| # taz.de -- Fünf Jahre Elbphilharmonie: Zugabe! | |
| > Vor fünf Jahren eröffnet: Hamburgs Elbphilharmonie steht nun halb so | |
| > lang, wie sie uns hat warten lassen. Vier persönliche Erinnerungen: | |
| Bild: Wahrzeichen? Musentempel? Millionengrab? Die Elbphilharmonie in Hamburg | |
| ## Eröffnung im Schneegestöber | |
| Kram’ ich in meinen Erinnerungen, seh’ ich sie sofort: die Dunkelheit, das | |
| Schneegestöber, die Stöckelschuhe derer, die per S-Bahn angereist waren und | |
| nun über drei Brücken zur [1][Elbphilharmonie- Eröffnung] stolperten. Sie | |
| waren nicht – oder doch? – dieselben, die sich später glamourös im | |
| Treppenhaus ablichten ließen. Laut und fröhlich suchten sie die Erinnerung | |
| an die Skandale, die zehnjährige Bauzeit, die Verzehnfachung des Preises | |
| auf rund 800 Millionen Euro zu übertönen. | |
| Dabei ging es um Wichtigeres: die Einweihung eines Raums, der erst noch | |
| beweisen musste, dass er nicht nur architektonisch, sondern auch akustisch | |
| funktionierte. Mit Richard Wagners Zitat „Zu Raum wird hier die Zeit“ aus | |
| dem „Parsifal“ hatte Thomas Hengelbrock, [2][damals Chefdirigent des | |
| NDR-Elbphilharmonieorchesters], das Konzert übertitelt und es ganz wörtlich | |
| gemeint. Als endlich alle still waren und auch Kanzlerin Merkel – wegen | |
| eines verdächtigen Autos im Parkhaus verspätet angereist – saß, ließ er d… | |
| Abend mit einem aus der Höhe erklingenden Oboensolo aus Benjamin Brittens | |
| „Pan“ über den alten griechischen Hirtengott beginnen. | |
| Wer wollte, konnte das als Ritual verstehen: als Beginn einer Symbiose von | |
| Musik und Raum, von Mythologie und Realität, Alter und Neuer Musik. Auch | |
| verschwamm der Unterschied zwischen Instrument und Stimme: Kaum merklich | |
| löste Countertenor Philippe Jaroussky die Oboe ab, der Mensch verschaffte | |
| sich Raum, die Musik wurde mit jedem Stück lauter, endete mit Beethovens | |
| „Ode an die Freude“, die Initiation des Raums schien vollbracht. | |
| Nicht ganz so freudig geriet der Abend für jene, die hinter den | |
| Blechbläsern saßen und vor allem sie hörten. Dass auf diesen undankbaren | |
| Plätzen auch die ErfinderInnen der Elbphilharmonie, das Architektenpaar | |
| Alexander Gérard und Jana Marko, saßen und dass sie in keiner der Festreden | |
| vorkamen – ein Fauxpas, den sie mit Fassung trugen. Schließlich war ihre | |
| Vision real geworden – egal, unter wessen Namen. Petra Schellen | |
| ## Das nächste Mal wird gehustet | |
| Einmal in die Elbphilharmonie. Einmal sehen, wofür Hamburg so viele | |
| Millionen verbrannt hat. Einmal inmitten dieser wabenartigen Architektur | |
| Platz nehmen und dabei einer möglichst erträglichen Musik lauschen. So | |
| lautete der Plan. | |
| Davon abgesehen, dass in den ersten Monaten ohnehin alle Konzerte | |
| blitzschnell ausverkauft waren, weil nicht nur ganz Norddeutschland einen | |
| Blick in den großen Saal werfen wollte, ist insbesondere das mit der | |
| erträglichen Musik für jemanden, die sich sonst nicht um Konzertkarten für | |
| die Neuinterpretation klassischer Komponisten reißt, gar nicht so einfach. | |
| Zum Glück gibt es das Elbjazz-Festival. Unter all den Tickets ist auch ein | |
| Konzert in der Elbphilharmonie enthalten. Es ist gerade einmal drei Jahre | |
| her, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Namen der | |
| belgischen Künstlerin erinnern, die dort auf der Bühne fast flüsternd, aber | |
| unwahrscheinlich ausdauernd gesungen hat. Ich glaube, es waren auch Flöten | |
| involviert. | |
| In jedem Fall ging ein Lied ins nächste über und in meinem Hals begann es | |
| bedrohlich zu kratzen. Ich schluckte. Es kratzte. Gleich würde ich sehr | |
| laut husten müssen. Die Sängerin hauchte nun nur noch. [3][Was für eine | |
| Akustik!] | |
| Ich huschte leise aus dem Saal. Auf keinen Fall wollte ich die Musik | |
| übertönen. Also schnell raus ins Foyer, husten. Dann zurück. Aber falsch | |
| gedacht, denn eine freundliche, aber bestimmte Mitarbeiterin stellte sich | |
| mir in den Weg. Mit der Künstlerin sei abgesprochen, dass | |
| Zuschauer*innen nur in den Applauspausen zwischen den Liedern wieder | |
| hineindürfen. Das Problem: Die Gute spielte ohne Unterlass durch. | |
| Zwanzig Minuten stand ich dort, plauderte und bekam einen Hustenbonbon. | |
| Aber den restlichen Teil des Konzertes verpasste ich. Was ich daraus | |
| gelernt habe? Höflichkeit zahlt sich nicht aus. Das nächste Mal wird | |
| gehustet, bis die Waben vibrieren. Andrea Maestro | |
| Die ganz, ganz volle Bühne | |
| Ob sie nun ein [4][Haus für alle] werden würde, wie es der damalige | |
| Bürgermeister Olaf Scholz vor Eröffnung forderte – respektive, später, ob | |
| sie das denn nun geworden sei: Darüber gingen die Einschätzungen ja immer | |
| ziemlich auseinander. Und noch etwas mehr vielleicht in der Frage: Ist so | |
| ein, nun ja, demokratisches Konzerthaus eigentlich wünschenswert? | |
| Dem einen war das dann in der Elphi Gebotene immer noch zu elitär, und | |
| diese Eintrittspreise! Der andere fand das Programm allzu vielstimmig, und | |
| dann dieses Publikum, alle Gepflogenheiten missachtend, die sich das | |
| museninteressierte Bürgertum zur Selbstvergewisserung zugelegt und stetig | |
| verfeinert hatte – klatschte der busladungsweise herangekarrte Pöbel doch | |
| tatsächlich [5][zwischen den Sätzen!] | |
| Schon im ersten Jahr Konzerthausbetrieb, im Mai 2017, trug sich im Großen | |
| Saal der Elbphilharmonie dann ein Konzert zu, das dem immer wieder | |
| wiedergekäuten Anspruch auf Niedrigschwelligkeit Leben einzuhauchen suchte: | |
| Für [6][eine Aufführung von Terry Rileys „In C“] brachte man mehr als 400 | |
| Beteiligte zusammen – vom Akkordeon-Ensemble der Staatlichen | |
| Jugendmusikschule Hamburg über das Kammerorchester Eimsbüttel und die | |
| Wandsbeker Cellisten bis hin zum – um Bläser und Streicher erweiterten – | |
| Ensemble „Sticks ’n’ Drums“ der Eichenschule im niedersächsischen Sche… | |
| dazu etliche weitere Laiinnen und Laien aus der Stadt und dem Umland. | |
| Was zur Folge hatte, dass man sich plötzlich neben der Tante eines | |
| Mitwirkenden sitzend wiederfand. Oder gleich neben einem | |
| Instrumentalist:innengrüppchen: Auf die Bühne passten ja nicht alle. | |
| Eine rekordverdächtige Inszenierung dieses ganz frühen Schlüsselwerks der | |
| US-amerikanischen Minimal Music kam da zustande – aber ob diese überhaupt | |
| ernstzunehmende „Ernste“ Musik ist oder nicht selbst nur eine Art Gimmick, | |
| Effekthascherei: Auch darüber gehen die Ansichten weit auseinander. | |
| Immerhin: Buhrufe, wie sie ein verwandtes Stück nicht lange zuvor dem | |
| Kölner Publikum entlockt hatte, gab es nicht. Diese Demokratie ist halt | |
| manchmal schrecklich anstrengend. Alexander Diehl | |
| ## Putin auf der Lümmelbank | |
| Mein „erstes Mal“ war eines jener „Hamburg Concerts“ ganz am Anfang, im | |
| Januar 2017, eigens programmiert, um Akzeptanz für das | |
| Beinahe-Milliarden-Projekt zu schaffen. Hamburger:innen konnten bis zu | |
| sechs Tickets à sechs Euro erwerben – theoretisch, wenn nach der hunderte | |
| Meter langen Schlange noch was übrig war. Ist sie also nun ein Haus für | |
| alle? Oder doch eher was für die oberen Zehntausend? In meiner persönlichen | |
| Mikroempirie lassen sich für beides Belege finden. | |
| Wir hatten nämlich Glück und gingen mit Uroma, Oma, Mutter, Tochter und | |
| Schwester – für zusammen 36 Euro. Und jede hatte daran ihr eigenes | |
| Vergnügen. Das Gefühl, zu den Glücklichen zu gehören, das Raumerlebnis, den | |
| Kunstgenuss oder einfach mal wieder alle beisammen zu sehen. Wer würde da | |
| noch an den Baukosten rumnörgeln, die ja doch ziemlich abstrakt blieben | |
| gegenüber dem erfreulich konkreten Eintrittspreis? Ein rundum gelungener | |
| PR-Coup. | |
| Selbst das Gefühl, abgefertigt zu werden mit einem knapp einstündigen | |
| Vorabendprogramm, damit am selben Tag eine weitere Schicht durchgeschleust | |
| werden konnte, stellte sich nicht ein. Daran hatte allerdings auch die | |
| furiose Geigerin Patricia Kopatchinskaja gehörigen Anteil, die gar nicht | |
| aufhören mochte, mit ihren bloßen Füßen über das frisch geölte Parkett zu | |
| tanzen und mit Zugaben doch noch fast auf eine volle Konzertlänge kam. | |
| Ein halbes Jahr später dann das Gegenteil, beim G20-Gipfel: Anreise nur per | |
| Schiff möglich, stundenlanger Sicherheitscheck – und dann [7][Warten auf | |
| die Mächtigen der Welt], die unten in winzig klein scheinenden schwarzen | |
| Limousinen vorfahren. Der Austritt auf die Plaza ist verboten, aber auch | |
| durch die Glasfassade sind Rauchwolken über dem Schanzenviertel zu sehen, | |
| die von der beginnenden Krawallnacht künden. | |
| Die Elbphilharmonie scheint zu ihrer Bestimmung zu finden, als | |
| Botschafterin der Stadt, die andere, bessere Bilder in die Welt schickt als | |
| die vom Straßenkampf. Zum Beispiel das, wie Angela Merkel den Saal betritt | |
| und das Publikum ihr stehend applaudiert, ein Vorgriff auf die spätere | |
| Merkel-Nostalgie. Wie die Sitznachbarn Donald Trump und Emanuel Macron | |
| miteinander tuscheln, als die Philharmoniker das Thema von „alle Menschen | |
| werden Brüder“ in Beethovens Neunter andeuten. Oder wie Waldimir Putin sich | |
| viel zu spät auf die Lümmelbank fläzt. Und mittendrin ein gewisser Olaf | |
| Scholz, der nervös die Nachrichten von draußen checkt, an diesem Abend aber | |
| auch seiner Bestimmung näher ist denn je. Jan Kahlcke | |
| 11 Jan 2022 | |
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| Jan Kahlcke | |
| Alexander Diehl | |
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