauses zu sehen.
Technikaffine Musikliebhaber gibt es oft! Offenbar werden da ähnliche
Hirnregionen angesprochen. Abgesehen davon bedeutet es nur, dass ich als
Geschäftsführer offen für neue technische Entwicklungen bin. Ich werde aber
in meinem Leben kein Social-Media-Tier mehr. Und andere meinen Instagram-
oder Twitter-Account führen zu lassen, würde sich nicht authentisch
anfühlen. Da mache ich es lieber gar nicht.
3 Feb 2020
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## AUTOREN
Jan Paersch
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