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# taz.de -- Verhalten bei Klassik-Konzerten: Lasst uns im Konzertsaal husten
> Zwischen den Sätzen symphonischer Werke wird gehustet, geräuspert und
> geknarzt – es ist ein Grauen. Warum das so ist und wie es sich ändern
> kann.
Bild: Musik, Pause, Stille, Husten: Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie
Chts, grrrts, ähem, schntz, hmhmähmm. Schwer zu verschriftlichen dieses Ge…
– chrrr, äh-hä-hä-hämmm, hüstel. Entschuldigung, ich habe Sie gerade nic…
verstanden! Also, nochmal: Schwer zu verschriftlichen, dieses Geräuspere,
dieses Gehuste, diese gutturalen Laute.
Wer sie in aller Klarheit und Vielfalt hören will, der muss in einen
Konzertsaal gehen, in die Berliner Philharmonie, den Gasteig in München,
die Stadthalle in Wuppertal, was man halt so in der Nähe hat; das Gerotze
und Gesprotze ist jetzt, in der eher kalten Jahreszeit, wenn die Menschen
beschwert sind durch allerhand Erkältungsmalaisen, am stärksten zu
vernehmen. Vorhanden ist es aber immer, und zwar immer genau dann, wenn die
Musik schweigt, weil die Dramaturgie einer Symphonie eine Pause vorsieht
zwischen den Sätzen.
Geigen sind verstummt, Flöten, Oboen, Hörner haben vorübergehend
ausgehaucht, Kontrabässe ruhen, Pauken harren aus, der Dirigent sammelt
sich, es ist Spannung im Saal, man will nach dem zweiten Satz von Mahlers
6., der so düster ausklingt, wissen, wie es weitergeht, atemlos sitzt man
da, die Pause ist einkalkuliert, wenige Sekunden nur, aber das Publikum
durchbricht die Spannung, hält nicht die Luft an, sondern schnieft,
räuspert, rauscht und knarzt. Krchhhh, wrrrg, ö-hö-ö-hö, grrtz.
Es wallt in den Satzpausen etwas auf, wie ein Befreiungsschlag. Das
Orchester wird daran gehindert, das wieder aufzunehmen, was kurz vorher
noch war, es weiterzuführen, zu modulieren. Aus der Stille etwas Neues
entstehen zu lassen. Und jedes Mal wieder denkt man sich: Warum muss das so
sein, warum dieses Getöse, Gepruste, wo einfach nur Stille sein müsste?
Was man während der Musik mühsam unterdrückt, muss raus, das ist der
gängige Deutungsversuch, aber er kratzt doch sehr an der Oberfläche. Denn
dafür ist das Gewürge und Geschnäuze zu laut und zu kräftig, fast wie ein
eigenständiger Beitrag. Das Kontrastprogramm zu dem, was vorher war.
Konzertsaalbetreiber befördern diese Interludien noch, indem sie – wie
etwa, gut gemeint, in der Berliner Philharmonie – eine Sprecherstimme zu
Beginn der abendlichen Symphoniekonzerte einblenden, die sonor, aber
eindringlich darum bittet, „das Husten, soweit wie möglich, zu vermeiden“.
Da wird man also regelrecht unter Druck gesetzt, ein Räuspern, ein kleines
Husterchen, ein Niesen zu unterdrücken, es staut sich dann erst recht etwas
an. Sie legen, wie in der Elbphilharmonie, Bonbons im Foyer aus, die
knisternd ausgepackt werden müssen, was allein schon stört, die in ihrer
schieren Anwesenheit aber – viel schlimmer – vor dem Konzert darauf
hinweisen, dass Husten etwas ganz und gar Unmögliches ist an diesem Ort zu
dieser Stunde.
Ich! Darf! Jetzt! Hier! Auf! Keinen! Fall! Husten! Und in der Pause
zwischen den Sätzen so: Krchhhts, chhhatz, ehemm, chhhtss.
Dabei gibt es in so gut wie fast allen Musikstücken, die an solchen Abenden
gespielt werden, Stellen, an denen man ganz wunderbar abhusten könnte, sich
räuspern oder auch schnäuzen. Wenn der Pauker loslegt, die Hörner
schmettern oder die Kontrabässe brodeln, wenn dieser ganze große Apparat in
Bewegung gerät, dann kann man sich die Freiheit nehmen, dem Druck im Rachen
nachzugeben, niemanden wird es stören, wenn man es nicht zu offensichtlich
macht.
Dass man es aber so heimlich meint nur tun zu können oder in den Satzpausen
– dann aber richtig, weil man es quasi unter Zwang bis dahin unterdrückt
hat und dann muss es aber auch so richtig raus, quasi schon auf Vorrat bis
zur nächsten Pause –, dass eine Kollegin sich noch heute dafür schämt, dass
sie einmal während eines Konzerts einen Hustenanfall bekam, all das ist
Beweis dafür, dass etwas grundsätzlich falsch läuft in Konzertsälen, in der
Rezeption von live gespielter klassischer Musik.
Es sitzen dort Menschen, es lauschen dort Menschen, es geht dort aber zu
wie im Schweigekreis. Musik rührt an, Musik bewegt, Musik macht glücklich,
Musik bedrückt, man will sich bewegen, man will schreien, man will weinen,
aber im Konzertsaal sitzen alle da, als säßen sie Modell für ein Porträt in
Öl.
Es herrscht ein Quasi-Verbot jeder menschlichen Regung – und das geächtete
Husten ist nur das Pars pro toto für einen Verhaltenskodex, der Steifheit
verordnet, Gebanntsein, Ernsthaftigkeit, weil Konzertsäle gleichsam als
heilige Orte festgeschrieben sind, in denen weihevolle Handlungen vollzogen
werden. Andacht muss man da halten, schweigen. Krchhhh, wrrrg, ö-hö-ö-hö,
grrtz.
## Es läuft was falsch beim Hören live gespielter Klassik
Käme man ein wenig davon weg, machten sich alle etwas lockerer in
klassischen Konzerten, würde man ihnen diese Überhöhung nehmen, dann würde
eine entspanntere Atmosphäre herrschen, die Musik würde nichts verlieren,
sondern, im Gegenteil, würde noch intensiver wahrgenommen werden.
Einige Orchester haben inzwischen casual concerts im Programm, da lassen
Musikerinnen und Musiker die gestrengen Fräcke und schwarzen Kleider im
Spind, das Publikum ist ebenfalls straßentauglich unterwegs, man sitzt und
hört zu, aber man verkrampft nicht. Die Musik steht zwar im Mittelpunkt,
das schon, aber ohne den feierlichen Ernst, der dem überkommenen
bildungsbürgerlichen Streben nach dem ungestörten Erleben dieser Art von
Musik anhaftet.
Orchester und Zuhörer werden stärker eins. Die Trennung zwischen Podium und
Rängen bleibt zwar, niemand läuft umher, plaudert oder lässt die Musik zum
Nebengeschehen werden, als sei es eine Cocktailparty, in der im Hintergrund
Brahms vor sich hin dudelt. Aber die Darbietung kommt etwas vom Sockel, das
Angebot wird niedrigschwelliger, und das Resultat ist, dass es viel weniger
Gehuste und gutturales Getöse gibt. Weil es lockerer zugeht, muss niemand
Angst haben, in den Satzpausen abzuhusten.
Also: Lasst mehr Lockerheit im Konzertsaal zu, schafft eine andere Art des
Miteinanders, lasst die Musik wirken, sie ist stark genug und braucht die
inszenatorische Überhöhung nicht, kommt weg davon, so zu tun, als müsse man
sie stummsteifschweigend genießen, schafft eine Atmosphäre, in der man sich
ihr hingeben kann, in der man wippen, schunkeln, swingen darf. Lasst gut
gemeinte Durchsagen sein und lasst die Hustenbonbons weg, überwindet den
heiligen Ernst, dann wird zwischendrin auch weniger abgehustet.
23 Feb 2020
## AUTOREN
Felix Zimmermann
## TAGS
Klassik
Elbphilharmonie
Erkältung
Lübeck
Elbphilharmonie
Ei
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